Die erste Einheit der Aeronautica Nazionale Repubblicana (ANR) ist die 101° Gruppo Autonomo Caccia, die in Florenz Ende 1943 aufgestellt wird. Im Januar des Jahres 1944 gründet sich die Squadriglia Complementare „Montefusco“, die ab Ende Februar 1944 von Venaria Reale aus operiert, und offiziell die I° Gruppo Caccia, der später im Frühjahr die II° Gruppo Caccia folgt. Die I° Gruppo Caccia kämpft ab 3. Januar 1944 – gleich mit einem recht erfolgreichen Start gegen eine Formation B-17-Bomber, die von P-38 begleitet wird. Die Italiener erzielen drei Abschüsse ohne Verluste. Der erste Einsatz der II° Gruppo Caccia erfolgt am 30. April 1944. Das Ergebnis ist ein Remis – eine B-24 „Liberator“ gegen einen der italienischen Jäger.
Die I° Gruppo Caccia ist zunächst mit der Macchi C.205 “Veltro” ausgerüstet, wird dann ab Mai 1944 auf die Fiat G.55 umgerüstet und ab November 1944 auf die Messerschmitt Bf 109 umgeschult.
Die II° Gruppo Caccia erhält zunächst neben Messerschmitt Bf 109 G-6 auch Fiat G.55 „Centauro“, gibt diese aber ab 30. Mai 1944 befehlsgemäß an die I° Gruppo Caccia ab. Danach fliegt diese Einheit ausschließlich den Messerschmitt-Jäger, der sich in mittleren Höhen besser schlägt als die G.55.
Das ist nicht allzu populär bei den Italienern, die ihre Centauros lieben. Doch als die Fiat-Montageanlagen in Turin am 25. April 1944 durch alliierte Bomber so schwer zerstört werden, dass sich aus deutscher Sicht selbst eine dezentrale Wiederaufnahme der Jagdflugzeug-Produktion nicht mehr lohnt, bleibt keine andere Wahl als die Umrüstung. Denn in Norditalien treffen im Jahr 1944 die Deutschen alle wichtigen Entscheidungen. Zu diesem Zeitpunkt sind 148 Fiat G.55 ausgeliefert worden.
Ugo Drago vor seiner Messerschmitt Bf 109 G-6.
Die Abnützung der Luftflotte 2 in Italien ist derartig krass, dass die letzten Häuflein Aufrechter von einer feindlichen Flut geradezu überschwemmt werden. Umso achtbarer ist der Einsatzwille jener italienischer Piloten, die in der ANR auf verlorenem Posten für ihre Überzeugung stehen.
Allmählich macht sich auch bei ihren Modellen eine Verknappung an Ersatzteilen bemerkbar. Die II° Gruppo Caccia übergibt auch deswegen die Fiat G.55 von zweien ihrer drei Staffeln im Juni 1944 an die I° Gruppo Caccia. Die Squadriglias starten nun mit Me 109 G-6. Bei ihrem ersten Einsatz in der deutschen Maschine holen die Italiener vier P-47 „Thunderbolt“ vom Himmel – ohne eigene Verluste.
Freitag, 16. Juni 1944. Die Deutschen haben in Italien noch 47 einsatzklare Jagdflugzeuge. Die Italiener weitere 35. Eine niederschmetternde Bilanz. In dieser Phase wird die Squadriglia Complementare „Montefusco“ mit ihren Macchi C.205 und überwiegend Fiat G.55 in die I° Gruppo Caccia integriert, nachdem ihr Kommandeur, Capitano Bonet, am 29. März 1944 im Luftkampf gefallen war.
Sonntag, 2. Juli 1944. Die deutsche I./JG 4 besitzt noch 14 Messerschmitt Bf 109 G-6. Fünf davon sind startklar. 40 wären es in Friedenszeiten – bei drei Staffeln pro Gruppe. Über 50 bei vier.
