13. Benzin – das Blut in den Adern der Luftwaffe

Donnerstag, 2. November 1944

Zwei amerikanische Bomberverbände mit zusammen 1.174 viermotorigen Bombern sind auf dem immer noch dornenreichen Weg in den deutschen Luftraum. 491 voll beladene Maschinen greifen Treibstoffanlagen bei Gelsenkirchen an, die restlichen 683 der schweren Bomber nehmen sich wieder einmal die Achillesferse der gesamten deutschen Kriegsrüstung vor – die Hydrierwerke der Merseburg GmbH bei Leuna. Seit dem Verlust der rumänischen Ölfelder von Ploeşti im Sommer 1944 ist die deutsche Kriegsführung von diesen Anlagen abhängig. Ohne das hier produzierte Benzin fliegt kein Flugzeug und fährt weder ein Lastwagen noch ein Panzer. Die Fähigkeit der deutschen Streitkräfte zur mobilen Gegenwehr, erst recht zu einer erfolgreichen Gegenoffensive, ist ohne diesen in den diversen Hydrierwerken synthetisierten Treibstoff nicht mehr gegeben – vor allem nicht ohne den Treibstoff von Leuna. Dies sollte die deutsche Wehrmacht noch schmerzlich erfahren – in nur wenigen Wochen.

Die amerikanischen Bomberpulks werden gedeckt von einigen doppelrümpfigen P-38 „Lightnings“ sowie P-47 „Thunderbolts“ und P-51 „Mustangs“ der von Flugplätzen in Frankreich aus operierenden neunten US-Luftflotte, die sich nach dem Vormarsch der alliierten Bodentruppen von der Normandie aus längst schon auf Basen auf dem Festland stützen kann. Vor allem aber bieten die Mustang-Jäger der in England startenden achten US-Luftflotte einen überraschend starken Jagdschutz. Ihre Eindringtiefe erlaubt inzwischen mit abwerfbaren Zusatztanks Begleitschutzmissionen bis Wien und zurück! Es sieht so aus, als wolle die amerikanische Luftführung die Deutschen zum Kampf herausfordern und gegen überlegene eigene Kräfte, alles in allem 968 US-Jäger, in die Falle locken. Es sind unter anderem die P-51-Begleitjäger der 20th Fighter Group (FG), der 55th FGund der 352nd FG, die den deutschen Abfangjägern zeigen sollen, wer der Herr an ihrem Himmel ist. Das Ziel ist vordergründig die deutsche Treibstoffindustrie – doch genauso bedeutend ist es die deutsche Jagdwaffe an sich.

Die deutsche Luftwaffe hat jetzt gerade noch 490 Jagdflugzeuge gegen diese Übermacht aufzubieten, von welchen nur 305 schließlich Feindberührung haben, da das Jagdgeschwader 2 (JG 2) auf Grund der Wetterlage gar nicht an die amerikanischen Bomberströme herankommt. Das ergibt ein Verhältnis von 3 : 1 zu Gunsten der Amerikaner alleine bei den Jägern, wobei die örtliche Übermacht der US-Piloten meistens ein Vielfaches davon beträgt, da ihre deutschen Gegner notgedrungen nacheinander von diversen im ganzen Reichsgebiet verteilten Plätzen aus starten und sich nur teilweise zu größeren Verbänden vereinigen können.

Da die deutschen Jägerpiloten vor allem den Abschuss der Bomber sicherstellen sollen, reduziert sich die Anzahl derjenigen Staffeln weiter, die sich den amerikanischen Mustangs stellen – mit entsprechenden Konsequenzen für das Zahlenverhältnis. Zudem werden die deutschen Flugzeugführer mehr und mehr in unverantwortlichen Schnellkursen viel zu ungenügend ausgebildet, um gegen die hervorragend trainierten amerikanischen Piloten in ihren exzellenten P-51 D „Mustangs“ bestehen zu können. Die verbliebenen erfahreneren deutschen Jagdflieger kämpfen verbissen, doch es werden immer weniger, Einsatz für Einsatz, Woche für Woche ...

Das Rhein-Maingebiet wird von schweren Gewitterfronten überzogen, während das Zielgebiet der Amerikaner in Thüringen durch hoch aufgetürmte Haufenwolken verdeckt ist, welche nur wenige Wolkenlücken zwischen sich öffnen. In Bodennähe herrscht eine Sicht von etwa fünf Kilometern – ausreichend zum Start der deutschen Jagdflugzeuge. Die dichte Wolkendecke verbirgt die Flugplätze vor den Augen der allgegenwärtigen Horden amerikanischer Jagdflieger, deren Squadrons überall und nirgends auftauchen können. Üblicherweise decken die Mustangs ihre Schützlinge, die schweren Bomber, in Nahdeckungsverbänden einerseits direkt bei den Pulks und inzwischen auch in weiträumigen Luftraum-Patrouillen rings um den Bomberstrom herum andererseits. Auf diese Weise werden die deutschen Jagdstaffeln oft bereits abgefangen, bevor sie die Bomber überhaupt zu Gesicht bekommen.

Es ist 10.45 Uhr in Borkheide, einem gut getarnten Flugfeld etwa 35 Kilometer südwestlich des Stadtrandes von Berlin. Der Fliegerhorst sieht von oben aus wie eine flache Wiese, an drei Seiten eingerahmt von den Bäumen eines Waldes. Nichts lässt darauf schließen, dass deren Äste 66 Jagdflugzeuge des Typs Messerschmitt Bf 109 G-14/AS verbergen. Bisweilen lassen die Deutschen sogar Rinder auf derartigen Flugfeldern weiden, was die wahre Bestimmung der Graspiste besonders wirksam verbirgt. Außerdem spart es wertvollen Treibstoff, denn die Kühe und Ochsen sind als Zugtiere zum Ziehen der Jagdflugzeuge aus ihren Verstecken auf das Grasfeld ebenso nützlich wie als Bluff-Figuren. Doch von Rindviechern dieser Art ist heute in Borkheide nicht die Rede.

Um 11.25 Uhr stehen die Maschinen der I. Gruppe des Jagdgeschwaders (JG) 300 zum Start bereit vor den Waldbezirken, welche den vier Staffeln der Gruppe jeweils zugeteilt sind. Um 11.40 Uhr wird Bereitschaft angeordnet – das heißt: Start innerhalb der nächsten halben Stunde! Die übliche Spannung setzt ein. Werde ich dieses Mal erneut Glück haben? Sehe ich den Flugplatz lebend wieder? Gedanken an die Frau oder Freundin kommen auf.

Die Männer hören über sich bereits das Dröhnen der riesigen amerikanischen Viermotorigen mit ihrer bösartigen Bombenlast. Was ist denn los? Worauf warten die Heinis – Verzeihung: vorgesetzten Offiziere – in der Jagddivision denn noch? Wieso starten wir noch nicht?

Plötzlich ertönt ein völlig unverständlicher Befehl über die Lautsprecheranlage. „Sofort alle Flugzeuge mit den Tarnnetzen abdecken!“

Was soll das denn? Doch die Männer des Bodenpersonals gehorchen. Minuten später sind die Maschinen, die nach wie vor auf der Startbahn vor dem Waldrand stehen, in Kunstwerke aus Gras, Ästen und Tarnnetzen verwandelt. Büsche im Vorfelde der Bäume, kleine Grünzeug-Inseln im Gras ...

Um 11.30 Uhr startet die I. Gruppe des Jagdgeschwaders 3 in Erfurt Bindersleben, um ihren Anteil daran zu leisten, die Zerstörungen der Bomben am Boden wenigstens abzumildern. Die Messerschmitt Bf 109 G-14/AS kommen nicht weit. Bei Sangershausen fallen die amerikanischen Mustang-Piloten über den deutschen Abfangverband her. Unteroffizier Herbert Kühn und Oberleutnant Oskar Romm setzten sich mit Erfolg zur Wehr und schießen je eine Mustang herunter, doch diesen Abschüssen stehen vier gefallene und fünf verwundete deutsche Piloten gegenüber. Oberleutnant Ludwig Zwittnig, Staffelkapitän der 1. Staffel, wird im Luftkampf schwer verwundet und legt mit letzter Kraft seine img(Werknummer 460669) bei Halle auf den Bauch. Vier Wochen benötigt er dazu, gesundheitlich wieder „auf die Beine zu kommen“. Leutnant Fritz Mrotzeck übernimmt derweil die 1. Staffel als Staffelführer vertretungsweise. Sein Staffelkamerad Oberfähnrich Horst Berghaus (img, Werknummer 780336) wird sowohl am Fallschirm als auch nach dem Aufkommen am Boden von den Mustang-Piloten beschossen, die den Wehrlosen mit aller Gewalt zu „killen“ versuchen – trotzdem erhält ihn sein Schutzengel verwundet am Leben. Leutnant Eberhard Claus dagegen (img, Werknummer 461331) und Unteroffizier Rudolf Kreutziger (img, Werknummer 783851) überleben ihren Abschuss durch die Mustangs nicht. Dasselbe gilt für den Gefreiten Günter Huster (img, Werknummer 783847) aus der 3. Staffel, dessen Staffelkamerad Feldwebel Alfred Bilek (img, Werknummer 460340) verletzt eine Notlandung bei Lebendorf übersteht. Seine Me 109 G-14/AS kommt beschädigt davon. Im Gegensatz zur img(Werknummer 780706) des Feldwebels Anton Müller aus der 4./JG 3, der bei Sangershausen den Mustangs unterliegt, abstürzt und dabei sein Leben verliert. Drei Messerschmitts gehen zudem ohne Schaden des Piloten zu Bruch. Und dann ist noch von einer weiteren Begebenheit zu berichten:

Vier deutsche Piloten der 2. Staffel des JG 3 lösen ungewollt und unverschuldet ein noch größeres Desaster aus, als sie verzweifelt der Übermacht der amerikanischen Begleitjäger zu entkommen versuchen.

Feldwebel Rudolf Hener (2./JG 3, img, Werknummer unbekannt) Feldwebel Josef Hirtreiter (2./JG 3, img, Werknummer 782399) und Leutnant Theo-Bernhard Schirmers (2./JG 3, img, Werknummer 780445) fliegen mit einem weiteren Kameraden nach glücklich überstandenem schweren Luftkampf den nächstbesten Flugplatz an, um schweißgebadet nach einer Stunde des um ihr Leben Kurvens endlich heil herunterzukommen. Die Mustangs haben sie abgeschüttelt – endlich! Doch die Tankreserve ist fast aufgebraucht – mahnend rot leuchtet die Lampe an der Treibstoffanzeige! Sie folgen einer Autobahn, als ihre Aufmerksamkeit von grellen Leuchtkugeln auf eine Wiese gelenkt wird. Bei näherem Hinsehen erkennen die vier Piloten eine Messerschmitt Bf 109, die offenbar soeben zur Landung auf diesem Feld ansetzt – auf einem Flugfeld! Auf Borkheide. Der Kamerad wird von zwei roten Leuchtschüssen begrüßt, die ihm offenbar die Landung verwehren sollen!

