Den Strategen in England und Amerika war die Achillesferse der deutschen Rüstung nicht entgangen. In Deutschland mangelt es an Rohstoffen. Ein spezielles kriegswichtiges Produkt ist besonders schwierig aus heimischen Ressourcen herzustellen. Es muss, wenn es nicht anders verfügbar ist, mühsam synthetisch aus Kohle gewonnen werden. Es ist das Blut der mobilen Technik: Benzin.
Zudem ist die Treibstoffindustrie kaum in sicheren Bunkern oder sonst wie geschützten Fabrikationsstätten unter die Erde zu verlagern, wie dies bei Flugzeugmontagewerken oder Ähnlichem prinzipiell möglich ist. Somit ist dieser Zweig der Rüstungsindustrie durch Luftangriffe extrem verwundbar.
Es soll vorweggenommen werden, dass die Angriffe auf diese Anlagen letztlich den Verlauf des Luftkrieges und der militärischen Operationen am Boden mehr beeinflusst haben als die Bombardierung aller anderen industriellen und zivilen Ziele.
Derzeit gewinnen die Deutschen den Rohstoff für die wertvolle Flüssigkeit zum größten Teil aus den rumänischen Erdölfeldern bei Ploeşti. Dort wird das Öl in riesigen Raffinerien direkt in Treibstoff verwandelt. Es ist für die Westalliierten wenig verständlich, dass Stalins Luftwaffe hier so untätig bleibt.
Junkers Ju 52-Transportflugzeuge im Tiefflug über dem Mittelmeer.
Eine „Siebel“-Fähre wird mit einer Zugmaschine samt angehängtem Geschütz zur Überfahrt auf das italienische Festland beladen.
Bedauerlicherweise ist Ploeşti für Bomber, die in England starten, zu weit entfernt. Aber von dem neuerdings in alliierter Hand befindlichen Bengasi in Libyen aus müsste das Ziel – gerade eben – erreichbar sein. Zumindest mit viermotorigen Bombern. Die allerdings auf Begleitschutz verzichten müssten, denn deren Reichweite ist – noch – nicht ausreichend für derartige Langstreckeneinsätze.
Auch die 27 Tonnen schweren Consolidated B-24 „Liberator“-Bomber, die man für diesen Einsatz auserkoren hat, müssen für eine Strecke von Luftlinie 3.200 Kilometern hin und zurück, mit Schleifen 4.350 Kilometern, Zusatztanks mitführen. Nur für diesen Einsatz werden Behelfsflugplätze in den Sand gebaut. Es wird sogar eine maßstabsgetreue Nachbildung der Fabrikanlagen von Ploeşti in der Wüste errichtet.
Wochenlang üben die Besatzungen nun Tiefflüge – eine äußerst ungewohnte Einsatzart für viermotorige strategische Bomber. Drei der fünf Bombergruppen werden aus England nach Nordafrika verlegt – die 44th, 93rd und 389th BG der 8th USAAF. Bereits auf der britischen Insel werden Übungsflüge durchgeführt. Keine der Besatzungen hat eine Ahnung, was das soll. Die Spekulationen blühen.
Die 98th und 376th BG ist der 9th USAAF im Mittelmeerraum zugeteilt und somit bereits „vor Ort“. Colonel Jacob Smart, auf dessen Idee der Einsatz beruht, hatte sich dafür entschieden, das Ziel im Tiefflug anzufliegen, um die deutsche Radarbeobachtung zu unterfliegen. Ferner sollen die Flugzeuge über Albanien hinweg von Nordwesten kommend die Raffinerien angreifen, da man weiß, dass die Flugabwehr im Süden der Ölanlagen massiert ist. Der Angriff selbst hat in etwa 15 Metern Höhe stattzufinden – völlig neu für schwere Bomber –, um die Treffsicherheit zu erhöhen und das Überraschungsmoment auszunützen. Ein Tiefangriff in Schornsteinhöhe – ohne Zweifel spektakulär!
Smart ist von seinem Nachrichtendienst gut informiert. Die Flugabwehrgeschütze (Flak) in Ploeşti seien zahlenmäßig schwach und außerdem von wenig kriegsbegeisterten Rumänen bedient, die beim Anblick der riesigen, nur wenige Meter über ihnen heranröhrenden Viermotorigen höchstwahrscheinlich panisch in Deckung springen werden, statt auf die Angreifer zu feuern. Auch für dieses psychologische Moment bietet sich also der Tiefstflug an.
Doch wie es eben so ist mit den Informationen einer Spionageorganisation. Sie mögen stimmen – oder auch nicht.
In diesem Falle stimmen sie nicht. Der deutsche Luftwaffenoffizier Generalmajor Alfred Gerstenberg ist ein fähiger und penibler Mann, der sich der Bedeutung seiner Aufgabe voll bewusst ist. Ploeşti ist eine Festung, starr vor Flugabwehrwaffen. Schwere 8,8-cm-Geschütze sichern den oberen Teil des Himmels, ganze Batterien von 2-cm- und 3,7-cm-Schnellfeuerkanonen den mittleren und erdnahen Anflugwinkel. Schwere Maschinengewehre sind auf den Dächern der Hallen montiert. Und all diese Waffen werden von einigen Tausend gut ausgebildeten Männern bedient. Es sind deutsche Soldaten.
