Aeronautica Nazionale Repubblicana (ANR)

Bis zum Schluss hatten die Piloten der Aeronautica Nazionale Repubblicana Mussolinis zu ihren deutschen Waffenbrüdern gehalten. Ihr Einsatz sei exemplarisch geschildert und auch gewürdigt am Beispiel des Kommandeurs der 4a Squadriglia der II° Gruppo Caccia (ANR) – der 4. Staffelder II. Jagdfliegergruppe der bündnistreuen italienischen Luftwaffe ANR.

Ugo Drago, geboren am 3. März 1915 in Arborio (bei Novarra), ist von Anfang an mit dabei. Am 19. März 1939 wird er Militärpilot und seit 16. Mai 1939 ist er Jagdflieger in der 363a Squadriglia, 150o Gruppo C.T. der Regia Aeronautica (italienische Luftwaffe bis zum Seitenwechsel der Italiener). Sottotenente (Leutnant) Drago nimmt am italienischen Luft-Engagement gegen Ende des Frankreichfeldzuges teil. Im Oktober 1940 wird Dragos Einheit bei Mussolinis Überfall auf Griechenland eingesetzt. Es dauert dann bis zum 2. November 1940, bis Drago in einem Fiat CR.42-Doppeldecker seinen ersten Luftsieg erringt. Sein Gegner ist ein griechischer PZL P.24-Jagdeinsitzer polnischer Bauart.

Im März 1941 wird Dragos Staffel auf die neuere Macchi C.200 „Saetta“ umgerüstet. Ab dem 31. Dezember 1941 wird Drago zum Tenente (Oberleutnant) befördert. Seit Mitte des Monats kämpft die 363a Squadriglia, 150o Gruppo C.T. in Nordafrika. Fast täglich kommt es zu Luftduellen, die den Italienern allerdings nicht viel einbringen. Drago hat bis zum Beginn seiner Kampfzeit in Afrika vier bestätigte Abschüsse über Griechenland erzielt und kann über der Wüste keine weiteren Erfolge hinzugewinnen. Allerdings wird er nun bereits zum zweiten Mal mit der italienischen Medaglia d‘argento al Valor Militare ausgezeichnet und erhält außerdem das deutsche Eiserne Kreuz 2. Klasse verliehen.

Am 10. November 1942 wird die 150o Gruppo C.T. zurück nach Italien beordert. Drago hat zu diesem Zeitpunkt 124 Einsätze geflogen, teilweise auch mit der potenteren Macchi C.202 „Folgore“. Und immer noch gerade mal vier Abschüsse erzielt. Nun – immerhin. Am 1. Januar 1943wird ihm die Führung der 363a Squadriglia übertragen. Die gesamte 150o Gruppo C.T. wird jetzt auf die deutsche Messerschmitt Bf 109 G-6 umgerüstet.

Das ist eine beträchtliche Umstellung für die italienischen Piloten, welche agile, flinke, wendige, doch reichlich untermotorisierte Jagdflugzeuge gewöhnt sind. Mit den Fiat CR.42 oder Macchi C.200 muss man im Luftkampf um sein Leben kurven – denn enge Radien fliegen können diese Konstruktionen. Alles andere können sie nicht besonders gut, dank ihrer zu schwachen Triebwerke.

Doch wenn man eines in einer Me 109 G-6 gerade nicht tun sollte, dann sich auf ein Kurvenduell mit einer Spitfire einlassen. Dafür hat dieses Jagdflugzeug nun einen potenten Motor unter der Haube.

Die Italiener sind fasziniert von der starken, wenn auch nervösen deutschen Maschine – und den deutschen Luftkampftaktiken. So etwas hatte ihnen in der Regia Aeronautica niemand beigebracht! Selbst der Gebrauch eines Reflexvisiers für den Vorhalte-Abschuss ist ihnen nicht geläufig. „Kurve direkt hinter den Gegner und halte voll drauf!“ – so hatte die simple Devise gelautet. Jetzt lehren die deutschen Einweiser auf die Me 109 den italienischen Kollegen ihre Tricks und Techniken.