Zu allem Unglück erkennt der technische Offizier der I. Gruppe des JG 300 auf dem Fliegerhorst Borkheide die Notlage des einschwebenden Jagdflugzeuges nicht. Angeblich will Oberleutnant Horst Dudak keinen Sprit abgeben – er benötigt jeden einzelnen Tropfen selber. Die Angriffe der amerikanischen Bomberströme auf die deutsche Treibstoffindustrie wirken sich auf fatale Weise aus.

Und nun kommen da noch mal vier Me’s heran! Dudaks Laune wird schlagartig zum Zorn, als er den eindrehenden Schwarm Feldwebel Heners am Himmel zu Gesicht bekommt. Während die erste Me 109 offenbar seinen „Anweisungen“ gehorcht und wieder Gas gibt, scheinen diese vier seine Autorität nicht anerkennen zu wollen!

Dudak ist nicht gewillt, sich das bieten zu lassen. Weithin in dem grauen Himmel sichtbar feuert er zusätzliche fünf rote Leuchtmarkierungen hoch in die Luft. Eine Feuerwerkssalve ersten Ranges! „Haut ab, verdammt noch mal!“ ist deren Botschaft.

Doch das können Hener und seine Kameraden nicht. Sie sind „gottfroh“, überhaupt eine Landepiste zu finden, bevor sie aus Treibstoffmangel notlanden müssen.

Feldwebel Hener erlebt den fatalen Ausgang seines Einsatzes so (in die Zeit Präsens übertragen): *1

„Wir Piloten der I. Gruppe Jagdgeschwader 3 „Udet“ starten von Erfurt gegen Mittag mit 16 Maschinen. Unsere Streitmacht besteht aus zwei Schwärmen der 1. Staffel, einem Schwarm der 2. Staffel und einem der 3. Staffel. Die drei amerikanischen Bomber-Divisionen greifen gemeinsam mit einer starken Jagdeskorte eine Anzahl verschiedener industrieller Ziele in der Gegend von Leipzig und Magdeburg an.

Wir haben Sichtkontakt mit unseren schweren Sturmjägern der IV. Gruppe, dann beginnen wir unseren Steigflug in Abfanghöhe. Eine halbe Stunde später werfen wir in 12.000 Metern Flughöhe unsere Zusatztanks ab, bevor wir mit den zahlreichen Mustangs zusammentreffen. Unsere Schwärme teilen sich einzeln auf und verteilen sich am Himmel mit unterschiedlichem Einsatz-Glück.

Die Mustangs lassen keinen aus! Mein Schwarm hat sich ganzen sechzehn P-51s zu erwehren – eine volle Stunde lang! Es ist eine anstrengende, aufreibende Kurbelei! Wir erzielen keine Abschüsse, erleiden aber auch keine Verluste. Die Tatsache, dass wir so viele Feindjäger weit weg von den Bombern binden, stellt dennoch in jedem Fall einen taktischen Sieg für uns dar, weil in dieser Zeit unsere schwere Gruppe in der Lage ist, einige Bomber herunterzuholen.

Wir verbraten unseren Treibstoff schnell in diesem Kurvenkampf und die roten Warnlampen leuchten nun auf an unseren Instrumentenbords. In einem günstigen Augenblick nützen wir die Gelegenheit und stürzen in die Wolkendecke unter uns. Auf diese Weise gelingt es uns, den Verfolgern zu entkommen.

Wir durchstoßen die Wolkenfront und drehen unter ihr im Tiefflug in die Gegenrichtung ab. Wir sind nicht von den Feindjägern verfolgt worden. Eine Autobahn verläuft unter unseren Tragflächen. Wir biegen nach Norden ab und folgen der Straße.

Da sehe ich rote Lichter direkt vor uns in die Wolken schießen. Plötzlich sehe ich eine Messerschmitt 109 in der Ferne im Landeanflug, begrüßt von einer Salve an Leuchtkugeln, die signalisieren, dass die Landung verboten ist! Mir wird klar, dass das nur das Flugfeld Borkheide sein kann, ich habe aber keine Ahnung, was diese Orgie an Feuerwerk soll!

Die Sache ist gelaufen, nun ist keine Zeit zum Stellen irgendwelcher Fragen. Ich drehe ebenso in den Wind, Fahrwerk raus, Landeklappen runter, Gas weg. Ich beschließe, keine Notiz zu nehmen von den roten Leuchtschüssen, die da vom Boden aus abgefeuert werden. Es besteht kein Zweifel, dass unsere Treibstoffanzeige keinen Spielraum mehr lässt für irgendwelche Spazierflüge!

Gerade, als ich zur Landung ansetze, kommen Mustangs in mein Blickfeld, die von Westen her aufschließen. Das ist ein weiterer guter Grund, jetzt nicht auch noch durchzustarten!

Ich setze ein paar Sekunden später auf. Sobald meine 109 auszurollen beginnt, löse ich den Verschluss meiner Cockpit-Haube, öffne die Anschnallgurte und kauere mich in meinen Sitz.

Ein Hagel an Geschossen hämmert in meine 109! Mehrere Mustangs nehmen meine Kiste aufs Korn, die sofort zu brennen beginnt. Ich sehe grelle Stichflammen aus dem Motorraum lodern. Ich bleibe zusammengeduckt in meiner Führerkanzel sitzen und warte eine endlose Zeit, bis die letzten amerikanischen Jäger über mein in Flammen gehülltes Flugzeug hinwegzischen. Dann endlich kann ich die Kanzel öffnen, hastig auf die linke Tragfläche springen und auf die schützenden Bäume zurennen, die das Flugfeld säumen. Weit komme ich nicht ...

Die Mustangs haben kehrt gemacht und drehen nun zu einem zweiten Anflug ein. Ich werfe mich zu Boden und presse mein Gesicht ins Gras. Geschosse schlagen rings um mich herum ein und spritzen kleine Sandfontänen in die Höhe! Sekunden später springe ich wieder auf – wie durch ein Wunder unverletzt. Nur meine Fliegerstiefel zeigen sichtlich Brandspuren von dem Feuer, das meine Messerschmitt inzwischen einäschert.

Meine Kameraden haben weit weniger Glück! Oberfeldwebel Hirthreiter, der unmittelbar hinter mir gelandet war, ist schwer verletzt durch ein Geschoss, das seinen Hals durchschlug. Trotz dieser Wunde gelingt es ihm, aus seinem Cockpit zu klettern und von seinem Flugzeug freizukommen, bevor die P-51s zum zweiten Anflug einkurven. Im Gegensatz zu ihm macht Leutnant Schirmer den Fehler, sofort aus seiner 109 entfliehen zu wollen. Er wird prompt gleich von mehreren Geschossen auf einmal getroffen, die durch seinen rechten Fuß und linken Arm fetzen. Ich werde mit dem entsetzlichen Anblick meines verstümmelten Kameraden konfrontiert, wie er in Höllenqualen schreiend am Boden liegt, denn ich bin einer der Ersten, die versuchen, ihm zu Hilfe zu kommen.

Die vierte Me 109 unseres Schwarmes hatte noch nicht zum Landeanflug angesetzt, als wir von den Feindjägern angegriffen wurden. Ich weiß den Namen des Piloten nicht mehr, aber er entschlüpft, ohne gesehen zu werden, und schafft es, auf einem benachbarten Flugfeld mit dem letzten Tropfen Sprit zu landen.

Was den Piloten betrifft, der vor uns Borkheide erreicht hatte; der hatte versucht, Vollgas zu geben und zu entkommen. Die Mustangs haben ihn Sekunden später abgeschossen. Er springt mit dem Fallschirm ab. Wenn ich mich richtig erinnere, ist es ein neulich zur 1. Staffel versetzter Unteroffizier und einer der beiden Überlebenden der acht Flugzeugführer dieser Staffel, die an dem Einsatz teilgenommen hatten. Wenige Tage später wird er im Luftkampf getötet ...

Unsere 3. Staffel erwischt es genauso schlimm. Und wieder einmal wird unsere I. Gruppe des JG 3 dezimiert und neu aufgefüllt mit jungen, unerfahrenen Neulingen ...“

Die Zahl der Überlebenden jener 1. Staffel des JG 3 ist allerdings glücklicherweise höher, als Feldwebel Hener hier schildert. Wie oben dargelegt, beklagt die Staffel zwei Gefallene und zwei Verwundete – schlimm genug!

Rudi Hener hat das Glück, unverletzt zu überleben. Lange freuen kann er sich nicht. Denn er wird kurz darauf unter Hausarrest gestellt, da ein örtlicher Luftwaffenstab ihm die Schuld gibt, er habe die Mustangs fahrlässigerweise zu dem Flugplatz Borkheide geführt. Erst als klar wird, dass jene 16 P-51, mit welchen sich die vier Messerschmitt-Jäger des von Feldwebel Hener geführten Schwarmes aufopfernd herumgeschlagen haben, nach einer Stunde Luftkampf nahe Berlin gar nicht die Treibstoffreserven für eine Verfolgung gehabt haben können, darf Feldwebel Hener schließlich rehabilitiert zu seiner Staffel zurückkehren. Den Makel des Gerüchtes wird er aber nie wieder los.

Jene Mustangs, die Borkheide angreifen, gehören zu einer anderen Einheit. Sie fliegen zudem von Westen an – nicht von Südosten, wie die Messerschmitt-Jäger und somit etwaige Verfolger. Nach US-Angaben sind die P-51-Piloten dabei, vergeblich und frustriert vier der verhassten überlegenen deutschen Düsenjäger zu verfolgen, als sie zufällig jene Me 109 im Landeanflug überraschen.

Ob sie auch Oberleutnant Dudaks gedankenloses Leuchtspektakel gesehen haben, ist nicht vermerkt! Es ist aber anzunehmen! Unglücklicherweise tobt sich Dudak genau in dem Moment aus, als in einer Wolkenlücke über dem Flugplatz die 355th US Fighter Group auftaucht. Die Amerikaner nehmen die Einladung gerne an. Sie fackeln nicht lange! Die Gelegenheit ist ein Geschenk des Himmels, denn den Namen Dudak kennen sie nicht. Die landenden Deutschen fliegen wie auf dem Präsentierteller!

Die versteckten, gut getarnten Jagdflugzeuge der I./JG 300 erkennen die Mustang-Piloten zunächst nicht. Oberfeldwebel Hanns-Werner Gross von der 1. Staffel des JG 300 ist dabei: *2

„Wie die meisten meiner Kameraden beobachte ich die Messerschmitts. Sie gehören nicht zu unserer Gruppe, trotzdem hatten es ihre Piloten offenbar geschafft, Borkheide zu finden. Sie fliegen eine Platzrunde zum Landeanflug trotz der Leuchtsignale, die von unserem technischen Offizier hochgeschossen werden.

Plötzlich tauchen einige sehr schnell fliegende Mustangs hinter ihnen auf und schießen prompt eine, vielleicht zwei von ihnen ab. Die dritte 109 schafft es trotzdem noch aufzusetzen und rollt etwa 300 Meter weit auf der Landepiste, bevor auch sie zusammengeschossen wird. Die Mustangs fegen über das Feld und decken es üppig mit Maschinengewehrfeuer ein.

Einer ihrer Feuerstöße verschwindet im Gehölz am Flugfeldrand und erwischt mehr zufällig eines unserer gut versteckten Flugzeuge. Die Messerschmitt, voll getankt und munitioniert, verwandelt sich augenblicklich in ein Inferno.