Was im Übrigen nichts gegen die von Colonel Smart gründlich unterschätzten Rumänen aussagen soll. Viele Monate später, am 10. Juni 1944, wird ein Jagdbomberangriff mit Hilfe von P-38 „Lightnings“ der 1st und 82nd US Fighter Groups auf die Ölfelder zur Katastrophe. I.A.R 80- und I.A.R 81C-Jäger der Rumänen – eine wendige, doch hinsichtlich Geschwindigkeit (514 km/h) den P-38 unterlegene Eigenkonstruktion – überraschen die Amerikaner von hinten oben und schießen laut ihren (nachvollziehbaren) Angaben innerhalb von vier Minuten 14 P-38 vom Himmel. Und dies für den Verlust von einer abgeschossenen und einer schwer beschädigten I.A.R. 80/81. Zwei weitere Rumänen kollidieren, insgesamt drei rumänische Piloten fallen somit; zwei davon allerdings durch den Unfall. Den Rest besorgt die I. Gruppe des deutschen Jagdgeschwader 53, welche auch nur eine Me 109 G-6 durch Abschuss an die Amerikaner verliert. Deren Flugzeugführer, Gefreiter Köditz, fällt. Ein zusätzlicher Treffer verursacht nur minimalen Sachschaden (5 %) an der Messerschmitt Bf 109 G-6.
Die Amerikaner dagegen geben insgesamt 22 zerstörte P-38 zu mit ebenso vielen vermissten Piloten. Sie wollen selber aber 30 Gegner abgeschossen haben. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es auf dem Hin- und Rückflug noch zu Luftkämpfen mit anderen Einheiten der Luftwaffe kommt (die Abschussliste der Lightning-Piloten umfasst auch je eine Me 110, Me 210, He 111 und Hs 126), harmonieren diese Angaben ganz und gar nicht mit den deutschen und rumänischen Verlusten.
So, wie im Sommer des Jahres 1943 die Angaben des alliierten Geheimdienstes auch nicht mit dem fatalen Vorhandensein von 69 deutschen Jägern in der Umgebung von Ploeşti übereinstimmen.
Es ist Sonntag, der 1. August 1943. 178 riesige B-24 „Liberator“ rollen auf den sandigen Pisten der libyschen Wüste zum Start, geben Vollgas und donnern los. Lange Staubfahnen bedecken den Wüstenboden. Der Sand frisst sich in die Motoren. Schäden treten auf. Eine Liberator stürzt ab – die Bombenlast explodiert und lässt der Besatzung keine Chance. Zehn weitere B-24 müssen wegen Defekten umkehren. Das Schicksal meint es gut mit ihnen. Die übrigen 167 Riesen gehen schließlich auf Kurs.
Es wird ein Überraschungsangriff werden. Allerdings nicht für die Deutschen. Die hören den Funkverkehr der Amerikaner ab. Und wissen zwar nicht, was los ist – aber, dass etwas Großes im Gange sein muss. Sofort sind die Radarbeobachter vorgewarnt. Sie wären ohnehin aufmerksam gewesen.
Das deutsche Frühwarnsystem reicht bis nach Griechenland und funktioniert mit deutscher Gründlichkeit. Auch Anflüge in einer Minimalflughöhe von nur fünfzig Meter über dem Meer – wie beispielsweise im Falle des oben geschilderten Angriffes am 10. Juni 1944 – werden von den Radargeräten erfasst. Ein „Unterfliegen“ ist kaum möglich. Die Abwehr formiert sich folgerichtig sofort zum Empfang.
B-24 „Liberator“ in der libyschen Wüste beim Einsatz gegen die rumänischen Anlagen in Ploes¸ti. Der untere Kugelturm ist einziehbar und wird erst bei „Bedarf“ ausgefahren.
Sieben lange Stunden auf dem Flug zum Ziel harren die amerikanischen Besatzungen der Dinge, die da auf sie zukommen mögen. Plötzlich stürzt die „Wingo Wango“ ins Meer. Was war das? Keiner konnte eine Ursache sehen. Unglücklicherweise hatte diese B-24 den Führungs-Navigator an Bord!
Weiter. Über Albanien kommen Wolken auf. Mist! Hindurch – irgendwie. Als der riesige Verband die Zone schlechter Sicht durchflogen hat, ist er in zwei große Gruppen aufgeteilt. Fast 100 Kilometer liegen zwischen den beiden Pulks. Ein koordinierter massiver Angriff aller Maschinen ist nun illusorisch.
Dann röhren die Maschinen über die rumänische Tiefebene. Und wieder kommt es zu einem Missgeschick. Die 93rd Bomb Group erkennt eine Wegmarke falsch und fliegt nun zu weit südlich – in Richtung auf Bukarest! Eine weitere Bombardement Group folgt ihr prompt.
Der Kommandeur der 93rd BG, Colonel Addison Baker, erkennt schließlich den Fehler. Er korrigiert den Kurs nach Norden – und fliegt das Ziel nun von Süden an, also genau von der ungünstigsten, am stärksten verteidigten Richtung her. Colonel Keith Compton leitet die zweite vom korrekten Kurs abgekommene Formation. Er bemerkt seinen Irrtum erst über den Vororten von Bukarest.
Die US-Bomber treffen somit in drei separaten Wellen über dem ausgedehnten Industrie-Komplex an.
Als Bakers Bomber-Gruppe in 15 Metern Höhe die Schornsteine der Raffinerie auf sich zurasen sieht, fliegen plötzlich Heuhaufen auseinander. Sekunden später sind unzählige Maschinenwaffen aller Kaliber auf die Liberator-Bomber gerichtet. Leuchtspurgeschosse flirren durch die Luft, aus Flak-Türmen ergießt sich ein Geschosshagel in die Formation. Die Besatzungen der Bomber erleben nun das, was ihre Gegner in den Jagdflugzeugen beim Anflug auf eine Formation „Fliegender Festungen“ jedes Mal an Feuervorhang aushalten müssen.
Nur – die Jäger sind klein und wendig, schwer zu treffen. Dagegen ist eine B-24 ein „Scheunentor“. Bakers Bomber brennt innerhalb von Sekunden lichterloh. Doch er fliegt weiter, bis er explodiert.
Eine pechschwarze Rauchwand liegt über der Anlage, als die ersten Bombeneinschläge Öltanks treffen und Explosionen verursachen. Glühende Trümmer fliegen durch die Luft, mitten hinein in diesen Alptraum fliegen die Bomber mit ihrer tödlichen Last. Weniger als die Hälfte von ihnen kommt durch.