Die Schlacht um Sizilien beginnt. Am Morgen des 9. Juni 1943 kommt es wieder einmal zu Luftkämpfen über der von See her belagerten und aus der Luft sturmreif gebombten italienischen Insel Pantelleria. Tenente Ugo Drago fliegt zu dieser Zeit seine Me 109 G-6/trop img. Es gelingt ihm, eine amerikanische Spitfire Mk. VIII der 31st US Fighter Group abzuschießen. Der Pilot der 308th Fighter Squadron, 1st Lieutenant McMann, wird später von einem alliierten Boot gerettet.

Das wissen die Kameraden des Amerikaners noch nicht, die am Nachmittag nach ihm suchen – angeblich etwa 50 Spitfires und P-38 „Lightnings“. Diese Formation trifft nun auf 14 moderne Macchi C.202 „Folgore“ der 151o Gruppo C.T. und vier Me 109 G-6 der 363a Squadriglia, 150oGruppo C.T. – unter diesen erneut Tenente Drago.

Ein wilder Luftkampf entbrennt.

Tenente Giovanni Chiale und Tenente Ugo Drago reichen später den Abschuss je einer Spitfire ein – für Drago ist es der 6. Abschuss. Die Amerikaner verzeichnen indes keine Verluste, behaupten aber selber, zwei Macchi C.202 und eine Me 109 G-6 heruntergeholt zu haben.

Und das ist nachvollziehbar. Die zwei Macchi-Piloten sind Capitano Bruno Veronesi and Sottotenente Antonio Crabbia. Beide springen mit dem Fallschirm ab und können sich so in Sicherheit bringen.

Der genannte Me 109-Pilot fällt einer Fehleinschätzung zum Opfer. Er findet sich nach dem Luftkampf vom Rest seiner Einheit getrennt im Luftraum wieder und freut sich, dass endlich wieder sein Rottenflieger von hinten aufschließt. Den hatte er in der Kurbelei völlig aus den Augen verloren – und der wohl den Anschluss an ihn. Jetzt taucht von hinten ein schwarzer Punkt auf – das wird er wohl sein ...

Ein klarer Fall von „Denkste“. Die amerikanische Spitfire schießt der italienischen Me 109 G-6 eine Tragfläche ab und bringt sie ins Trudeln. Tenente Ugo Drago kommt mit Mühe aus seiner abschmierenden Messerschmitt heraus und landet mit dem Fallschirm im nassen Mittelmeer.

Ein italienischer Fischer „fischt“ ihn aus dem Wasser. Tenente Drago wird gemeinsam mit seinen beiden Kameraden aus den Macchis der 151o Gruppo wenige Stunden vor der Kapitulation Pantellerias an Bord eines Transportflugzeuges des Typs Savoia-Marchetti SM.81 „Pipistrello“ nach Palermo geflogen.

Die Luftkämpfe über Sizilien gehen weiter. Die deutschen und italienischen Piloten kämpfen auf hoffnungslos verlorenem Posten.

Im Juli 1943 verlegen die Männer der 150o Gruppo C.T. von Sizilien auf das italienische Festland. Die Männer, das Personal – wohlgemerkt – nicht die Flugzeuge! Denn die verlegen nirgendwo mehr hin, außer vielleicht auf den Schrottplatz. Die alliierten Dauerbombardements der sizilianischen Flugplätze haben auf der Basis Sciacca keinen einzigen Jäger der 150o Gruppo C.T. flugfähig übrig gelassen.