Das ist alles, was die Amerikaner benötigen, um das Vorhandensein unserer Maschinen auffliegen zu lassen. Sofort sind fünf bis zehn Mustangs über dem Flugfeld. Innerhalb weniger Minuten zerstören sie praktisch unsere gesamte Ausstattung an Flugzeugen, die am östlichen Ende des Flugfeldes aufgereiht steht.

Das Spektakel, 20 bis 25 unserer Messerschmitt 109s wie Fackeln in Flammen aufgehen zu sehen, ist ein unvergesslicher Anblick! Dicke Rauchschwaden wabern in den Himmel. Das Aufheulen der P-51-Motoren, als sie auf das Feld einhämmern, das Rattern ihrer Maschinengewehre, das Bellen unserer Flak, überlagert von den Explosionen unserer Flugzeuge, wenn sie getroffen werden – alles das produziert ein Höllengetöse. Die feindlichen Piloten fliegen ihre Angriffe aus mehreren unterschiedlichen Winkeln, sodass wir immer wieder neue Deckung suchen müssen. Zum Glück gibt es keinen Mangel an Bäumen am Flugplatzrand. Ich finde mich gemeinsam mit Feldwebel Büthe in einem Schützenloch wieder. Außer sich vor Wut über die Vernichtung unserer Flugzeuge zieht er seine Pistole und schießt sein Magazin auf die Mustangs leer!

Als der Angriff abebbt und die Amerikaner außer Sicht verschwinden, renne ich zu einer 109 – oder besser, zu dem, was von ihr übrig ist. In der Nähe eines Flugzeuges des JG 3 „Udet“ sehe ich einen Piloten auf dem Boden liegen – ein Leutnant – dem ich versuche aufzuhelfen, indem ich ihn unter den Achseln fasse und hochziehe. Er stößt einen fürchterlichen Schrei aus. Erst jetzt realisiere ich mit Entsetzen, dass sein Fuß komplett verdreht ist. Geschosse haben sein Bein glatt abgetrennt. Er wird, so schnell es geht, ins Hospital Beelitz abtransportiert.

Einige Minuten später wird der Körper eines unserer jungen Flakhelfer geborgen – kaum 16 Jahre alt. Seine Geschützstellung war von den Geschossen der Amerikaner durchsiebt worden. Der Junge war seinen vielfachen Verwundungen erlegen, verblutet. Sein Gesicht hatte eine grau-grüne Farbe angenommen, typisch für einen blutleeren Körper.

Das ist für uns der allerschlimmste Anblick!“

Die amerikanischen Piloten vernichten 19 Messerschmitt Bf 109 G-14/AS der I./JG 300 am Boden, ferner befinden sich offenbar auch Flugzeuge der I./JG 3 auf dem Flugplatz. Die I./JG 3 war wenige Wochen zuvor in Borkheide stationiert gewesen. Es handelt sich bei den zwei durch die Mustangs zusätzlich zerstörten Messerschmitt Bf 109 G-14/AS der I./JG 3 nicht um jene im Landeanflug „kalt“ erwischten Maschinen des Schwarmes von Feldwebel Hener, sondern um dort abgestellte Flugzeuge. Der Tiefangriff lässt somit 21 komplette Messerschmitt-Wracks zurück, weitere vier werden beim Landen abgeschossen, 13 Maschinen reparabel (unter 60 %) beschädigt.

Dass es nicht mehr sind, mag an einzelnen Taten liegen, die eine Mischung aus Hochachtung vor dem bewiesenen Mut und doch auch Attestierung von Unvernunft erregen. Als der Mechaniker Erwin Dill den ersten Geschosshagel zweier Anflüge überlebt und in einer kurzen Pause zwischen den Attacken aufblickt, sieht er gemeinsam mit seinem Kameraden Hausschild zwei Jagdflugzeuge in unmittelbarer Nähe, die noch unbeschädigt sind. Die beiden springen auf. Weg mit den Tarnnetzen! Dill hechtet ins Cockpit, Hausschild kurbelt am Anlasser. Die Maschine springt an. Wenig später ist das Jagdflugzeug 300 Meter weiter unter den Bäumen außer Sicht der Amerikaner und in relativer Sicherheit. Dill sitzt bereits im Cockpit einer weiteren Messerschmitt. Auch die wird – voll beladen mit Sprit und Munition – angelassen und mitten während des Angriffes in den Schutz der Bäume gerollt. Auch an anderen Stellen des Flugfeldes werden auf diese Weise Flugzeuge „gerettet“.

Und die Amerikaner? Nur eine einzige P-51 der 355th FG wird im Gegenzug von der deutschen Flugabwehr erwischt. Captain Engelbreit legt seine P-51 D „Mustang“ mit dem Namen img in der Nähe des Flugplatzes nach Treffern der deutschen 2-cm-Flak-Geschütze auf den Bauch.

Oberfeldwebel Eberhard Gzik (2./JG 300) berichtet später, er sei nicht der Einzige gewesen, der das Feuerwerk ihres technischen Offiziers Dudak als Dummheit angesehen habe. Dudak entgeht nur knapp Disziplinarmaßnahmen, ebenso wie der Gruppenkommandeur Hauptmann Gerhard Stamp.

Eine Katastrophe! Wirklich? Der Effekt des Angriffes besteht vor allem darin, dass die I./JG 300 für den Abwehreinsatz am heutigen Tage ausfällt. Bereits nach drei Stunden jedoch sind die ersten Ersatzflugzeuge in den Händen der Piloten. Die Gruppe ist nach zwei bis drei Tagen bereits wieder einsatzbereit. Jagdflugzeuge sind ersetzbar, auch im Herbst des Jahres 1944. Piloten dagegen nicht.

Ein Geschenk des Himmels für die deutsche Luftwaffenführung? Es hätte eines sein können, wenn man aus dieser „Katastrophe“ die zwingenden Lehren gezogen hätte. Vor allem für den späteren Einsatz der deutschen Luftwaffe am kommenden Neujahrstag, dem Unternehmen „Bodenplatte“. Doch das Oberkommando der Luftwaffe lernt nichts dazu, es schickt stattdessen Hunderte hoch motivierter Jägerpiloten in einen sinnlosen Tiefangriff gegen austauschbares Material. Doch soweit ist es noch nicht.

Das Jagdgeschwader 4 trifft im Raum Köthen auf den Gegner, 30 Kilometer nördlich von Halle. Die von den Me 109 G-14 der I. Gruppe gedeckte, mit Focke-Wulf 190 A-8/R2 ausgerüstete Sturmgruppe (II./JG 4) hatte nur 20 Minuten Flugzeit durch die hoch aufgetürmten grauweißen Kumulus-Wolken benötigt, um den riesigen amerikanischen Verband zu finden. Die Sturmgruppe hat gerade noch 15 einsatzklare Jagdflugzeuge vom Boden in die Luft bekommen – bei einer Sollstärke von je Staffel zwölf, also 48 Maschinen pro Gruppe! Auch die mit Me 109 G-10 und G-14 bzw. G-14/AS ausgerüstete III. und IV./JG 4 haben sich mit dem Sturmverband vereinigt, wobei auch die IV. Gruppe nur 16 einsatzfähige Maschinen umfasst. Das gesamte JG 4 bringt höchstens 60 Jäger „an den Feind“.

Statt über 200! Und dennoch: der Angriff beginnt. Entschlossen und verbissen! Es ist 12.00 Uhr.

Die 16 Messerschmitt Bf 109 G-14/AS der IV. Gruppe des JG 4 sehen den Bomberstrom als Erste. Sofort stürzen sich die amerikanischen Begleitjäger auf die deutschen Piloten. Erbitterte Kurvenkämpfe beginnen, welche letztlich fünf Piloten dieser Gruppe das Leben kosten. Unteroffizier Ernst Baumert fällt in seiner img (14. Staffel, Werknummer 782406) ebenso wie Unteroffizier Berthold Klaus (14. Staffel, img, Werknummer 780871) Fähnrich Gerhard Penner (15. Staffel, img, Werknummer 782411) und Unteroffizier Paul Schröder (15. Staffel, img,Werknummer 780919).

Oberfeldwebel Eberhard Gziks Me 109 G-14/AS „Rita“ (2./JG 300):

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Als Fotomontage ...

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... und im Original (im Oktober 1944 in Borkheide). An jenem 2. November 1944 dürfte die „Rita“ nicht geflogen worden sein.

Leutnant Paul Weitzberg, Kapitän der gerade mal vier Maschinen umfassenden 13. Staffel, schafft es fast, bis zu einem Pulk von sechs Boeing B-17 vorzudringen. Doch nur einer seiner drei Kameraden kommt an die Bomber heran. Als Unteroffizier Friedrich Zenk in seiner img mit dem Schriftzug img unter dem Cockpit das Feuer eröffnet, ist er allein – seine drei Kameraden sind offenbar bereits von den Mustangs der Gegenseite abgedrängt worden. Trotzdem fliegt der junge Pilot unbeirrt seinen Angriff mitten in den Geschosshagel der amerikanischen Bordschützen hinein. Es gehören eiserne Nerven dazu, bis auf 400 Meter Abstand mit dem eigenen Feuer zu warten. Zenk fliegt dennoch so nahe heran, bis er die 20-mm-Kanone und die beiden 13-mm-Maschinengewehre seiner Me 109 G-14/AS auslöst, um die höchstmögliche Trefferwirkung zu erzielen. Er kann nicht mehr erkennen, ob und wie seine Geschosse einschlagen, denn gleichzeitig treffen nun auch die Maschinengewehrschützen in den Abwehrständen der sechs Boeing-Bomber, die ihr gebündeltes Feuer auf die einzelne deutsche Me 109 konzentrieren können.

Es erwischt die Ölwanne, Zenks Kabinendach ist in kürzester Zeit schwarz verschmiert, der Motor brennt und raucht in das Cockpit hinein. Dann steht die Luftschraube still. Also nichts wie raus hier – doch Halt, ein Fallschirmabsprung verbietet sich, denn die Sitzwanne unter Friedrich Zenks Gesäß hatte ebenfalls einen Treffer abbekommen, der den Piloten offensichtlich nur knapp verfehlt hatte. Und in dieser Sitzwanne unter Zenks Hintern liegt als Sitzkissen in einer Me 109 der Fallschirm ... !

Was, wenn dieser durchlöchert sein sollte?

Angst steigt auf, wird mühsam unterdrückt. Der deutsche Unteroffizier wirft das Kabinendach ab – immerhin sieht er jetzt wieder etwas und bekommt die nötige Luft zum Atmen. Inzwischen steuert er sein angeschossenes brennendes Jagdflugzeug durch die Wolkendecke hindurch – im Gleitflug hinunter zur Erde. Erst 800 Meter über dem Boden reißt die Wolkendecke auf – zu spät für einen Fallschirmabsprung, und ohne Motorleistung ebenfalls zu spät für jegliches Flugmanöver. Ist nun ein Berg, ein Hügel, ein Wald oder ein Dorf vor der rauchenden Schnauze des Messerschmitt-Jägers ... – das war es dann für den Piloten! Doch vor dem Dorf, das Zenk unter den Wolken vor sich auftauchen sieht, liegt ein Feld. Ein freies Feld!