Der Zustand der I./und II./SG 4, jener aufopfernd fliegenden Schlachtfliegereinheit, ist nicht viel besser. Die Jagdbomber verlassen Italien. Zur „Auffrischung“. Dann an die Ostfront. Sie werden nie wieder nach Italien zurückkehren. Viele auch sonst nirgendwo hin.
Wie so viele Piloten, die nun mit ihren Einheiten schon abgezogen worden waren – während es auf der anderen Seite immer mehr zu werden scheinen. Die deutsche Luftflotte 2 in Italien besitzt jetzt noch fünf Jagdgruppen – einschließlich jener zwei der Italiener in der ANR! Es sind dies die I°und II° Gruppo Caccia, die I./JG 4 und die I./sowie II./JG 77. Außerdem treiben sich noch eine deutsche Nachtschlachtfliegerstaffel und einige Aufklärungseinheiten der Luftwaffe hier herum. Das war es dann. Es sind wahrlich desillusionierende Verhältniszahlen am südeuropäischen Himmel.
Samstag, 29. Juli 1944. Die Reste der I./JG 4 verlassen Italien.
Dienstag, 1. August 1944. Die aus den Reihen der I./JG 77 noch übrig Gebliebenen werden auch aus Italien abgezogen. Die Italiener stellen im Laufe des August eine III° Gruppo Caccia (ANR) auf.
Freitag, 8. September 1944. Die II./JG 77 wird „heim ins Reich“ zurückbeordert. Die letzte deutsche Jagdgruppe verlässt italienischen Boden.
Von nun an kämpfen die Italiener als Jagdflieger alleine in ihrem Luftraum. Zumindest, wenn man von den Heerscharen ihrer Gegner einmal absieht.
Allerdings müssen sie sich zunächst einmal von einem schweren psychologischen Schock erholen, den ihnen ihre Bündnispartner Ende August 1944 auf typisch radikal deutsche, psychologisch unsensible Weise zufügen. Nach der Einnahme von Rom fürchten die Deutschen einen weiteren Einbruch der italienischen Kampfmoral, womöglich eine erneute Fahnenflucht der ANR-Piloten zu den Alliierten – mitsamt dem Material der italienischen Einheiten, und ihrem Wissen. Hinzu kommt, dass den ANR-Luftwaffenverbänden eine völlig ineffektive, ausufernde italienische Beamtenmaschinerie vorgesetzt ist, die die ANR-Einheiten geradezu erstickt in bürokratischen Hindernissen – was nach deutschen Maßstäben immerhin etwas heißen will! Man ist auf deutscher Seite nicht mehr gewillt, den ewigen Umbesetzungen Mussolinis in seinem verantwortlichen Ministerium tatenlos länger zuzusehen.
Der erste Schritt ist, dass den italienischen ANR-Verbänden systematisch der Treibstoffnachschub entzogen wird. Dann werden unter Führung des Generalfeldmarschalls Wolfram von Richthofen die deutschen und obersten italienischen Offiziere in das Unternehmen „Phoenix“ eingeweiht. Allerdings weigern sich viele deutsche Kommandeure, an dieser Operation teilzunehmen. Der Jagdfliegerführer Oberitalien, Oberst Günther Freiherr von Maltzahn, boykottiert diesen Plan, und wird prompt am 23. August 1944 von Italien wegbeordert! Oberstleutnant Steinhoff sowie die Italiener Generale Tessari und Tenente Colonnello Falconi sowie Colonnello Fagnani kooperieren dagegen.
Inzwischen umstellen deutsche Luftwaffentruppen die Hauptquartiere der I° Gruppo Caccia, II° Gruppo Caccia und III° Gruppo Caccia (Valeggio sul Mincio und Monticello Conte Otto) sowie der Torpedobombereinheiten (Lonate Pozzolo, Castano Primo und Venegono), ferner alle Flugfelder. Die verblüfften italienischen Piloten werden zum Appell beordert und im Namen Generalfeldmarschalls Wolfram von Richthofen aufgefordert, in eine neu gegründete italienische Legion unter deutschen Kommando einzutreten. Sie haben die Wahl, andernfalls nach Deutschland deportiert zu werden ...