Der September 1943 bricht an. Und nun überschlagen sich die Ereignisse. Benito Mussolini, der „Duce“, ist bereits im Juli 1943 verhaftet worden. Es verwirrt, verunsichert! Was hat das zu bedeuten? Doch das klärt sich bald! Die Regierung wechselt jetzt die Fronten und fällt den bisherigen deutschen Verbündeten in den Rücken. Die wiederum entwaffnen blitzartig die Italiener – chaotische Tage sind das. Und irgendwie auch beschämende, ehrenrührige! Drago versucht, sich zu seiner Familie nach Norditalien durchzuschlagen. In Ferrara erwischen ihn die Deutschen. Sie „bieten ihm an“, in der deutschen Luftwaffe weiterzukämpfen. Es gibt in Italien „Angebote, die man nicht ablehnen kann“. Für Ugo Drago gehört dieses nicht dazu! Er weigert sich standhaft, unter einer fremden Flagge zu fliegen.

Folglich werden er und andere Piloten in einen Zug verfrachtet und in Richtung Deutschland in Bewegung gesetzt. Ein deutsches Gefangenenlager erwartet Ugo Drago.

Doch der Italiener kann gemeinsam mit anderen Inhaftierten kurz vor der Grenze aus dem Zug entkommen, herausspringen. Drago versteckt sich. Es gelingt ihm, den Deutschen zu entwischen.

Als er dann aber hört, dass Mussolini von einem deutschen Kommandotrupp befreit wurde und in Norditalien eine bündnistreue neue italienische Luftwaffe aufgebaut wird, die händeringend nach Piloten sucht, stellt er sich freiwillig den Behörden der von Mussolini unter deutscher Aufsicht gegründeten faschistischen Repubblica Sociale Italiana (RSI) und meldet sich zum Dienst zurück. Von nun an ist seine militärische Heimat die Aeronautica Nazionale Repubblicana, die Luftwaffe der RSI. In ihr wird Drago wesentlich erfolgreicher sein als in all den Jahren der „königlichen“ Regia Aeronautica.

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Macchi C.202 „Folgore“.

Ugo Drago wird Kommandeur der 1a Squadriglia der II° Gruppo Caccia (ANR), die zunächst mit dem italienischen Jagdflugzeug Fiat G.55 ausgerüstet wird.

Es würde den italienischen Flugzeugkonstrukteuren nicht gerecht, wenn man ihre konstruktiven Leistungen an den Erfolgen ihrer Produkte messen würde. Zumindest nicht in diesem Stadium des Krieges, welches ihren Entwürfen keine reelle Erfolgschance mehr lässt.

Denn Flugzeuge bauen – das können die Italiener. Was sie nicht zu Wege bringen, das sind Motoren! Die entscheidende Verbesserung dieses Handicaps wird durch den Import und den Lizenzbau des deutschen Daimler-Benz-DB-601A1-Motors erzielt. Das Ergebnis ist der erste einigermaßen konkurrenzfähige italienische Jäger, die Macchi C.202 „Folgore“. Sie wurde bereits beschrieben.

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Macchi C.205 „Veltro“.

Mit 595 km/h Höchstgeschwindigkeit kann die wendige „Folgore“ zwar sehr gut mit Hawker „Hurricanes“, P-40 „Kittyhawks“, P-38 „Lightnings“, P-39 „Airacobras“ oder auch Supermarine „Spitfires“ Mk. Vb konkurrieren, mit den neueren Spitfires Mk. VIII oder Mk. IX kann sie es aber ebenso wenig aufnehmen wie mit P-51 B „Mustangs“. Zumal ihre Bewaffnung mehr als dürftig ist (zwei 12.7-mm-Breda-SAFAT-Maschinengewehre und fabrikmäßig zwei 7.7-mm-Breda-SAFAT-Maschinengewehre, die aber meistens ausgebaut werden, da sie gegen gepanzerte Luftziele schon im Jahr 1943 wirkungslos sind). Ab Ende 1941 erscheinen diese Jäger am Himmel, ein Jahr später stellen sie den Löwenanteil der Jagdflugzeuge in der Regia Aeronautica. Zumindest hinsichtlich der Bewaffnung ist ihr die Me 109 G-6 überlegen. In den Anflughöhen der amerikanischen Viermotorigen – 8.000 Meter – ist die „Folgore“ überfordert. Die italienischen, alliierten und deutschen Weiterentwicklungen lassen sie später veralten.