Dem Messerschmitt-Piloten gelingt die Bauchlandung. Er entkommt dem lodernden Jagdflugzeug mit knapper Not – ölverschmiert und mit Verbrennungen im Gesicht. Man bringt ihn in ein Lazarett in Dessau.

Seine „Mühle“ mit der Werknummer 460337 brennt derweil auf dem Acker aus.

Auch sein Staffelkapitän versucht eine Notlandung. Der verbissene Kurvenkampf mit den Mustangs hatte ihm so viel Sprit gekostet, dass Paul Weitzberg in seiner img(Werknummer 460347) nun herunter muss – aus Treibstoffmangel. Das ist die entscheidende Gelegenheit für den Flugzeugführer einer Mustang, deren Geschossgarben Leutnant Paul Weitzberg beim Versuch einer Notlandung in Zerbst in den Tod schicken.

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Treffer an einer Boeing B-17 „Flying Fortress“. Die linke Tragfläche brennt so, dass ein baldiger Ausfall beider Backbordmotoren zu erwarten ist. Danach ist der schwere Bomber kaum noch zu halten, zumal auch das rechte Höhenruder zerschossen ist.

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Die andere Seite der Medaille. Auch dieses Flugzeug, eine Messerschmitt Bf 109 der Luftwaffe, dürfte nur noch mit Mühe den eigenen Flugplatz erreichen.

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P-51 D „Mustang“ der 343rd Fighter Squadron/55th Fighter Group/8th USAAF. Der elegante Jäger mit dem Emblem eines kämpfenden Mustang-Pferdes am Heckleitwerk wird von Captain Vincent P. Gordon geflogen. Die Maschine ist „Lady Val“ getauft.

2. November 1944

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Flugzeugtyp:

Messerschmitt Bf 109 G-14/ASy

Nationalität:

Luftwaffe

Einheit:

14. Staffel (IV. Gruppe)/JG 4

Pilot:

Oberleutnant Ernst Scheufele Staffelkapitän der 14. Staffel/JG 4

Stationierung:

Reinersdorf/Deutschland

Flugzeugtyp:

North American P-51 D-5 „Mustang“

Nationalität:

US-Air Force/8th Air Force AAF

Einheit:

77th Fighter Squadron/20th Fighter Group

Pilot:

1st Lieutenant Ernest Fiebelkorn, er flog P-51 D-5 No 44-11161 img

Stationierung:

Kings Cliffe/England

Hinweis: Oberleutnant Ernst Scheufele hat dem Autor gegenüber in einem Gespräch seine Teilnahme an jenem Einsatz am 2. November 1944 in seiner Messerschmitt Bf 109 G-14/Asy mit dem Namen img bestätigt.

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Hinweis: die Karte zeigt im Gegensatz zu den Frontverlaufskarten den Nachkriegsgrenzverlauf, da hier die Lokalisation des Ortes aus heutiger Sicht im Vordergrund steht.

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P-51 D-5 „Mustang“ No 44-11161img 77th Fighter Squadron/20th Fighter Group, 1st Lieutenant Ernest Fiebelkorn.

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Messerschmitt Bf 109 G-14/ASy, 14. Staffel/JG 4, Staffelkapitän Oberleutnant Ernst Scheufele.

Andere Piloten der IV. Gruppe/JG 4 revanchieren sich bei den „Amis“ und erzielen ihrerseits in ihren Messerschmitt-Jägern Abschüsse. Oberleutnant Lothar Wolf kann einer bereits angeschossenen, dem Verband hinterher fliegenden Boeing B-17 „den Rest“ geben. Der riesige Bomber stürzt ab.

In Anbetracht der Kräfteverhältnisse grenzt es an Selbstaufgabe, mit welcher Unerschrockenheit die deutschen Flugzeugführer versuchen, den Durchbruch zu den Bombern um buchstäblich jeden Preis zu erzwingen. Und das Unglaubliche gelingt!

Während die Me 109 G-14 der III. und IV. Gruppe des JG 4 die Mustangs in Luftkämpfe verwickeln beziehungsweise je nach Sicht der Dinge von den Mustangs abgefangen werden, brechen einige der Sturmjäger (II./JG 4) zu den Viermotorigen durch, eng gedeckt durch die Me 109 G-14 der I. Gruppe. Die erste B-17 stürzt nach dem Anflug der aus allen Rohren feuernden Focke-Wulf des Oberleutnant Hans-Martin Markhoff mit zwei brennenden Motoren ab. Markhoff ist Staffelkapitän der 8. Staffel des JG 4. Seine Staffel ist von normalerweise zwölf Focke-Wulf 190 A-8/R2 auf vier zusammengeschrumpft. Die Sturmjäger kurven von Osten kommend auf einen großen Verband von Boeing-Bombern ein. Nach Westen hin verdecken die Kondensstreifen der Bombermotoren die Sicht. Dies wird schon beim Eindrehen einigen Focke-Wulf-Piloten zum Verhängnis, als die Bordschützen einer etwas zurückhängenden, von den Kondensstreifen verborgenen Bombergruppe das Feuer eröffnen und die Sturmjäger überraschend von der Seite beschießen. Die ersten Focke-Wulf stürzen getroffen zu Boden ...

Markhoff fliegt mit seinen vier Sturmjägern etwas hinter und oberhalb der ersten drei Staffeln in der Sturmgruppe und hat daher einen guten Überblick. Die Sturmjäger werden von den Geschossen der Boeing-Bordschützen überschüttet. Markhoff arbeitet sich seitlich schiebend mit seinen vier Maschinen an einen Pulk von 15 Bombern heran. Als er bis auf 500 Meter zum hintersten Bomber aufgeschlossen hat, eröffnet er das Feuer – und nimmt unvermittelt seinen Daumen sofort wieder vom Feuerknopf. Denn in diesem Augenblick taucht von der Seite die Silhouette des Jagdflugzeuges eines seiner Staffelkameraden auf, der sich in der Hitze des Gefechtes nur nach vorne orientiert und Markhoffs Flugzeug fast übersehen hätte. Der andere Pilot fliegt Markhoff direkt vor die Rohre, doch er erfüllt seinen Auftrag. Die von beiden angegriffene B-17 wird von der zweiten Focke-Wulf „erledigt“.

Markhoff kurvt leicht nach rechts – es gibt Ziele genug! Eine zweite B-17 füllt das Reflexvisier aus. Die Focke-Wulf schüttelt sich unter dem Bellen der Bordwaffen. Seine Geschosse sitzen, treffen voll! Die 30-mm-Granaten verfehlen ihre verheerende Wirkung nicht! Mächtige Leitwerksteile lösen sich von der Boeing, die „Fortress“ kippt ab und stürzt nach unten – und trudelt mitten durch die Geschosse einer weiteren Focke-Wulf, die neben Markhoffs Jäger fliegt. Der zieht nun nach rechts hoch – auch die Focke-Wulf des Staffelkapitäns war nicht ungerupft geblieben. Doch sie fliegt. Markhoff will seine „Staffel“ sammeln, aber die anderen folgen ihm nicht. Es ist der Moment, als Markhoff etwa 300 Meter über sich querab einen einzelnen Bomber erkennt, der den Anschluss an den Bomberstrom verloren hat. Markhoff hat nicht genügend Fahrtüberschuss, um schnell genug in eine gute Schussposition zu kommen. Entkommen lassen will er den Gegner aber nicht. Der Staffelkapitän schießt mit sehr großem Vorhalt vor die vorbeifliegende viermotorige „Festung“ und lässt den Bomber in seine Geschossgarben hineinfliegen. Die enthalten neuerdings auch Brandmunition ...

Mehrere Fallschirme lösen sich aus dem Boeing-Bomber, als dieser lichterloh im Rumpf und an den Tragflächen brennend vom Himmel fällt.

Als Markhoff in Welzow wieder landet, ist sein Funkgerät zerschossen und seine Windschutz-Panzerscheibe durch Treffer fast undurchsichtig blind. Doch er selber lebt. Er landet als einer von sechs übrig geblieben Jagdflugzeugen seiner II. Gruppe – sechs zurückkehrende Jäger von 15, die am Start gestanden hatten! Einer von ihnen landet auf dem Bauch. Fünf Piloten der Gruppe waren gefallen oder sind vermisst, einer kam beim Start ums Leben, der Rest der neun „Verluste“ – drei Männer – überlebt verwundet.

Unteroffizier Kurt Scherer von der 6. Staffel gehört zu den sechs Piloten, die den nötigen Schutzengel haben. Er fliegt seitlich an den Bomberpulk heran. In diesem Winkel ist kein sicherer Abschuss zu erzielen! Scherer zwingt seine Focke-Wulf mit einem Ruck in einen steilen Abschwung und rast mit hämmernden Bordwaffen direkt auf den Bomberpulk zu. Eine weitere scharfe Kurve erlaubt ihm, seinen Angriffswinkel günstig in die Länge zu ziehen. Alles geht blitzschnell, Scherer sieht Einschläge in der Flächenwurzel des von ihm anvisierten viermotorigen Bombers. Eine helle Stichflamme bricht sich ihren Weg aus dem Flugzeugleib, dann rast Scherer nach oben hochziehend an dem Bomber vorbei, knapp das Leitwerk eines dieser Flugzeug-Riesen verfehlend. Sofort reißt Scherer sein Jagdflugzeug herum und stürzt erneut mit feuernden Maschinenwaffen durch den amerikanischen Verband.

Ein Viertel des Verlustes, den die mächtige Bomberformation erleidet, geht auf das Konto der Focke-Wulf 190 A-8/R2 der Sturmgruppe des JG 4.

Die zweite am 2. November 1944 eingesetzte Sturmgruppe, die IV./JG 3 unter Hauptmann Moritz wird – soweit die Abschüsse überhaupt zuzuordnen sind – noch weitere neun Fortress der 457th US Bomb Group sowie zwölf von 13 der 91st US Bomb Group vom deutschen Himmel holen. Dabei rammt der Staffelkapitän der 14. Staffel (Sturm) des JG 3, Oberleutnant Gerth, eine Boeing B-17. Er kommt auch noch aus seiner Focke-Wulf 190 heraus. Sein Fallschirm öffnet sich aber nicht ...

Fünf seiner Kameraden retten dagegen ihr Leben mit Hilfe der Fallschirmseide und schweben verwundet nach unten, ein weiterer springt unverletzt ab. Neun weitere schaffen es nicht. Mit Gerth zusammen zählt Moritz zehn Gefallene oder Vermisste seiner Gruppe am Abend. Doch selbst das ist noch nicht die Gesamtbilanz, denn einer der fünf Verwundeten erliegt seinen Verletzungen tags darauf.

Die restlichen amerikanischen Verluste sind den Piloten der schnellen, eher zur Abwehr der Mustang-Begleitjäger in den Kampf geschickten Messerschmitt-Jagdflugzeuge zuzuschreiben, deren geringere Bewaffnung zu einer längeren Beschusszeit im Anflug auf einen viermotorigen Bomber zwingt, um diesen zum Absturz zu bringen, als es bei einer Focke-Wulf 190 A-8 der Fall ist – zumal in der schwerfälligen, aber dafür schwerbewaffneten Version A-8/R2 oder A-8/R8 der Sturmjäger. Auch den Geschossen der exakt zielenden deutschen Flak-Kanoniere fallen viele Bomber zum Opfer.