Ersteres hätte bedeutet, unter deutschem Diktat in der Organisation der deutschen Luftwaffe in deutschen Uniformen und vermutlich zum Schutz deutscher Ziele eingesetzt zu werden – Letzteres vermuten die Italiener bereits in ihren derzeitigen Einsatzbefehl verärgert. Die Reaktion der italienischen Soldaten überrascht nun wieder die Deutschen. Sie ist überwiegend eindeutig! Und harsch.
Sie weigern sich entschieden, sich erpressen oder einschüchtern zu lassen. Sie sind Italiener, hier ist Italien, und sie kämpfen für niemanden anderen als für ihr Vaterland. Basta!
Mussolini protestiert bei Hitler. Der setzt demonstrativ von Richthofen ab und ersetzt ihn durch General von Pohl. Und nun kämpfen die Italiener wieder. In italienischen Uniformen, unter italienischer Flagge und in der Aeronautica Nazionale Repubblicana. Soweit sie nicht inzwischen genug haben von ihren „Freunden“, die offenbar nur abfällig und geringschätzig über sie denken. Alleine 200 Männer des Telekommunikationsregimentes in Casale Monferrato desertieren. Sie sind nicht die Einzigen ...
Am 7. November 1944 wird Ugo Drago zum Capitano befördert (Hauptmann). Der 16. November 1944 bricht an. Dragos 1a Squadriglia der II° Gruppo Caccia fliegt inzwischen Messerschmitt Bf 109 G-6.
Es ist vom deutschen Funkmesssystem ein Überflug viermotoriger Bomber der 15. USAAF gemeldet, die von einem harten Einsatz über Süddeutschland zurückfliegen. Ugo Drago startet gegen 12.00 Uhr mit acht Me 109 G-6 der 1a Squadriglia, später folgt Capitano Bellagambi mit weiteren acht der 2a Squadriglia.
Ugo Drago gerät mit seiner Streitmacht eher an kleinere Combat-Boxen aus zersprengten Boeing B-17 als an eine größere Formation. Die Boeing-Bomber werden von Mustangs der 332nd US Fighter Group geschützt. Die werfen sich sofort dazwischen, als Dragos Männer beherzt zum Angriff übergehen. Drago und Tenente (Oberleutnant) Renato Mingozzi bezwingen nach italienischen Angaben je eine der P-51, während Sergente Maggiore (Unterfeldwebel) Guido Minardi eine B-17 abschießen kann.
Capitano Bellagambi beteiligt sich mit seinen sieben Kameraden um 13.10 Uhr am italienischen Abfangeinsatz. Über der Mündung des Flusses Livenza greifen die acht Italiener an. Sie haben es ebenfalls mit Boeing B-17 und ihrer amerikanischen Jagdeskorte zu tun.
Tenente Filippi, Sergente Maggiore Mazzanti und Tenente Longhini schießen je eine Boeing vom italienischen Himmel. Longhini kann sich allerdings nicht lange über seinen Luftsieg freuen, denn nur wenig später rächen sich die Mustang-Piloten der Eskorte an ihm. Der italienische Jagdflieger fällt. Die Italiener geben sich jedoch noch längst nicht geschlagen und greifen weiterhin beherzt an. Es gelingt ihnen, über der Adria weitere Boeing-Bomber zu beschädigen. Dann setzen sich Bellagambis Männer ab – wütend verfolgt von den Mustangs der 307th Fighter Squadron/31st Fighter Group. Der amerikanische 1st Lieutenant Bobby A. Bush erwischt dann schließlich auch noch Tenente Vinicio Ambrosino, die anderen Italiener entkommen ihren Verfolgern, obwohl sowohl Captain Luke J. Weathers Jr. zwei Me 109 als abgeschossen reklamiert, als auch 2nd Lieutenant Junior R. Hansen eine weitere.