Eine nachfolgende Gruppe unter Führung von Colonel John R. Kanes verliert neun von 16 Bombern, aus der letzten Welle von sechs Maschinen taucht eine einzige wieder aus dem Inferno auf. Es sei ein Flug durch die Hölle gewesen, erinnert sich Kanes Copilot Hubbard später, eine Apokalypse aus Rauch und Flammen.
Doch das ist erst der Anfang! Kaum haben die geschockten Überlebenden die Feuersbrunst und den Feuerhagel der Flugabwehr hinter sich gelassen, stürzen sich die inzwischen zur Abwehr versammelten deutschen Jäger auf die Bedauernswerten. Sie lassen sie nicht zur Ruhe kommen. Angriff folgt auf Angriff ...
Als den in Rumänien stationierten Jagdfliegern der Sprit ausgeht, werden die Amerikaner über Griechenland von der nächsten Jägergruppe in Empfang genommen. Fast an der Grenze ihrer Reichweite holen zehn Me 109 G-6 der IV./JG 27 die Amerikaner über der Insel Cephallonia (Kefallinia) ein und schießen weitere fünf B-24 herunter, verlieren aber selber im Bordschützenfeuer zwei Maschinen der 10. Staffel, eine weitere wird (reparierbar) nur beschädigt. Einer der Piloten fällt, es ist Unteroffizier Max Graf (er ist vermisst), die beiden anderen Flugzeugführer bleiben unverletzt.
Nur 88 von 167 am Angriff letztlich beteiligten amerikanischen Bombern glückt der Rückflug nach Bengasi. Von ihnen weisen 55 schwere bis schwerste Schäden durch Beschuss auf. Einige weitere können sich nach Sizilien, Malta oder Zypern durchkämpfen. 53 Flugzeuge jedoch sind verloren.
310 Männer an Bord dieser Maschinen sind gefallen, weitere 108 geraten um Ploeşti herum in Gefangenschaft – 70 von ihnen verwundet. Hinzu kommen einige Besatzungen, welche in anderen Stadien des Fluges in Gefangenschaft geraten oder die in die Türkei entkommen und dort interniert werden, sodass sich die Gesamtverluste der Amerikaner auf 579 Mann addieren.
Die Schäden an den Raffinerieanlagen sind beträchtlich. Doch vermindern sie die Tagesproduktionsrate vorerst nicht. Der Treibstoff-Ausstoß durch die unbeschädigten Teile des gigantischen Komplexes wird einfach in die Höhe gefahren – bis die Verwüstungen an den getroffenen Stellen repariert sind.
Zunächst! Denn die Amerikaner hören nicht auf. Es wird der Tag kommen, da stehen ihnen Flugplätze im viel näheren Süditalien zur Verfügung. Und P-51 „Mustang“-Begleitjäger mit abwerfbaren Zusatztanks, deren Reichweite von dort aus noch müheloser bis Ploeşti ausreicht als jene der dann von den Flugplätzen in Italien mit Zusatztanks startenden P-38 „Lightnings“ oder auch P-47 „Thunderbolts“.
Von diesem Tag an gehören die Bombenangriffe auf die wertvollen Raffinerien zum Routineplan der amerikanischen Besatzungen. Und später lassen sich die regelmäßig wiederholten dauernden Zerstörungen nicht mehr ohne weiteres kompensieren. Noch ist es nicht so weit ...
Auch Italien erlebt inzwischen in verstärktem Maße, was die alliierte Luftwaffe an Geschenken zu verteilen hat. Die Gegend um Neapel erfreut sich besonderer Beliebtheit seitens der englischen und amerikanischen Kommandeure. Systematisch werden Bahnverbindungen und Straßenkreuzungen, Kommunikationswege aller Art angeflogen und zerstört. Die deutschen Stäbe ziehen ihre Schlüsse daraus.
Messerschmitt Bf 109 G-6 der III./JG 27 mit abwerfbarem Zusatztank.
In der Wüste zerstört aufgefundene B-24. Dieser Bomber ging allerdings bereits am 4. April des Jahres 1943 nach einem Angriff auf die Stadt Neapel verloren. Die Besatzung verdurstete in der Wüste und dort blieb sie volle 16 Jahre lang verschollen.
B-24 D-25-CO „Liberator“ der 93rd Bomb Group USAAF. Die vorderste Maschine ist „Joisey Bounce” mit der Seriennummer 41-24226.
Die Schmähungen der Jagdflieger im Mittelmeerraum seitens der deutschen Luftwaffenführung reißen nicht ab. Es ist dies umso unverständlicher, als die Piloten geradezu Übermenschliches leisten.
Sie stehen einem Feind gegenüber, der personell und materiell aus dem Vollen schöpfen kann. Die anglo-amerikanischen Verbände sind in aller Ruhe besser ausgebildet, üppiger ausgerüstet und fliegen teilweise auch noch überlegene Maschinen. Meist in der absoluten Überzahl. Inzwischen haben es die deutschen Jagdflieger auch mit P-51 „Mustangs“ zu tun, die den deutschen Me 109 G-6 hinsichtlich Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit technisch ebenso stark zusetzen wie die Spitfire Mk. IX. Was nicht heißen soll, dass eine P-38 „Lightning“ als Gegner zu unterschätzen wäre. Allenfalls die zunehmend ausgemusterten P-40 „Kittyhawks“ und P-39 „Airacobras“ dürfen den Me 109 G-6 als unterlegen gelten – sofern die Me 109 keine Gondelwaffen schleppen. Auch die B-25- und B-26-Mittelstreckenbomber der Amerikaner sind moderner und abwehrstärker als eine He 111 oder Ju 88! Dennoch werden über weite Strecken des Kampfverlaufes mehr Gegner abgeschossen, als eigene Verluste entstehen. Auch Spitfire, wie Oberleutnant Strasen (Stab/JG 77) am 25. Juli 1943 beweist, oder P-51, wie Feldwebel Schlick (I./JG 77) am 28. Juli 1943 zeigt. Doch der Führung reicht dies nicht.