Die Luftkämpfe gehen weiter – verbittert, tödlich und letztlich gnadenlos. Selbst kuriose Neuentwicklungen kommen zum Einsatz – merkwürdige Flugzeuge, die scheinbar kein Höhenruder haben. Kleine, pfeilschnelle Maschinen, die den Amerikanern einiges Kopfzerbrechen bereiten – bis sie erkennen, dass sie einen schwerwiegenden Nachteil haben. Das ist ihre Flugdauer. Die von den Deutschen „Kraftei“ genannten Raketenjäger des Typs Messerschmitt Me 163 sind nicht mit den neuen Düsenjägern des Typs Me 262 zu verwechseln. Denn das Triebwerk ist keine Turbine, sondern eine Art Rakete. Mit einem derartig haarsträubenden Treibstoffgemisch („C-Stoff“ und „T-Stoff“), dass das kleinste Leck in den Zuleitungen zum eigentlichen Triebwerk eine sofortige Explosion der Maschine verursacht. Was das kleinere Übel für den Piloten ist. Denn bei einer Fehl-Landung der mit einem abwerfbaren Rollenwagen startenden und auf Kufen wieder landenden Höllenmaschine kann der Pilot auf grausamste Art zu Tode kommen, wenn er nicht rechzeitig aus seinem havarierten Kraftei herauskommt. Die Säuren seines Kraftstoffes lösen ihn buchstäblich auf – trotz Schutzanzug. Erfolgt der Start zu holprig oder der Aufsetzvorgang hart, ist die Explosion des (Rest-)Treibstoffs zu befürchten. Und: eine zweite Chance zur Landung gibt es nicht!

Dennoch fliegen deutsche Piloten diese Objektschutzjäger – speziell dafür gedacht, wertvolle Anlagen wie die der Merseburg GmbH zu schützen. Die Jäger rasen nach ihrem Start fast senkrecht in die Höhe des Bomberstromes. Die Maschinen jagen mit etwa 900 km/h in den Himmel und können in 12.000 m Höhe bis zu 959 km/h erreichen. Nun wird der Motor abgestellt, der Angriff erfolgt im Gleitflug. Zum Zielen bleiben auf Grund der Geschwindigkeit nur Sekunden. Ein Aussteigen bei hohem Tempo ist mangels Schleudersitz unmöglich. Dann wird der Motor wieder gestartet – für die Flucht oder einen zweiten Angriff. Mit laufendem Antrieb stehen etwa acht Minuten Flugzeit zur Verfügung.

Die Raketenjäger der I./JG 400 sind in Brandis stationiert, östlich von Leipzig. Auch heute sind sie im Einsatz. Doch schon zu Beginn des Einsatzes kommt Oberfeldwebel Rolly durch einen Fehlstart ums Leben. Und Oberfeldwebel Bollenrath wie auch Oberfeldwebel Straznicky fallen trotz der überlegenen Geschwindigkeit ihrer quirligen „Krafteier“ (offiziell „Komet“ getauft) den US-Amerikanern zum Opfer. Oberfeldwebel Günter Andreas steigt verletzt mit dem Fallschirm aus seinem Raketenflugzeug aus.

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Messerschmitt Me 163 „Komet“.

Dagegen beansprucht Feldwebel Wiedmann den Abschuss einer Boeing B-17 mit seiner Me 163 B-1a. Die Raketenjäger sind standardmäßig mit zwei 30-mm-Mk-108-Kanonen in den Tragflächenwurzeln bewaffnet, oft werden jedoch stattdessen die 20-mm-MG-151-Schnellfeuerwaffen eingebaut.

Trotzdem ist der heutige Einsatz dieser kuriosen Flugkörper nur ein weiterer Meilenstein in der Misserfolgsserie dieses Flugzeuges. 80 % der Verluste dieser Maschine im Laufe ihrer Einsatzgeschichte sind Start- und Landeunfälle, 15 % sind Unfälle in der Luft. Nur 5 % dieser Jäger bringt der Feind zum Absturz – 14 Maschinen genau. Und dem stehen lediglich neun Abschüsse gegenüber.

Inzwischen greift nun auch das komplette Jagdgeschwader 27 mit seinen Messerschmitt Bf 109 G-14 und K-4 in die Luftkämpfe ein. Die Piloten des JG 27 treffen im Raum Leipzig auf die Amerikaner, werden jedoch wirksam von den Bombern abgedrängt. Die Mustangs sind sofort zur Stelle. Der 2. November 1944 wird für immer mit der Geschichte des Geschwaders verbunden bleiben. Mit 11 Gefallenen kann die I. Gruppe mit der II./JG 3 und der IV./JG 3 „mithalten“. 27 tote Flugzeugführer sind die Bilanz des Geschwaders an diesem Tag, ergänzt um fünf verwundete Piloten. Es ist ein Alptraum.

Allerdings nicht nur für die Deutschen. Der Navigator einer führerlosen B-17 der 447th. Bombardement Group, Lieutenant Femoyer, schafft es trotz schwerer Verwundung, den zusammengeschossenen, kaum mehr flugfähigen viermotorigen Bomber nach England zurückzubringen. Kurz nach der Landung erliegt er seinen Verletzungen.

Der Kommandeur der 328th US Fighter Squadron – eine der drei „Blaunasen“-Squadrons der 352nd Fighter Group (328th FS, 486th FS, 487th FS) – sieht den deutschen Messerschmitt-Verband herannahen. Major George Earl Preddy verhält sich taktisch geschickt und manövriert seine Mustang-Jäger in eine aussichtsreiche Abfangposition. Es ist 12.30 Uhr. Dann schlägt er zu.

Alleine aus der 328th Fighter Squadron werden folgende Abschussmeldungen eingereicht – ohne wahrscheinliche Erfolge oder Beschädigungen: 1st Lieutenant Michael Alba (img 1 Me 109), 1st Lieutenant Eugene W. James und Captain William J. Stangel (img gemeinsam 2 Me 109), Captain William J. Stangel (img 2 Me 109), 1st Lieutenant Glenn R. Clark (img 2 Me 109), Major Earl L. Abbott (img 2 Me 109), Captain Donald S. Bryan (img 5 Me 109), Major George E. Preddy (img 1 Me 109), 1st Lieutenant Charles E. Goodman (img 3 Me 109), 1st Lieutenant Francis R. Hill (img 1 Me 109), 1st Lieutenant Arthur E. Hudson (img 4 Me 109), 1st Lieutenant DeWayne J. Maxwell (img 1 Me 109), 1st Lieutenant Charles E. Rogers (img 2 Me 109). Das sind 26 Abschussmeldungen. Doch die 328th Squadron ist beileibe nicht alleine. Die anderen Mustang-Einheiten beteiligen sich ebenfalls am Spießrutenlauf des JG 27.

Der erfolgreichste Pilot seiner Einheit in diesem denkwürdigen Kampf ist Captain Donald Septimus Bryan, auf dessen P-51 bereits 6 ⅓ „kills“ markiert sind. Heute wird sein großer Tag sein.

„Ich führe den Schwarm „gelb“ mit den Lieutenants Hill, Montgomery und Briggs als meine Nummern 2, 3 und 4. Ich fliege in etwa 8.500 Metern Höhe. Kurz vor dem Angriffsziel werden wir auf viele Kondensstreifen aufmerksam gemacht, die sich von Osten her nähern. Ich mache meine Waffen klar und bereite mich auf den Luftkampf vor. Kurz darauf sehe ich die Kondensstreifen und kann sie als Me 109 identifizieren. Es scheinen etwa 50 zu sein – circa 40 in einem Verband mit einigen zusätzlichen als Höhenschutz. Zu dem Zeitpunkt, als ich mich in eine Angriffsposition manövriert hatte, sind 10–15 von ihnen bereits im Sturzflug auf die Bomber – die anderen machen sich gerade daran. Ich denke mir, dass ich den Angriff aufhalten könnte, wenn ich mitten hinein halten würde.

Also führe ich meinen Schwarm direkt in die Mitte der Feindjäger. Ich nähere mich bis auf etwa 100 Meter einer Me 109. Da ich das K-14-Zielgerät zum ersten Mal verwende, erziele ich nur ein paar wenige Treffer. Ich überhole diese Feindmaschine, indem ich im Abstand von etwa sechs Metern unter ihm durchtauche. Als ich zurückblicke stelle ich fest, dass sein Kühlsystem zerschossen ist. Ich beanspruche diese Feindmaschine als beschädigt.

Meine Nummer 3 ruft mich und warnt mich, dass sich da ein Feindjäger hinter mich setzt. Ich mache blitzartig eine Rolle und entkomme der Me 109 sehr effektiv, allerdings verliere ich auch den Rest meines Schwarms dabei.

In den nächsten zehn Minuten bin ich in mindestens 15 verschiedene Duelle verwickelt. In dieser Zeit greife ich eine in Linie hintereinander fliegende Gruppe von hinten an. Ich nehme mir die letzte in der Linie vor und kann viele Treffer erkennen. Diese Me 109 stürzt brennend ab. Ich beanspruche einen Abschuss.

Es sind viele andere gegnerische Schwärme von Feindflugzeugen in unmittelbarer Nähe. Ich fahre fort mit meinem Angriff auf eine weitere Me 109 von achtern und erziele viele gute Treffer auf Rumpf und Tragflächen. Viele Teile fliegen weg und das Flugzeug beginnt viel schwarzen Rauch auszustoßen und aus etwa 3.000 Meter Höhe nach unten zu gehen. Ich sehe diese Maschine zuletzt in einem steilen Winkel mit einer deutlichen Rauchfahne in etwa 1.200 Meter Höhe in der Wolkendecke verschwinden. Ich beanspruche einen Abschuss.

Während der Kurbelei schieße ich auf eine weitere Me 109 und erziele Treffer. Ich beanspruche diese Feindmaschine als beschädigt. Während ich diese Angriffe fliege, werde ich pausenlos von anderen Me 109 selber angegriffen. Nun sehe ich eine einzelne Me 109 und eine P-51, die – wie ich später erfahre – von Lieutenant Milton Camerer aus meiner Staffel geflogen wird. Dies beiden Flugzeuge haben sich ineinander verbissen und tauchen immer wieder kurz aus den Wolken auf und verschwinden dann wieder in ihnen. Ich greife die Feindmaschine an, die in etwa 1.200 Meter Höhe in die Wolken stürzt. Diese Me 109 erscheint dann wieder aus den Wolken kurz danach, und ich greife sie mehrmals an, als sie immer wieder aus den Wolken bricht und dann wieder in ihnen untertaucht.

Nach mehreren Anläufen bin ich in der Lage, eine Art Frontalangriff zu fliegen – wie ich denke. Es stellt sich dann als ein Angriffswinkel von 90° zum Feindjäger heraus. Ich eröffne das Feuer auf 450 Meter Entfernung und höre erst bei knapp 150 Metern auf. Ich sehe Einschläge im Cockpit und auf den Tragflächen. Dieses Feindflugzeug stellt sich abrupt auf den Kopf und stürzt in die Wolken, mit ausströmendem Kühlmittel aus dem Tragflächenansatz. Ich folge ihm hinunter und beobachte ihn in steilem Winkel abstürzend bis etwa 300 Meter Höhe mit schätzungsweise 550 bis 650 km/h Geschwindigkeit. Später erfahre ich von Lieutenant Camerer, der inzwischen mit mir fliegt und hinter mir ist, dass diese Me 109 aufschlägt und explodiert. Ich beanspruche einen Abschuss.