Insgesamt verlieren die Amerikaner an diesem Tag über Süddeutschland und Italien aus der 15th USAAF zwölf B-24 „Liberator“-Bomber, eine abgeschossene und zwei beschädigte B-17 „Fliegende Festungen“, zwei P-51 „Mustang“ (je eine aus der 52nd und 31st FG) und zwei P-38 „Lightning“. Zwei P-47 „Thunderbolt“ und eine B-26 „Marauder“ der 12th USAAF in Italien kommen hinzu.
Allmählich wird es nun den Amerikanern zu bunt! Die italienischen Luft-Hasardeure werden lästig! Man wird ihnen wohl einen Besuch abstatten und einen Denkzettel auf den Weg geben müssen.
Der nächste Schritt ist ein Bombenhagel auf die Flugplätze Aviano, Vicenza, Villafranca und Udine. Das alte Lied eben ...
Ganze 186 P-51 „Mustangs“ patrouillieren über Norditalien während der Bombenangriffe, um jedes italienische Jagdflugzeug abzufangen, welches dem Vergeltungsangriff durch einen Notstart zu entkommen versucht. Die Italiener müssen ihre Peiniger allerdings enttäuschen. Sie denken nicht daran, ins „offene Messer“ zu fliegen. Ihre Materialverluste am Boden halten sich zudem trotz aller US-Bemühungen in Grenzen. Zumal sie ersetzbar sind.
Namentlich die der II° Gruppo Caccia. Die anderen beiden Gruppen verlegen ohnehin nach Deutschland, um sich auf der Me 109 ausbilden und aufrüsten zu lassen. Im Januar 1945 kehrt die I° Gruppo Caccia nach Italien zurück mit einer kompletten Ausstattung an Messerschmitts des schnellen Typs Bf 109 G-10. Die III° Gruppo Caccia ist noch nicht ganz so weit.
Bis zum Januar 1945 hält die II° Gruppo Caccia alleine die Stellung. Viel kann sie gegen die Übermacht nicht ausrichten – es sind „hit and run“-Einsätze, Angriffe aus der Überraschung mit anschließendem schnellen Verduften. Alles andere macht nicht mehr allzu viel Sinn!
Dienstag, 26. Dezember 1944. Die Engländer nennen den Tag „Boxing-Day“. Auf allzu viel „Boxen“ sind die Australier der 3 Squadron RAAF allerdings nicht eingestellt. Sicher – die bösartig treffsicher schießende deutsche Flak ist immer noch ein nicht zu unterschätzender Gegner. In der Luft hatte man allerdings seit Monaten keinen Widerstand mehr erlebt. Was nicht unbedingt heißt, das es da keinen mehr gibt! Doch in Anbetracht der Zahlenverhältnisse muss man allmählich ja geradezu Glück haben, einen feindlichen Jäger vor die Rohre zu bekommen.
An das Gegenteil zu denken, na ja – es ist ja wohl gelaufen! Man startet am Morgen. Die 3 Squadron RAAF ist erst im November 1944 von P-40 „Kittyhawks“ auf „Mustang III“ (P-51 B/C) bzw. „Mustang IV“ (P-51 D/K) umgerüstet worden. Die Australier fliegen ihre Missionen als Jagdbomber mit zwei 500-lb- (230-kg-) Bomben – je eine unter jeder Tragfläche. Ihr Ziel ist eine Brücke in Jugoslawien.
Doch dort angekommen ist die Sicht unter einer Wolkendecke gleich Null. Die Australier fliegen unverrichteter Dinge zurück und „entsorgen“ ihre Bomben über der Adria.