Die allgemeine Stimmung lässt sich am besten mit Hilfe einer Textpassage zum Jagdgeschwader 77 erfassen, in welcher noch einmal Jochen Prien zitiert werden soll: *9
„Der Oberbefehlshaber der Luftflotte 2, Generalfeldmarschall von Richthofen, war mit den Leistungen der Jagdflieger außerordentlich unzufrieden und lastete ihnen die mittlerweile über Sizilien, der Straße von Messina und im südlichen Italien eingetretene ernste Entwicklung der Luftlage an. Daher entschloss er sich, den Stab Jagdführer/ Luftflotte 2 kurzerhand aufzulösen, wodurch der gerade erst wieder eingesetzte Generalmajor Osterkamp und mit ihm Oberst Viek von ihren Aufgaben entbunden wurden. [...].
Es zeigte sich daran, dass die Vertrauenskrise zwischen den Jagdeinheiten und ihrer Führung im Mittelmeerraum auch nach dem Abgang des Generals der Jagdflieger zurück in die Reichsverteidigung weiter anhielt. Dabei sind Zweifel an der Berechtigung der Kritik von Richthofens durchaus angebracht – denn wie sollten die wenigen deutschen Jagdgruppen angesichts ihrer zahlenmäßigen und materiellen Unterlegenheit gegenüber der alliierten Luftwaffe den Verlauf der Auseinandersetzungen im Süden Italiens überhaupt noch wesentlich beeinflussen können?
Es müsste doch an sich auch der deutschen Führung durchaus bewusst gewesen sein, dass die deutschen Jäger im Süden auf verlorenem Posten kämpften – nach dem tunesischen Debakel nur notdürftig aufgefrischt, standen sie seit Wochen erneut unter starkem Druck, seit ihrem Rückzug aus Sizilien zudem auf wenige, schlecht geschützte und kaum durch Flak verteidigte Plätze, die weit hinter der Front lagen, angewiesen.
Die Verluste am Boden gingen in die Hunderte, sodass die Gruppen mangels einsatzklarer Flugzeuge tagelang überhaupt keine Einsätze fliegen konnten – wenn dementsprechend an diesen Tagen keine Abschüsse erzielt werden konnten, so war dies kaum den Jagdfliegern anzulasten.
Es zeugte umgekehrt vielmehr von einer immer noch beachtlichen Kampfmoral, dass sich die Jagdflieger trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit und trotz der bei vielen von ihnen nach monatelangem harten Einsatz im Mittelmeerraum gegebenen körperlichen und seelischen Erschöpfung immer wieder zum Kampf stellten und sich dabei in der Luft durchaus behaupten konnten (vgl. dazu das Verhältnis der eigenen Abschüsse zu den Verlusten im Luftkampf, das noch deutlich zu Gunsten des JG 77 sprach).“
Cancello, Italien: Die Idylle trügt! Die Me 109 der 6./JG 53 trägt die und wird von Leutnant Alfred Hammer geflogen. Es handelt sich um eine G-6/R6. Unteroffizier Eugen Kurz rasiert sich gerade.
Donnerstag, 2. September 1943
Alarmstart! Es ist 12.57 Uhr, als in Cancello 20 Kilometer nordöstlich von Neapel die Messerschmitt-Jäger der II. Gruppe des Jagdgeschwaders 53 über die Piste des Flugfeldes rasen und mit dem charakteristischen hellen „Singen“ im Röhren des Daimler-Benz-Motors in den Himmel jagen. Nur kurze Zeit später heben auch die Me 109 G-6 der III./JG 53 in Grazzianiese ab – 30 Kilometer nordwestlich von Neapel. Zusammen mit zwei Me 109 des Geschwaderstabes des JG 77 und zehn Maschinen, welche die I./JG 77 aus San Severo bei Foggia aufbieten kann, ferner 21 von der IV. Gruppe des JG 3 aus San Severo versammeln sich schließlich etwa 60 deutsche Jagdeinsitzer im Luftraum über Neapel.
Manche der Messerschmitt-Jäger sind in der Version G-6/R6 mit zwei zusätzlichen 20-mm-Kanonen in Gondeln unter den Tragflächen ausgerüstet. Leutnant Alfred Hammer, Staffelkapitän der 6./JG 53, fliegt meist eine solche Maschine. Diese Modifikation erhöht die Feuerkraft gegen Bomber, reduziert aber die Manövrierfähigkeit im Luftkampf mit Jägern empfindlich. Auch die Höchstgeschwindigkeit leidet unter dem zusätzlichen Luftwiderstand. Noch deutlicher ist dieser Effekt im Falle der „Dödel“ der Version G-6/R2, ein Typ der Me 109, welcher unter den Tragflächen aus einem fest montierten Rohr je Fläche eine 21-cm-Werfergranate verfeuert. Die 12. Staffel des JG 3 fliegt mit dieser Ausrüstung.
Die gelbe der 6./JG 53. Hier ist eine der beiden Gondeln für die zusätzlichen zwei 20-mm-Kanonen vom Typ MG 151/20 an der linken Tragfläche unten erkennbar, was die Version G-6/R6 klärt.
Die Messerschmitt Bf 109 G-6/R2 des Leutnant Herbert Kutscha (12./JG 3) mit 21-cm-Werferrohren.
Die reinen Jägerversionen verzichten allerdings auf derartige Zusatzwaffen zu Gunsten der Konkurrenzfähigkeit in den Flugleistungen feindlichen Jägern gegenüber. Sie verlassen sich auf die Feuerkraft der standardmäßig eingebauten 20-mm-Kanone in der Propellernabe und der beiden 13-mm-MGs mit den „Beulen“ im Vorderrumpf vor dem Cockpit. Gegen Feindjäger genügt diese. Gegen Bomber ist sie etwas schwach.