Ich steige nun wieder in die Flughöhe der Bomber mit Lieutenant Camerer als Flügelmann. In etwa 3.000 Meter Höhe erkenne ich zwei Me 109 gerade aus den Wolken hervorkommen in etwa 1.500 Metern Höhe. Ich kurve in Schussposition und fliege eine S-Kurve hinter die Letzte der beiden. Ich habe nur noch zwei Maschinengewehre mit Munition übrig, als ich angreife. In etwa 450 Meter Entfernung eröffne ich das Feuer und treffe das Feindflugzeug sehr hart im Rumpf und an den Flächen. In etwa 250 Metern Entfernung treffe ich die Tragfläche, und entweder die Flügelspitze oder ein Teil aus der Oberfläche löst sich ab. Das Flugzeug kippt in ein unkontrolliertes Trudeln und stürzt in Flammen durch die Wolken. Ich beanspruche einen Abschuss.

Ich setze meinen Angriff fort und nehme mir den anderen vor, erziele Treffer. Eines meiner Maschinengewehre hört nun auch noch auf, so verbleibt mir nur noch eines, und das wirft mich etwas zurück. Ich habe Probleme, genügend Treffer zu erzielen, als ich von 300 auf 150 Meter herankomme. Auf 80 Meter Entfernung treffe ich schließlich den Rumpf und die Tragflächenwurzel. Ich breche den Angriff ab und die Feindmaschine geht nach unten durch die Wolkendecke in 1.200 Metern Höhe in steilem Winkel mit etwa 550 km/h, eine schwarze Rauchfahne hinter sich. Ich beanspruche einen Abschuss.

Ich steige nun auf Höhe zurück und erreiche den Flugplatz ohne weitere Vorkommnisse. Ich beanspruche fünf Feindjäger als zerstört und zwei als beschädigt.“

Ohne Frage handelt es sich um einen außergewöhnlichen Erfolg eines couragierten US-Piloten, der sich allerdings durchaus mit den hohen Verlusten unter den oft unerfahrenen Piloten des JG 27 in Einklang bringen lässt. Es ist ein rabenschwarzer Tag in der Geschichte des Jagdgeschwaders 27, wie er sich vorher noch nie ergeben hatte und auch nie mehr wiederholen wird. Das JG 27 verliert heute an einem Tage mehr Flugzeuge als in 20 Monaten Afrikafeldzug zusammen!

Erfolgreiche Schützen der I. Gruppe des JG 27 um 12.37 Uhr: Leutnant Karl Wünsch (2./JG 27, img eine P-51) und Unteroffizier Wilhelm Deutschmann (3./JG 27, img eine P-51), der II. Gruppe um 12.40 Uhr: Unteroffizier Fritz Koal (6./JG 27, img eine P-51), der III. Gruppe um 12.25 Uhr: Unteroffizier Arno Mittmann (11./JG 27, img eine P-51), der IV. Gruppe zwischen 12.35 Uhr und 12.50 Uhr: Unteroffizier Chrysanth Bürger (13./JG 27, img eine P-51), Unteroffizier Alfred Mannchen (16./JG 27, img eine P-51), Oberleutnant Ernst-Wilhelm Reinert (14./JG 27, img eine P-51), Obergefreiter Horst Rippert (13./JG 27, img eine P-51). Zusammen sind dies acht P-51 „Mustang“. Die Flugzeugverluste des JG 27 – mit jenen ohne Personalverluste, beispielsweise ‚Bruchlandung unverletzt’ – betragen das Sechsfache!

Die deutschen Verteidiger können die lebenswichtigen Treibstoffanlagen nicht vor schweren Zerstörungen durch alliierte Bomben bewahren, doch die amerikanischen Mustang-Begleitjäger schaffen es genauso wenig, ihre Bomber ausreichend gegen die angreifenden deutschen Jäger zu schützen. 14 P-51 „Mustang“-Jäger, zwei P-47 „Thunderbolt“ sowie 39 Boeing B-17 und eine B-24, zusammen also 16 Jäger und 40 viermotorige Bomber kommen nach amerikanischen Angaben nicht zurück. Werner Girbig setzt sich mit dieser Summe sehr kritisch auseinander und geht von fast der doppelten Zahl aus *3. Immerhin 585(!) Bomber werden zusätzlich zu den abgeschossenen Viermotorigen im Einsatz beschädigt, jedoch nur zwei davon sind irreparabel verloren (Cat. E). Entscheidender als Materialverluste sind ohnehin gefallene Männer. Und dies sind nach US-Quellen alleine bei der 8th USAAF genau 559 getötete, vermisste oder in Gefangenschaft geratene Amerikaner plus 26 verwundete Crewmitglieder. 585 einsatzfähige Männer weniger am Abend dieses schicksalhaften Tages.

Doch – so grausam es ist – das können sich die Amerikaner leisten! Die Deutschen nicht! Der Preis, den die Piloten in ihren Messerschmitt Bf 109 und Focke-Wulf 190 zahlen, ist hoch – zu hoch! Die Luftwaffe verliert gemäß den Verlustmeldungen im Luftkampf (einschließlich Landeanflug) 133 Jagdflugzeuge (plus einen Me 262 A-2a-Jagdbomber des KG 51), die 21 abgestellt am Boden zerstörten Jagdmaschinen der I./JG 300 und I./JG 3 kommen hinzu. 74 Piloten fallen, 23 sind verwundet.

Da sich die Deutschen verzweifelt auf die zerstörerischen Bomber konzentrieren und gegenüber der amerikanischen Begleitjägereskorte immer und überall zahlenmäßig in der Defensive sind, büßen die Amerikaner nur 16 Jäger ein *4 *5 (exakt so viele, wie die Deutschen als abgeschossen melden). Unter diesen allerdings befindet sich die P-51 des US-Asses Captain Henry Miklajyck (486th FS, 352nd FG), welcher nach zwei eigenen heutigen Erfolgen schließlich selber unterliegt und fällt. Es ändert nichts – die deutsche Luftwaffe hat hart getroffen, doch sie wurde geradezu vernichtend geschlagen.

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Ernest Fiebelkorn.

Auch die britische Royal Air Force fliegt nach Deutschland ein. Mindestens fünf schwere viermotorige Lancaster-Bomber kehren nach dem Angriff der Engländer auf Homberg nicht auf die britische Insel zurück. Die 2nd Tactical Air Force der Briten meldet zwei Focke-Wulf 190 als abgeschossen und drei Me 262 als beschädigt, obwohl tatsächlich kein deutscher Jet als getroffen vermerkt wird. Lediglich die Me 262 Hauptmann Eberhard Winkels (5./KG 51) geht verloren, jedoch durch alliierte Flugabwehrgeschosse. Der Pilot entkommt verwundet. Weniger Glück hat auf der Gegenseite Flight Lieutenant P.H. Strong, dessen Typhoon (182 Squadron) deutscher Flak zum Opfer fällt – zusammen mit dem Piloten. Eine Mustang Ia der 268 Squadron und eine zweite Typhoon der 182 Squadron werden durch deutsche Flak beschädigt, eine Tempest der 3 Squadronwird durch einen Focke-Wulf 190-Jäger angeschossen (beschädigt).

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Ernst Scheufele.

Einer der erfolgreichen amerikanischen Mustang-Piloten an diesem Tag ist 1st Lieutenant Ernest Fiebelkorn. Fiebelkorn ist ein stattlicher Mann und füllt das Cockpit seines Jagdflugzeuges aus. Fiebelkorn kam am 11. Januar 1944 zur 20ten Fighter Group und hatte am 28. September 1944bereits drei Me 109 und eine Focke-Wulf 190 abgeschossen. Am 2. November gelingen ihm in seiner img getauften Mustang mit dem Code LC img N drei weitere Abschüsse ab 12.30 Uhr nördlich von Leipzig, dort, wo das Jagdgeschwader 4 im Raum Köthen zum Angriff eindreht. Fiebelkorn überlebt den Krieg gegen Deutschland mit insgesamt neun Abschüssen. Er fällt am 6. Juli 1950 in Korea.

Unter den deutschen Flugzeugführern, welche verzweifelt versuchen, den Sturmjägern den Durchbruch zu den Bombern zu ermöglichen und Ihnen die Schwärme der „Mustangs“ vom Halse zu halten, sind auch die Me 109-Piloten der IV. Gruppe des JG 4. Staffelkapitän der 14./JG 4 ist Oberleutnant Ernst Scheufele img. Ernst Scheufele wird am 3. Dezember 1944 bei Aachen von amerikanischen Flugabwehrgeschützen abgeschossen – in der img eines Staffelkameraden, die er anstelle seiner eigenen Me 109 leihweise fliegt. Er gerät in amerikanische Gefangenschaft. Ernst Scheufele hat 18 Luftsiege einschließlich dreier viermotoriger Bomber. Er lebt.

Ernest Fiebelkorn wird als ein Höhepunkt seiner Karriere am 8. November 1944 gemeinsam mit Lieutenant Edward R. Haydon der anteilige Abschuss eines Düsenjets des Typs Messerschmitt Me 262 zugeschrieben. John Foreman und S.E. Harvey erscheint es jedoch wahrscheinlicher, dass beide Amerikaner auf eine bereits von ihrem Piloten verlassene Maschine feuern, die schon im Abstürzen ist. Es existieren über den Hergang des Geschehens viele Varianten (siehe nur drei davon in *6 bis*8).

An diesem Tag starten Oberleutnant Franz Schall, Major Walter Nowotny und gemäß einer Darstellung auch Oberfeldwebel Helmut Baudach mit ihren revolutionären neuartigen Messerschmitt Me 262-Düsenjägern von den nur fünf Kilometer voneinander entfernt liegenden Plätzen Hesepe und Achmer – im Beisein von Generalleutnant Adolf Galland. Für Schall ist es der zweite Einsatz in kurzer Folge, jetzt wenigstens nicht alleine. Bei seinem ersten Start in Hesepe hatte Feldwebel Büttner ihn nicht wie geplant begleiten können, da ein Reifen beim Start platzte. Oberleutnant Wegmann wiederum war einsam in Achmer gestartet, weil Nowotnys Turbinen nicht ansprangen. Die deutschen „Strahlflugzeugführer“ die nun in den Kampf eingreifen, werden beim Start gedeckt durch die Focke-Wulf 190 D-9 der III./JG 54. Die Piloten des „Grünherzgeschwaders“ erfüllen in ihren ebenfalls neuen „Langnasen“ (Fw 190 D-9) erfolgreich ihre Aufgabe und halten den Strahljägern beim Start „den Rücken frei“. Heute nennt man die Düsenjägerflugzeugführer „Jetpiloten“, der Autor erlaubt sich dies auch hier vereinfachend.