Die Nachmittags-Mission beginnt um 14.35 Uhr. Acht australische Mustangs (überwiegend vom Typ Mustang IV) röhren über die Startbahn von Fano. Dann heben sie ab. Ein majestätischer Anblick.
Ihr Ziel ist die Bahnlinie, welche durch Pordenone führt. Die Alliierten gehen methodisch vor, systematisch nehmen sie sich die Nachschublinien der die Gotenstellung haltenden deutschen Truppen in Norditalien vor. Jede Straße, jede Brücke, jeder Bahnhof ist ein Ziel. Niemand kann sie daran hindern.
Squadron Lader Murray Nash leitet in seiner Mustang IV die Operation. Da ist Venedig! Ein herrlicher Anblick. Dahinter die schneebedeckten Dolomiten. Man könnte ins Träumen kommen! Dieses berauschende Lichterspiel!
Die Sonne steht bereits tief und wirft ein unwirklich romantisches Licht auf die gelb-weißen Flächen der hohen Berge in der Ferne. Ein Fluss schlängelt sich durch die norditalienische Tiefebene. Das Licht des Nachmittags flimmert im Wasser des Piave. Unter den Mustangs ist die Bahnlinie. Die Australier fliegen sie in Richtung Nordosten entlang, auf der Suche nach einem lohnenden Opfer für ihre todbringenden Sprengkörper. Ein Zug vielleicht? Irgendwas wird sich doch noch bewegen da unten!
In der Tat! Es bewegt sich etwas. Genau im Rücken der Australier, mit der Sonne im Genick. Capitano Ugo Drago ist lange genug dabei, um zu wissen, wie es geht!
Die Messerschmitt-Silhouetten sind in der untergehenden Abendsonne für die inzwischen reichlich sorglosen Australier praktisch unsichtbar. So lange, bis Jack Quinns Mustang III () das deutsche Reflexvisier des italienischen Tenente Keller ausfüllt. Ein gut gezielter Feuerstoß besiegelt das Schicksal der australischen Mustang. Der Pilot aus dem Kontinent auf der anderen Seite der Erde kommt noch mit dem Fallschirm heraus, bevor die Mustang im Detonationsblitz ihrer beiden Bomben auf der Erde zerschellt. Jack Quinn hat jetzt allerdings ein Problem! Er hatte gestern Nacht lange feuchtfröhlich gefeiert und bei dem Umtrunk spaßeshalber eine italienische Carabinieri-Uniform getragen. Dann war er ins Bett gefallen! Der Startbefehl heute hatte ihn auf dem linken Fuß erwischt. Quinn hatte keine Zeit mehr, seine Kombination zu wechseln. Wie soll er das denen da unten erklären ...?
Inzwischen feuert Tenente Keller auf den nächsten Kandidaten der australischen Formation. Es ist Flying Officer Max Thomas. Auch Capitano Drago ist mit seiner nun in Schussposition. Sein „Opfer“ ist Pilot Officer Ken Caldecott. Die Garben gehen daneben – die Tenente Kellers ebenso wie jene Ugo Dragos. Drago ist allerdings so sicher, seinen Gegner entscheidend getroffen zu haben, dass er einen Abschuss einreicht. In vielen Fällen seiner Karriere – hier soll kein falsches Bild gezeichnet werden – wird er wohl mit seinen Angaben richtig gelegen haben. Wenn auch offenbar die Anerkennungskriterien für einen Abschuss bei den Italienern nicht annähernd so streng sind wie in der (allerdings auch nicht unfehlbaren) Luftwaffe. Nun ja, bei den Amerikanern auch nicht. *41
Die Australier benötigen einen Moment, um sich von der Überraschung zu erholen, Als sie ihre Bomben abwerfen und vehement nach links abdrehen, um aus der Schusslinie zu kommen, ist der Spuk auch schon vorbei. Die Italiener nützen den Fahrtüberschuss des Sturzfluges und auch die Steigfähigkeit ihrer zehn Messerschmitt-Jäger und jagen in den Himmel zurück – dorthin, wo sie hergekommen waren. Es ist nicht Ugo Dragos Art, unnötige Risiken einer fruchtlosen Kurbelei einzugehen.