Etwa 40 North-American B-25 „Mitchell“-Bomber hatten Bahnanlagen in der Nähe von Neapel mit Bomben belegt und befinden sich nun auf dem Rückflug, gedeckt von einem starken Verband amerikanischer Doppelrumpfjäger des Typs P-38 „Lightning“ der 82nd Fighter Group.
Neben der Martin B-26 „Marauder“ ist die North American B-25 „Mitchell“ der zweite moderne und kampfstarke Mittelstreckenbomber der US-Luftwaffe. Wie die Marauder ist die Mitchell schnell und stark bewaffnet, allerdings leichter zu fliegen und zu landen als das Martin-Konkurrenzmodell. Die C- und D-Versionen der B-25, wie sie üblicherweise im Herbst des Jahres 1943 eingesetzt werden, besitzen ein fest nach vorne feuerndes 0,5-inch- (12,7-mm-) Maschinengewehr in der verglasten Rumpfnase sowie ein bewegliches MG für den Bombenschützen vorne. Nach hinten oben sichert ein Zwillings-MG in einem elektrisch betriebenen Drehturm auf dem Rumpfrücken. Nach hinten unten soll ein weiterer elektrisch betriebener einziehbarer Zwillings-MG-Turm die Abwehr eines Jägerangriffes ermöglichen. Dieser Feuerstand ist allerdings extrem unbeliebt, da der Schütze in einer sehr unbequem knienden Stellung durch ein komplexes Periskopsystem ohne Sicht auf die Maschinengewehr-Rohre zielen soll – mit einer zweihändig zu bedienenden, im Zielen ebenfalls nicht einsehbaren Steuerung des Turmes. Der Schütze kann – durch das Periskop linsend – nicht wirklich optisch kontrollieren, was seine Hände tun. Auch nicht, wohin er wirklich feuert, in Relation zur Flugbahn der Schussplattform, dem Bomber. Sehr häufig verliert er komplett die Orientierung über seinen Schusswinkel. Im Ergebnis ist die Wahrscheinlichkeit erheblich höher, ein Besatzungsmitglied durch Seekrankheit außer Gefecht zu setzen, als einen Feindjäger zu treffen!
Spätere Modelle – vor allem die am stärksten vertretene B-25 J, welche Ende 1943 in Serie geht – korrigieren diesen Nachteil. Der obere Rumpfturm wird nach vorne versetzt, der untere einziehbare Waffenstand entfällt. Im Heck wird dafür ein Zwillings-MG als konventioneller bemannter Heckstand eingebaut. Weitere Abwehr-MGs feuern aus den Rumpfflanken (eines pro Seite), und am Vorderrumpf seitlich werden ähnlich zur B-26 vier zusätzliche, fest in Flugrichtung feuernde 12,7-mm-Maschinengewehre in aufgesetzten Ausbuchtungen installiert. Zusammen mit den beiden bereits in den C- und D-Modellen vorhandenen Bug-MGs ist dies eine beträchtliche Feuerkraft nach vorne für Tiefangriffe.
Die H-Version steigert dies noch durch einen soliden Rumpfbug anstelle der verglasten Variante. Sie ist speziell für Bodenangriffe und zur Schiffsbekämpfung gedacht. Im Rumpfbug sind nun noch einmal vier schwere 12,7-mm-Maschinengewehre und ein 75-mm-Geschütz installiert. Die Gesamtbewaffnung besteht dadurch aus einer 7,5-cm-Kanone und 14 MGs, davon sind acht fest nach vorne feuernd eingebaut.
Die deutsche Ju 88 C – als Beispiel sei die C-6 definiert – verfolgt ein ähnliches Konzept mit einer ebenfalls soliden Rumpfnase als Waffenplattform. Drei 20-mm-Kanonen und drei 7,92-mm-Maschinengewehre bilden die Offensivbewaffnung. Furchterregend genug, doch nicht vergleichbar!
North American B-25 C-1-NA „Mitchell“ der 434th Bomb Squadron/12th Bomb Group im Jahr 1943.
Am 2. September 1943 haben es die Deutschen bei Neapel mit „normalen“ Bomberversionen der B-25 zu tun. Feldwebel Horst Schlick fliegt in der 1. Staffel des JG 77. Er beschreibt den Einsatz so (in die Zeit Präsens transferiert *10):
„Ich führe die Staffel zum Einsatz gegen einen bei Neapel gemeldeten Feindverband. Mit uns fliegt die 12./JG 3, die mit 21-cm-Raketen unter den Flächen eingesetzt wird. Hart nördlich von Neapel sichten wir die Bomber in 2.500 Meter Höhe, als diese gerade auf Westkurs drehen; es sind Mitchells mit Begleitschutz durch 16 P-38. [Anmerkung des Autors: die Mehrzahl der Quellen nennt 20 Lightnings].
Ich befehle der 12./JG 3, auf die Bomber zu gehen, und wir nehmen uns die Lightnings vor. Was sich in den nächsten 20 Minuten abspielt, wird mir immer unvergessen bleiben. Schon am Strand fällt die erste Lightning ins Meer; wir drücken sie in den Tiefflug, bringen sie vollkommen durcheinander und dann treffen unsere Schläge. Ich komme hinter eine einzeln fliegende P-38; schon ein kurzer Feuerstoß genügt, sie brennt neben dem rechten Motor, versucht noch eine Notwasserung, unterschneidet dabei die Wasseroberfläche und verschwindet. Einzelne Teile brennen auf dem Wasser weiter.