Die „Suppe“ hängt tief, es ist eine weitgehend geschlossene Wolkendecke. Die Bomber sind bereits auf dem Rückflug vom Zielgebiet, als Nowotny und Schall angreifen. Schall hatte genau wie Wegmann bereits bei seinem ersten Einsatz heute einen alliierten Jäger vom Himmel geholt, nun gelingen ihm Treffer an angeblich zwei Mustangs. Einer seiner Gegner ist vermutlich 2nd Lieutenant Charles C. McKelvy Jr. der 359th Fighter Squadron/356th Fighter Group, der in seiner beschädigten, von Schalls 30-mm-Kanonen angeschossenen P-47 „Thunderbolt“ (nicht, wie Schall vermeldet, „Mustang“) nach Westen abfliegt, um eigenes Territorium zu erreichen. Die Geschosse einer Focke-Wulf 190 D-9, geflogen von Leutnant Hans Prager, machen diesem Vorhaben ein Ende. McKelvy versucht zu entkommen, doch Prager ist versiert genug, dies zu verhindern. Dem Amerikaner gelingt eine Bruchlandung, er wird gefangen genommen. Lieutenant William L. Hoffert muss aus der nächsten, dieses Mal von Schall entscheidend getroffenen Thunderbolt der 356th Fighter Group mit dem Fallschirm aussteigen.

Schall kämpft sich zu den viermotorigen Bombern vor. Doch dann spielen ihm die noch nicht ausgereiften Triebwerke seines Düsenjets einen Streich. Die Düsenturbinen müssen zu diesem Entwicklungszeitpunkt wie ein rohes Ei behandelt werden. Besonders anfällig sind die Turbinen bei ruckartigem Lastwechsel – bei Kolbenmotorjägern ist dies kein Problem. Strömt der Treibstoff zu schnell ein, flammt das Triebwerk aus, auch bei zu wenig „Gas“ stirbt die Turbine ab. Prompt lassen Schall die beiden Turbinen seines Jagdflugzeuges im Stich. Schall muss seinen Angriff abbrechen und versucht, mit zwei ausgefallenen Düsenaggregaten im Gleitflug seinen Flugplatz zu erreichen. Zwei Mustang-Piloten der 362nd Fighter Squadron/357th Fighter Group fangen den Oberleutnant ab, während dieser vergeblich versucht, seine Turbinen wieder zum Anspringen zu bewegen. Lieutenant Warren Corwin Jr. hatte in Begleitung von Lieutenant James W. Kenny die Formation verlassen und hängt nun etwas zurück, da der Kolbenmotor seiner Mustang unrund läuft. Schall fliegt den beiden einzelnen Mustangs fast in die Arme. Kenny wundert sich, dass der deutsche Pilot kaum Ausweichbewegungen versucht. Er muss die Landeklappen seiner Mustang ausfahren, um den Düsenjäger nicht zu überholen. Dass sein weidwunder Gegner ohne Schub im Segelflug nach unten geht, kann er nicht wissen.

Dennoch benötigt er mehrere Anflüge, um mit seinen Treffern den Düsenjäger ins Straucheln zu bringen. Der Pilot des deutschen „Wundervogels“ sprengt daraufhin das Kabinendach seines Flugzeuges ab und springt mit dem Fallschirm aus seinem getroffenen Düsenjet (img, Werknummer 110404). Kenny ärgert den Deutschen, vermutlich ängstigt er ihn sehr, als er den Fallschirm bei laufender Geschützkamera durcheinander zwirbelt. Doch immerhin schießt er nicht auf Franz Schall – den „gun switch“ (Sicherungsschalter) für die Maschinengewehre hatte Kenny vor dem Auslösen verriegelt. *9

Dann ruft er seinen Kameraden Corwin. Er erhält keine Antwort. Nun, Corwin wird wohl wieder zum Verband aufgeschlossen haben, denkt sich Kenny – und tut dasselbe. Merkwürdig ist allerdings, dass sein Kamerad auf Funk nicht antwortet! Ist sein Gerät ausgefallen? Wieso antwortet er nicht?

Das kann Corwin nicht mehr. Das Letzte, was zwei andere Piloten (Lieutenant John Sublett und Lieutenant John England) von ihm hören, ist sein verzweifelter Ruf: „ein verdammter Düsenjäger („a son of a bitchin’ jet“) hat mich erwischt!“ Die beiden Kameraden fragen nach, wie es um ihn stehe. Sein Flugzeug habe einen Teil der linken Tragfläche eingebüßt und er sei verwundet, antwortet Corwin. Dann bricht der Kontakt ab. Man hört und sieht nie wieder etwas von ihm.

Vielleicht war er Franz Schall direkt vor die Rohre geflogen, als Kenny gerade zu einem neuen Anflug einkurvte und seinen Gegner einen Moment aus den Augen verloren hatte – und auch seinen Staffelkameraden? Die Autoren Foreman und Harvey vermuten dies als „fast sicher“ („almost certainly“). Ob Kenny Schall auch dann nur „geärgert“ hätte, wenn er es gesehen hätte? Es ist eine mögliche Erklärung, denn hätte sich noch ein anderer Düsenjäger genähert – beispielsweise Nowotnys Me 262 – und Corwin abgeschossen, dann hätte das Kenny eigentlich bemerken müssen. Außerdem gibt Schall drei Abschüsse zu Protokoll (allerdings angeblich alle vor seinem „Segelflug“). *10

Schalls Düsenjäger kippt derweil führerlos nach unten zu Boden – gemäß Foreman und Harvey verfolgt von Haydons (357th Fighter Group) und Fiebelkorns Geschossen, deren Mustang-Jäger inzwischen herangekommen sind und – nach dieser Variante – auf den abstürzenden Düsenjäger feuern ...

Zu dem Zeitpunkt etwa verlässt Adolf Galland in höchstem Maße beunruhigt den Kontrollraum in Achmer. Der Funkverkehr lässt Böses ahnen. Major Walter Nowotny, brillanter Befehlshaber und hoch dekorierter Jagdflieger, hatte den Abschuss eines viermotorigen B-24 „Liberator“-Bombers und dann den wahrscheinlichen Luftsieg über eine Mustang durchgegeben. Doch nun berichtet er, dass eine seiner beiden Turbinen versage. Er komme zurück zum Flugplatz, wenn er es noch schaffe. Das letzte, was man schließlich von ihm hört, ist ein abgehackter Funkspruch mit dem Wort „...brennt“ – entweder „sie [die Turbine] brennt“ oder „ich brenne“. Kurz danach ertönt das Feuer von Maschinengewehren in den Wolken.

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Schalls Düsenjäger Messerschmitt Me 262 A-1a am 8. November 1944 in der Optik von Kennys Schusskamera (gun camera). Angeblich überholt Kenny den antriebslosen Jet zweimal, Corwin sei ihm dabei gefolgt. Erst nach dem dritten Anflug Kennys steigt Schall in etwa 3.600 Meter Höhe aus („4.000 Yards“). Sollte demnach Schall zum Zeitpunkt eines unabsichtlichen Überholmanövers Corwins noch an Bord seines Düsenjägers gewesen sein, so musste er möglicherweise nur noch abdrücken. Der oben gezeigte Schnappschuss zeigt Schalls Me 262 bereits führerlos ...

Es sind möglicherweise die Browning-MGs der P-51 D „Mustang“ von Lieutenant R.W. Stevens aus der 364th Fighter Group, der den Abschuss einer Me 262 im Bereich des Dümmer Sees um 12.45 Uhr einreicht. Der Dümmer See befindet sich 30 Kilometer nordöstlich von Achmer. 70 Kilometer vom Dümmer See und 50 Kilometer von Achmer entfernt bei Meppen gibt Lieutenant Anthony Maurice aus der 361st Fighter Group ebenfalls den Abschuss einer Me 262 zu Protokoll, dessen Pilot wohl den großen Fehler macht, hinter einer Mustang das Gas weg zu nehmen, um besser zielen zu können. Damit wird er aber unnötigerweise selber angreifbar – und offenbar prompt von Maurice aus der Überhöhung heraus überrascht. Der Deutsche sei mit dem Fallschirm ausgestiegen, was ihn gemäß Foreman und Harvey als Oberfeldwebel Helmut Baudach identifiziert, welcher tatsächlich abgesprungen sei. Wer auch immer es war – Nowotny kann es nicht gewesen sein. Denn dieser bleibt in seinem „Turbo“ ...

Keiner weiß bis heute, ob es Stevens war, der den deutschen Düsenjäger getroffen hat. Nach einer anderen Version *11 hetzen Lieutenant Edward Haydon und 1st Lieutenant Ernest Fiebelkorn an der Spitze einer Mustang-Meute Nowotnys Jet. Der Deutsche lotst demnach seine Verfolger clever über einen Flugplatz (Hesepe? Vörden?), dessen Platzflak gemäß Haydon dann auch wie von dem Jetpiloten erhofft aus allen Rohren auf die Amerikaner feuert. Plötzlich habe sich die Me 262 auf den Rücken gelegt und sei abgestürzt – ohne dass die Mustangs dazu gekommen seien, auf sie zu feuern.

Wurde Nowotny Opfer seiner eigenen, den Verfolgern zugedachten Falle? Opfer der eigenen Flak?

Nur eines ist sicher: die Umstehenden auf dem Flugfeld Achmer (dessen Platzflak nicht feuerte!) sehen Nowotnys Me 262 img senkrecht durch die tiefhängende Wolkendecke stoßen und kurz vor dem Aufprall explodieren.

Major Nowotny ist tot.

Ernst Scheufeles Karriere-„Höhepunkt” ist wohl eher die Tatsache, dass er seinen letzten Einsatz überhaupt überlebt. Am frühen Morgen des 3. Dezember 1944 finden sich die Flugzeugführer der IV./JG 4 wie immer zu dieser Zeit im Bereitschaftsraum des Flugfeldes von Frankfurt ein. Ihre Messerschmitt-Jäger stehen versteckt an der Landstraße nach Kelsterbach im Wald, während die Piloten von ihren Quartieren in Sprendlingen mit Bussen zum Flugplatz gebracht werden. Im noch unzerstörten Hauptgebäude des Rhein-Main-Flughafens wird den verblüfften Piloten um die Mittagszeit telefonisch vom Kommodore des Geschwaders, Major Gerhard Michalski, der nächste Einsatz befohlen.

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Franz Wienhusen.

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Ernst Scheufele.

Es ist ein Tiefflugeinsatz gegen amerikanische Nachschubkolonnen im Raum Stollberg/Aachen/Düren – also am Hürtgenwald, wo die bisher für die Amerikaner verlustreichsten und schwersten Kämpfe gegen die deutsche Wehrmacht toben. Hauptmann Wienhusen versucht in mehreren Anrufen an die Befehlstellen, diesen Unsinn rückgängig zu machen – vergeblich. Die Me 109 G-14 seiner Männer sind hochgezüchtete Höhenjäger, modernisierte schnelle Flugzeuge, deren Stärken oberhalb von 6.000 Metern Höhe liegen. Sie sind gegen Beschuss von vorne unten, also vom Boden aus, nicht gepanzert. Und die teilweise blutjungen Piloten mit immerhin ersten Erfahrungen im Luftkampf gegen Jäger und Bomber hatten noch nie einen Tiefangriff geflogen.