Dorthin, wo sie hergekommen sind. Das ist auch Squadron Leader Nashs Gedanke. Damned! Denen werden wir die Suppe versalzen!
Er beordert seine sechs verbliebenen Kameraden in Richtung auf Aviano. Man weiß ja, wo die ANR ihre Basen hat. Da werden sie jetzt landen wollen. Na wartet, Burschen! Die sieben Mustangs machen sich auf die Suche. Aviano kommt näher. Wo ist die Bande abgeblieben? Nichts ist zu sehen von diesen unverschämt frechen Halunken!
Da – etwa 1.200 Meter höher – bewegt sich etwas. Squadron Leader Murray Nash () und sein Rottenflieger Bill Andrews (
) pirschen sich von unten rechts heran, ebenso Max Thomas. Der Punkt wird größer, nimmt Konturen an. Es sind die rassigen Formen einer Messerschmitt Bf 109.
Auf dem Rumpf des grau gefleckten Jägers sind die Markierungen angebracht. Es ist die Maschine von Sottotenente (Leutnant) Felice Squassoni, der offenbar den Anschluss an Dragos restliche Formation verloren hat und alleine seinen Flugplatz anfliegt. Er ahnt nichts von der Gefahr in seinem toten Sichtwinkel rechts unter ihm. Murray Nash platziert seine drei Mustangs geschickt so, dass Squassoni schon eine Kurve ziehen müsste, um sie sehen zu können. Man sollte halt nie länger als ein paar Minuten geradeaus fliegen. Man hatte diese Lektion wenige Minuten vorher selber erhalten!
Squassoni merkt erst, was sich da zusammenbraut, als die ersten Leuchtspurgarben an seinen Cockpitscheiben vorbeiflirren. Flying Officer Max Thomas ist es, der als Erster der drei Australier das Feuer eröffnet. Und daneben schießt.
Der italienische Jagdflieger reagiert sofort – und reißt seine Messerschmitt in einen rasanten Sturzflug. Dann jagt er im Tiefflug in Richtung auf den Flugplatz Aviano, den er ohnehin zum Ziel hat. Doch jetzt hat er es brandeilig, in den Schutz der dortigen Flugabwehrbatterien zu gelangen.
Nash, Andrews und Thomas preschen hinterher, eine Handbreit Luft zwischen dem Kühler und dem Erdboden. Es ist eine haarige Verfolgungsjagd. Da – der Flugplatz. Im Tiefstflug rasen die Jagdflugzeuge über den Rand der Platzanlagen. Sie tauchen derartig schnell auf, dass die italienische Flak keine Zeit hat, die drei australischen Mustangs ernsthaft unter Feuer zu nehmen. Squassonis Rechnung geht nicht auf ...
Nash hat es nicht einfach, die Messerschmitt vor sein Zielvisier zu bekommen. Der Italiener eiert mit all seinem fliegerischen Können wenige Meter über der Erde hin und her, um seinen Verfolgern keine kalkulierbare Flugbahn zu bescheren. Die Australier haben alle Hände voll damit zu tun, ihrem designierten Opfer zu folgen und dabei nicht am Boden zu zerschellen. Das alleine ist eine fliegerische Herausforderung, auch ohne die Aufgabe, auch noch zielen und treffen zu wollen.
Schließlich jagt Nash eine volle Salve aus allen sechs Maschinengewehrrohren in Squassonis Messerschmitt. Das Jagdflugzeug zieht nun eine weiße Schleppe hinter sich her – der Motor verliert Glykol-Kühlmittel. Das war es dann wohl – Nash dreht ab und wartet auf den Aufschlag seines Gegners.