Auch der nächste, der 28., [Anmerkung des Autors: gemeint ist der insgesamt 28. Abschuss des Feldwebels seit Beginn seiner Einsätze] kommt mir vor die Rohre, macht keine Abwehrbewegungen, sondern stürzt senkrecht ab, schlägt auf und hinterlässt nur noch zwei Schaumkreise, vermutlich durch die beiden Rümpfe. So wird ein Yankee nach dem anderen in die Tiefe geschickt; als der Rest von acht P-38 versucht, auf Höhe zu gehen, rufe ich schnell über FT [Anmerkung: Sprechfunk] durch: ‚Absetzen, steigen!’. Alles folgt sofort, unerhört diszipliniert, und wieder geht es hinein in den Haufen.
Ihre Flucht wird ihr Verhängnis und der Weg wird durch Aufschläge gekennzeichnet. Ich sehe keinen mit dem Fallschirm abspringen. Als mein Benzin zur Neige geht, fliege ich heim; vor dem Erreichen der Küste höre ich noch die helle Stimme von Leutnant Licha: ‚ ... und nun noch den letzten!’
North American B-25 J-1 „Mitchell“ der 467th Bomb Squadron/340th Bomb Group in 1944/1945.
Danach ist das FT nur noch von einer jubelnden Meute besetzt, die in Richtung San Severo fliegt. Fast alle wackeln, Licha und ich zweimal [Anmerkung des Autors: das Wackeln mit den Tragflächen beim Überflug des eigenen Flugplatzes vor der Landung signalisiert einen erfolgreichen Abschuss].
Der Kommodore hat sich das Schauspiel aus der Ferne angesehen, kommt sofort rüber und fragt nach dem Einsatzführer. Als er hört, dass ich das gewesen sei, sagt er zu seinem Adjutanten, Leutnant Baumann: ‚Vielleicht habe ich den Schlick vorgestern doch ohne Grund fertiggemacht, denn was er heute bewiesen hat, ist ganz enorm!’
Ich stehe gerade zusammen mit allen Flugzeugführern, die lachen und von ihrem Einsatz erzählen und mir danken, dass ich den Angriff so gut geführt hätte, als der Kommodore zum Telefon gerufen wird. Lachend kommt er zurück und gratuliert mir, es läge eine Meldung vor, wonach Leutnant Gehring von einem italienischen Fischer geborgen worden sei und den Abschuss meiner Liberator vor zwei Tagen bestätigt habe. Drei Fliegen mit einem Streich: die B-24 und nun zwei P-38 als Abschüsse Nummer 26–28.
Nur eine Dienststelle hat an unserem letzten Einsatz etwas auszusetzen, und das ist die Bodenfunkstelle des Geschwaders; der N.O. ruft an und will mich in scharfen Worten wegen der Disziplinlosigkeit im Funksprech nach dem Luftkampf rügen. Als ich ihm nach kurzem Hinhören entgegne, dass wir bei einem solchen Erfolg auch in Zukunft immer wieder toben würden, ist er sprachlos und hängt ein. Wir aber ziehen an die Bar und trinken bis in den frühen Morgen hinein, denn ein Grund ist wirklich vorhanden. Sogar der neue Kommandeur, Hauptmann Burkhardt, kommt unverhofft und trinkt mit.“
Lockheed P-38 „Lightning“ in der Version H-5 aus der fraglichen Zeit Herbst 1943, die sich von den G- und F- Modellen äußerlich kaum unterscheidet. Die Maschine gehört zur 343rd Fighter Squadron/55th Figther Group („Double Trouble“), geflogen von Lieutenant Larry Szelznik.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass der derartig erfolgreiche Verlauf eines Luftgefechtes im Herbst 1943 für die Piloten nicht die Regel darstellt, daher ist die Begeisterung verständlich. Oft ist die Bilanz positiv, doch selten in diesem Ausmaß. Ausnahmsweise einmal hatte zahlenmäßig ein Gleichstand bestanden – 60 Messerschmitt gegen 20 P-38 und 40 B-25. Für die Luftkämpfe Jäger gegen Jäger stand es sogar 3 : 1 zu Gunsten der Luftwaffe – ein seltenes Zahlenverhältnis in diesen Tagen. Entsprechend einseitig ist das Endresultat. Man muss den Lightning-Piloten zugestehen, dass sie ihre Aufgabe, die Bomber zu schützen, erfüllen konnten – und sei es durch die Tatsache, dass sich die Deutschen offenbar bevorzugt mit den P-38 „beschäftigt“ hatten. Keine der Mitchells wird abgeschossen. Dafür aber zehn P-38 „Lightning“ der 82nd Fighter Group. Der Preis für den Begleitschutz ist ziemlich hoch.
Auf deutscher Seite werden drei Piloten vermisst, zwei weitere müssen mit dem Fallschirm aussteigen, werden aber bald und nur leicht verletzt geborgen. Im Ergebnis sind dies fünf zerstörte Jagdflugzeuge und drei gefallene Piloten. Eine nicht mitgezählte Landung mit reparablem 10-%igen Schaden ohne Verletzung des Piloten trübt die angegebene Bilanz nur am Rande. Ferner fällt ein weiterer deutscher Jagdflieger weit entfernt im Süden bei Tropea im Luftkampf mit Spitfires (I./JG 53).
Dem stehen 23 Abschussmeldungen der 82nd FG gegenüber. Eine enorme Diskrepanz zu den fünf tatsächlichen US-Erfolgen.
2. September 1943
Flugzeugtyp: |
Messerschmitt Bf 109 G-6/R6 trop |
Nationalität: |
Luftwaffe |
Einheit: |
6. Staffel (II. Gruppe)/JG 53 |
Pilot: |
Leutnant Alfred Hammer (Abschuss einer P-38 am 2.9.1943 über dem Luftraum von Neapel/Insel Ischia) |
Stationierung: |
Cancello/Italien |
Flugzeugtyp: |
Lockheed P-38 G-10 „Lightning” |
Nationalität: |
US-Air Force /12th Air Force AAF |
Einheit: |
96th Fighter Squadron/82nd Fighter Group |
Pilot: |
beispielsweise (u.a.) 2nd Lieutenant Frank W. Dennison (gefallen am 2.9.1943 in seiner P-38 G-10 mit Seriennummer 42-12932 über Neapel) |
Stationierung: |
Sizilien/Italien |
Hinweis: die Karte zeigt im Gegensatz zu den Frontverlaufskarten den Nachkriegsgrenzverlauf (Kroatien u.a.), da hier die Lokalisation des Ortes aus heutiger Sicht im Vordergrund steht.