Mit der Verfügbarkeit des neuen, 375 PS mehr leistenden Daimler-Benz-DB-605-A-1-Motors, von Fiat als RA.1050 R.C.58 „Tifone“ in Lizenz gefertigt, steigen die Erwartungen und auch Möglichkeiten der italienischen Konstrukteure. Entsprechend der letzten Ziffer dieses 1.475 PS starken Triebwerkes werden drei italienische Flugzeughersteller beauftragt, so genannte „Serie 5“-Jäger zu entwickeln.

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Reggiane Re.2005 „Sagittario“.

Der Nachfolger der Macchi C.202 „Folgore“ (Blitz) ist die C.205 „Veltro“ (Windhund). Die Veltro ist ein potenter Jäger, doch hat sie – ähnlich der Folgore und auch deutschen Konstruktionen – relativ kleine Tragflächen. Dies vermindert den Luftwiderstand, bewirkt aber eine hohe Tragflächenbelastung. Das wiederum führt dazu, dass ihre in mittleren Höhen sehr guten Leistungen in den höheren Kampfzonen ebenso deutlich nachlassen, wie dies bei einer Folgore der Fall ist – oder einer Focke-Wulf 190.

Immerhin ist die Macchi C.205 mit zwei italienischen 12.7-mm-Breda-SAFAT-Maschinengewehren in der Motorhaube und zwei deutschen 20-mm-Kanonen (MG 151/20) in den Tragflächenwurzeln endlich konkurrenzfähig bewaffnet. Dieser Flugzeugtyp wird ab Februar 1943ausgeliefert und von der Regia Aeronautica gemeinsam mit der C.202 „Folgore“ in denselben Staffeln benutzt.

Zum Zeitpunkt des italienischen Bündnisabfalls hat die Regia Aeronautica 177 Maschinen ausgeliefert erhalten – ganze 66 sind am 8. September 1943 noch einsatzfähig.

Die Piloten dieser 642 km/h schnellen Jagdflugzeuge schlagen sich achtbar – von „erfolgreich“ zu sprechen, wäre allerdings beschönigend! So, wie auch die italienischen Abschussmeldungen häufig allenfalls Beschädigungen darstellen, jedenfalls oft in auffallendem Missverhältnis zu den dokumentierten alliierten Verlusten stehen.

Zwei Beispiele seien hier genannt. Am 20. April 1943 greift 35 Kilometer westlich der Insel Pantelleria eine italienische Formation aus 24 Macchi C.205 „Veltro“ und neun Macchi C.202 „Folgore“ der 1° Stormo eine tiefer fliegende Formation an Spitfires der 1, 92, 417 und 601 Squadronan. Es handelt sich überwiegend um Spitfires des Typs Mk. Vb, einige davon sind jedoch bereits modernere Varianten (Mk. VIII und MK. IX).

Die 33 Macchis jagen vorteilhaft aus der Überhöhung heran – und übersehen dabei die noch weiter über ihnen lauernde Höhendeckung der Briten und Südafrikaner. Die Polen der 145 Squadron stürzen sich prompt ihrerseits von oben auf die Italiener, die nun unverhofft etwa 60 Gegner zu bewältigen haben. Im Ergebnis behaupten die Macchi-Piloten, 15 Spitfires abgeschossen zu haben, während die Gegenseite elf Macchis heruntergeholt haben will.

Tatsächlich geht nicht eine einzige Spitfire wirklich verloren, und auch die Italiener beklagen nur drei Verluste.

Nicht viel besser ist die Übereinstimmung der „claims“ am 2. August 1943, als ein amerikanisches PBY „Catalina“-Flugboot nahe Sardinien nach abgeschossenen alliierten Piloten sucht. Das Flugboot wird auf der Wasseroberfläche von den italienischen Piloten der 51° Stormo überrascht. Doch so einfach ist es nicht – die Amerikaner haben immerhin zwölf P-38 „Lightnings” als Begleitschutz dabei.