Doch der kommt nicht. Squassoni hält seine brave Kiste in der Luft. Nun versucht Andrews, dem hartnäckigen Burschen da vorne den Rest zu geben. Aus weniger als 150 Meter Entfernung hält er drauf und hört erst kurz vor der Kollision mit dem Feuern auf. Die Messerschmitt wird fast zerfetzt, die linke Tragfläche ist durchsiebt, das Cockpit durchlöchert, die Hydraulik zerstört. Was zur Folge hat, dass das Fahrwerk nun aus den Tragflächen herausklappt. Stabiler wird die Flugbahn des ANR-Jägers dadurch nicht gerade.
Squassoni ist verzweifelt. Noch atmet er, geschützt durch die deutsche Panzerplatte hinter seinem Rücken. Sie hat ihm bisher das Leben gerettet. Wie lange noch wird sie das können?
Es kracht fürchterlich, als sich nun der dritte Australier seinen Anteil an der Beute holt. Max Thomas schießt drei volle Feuerstöße in die weidwunde Me 109 G-14. Die kann jetzt keine Ausweichmanöver mehr fliegen – der Italiener ist eine Parade-Zielscheibe geworden. Doch dessen hartnäckiges Fluggerät ist immer noch in der Horizontalen, als Max Thomas über Squassonis Cockpit hinwegröhrt.
Squassoni sieht nur noch eine Überlebenschance. Zum Abspringen fliegt er zu tief! Also runter, Notlandung! Doch das Gelände unter seinen zerfledderten Tragflächen ist nicht gerade günstig. Es sind flache Hügel – mit Rebstöcken. Ein Wein-Anbaugebiet.
Nach Wein ist Squassoni nicht zu Mute, eher schon zum Weinen. Er hat keine Wahl!
Der Winzer wird sich nicht gefreut haben, als die Messerschmitt in voller Fahrt unzählige Reihen seiner Rebstöcke durchpflügt und dann in einem Chaos aus zersplittertem Holz und aufgewühltem Dreck zum Halten schliddert. Squassoni eher. Er wirft das Kanzeldach zur Seite, klettert aus der braven „Mühle“ und rennt um sein Leben. Doch nichts passiert. Weder explodiert die Messerschmitt, noch feuern die Sieger auf das Wrack. Es sind Australier, und sie haben die Notlandung gar nicht gesehen.
Am 1. Februar 1945 wird die 1a Squadriglia umbenannt zur 4a Squadriglia. Capitano Ugo Drago führt die Staffel weiter bis zum bitteren Ende. Am 6. April 1945 ehren ihn die Deutschen mit dem Eisernen Kreuz nun der 1. Klasse. Am 26. April 1945, drei Wochen später, löst sich die Einheit auf.
Weiterer Widerstand macht keinen Sinn. Ugo Drago werden 17 Abschüsse zuerkannt, 11 in der ANR.
Die Piloten der Aeronautica Nazionale Repubblicana hatten in der kurzen Zeit ihres Bestehens so engagiert gefochten, dass die Deutschen einige von ihnen sogar zur Umschulung auf den Düsenjet Me 262 vorsehen. Das ist aus damaliger Sicht eine hohe Ehre! Es kommt nicht mehr dazu.
Den 137 verlorenen italienischen ANR-Jagdflugzeugen der drei Typen Macchi C.205, Fiat G.55 und Messerschmitt Bf 109 stehen 226 gemeldete Abschüsse gegenüber. Selbst wenn man diese Erfolge etwas kritisch bewertet, was man – je nach Nation mehr oder weniger – letztlich bei allen beteiligten Luftstreitkräften tun muss (selbst bei der peniblen deutschen Luftwaffe), so wäre in Anbetracht der Kräfteverhältnisse selbst eine ausgeglichene tatsächliche Bilanz bereits ein höchst achtbarer Erfolg!