Wienhusen erreicht nichts. Also muss der Befehl ausgeführt werden. Die Jagdflugzeuge starten, es ist ein diesiger, grauer Wintertag, noch ohne Schnee. Scheufele muss sich heute auf eine fremde Maschine verlassen, seine eigene hat Massenschluss-Probleme. So fliegt er heute die img(Werknummer 782354) eines Kameraden. Der Staffelkapitän der 14. Staffel ist froh, dass die IV. Gruppe mit Hauptmann Wienhusen von einem erfahrenen Gruppenführer geleitet wird. „Seit Juni musste ich einmal nicht den Verband führen ...“ schreibt Scheufele später. „Ich konnte mich deswegen ganz auf die fremde ‚Mühle‘, meinen ‚Verein‘ [14. Staffel] und die Wetterlage konzentrieren. Endlich einmal ohne Verantwortung in Bezug auf die FT-Verbindung [Funk] und Franzen [Navigation].

Der Verband der IV. Gruppe überfliegt im Tiefflug in 200–300 Meter Höhe den Rhein und hält auf die Front zu. Es sind etwa 20 Me 109, gefolgt von circa 30 Messerschmitt-Jägern der I. Gruppe des JG 4. Auch die III. Gruppe des Geschwaders ist mit demselben Auftrag in der Luft, zudem die erste und zweite Gruppe des JG 27. Scheufele weiß genauso wie Wienhusen, welcher Irrsinn dieser Einsatz ist – doch was für eine Wahl haben sie? Er sollte schnell Recht behalten mit seiner Einschätzung!

Als sie die Front überfliegen, bricht ein Inferno nie dagewesenen Ausmaßes über die Piloten in ihren schnellen Jagdflugzeugen herein. Scheufele ist einiges gewohnt, der Abwehr-Feuervorhang eines Verbandes schwerer amerikanischer Bomber kann nur als ein Hagel von Geschossen bezeichnet werden. Aber das hier ist dagegen eine Dusche! Die Szenerie ist gespenstisch, unwirklich. Im fahlen grauen Licht des wolkenverhangenen Himmels ist die Straße von Lastwagen, Panzern und Jeeps voll gestopft. Und aus jedem Fahrzeug, jedem Winkel fegen den deutschen Jägern Tausende Leuchtspurgeschosse entgegen, der Himmel ist wie von einem Netz an Geschossen durchzogen.

Lichtfinger greifen nach Scheufele, es gibt kein Entrinnen. Zwei Kameraden ziehen Rauchfahnen hinter ihren Maschinen her, rechts stürzt eine brennende Fackel ab. Hauptmann Wienhusen, auf den man nicht hatte hören wollen, findet so den Tod. Deutschland hätte den fähigen Gruppenkommandeur sinnvoller im Kampf gegen die Bomber verlieren können, wenn es denn unbedingt hätte sein müssen!

Scheufele erinnert sich an seinen Auftrag – und an seinen Lebenswillen! Er zwingt die Nase seines Jagdflugzeuges in Richtung Boden, dann löst er seine Waffen aus. Die Geschosse seiner Bordkanone fetzen in die Fahrzeugkolonne vor und unter ihm, ebenso seine Maschinengewehrsalve. Dann dreht Scheufele nach rechts in eine lang gezogene Tiefflugkurve – nichts wie weg hier! Einige Maschinen seiner Gruppe folgen ihm – offenbar ebenfalls noch unbeschädigt.

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Scheufeles notgelandete „ausgeborgte“ Me 109.

Ein gewaltiger Schlag ins linke Bein macht alle Hoffnungen Scheufeles zunichte. Er wusste es – das geht schief heute! Scheufele durchfährt ein Schmerz bis in die Spitzen seiner Ohren, unten rechts am Boden seiner Kabine klafft ein Loch. Immer noch schießen die Amerikaner auf ihn – treffen aber zum Glück nicht ein weiteres Mal. Was jetzt? Es riecht verbrannt, der Motor läuft unrund, stottert. Der macht es nicht mehr lange! Da vorne – ein Feld! Der Staffelkapitän geht tiefer – der Acker stellt sich als ein abgeerntetes Zuckerrübenfeld heraus. Schmierig, rutschig – und ideal für eine Bauchlandung.

Sie gelingt. Und Ernst Scheufele lebt. Verwundet, aber nicht tot. Er findet sich mitten im Granatwerferfeuerhagel wieder – bis ein Jeep mit weithin leuchtendem roten Kreuz erscheint und zwei US-Sanitäter ihn aus einem Granatrichter holen, in den er inzwischen gerobbt war.

Vielleicht hat ihm dieser Einsatz in amerikanische Gefangenschaft hinein das Leben gerettet. Sein Tod in der Reichsverteidigung wäre wahrscheinlich eine reine Frage der Zeit gewesen – oder des Glücks des Tüchtigen ...

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Ernst Scheufele, am linken Bein verwundet, wird nach seiner Notlandung von amerikanischen GI’s zu einem US-Verbandsplatz getragen. Solche Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft in diesem brutalen Krieg ist auf allen Seiten immer wieder zu beobachten und darf angesichts der ebenfalls bei den Angehörigen aller kriegführenden Parteien vorgekommenen teilweise grausamen Gegenbeispiele niemals in Vergessenheit geraten!

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Quelle:imgWASt – Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht, Berlin. Verluste der deutschen Luftwaffe via Recherche Salonen.

Quelle:img„Jagdgeschwader 3” Chronik einer Jagdgruppe – Band 1 - 4/Struve Druck Eutin/Jochen Prien und z.T. Gerhard Stemmer.

Quelle:img„Sturmjäger“ – Zur Geschichte des Jagdgeschwaders 4 und der Sturmstaffel 1 – Band 1–2/Verlag A.S.B.L./Eric Mombeek.

Quelle:img„Messerschmitt Bf 109 im Einsatz bei der I./II./III./IV.- (3 Bände) Jagdgeschwader 27/Struve Druck Eutin/Jochen Prien, Peter Rodeike und Gerhard Stemmer.

Quelle:img„Jagdgeschwader 300 ‚Wilde Sau’ Volume 2“, September 1944 – May 1945/Eagle Editions Ltd. 2004/Jean-Yves Lorant und Richard Goyat.

Hinweis: deutsche Flugzeuge, welche zwar vom Gegner abgeschossen wurden, ohne jedoch den Piloten dabei „außer Gefecht zu setzen“, sind in der Spalte „Gesamt“ miterfasst (/Flugzeug = Anzahl verlorener Flugzeuge). Hinweise finden sich im Feld „Bemerkungen“. Dagegen werden in britischen und amerikanischen Quellen (MACR-Listen) oft die auf eigenem Gebiet notgelandeten Maschinen nicht mitgezählt. Zudem finden sich die von der deutschen Flak (Flugabwehrkanonen) vernichteten alliierten Flugzeuge nicht in dieser Aufstellung. Daher muss es zwangsläufig zu Differenzen zwischen Abschussmeldungen und den tatsächlichen Verlusten kommen!

Verluste durch Tiefangriffe oder Bomben am Boden, durch „technische Mängel“ oder durch Unfälle werden nicht „gezählt“, da die gegenseitigen Erfolge im Luftkampf gegenübergestellt werden sollen. Unversehrt gebliebene Piloten saßen oft wenige Stunden später in einer neuen Maschine, deren materialtechnischer Nachschub fast bis zum Kriegsende gesichert war. Bei einem Abschuss mit unverletztem Fallschirmabsprung entsteht in der Spalte „Gesamt“ ein Materialverlust (/Flugzeug), jedoch nicht ein personeller „Verlust“ (Pilot/).

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Eine Boeing B-17 erhält Treffer im rechten Außenmotor.

Verlustmeldungen der Westalliierten im Detail:

8th USAAF: *12

B-17 „Flying Fortress”:

39

(+ 2 Kategorie „E” img irreparabel beschädigt = 41)

B-24 „Liberator”

1

P-51 „Mustang”:

14

P-47 „Thunderbolt”:

2

9th USAAF: *13

147 Bomber mit Jägereskorte fliegen Angriffe auf Eisenbahnbrücken, ferner finden intensive Jagdbombereinsätze statt. Verluste werden nicht angegeben. Ebenso wenig sind aus den MACR-Listen Verluste der 9th USAAF zu entnehmen.

2nd Tactical Air Force der Royal Air Force:*14

Hawker „Typhoon” IB: 1

(eine weitere Typhoon IB und eine Mustang IA machen nach Flak-Beschuss auf eigenem Gebiet Bruch, der Beschädigungsgrad der Typhoon ist Cat. B, jener der notgelandeten Mustang unbekannt, wird < 60 % angenommen. Eine Tempest Mk. V wird durch eine Focke-Wulf 190 beschädigt. Eine Spitfire Mk. IX und eine Mosquito Mk. VI gehen durch Unfälle verloren)

Royal Air Force Bomber Command:*15

Avro „Lancaster“:

5

*1Quelle: img „Jagdgeschwader 300” Volume 2/Eagle Editions Ltd. 2004/Jean-Yves Lorant und Richard Goyat.

*2Quelle: img „Jagdgeschwader 300” Volume 2/Eagle Editions Ltd. 2004/Jean-Yves Lorant und Richard Goyat.

*3siehe img „Start im Morgengrauen“/Motorbuch-Verlag/Werner Girbig.

*4Quelle: img „The Mighty Eighth Combat diary“/Eighth Air Force Memorial Museum Foundation USA 1988/Paul M. Andrews und William H. Adams.

*5Quelle: img „Mighty Eighth War Diary”/Jane’s Publishing Company 1981/Roger A. Freeman.

*6Quelle: img „Me 262 Combat diary”/1995/John Foreman & S.E. Harvey.

*7Quelle: img „Green Hearts“ – First in Combat with the Dora 9/Eagle Editions Ltd. 1998/Axel Urbanke.

*8Quelle: img „Me 262. Erprobung und Einsatz”/Königswinter Heel 1999/J. Richard Smith und Eddie J. Creek.

*9Quelle: img „Me 262 Combat diary”/1995/John Foreman & S.E. Harvey.

*10Quelle: img „Green Hearts“ – First in Combat with the Dora 9/Eagle Editions Ltd. 1998/Axel Urbanke und Quelle img „Me 262-Erprobung und Einsatz„/Heel-Verlag 2001/J. Richard Smith und Eddie J. Creek, Seite 189.

*11Quelle: img „Green Hearts“ – First in Combat with the Dora 9/Eagle Editions Ltd. 1998/Axel Urbanke.

*12Quelle: img „Mighty Eighth War Diary”/Jane’s Publishing Company 1981/Roger A. Freeman. Quelle: img „The Mighty Eighth Combat Chronology” 1942-1945/Eighth Air Force Memorial Museum Foundation USA 1998/Paul M. Andrews und William H. Adams.

*13Quelle: img „USAAF Chronology“/USAF Airways and Air Communications Service/Jack McKillop. Quelle: MACR-Listen (Missing Air Crew Reports).

*14Quelle: img „2nd Tactical Air Force” Volume 1 - 3/Classic Publications/2005/Chris Shores und Chris Thomas.

*15Quelle: img Royal Air Force Bomber Command 60th Anniversary - Campaign Diary, December 1944.

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