Die Lightnings wehren sich und reklamieren drei sichere Abschüsse an italienischen Macchi C.202 beziehungsweise C.205. Nun – es ist nur eine einzige C.202 „Folgore”, die nicht mehr zurückkehrt. Dafür „schießen“ die Italiener alle zwölf Lightnings ins Mittelmeer und „versenken” das Flugboot. Die Amerikaner beklagen in der Tat ihre Catalina. Zu dem Zeitpunkt wissen sie bereits, dass deren Besatzung mit Ausnahme eines Gefallenen von einem flinken britischen Schiff gerettet wurde, als sämtliche zwölf P-38 „Lightnings” wieder auf ihrem Flugfeld landen …

Die Reggiane Re.2005 „Sagittario“ (Bogenschütze) wird nur in 48 Exemplaren hergestellt. Das ist insofern bedauerlich, als es sich um ein interessantes und recht leistungsfähiges Jagdflugzeug handelt. Es hat seine Feuertaufe am 2. April 1943 – und es bewährt sich ziemlich gut!

Die Re.2005 hat ein ausgesprochen raffiniertes teil-elliptisches Tragflächendesign und einen recht kleinen Hinterrumpf. Allerdings ist die Struktur der Zelle nicht allzu robust. Das Jagdflugzeug ist sehr gut bewaffnet und besitzt zwei italienische 12.7-mm-Breda-SAFAT-Maschinengewehre in der Motorhaube, zwei deutsche MG 151/20-Kanonen des Kalibers 20 mm in den Tragflächen und eine dritte Kanone dieser Art, welche wie in der Messerschmitt Bf 109 durch die Motornabe feuert. Der Munitionsvorrat für diese Waffen ist aber auf Grund des relativ kleinen Rumpfes etwas begrenzt.

Auf Grund der größeren Tragflächen besitzt die Sagittario ganz erheblich bessere Höhenleistungen als ihr Gegenstück aus dem Hause Macchi, die C.205 „Veltro“. Die 678 km/h schnellen Reggiane-Jäger stellen ihre Fähigkeiten bei Abfangeinsätzen gegen viermotorige Consolidated B-24 „Liberator“-Bomber der Amerikaner über Neapel höchst respektabel unter Beweis.

Nur einen Nachteil hat dieser Entwurf. Er ist so verspielt und daher sündhaft teuer in der Produktion, dass an eine Serienfertigung unter den Bedingungen des Jahres 1944 nicht mehr zu denken ist.

Bleibt die „dritte im Bunde“ der „Serie 5“ – Jagdflugzeuge. Es ist eine Konstruktion aus dem Hause Fiat, die G.55 „Centauro“ (Zentaur). Sie ist vielleicht der ausgewogenste Vorschlag jener drei, obwohl ihre Höchstgeschwindigkeit mit 619 km/h den schlechtesten Wert aufweist.

Dafür hat dieser Jäger Flugeigenschaften, die begeisternd sind. Das „Handling“ dieser Maschine ist ebenso faszinierend wie jenes der deutschen Focke-Wulf 190. Die Focke-Wulf hat aber bei ansonsten geradezu genialer Abstimmung aller Steuerorgane und generell herrlicher Manövrierbarkeit einen einzigen Schwachpunkt: beim Überziehen in einer zu eng gezogenen Kurve kippt ihre Tragflächenneigung ohne die geringste Vorwarnung abrupt auf die Gegenseite und reißt das Flugzeug unweigerlich ins Trudeln, wenn dies nicht durch eine höchst versierte blitzartige Gegenreaktion des Piloten abgefangen wird. Im Gegensatz dazu schüttelt sich die ansonsten wesentlich gröber, unhomogener abgestimmte, geradezu nervös fliegende Messerschmitt Bf 109 beim Überziehen lediglich durch und fährt vollautomatisch ihre Vorflügel aus – sonst passiert nicht viel, anders als in der „190“. Genau deswegen ist die Focke-Wulf einer Spitfire oder auch Mustang in horizontal geflogenen Messerkurven – und nur dort – an Manövrierbarkeit erheblich unterlegen, denn der deutsche Pilot sollte sich hüten, den engen Kurvenradius seines Gegners nachzuvollziehen. Das müsste er aber, um diesem zu entkommen! Einem Kontrahenten, welcher ihn somit leicht auskurven kann, wenn der deutsche Pilot nicht steigt oder stürzt. Das ist bei allen unbestreitbaren Vorzügen dieses Jägers ein gefährlicher Nachteil.