Messerschmitt Bf 109 G-6/R6 trop, 6./JG 53, Leutnant Alfred Hammer, Staffelkapitän, Cancello, August 1943.
P-38 G-10 „Lightning“, 96th Fighter Squadron /82nd Fighter Group, Profil nach Originalfotos vom Herbst 1943. Die P-38 G-10 mit Produktionsnummer 42-13201 ging am 8. Januar 1944 verloren (MACR 1815).
Auf deutscher Seite finden sich 18 Luftsiegmeldungen in Relation zu zehn tatsächlichen Verlusten der 82nd Fighter Group. Immerhin auch hier „im Eifer des Gefechtes“ acht mehr, als den tatsächlichen Verhältnissen entspricht. In gewissem Rahmen mag dies auf beiden Seiten darauf zurückzuführen sein, dass mehrere Piloten denselben Gegner treffen und sich zuordnen.
Die gelisteten Schützen der I./JG 77 sind: Oberleutnant Strasen (eine P-38), Feldwebel Schlick (zwei P-38), Leutnant Licha (zwei P-38), Feldwebel Vogel (eine P-38) und Unteroffizier Heuer (eine P-38).
Die beiden Gruppen II. und III./JG 53 steuern sechs bestätigte Abschüsse bei, unter anderem je einen durch Hauptmann Krauss (4./JG 53) und den Staffelkapitän der 6./JG 53, Leutnant Alfred Hammer. Es ist sein neunter Erfolg. Zwei Abschüsse der II./JG 53 sind anonyme Gruppenerfolge, die Namen der III. sind Unteroffizier Georg Amon (7./JG 53) und Leutnant Rolf Klippgen (Stab III./JG 53).
Die IV./JG 3 erhält weitere fünf abgeschossene P-38 zugestanden. Oberleutnant Gustav Frielinghaus ist zweimal erfolgreich, Leutnant Hermann Schmied, Unteroffizier Egon Schulz und Feldwebel Rasso Förg treffen je einmal vernichtend.
Die geschilderte Freude der Flugzeugführer von der I./JG 77 dürfte bei allem Jubel etwas getrübt sein durch die Tatsache, dass Unteroffizier Heinrich Merkel nicht von diesem Feindflug wiederkehrt. Er bleibt in seiner Me 109 G-6 ( , Werknummer 160025) verschollen.
Mehr Glück haben die beiden Piloten des JG 53, welche nach Treffern mit dem Fallschirm abspringen. Es sind Feldwebel Eugen Kurz (Werknummer der G-6: 18618, Kennung unbekannt) und Feldwebel Hans Feyerlein (Werknummer der G-6: 18617, Kennung unbekannt). Beide gehören zur 6. Staffel der II. Gruppe. Die Erleichterung unter den Jagdfliegern der Staffel ist verständlicherweise groß, als ein dreimotoriges Flugboot Do 24 der 6. Seenotstaffel mit Begleitschutz einiger Me 109 der 6./JG 53 unter Führung von Leutnant Hammer die beiden Kameraden später aus dem Mittelmeer fischt.
Umso größer ist die Bestürzung bei der III. Gruppe des JG 53. Die Männer vermissen den Staffelkapitän der 8. Staffel, Oberleutnant Franz Schiess. Schiess ist bei seinen Kameraden sehr beliebt. Er führt die Staffel mit einer fürsorglichen Ader seinen Leuten gegenüber, gleichzeitig ist er in der Luft ein mitreißender Kämpfer und guter Staffelführer.
Das JG 53 war in etwa 5.000 Meter Höhe an den amerikanischen Verband geraten – knapp westlich des Vesuvs. Der verbissene Luftkampf hatte sich bis 13.45 Uhr hingezogen, zunächst oberhalb der Küste am Himmel über Neapel, dann bis hin zur Insel Ischia und noch 30–40 Kilometer weiter in südwestlicher Richtung. Unterhalb der miteinander ringenden Jagdflieger waren die Mittelstreckenbomber auf die See hinaus abgeflogen.
Das letzte, was man von Franz Schiess, einem Jäger-Ass mit 67 Abschüssen, hört, ist ein Funkspruch: „Noch einmal hinein, alles fertigmachen!“
Danach verliert sich seine Spur und die der mit der Werknummer 160022. Sein Rottenflieger hatte ihn aus den Augen verloren, als er selber von zwei P-38 abgedrängt wurde.
Jäger und Seenotmaschinen suchen am Nachmittag das gesamte Seegebiet ab. Franz Schiess bleibt verschwunden.
Die IV./JG 3 verliert einen Piloten der 12. Staffel in jenem Luftkampf. Es ist Feldwebel Friedrich Porth ( Werknummer 18620). Auch von ihm fehlt seither jede Spur.
Am Boden wappnen sich die gegnerischen Parteien für den nächsten Schlagabtausch. In Nordafrika stellen die Amerikaner eine neue Armee auf – die 5. US-Armee unter Lieutenant General Mark Clark. Die 7. US-Armee wird zunächst von der Front abgezogen, ihr nächster Einsatz wird erst im August des Jahres 1944 die Invasion Südfrankreichs sein. Lieutenant General George Patton gibt das Kommando an Major General Alexander Patch ab, der sich bei der Eroberung Guadalcanals gegen die Japaner im Pazifik einen Namen gemacht hatte. Der Wechsel im Oberkommando der 7. Armee erfolgt nicht ganz freiwillig. General Eisenhower hatte eine Entschuldigung Pattons bei den tätlich angegangenen Soldaten und dem beteiligten Lazarettpersonal durchgesetzt. Dennoch bleibt George Patton auch danach im Zwielicht, da ein anderer Vorfall indirekt mit ihm in Verbindung gebracht wird.