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Fiat G.55 „Centauro“.

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Fiat G.55 „Centauro“ – italienisches Mode-Design.

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Fiat G.55 der 2a Squadriglia der II° Gruppo Caccia in der Aeronautica Nazionale Repubblicana.

Eine Schwäche, die sich die Fiat G.55 „Centauro“ nicht leistet. Im Februar 1943 interessiert sich das deutsche Reichsluftfahrtministerium für die neuen italienischen Jagdflugzeuge und organisiert umfangreiche Tests in Guidonia/Italien in Gegenwart deutscher Flugzeugbaumeister, Techniker und Luftwaffen-Offiziere. Es werden Vergleichsflüge durchgeführt mit simulierten Luftkämpfen gegen eine deutsche Focke-Wulf 190 A-5 und eine Messerschmitt Bf 109 G-4.

Das Ergebnis ist bemerkenswert. Dass die typischen italienischen Modelle in niedrigen Höhen gut mithalten können, überrascht niemanden. Weiter oben „fliegt“ die Macchi C.205 dann auch prompt aus dem Rennen. Anders als die Reggiane Re.2005, die auch in der Höhe überzeugt. Doch überrascht ist die deutsche Testkommission von der Fiat G.55, die gerade in oberen Regionen ihre Stärken hat, dafür allerdings „weiter unten“ weniger gut abschneidet – was offenbar nicht negativ gewertet wird.

Die Centauro kann es auch in großen Höhen mit ihren deutschen Gegenstücken aufnehmen. Gleichzeitig ist sie wendig, fantastisch zu fliegen und gut bewaffnet. Wie die Reggiane Re.2005 besitzt die Fiat G.55 zwei 12.7-mm-Breda-SAFAT-Maschinengewehre über dem deutschen Zwölfzylinder-Lizenz-Motor Daimler-Benz DB 605 A-1 (Fiat als RA.1050 R.C.58 „Tifone“) mit 1.475 PS (1.085 kW). Ferner trägt der Jäger drei MG 151/20-Kanonen, wobei einer der 20-mm-Läufe durch die Propellernabe feuert, die beiden anderen in den Tragflächen montiert sind.

Allerdings sind die deutschen Jagdflieger selbst offenbar nicht so angetan von der Centauro wie die Kommission. Im Kriegstagebuch des Stabes des JG 77 vom 27. Mai 1944 heißt es: „Vorführung vor der Flotte … Macchi gegen Jäger gutes Flugzeug, Fiat G 55 ein müdes Schiff. Trotzdem läuft Macchi aus und G.55 wird weitergebaut!“ *40

Dabei muss in Relation zu der nachstehend abgebildeten Tabelle klargestellt werden, dass die Vergleichsflüge im Jahre 1943 gegen die deutschen Modelle Focke-Wulf 190 A-5 und Messerschmitt Bf 109 G-4 stattfinden. Erstere hat eine Höchstgeschwindigkeit von 681 km/h, Letztere von 653 km/h, aber jeweils nur kurzzeitig mit Notleistung, sodass sich die Fiat G.55 mit ihren 619 km/h gegen 616 km/h der Me 109 G-4 ohne GM-1-Zusatz auch in dieser Hinsicht keine Blöße leistet. Für den späteren Einsatz der Centauro in der Aeronautica Nazionale Repubblicana (ANR) in den Jahren 1944 und 1945 sind jedoch eher die in der Tabelle gelisteten Gegner und Konkurrenten relevant und daher zum Leistungsvergleich auch so ausgewählt.

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Quellen:

img„Berühmte Flugzeuge der Luftwaffe 1939 – 1945“ Berichte eines Testpiloten/Motorbuch Verlag, 1. Spezialausgabe 1999/Eric Brown.

imgAus den technischen Kenndaten wissenschaftlich mit standardisierten Verfahren errechnete Leistungswerte / Dipl. Ing. Konstantin Iwanow, Universität Sofia vgl. Seite 763. Die Kriterien für die Berechnung dieser Werte sind im Anhang ab Seite 784 genannt. Ihre Anwendung gewährleistet eine in der Literatur meistens nicht gegebene Vergleichbarkeit.

img„Kampfflugzeuge des II. Weltkrieges“/Gondrom Verlag 1999/Chris Chant.

imgunter anderem „Caccia Della Serie 5, Re.2005, Mc.205, Fiat G.55/Arena, Nino und Beale, Nick, d’Amico, Ferdinando and Valentini, Gabriele: Air War Italy, Axis Air Forces from Liberation of Rome to the Surrender. Shrewsbury, UK: Airlife, 1996 – via Wikipedia

img„War planes of the Second World War”, Volume 1–10/Macdonald & Co Ltd., London/William Green.

imgAircraft N° 57 „Messerschmitt Bf 109 in action“ Part 2/Squadron/Signal Publications 1983/J. R. Beaman Jr..

img„Die Focke-Wulf 190“ und „The Best Fighter Planes of World War II” von Chuck Hawks.

imgAircraft N° 170 “Fw 190 in action”/Squadron/Signal Publications/Brian Filley.

Es werden ernsthafte Überlegungen angestellt, die Fiat G.55 bzw. deren Weiterentwicklung G.56 in Deutschland in Lizenz zu produzieren. Doch ein entscheidender Umstand lässt dieses Vorhaben scheitern. Es ist die ungeheure zahlenmäßige Überlegenheit der alliierten Jäger. Diese Mengen an Gegnern, diese gewaltige industrielle Kapazität der anderen Seite(n) erfordern eine extrem effiziente, zu Höchst-Ausstoßzahlen optimierte Gegenproduktion in deutschen und italienischen Fabrikanlagen.

Und das ist mit der Centauro nicht zu machen. Zu Beginn der Herstellung erfordert dieses Jagdflugzeug die dreifache Montagezeit, verglichen mit einer deutschen Messerschmitt Bf 109. Obwohl man alle Anstrengungen unternimmt, die Fertigung zu vereinfachen, ist das Ergebnis immer noch der doppelte zeitliche Aufwand. Und das ist einfach nicht „drin“, so denkt man. Und gibt der „109“ den Vorzug.

Allerdings fehlt in dieser Betrachtungsweise, dass ein derartiger „Vorteil“ schnell zunichte ist, wenn im Ergebnis die doppelte Anzahl von Jagdflugzeugen – und ihrer Piloten – abgeschossen wird und verloren geht. Ob dies in jenem Falle so gesehen werden kann, das mag dahingestellt sein – wer weiß es?

Die Fiat G.55 oder gar G.56 hat unbestreitbar ihre Vorzüge gegenüber einer Messerschmitt Bf 109 – vor allem des Typs G-6. Doch die späteren Modelle der Me 109 sind ebenfalls wieder hervorragende Jagdflugzeuge. Ferner erübrigt sich spätestens mit der Indienststellung der Focke-Wulf 190 D-9 oder gar Ta 152 H-1 die Überlegung eines Lizenzbaus italienischer Modelle. Diese „heimischen“ Produkte deutscher Ingenieurskunst sind wieder absolut konkurrenzfähig gegenüber ihren alliierten Gegnern.

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