Eine persönliche Schuld an diesem Exzess wird dem Lieutenant General zwar nicht unterstellt. Allerdings werden seine patriotisch aufpeitschenden aggressiven Reden für ein angeheiztes Klima mitverantwortlich gemacht, welches zu zwei nicht tolerierbaren Entgleisungen seiner Männer führt. Nach der Eroberung des Flugfeldes von Biscari in Sizilien am 14. Juli 1943 fallen 34 Italiener und zwei Deutsche in die Hände des 180th Regimental Combat Team, 45. US-Division. Die Gefangenen sind unbewaffnet. Wenig später sind sie alle tot. Erschossen.
Einige Zeit danach ereilt dasselbe Schicksal weitere 40 italienische Kriegsgefangene.
Die Verantwortlichen werden zur Rechenschaft gezogen, allerdings nicht allzu streng bestraft. Sergeant Horace West wird seines Ranges enthoben, zu lebenslanger Haft verurteilt, dann aber entlassen. Captain John T. Compton wird sogar freigesprochen und lediglich in eine andere Einheit versetzt, in der er später in Italien im Kampf fällt. Er behauptet, befehlsgemäß gehandelt zu haben.
Dennoch muss den Amerikanern ein funktionierendes Rechtssystem und eine kritische Presse zugestanden werden, dem auf deutscher Seite von Staats wegen nichts annähernd Vergleichbares an öffentlichem Gewissen gegenübersteht. Dagegen besteht bei den „ausführenden Personen“, nämlich den gegen die Westalliierten kämpfenden Deutschen in den Funktionen der Offiziere, Soldaten und Piloten, in vielen Fällen ein erheblich ausgeprägteres Gefühl für militärische Fairness und Achtung vor dem Gegner, als dies bei den gegen die „Nazis“ aufgehetzten Amerikanern der Fall ist. Dies manifestiert sich beispielsweise bei der immer wiederkehrenden Frage, wie man mit am Fallschirm abspringenden, nun wehrlosen feindlichen Piloten umgeht. Sofern die über eigenem Gebiet abspringen, ist deren „Killen“ militärisch logisch. Dasselbe gilt für notgelandete Besatzungen. Im Gegensatz zu den allermeisten Deutschen haben diverse (nicht alle!) amerikanische Jagdflieger da keine Hemmungen.
Dass auch die deutsche Seite beileibe keine unbefleckte weiße Weste trägt, wird in einem späteren Kapitel am Beispiel der Kampfgruppe des SS-Obersturmbannführers Peiper deutlich. Das nach heutigem Wissen höchstwahrscheinlich unbeabsichtigt und ungeplant entstandene, dann aber zur regelrechten Hinrichtung ausartende Massaker einiger SS-Soldaten an amerikanischen Kriegsgefangenen löst einen Aufschrei und tödliche amerikanische Vergeltung an gefangenen deutschen Soldaten aus.*11
Captain Compton verteidigt sich mit einer Rede, die Patton vor der Invasion Siziliens gehalten hatte: „When we land against the enemy, don‘t forget to hit him and hit him hard. When we meet the enemy we will kill him. We will show him no mercy. He has killed thousands of your comrades and he must die. If you company officers in leading your men against the enemy find him shooting at you and when you get within two hundred yards of him he wishes to surrender – oh no! That bastard will die! You will kill him. Stick him between the third and fourth ribs. You will tell your men that. They must have the killer instinct. Tell them to stick him. Stick him in the liver. We will get the name of killers and killers are immortal. When word reaches him that he is being faced by a killer battalion he will fight less. We must build up that name as killers.”
“Wenn wir gegen den Feind an Land gehen, vergesst nicht, ihn zu treffen – und trefft ihn hart! Wenn wir auf den Feind treffen, werden wir ihn töten. Wir werden keine Gnade zeigen. Er hat Tausende Eurer Kameraden umgebracht, und er muss sterben. Wenn Ihr Kompanieführer Eure Leute gegen den Feind führt und ihn auf Euch schießen seht, und wenn Ihr bis auf 200 Meter an ihn herankommt und er sich ergeben will – oh nein! Dieses Schwein wird sterben! Ihr werdet ihn töten! Ramme ihm das Bajonett zwischen die dritte und vierte Rippe! Ihr werdet Euern Männern das sagen! Sie müssen den Killer-Instinkt haben. Sagt Ihnen, sie sollen zustechen! Stecht sie in die Leber! Wir werden den Ruf von Killern ernten und Killer sind unsterblich. Wenn es sich beim Feind herumspricht, dass er einem Killer-Bataillon gegenübersteht, wird er weniger kämpfen. Wir müssen diesen Ruf als Killer aufbauen!“
Mit welcher Logik allerdings ein deutscher Soldat weniger entschlossen kämpfen wird, der weiß, dass er angeblich ohne Gnade umgebracht wird, falls er sich ergibt, bleibt das Geheimnis von Lieutenant General George Patton ...
Jedenfalls erntet er selber durchaus die Reputation eines Haudegens und führenden Generals der Amerikaner bei den deutschen Stäben. Als Eisenhower dies erfährt, schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe. Er entbindet George Patton von seinem Kommando und befriedigt damit die amerikanische Öffentlichkeit in gewissem Maße. Andererseits gibt er ihm aber ein neues Betätigungsfeld. Patton erhält den Oberbefehl über die angeblich bei Dover stationierte 1. US-Armeegruppe. Der deutsche Nachrichtendienst beobachtet dies aufmerksam! Und zieht seine nahe liegenden Schlüsse.
Wenn diese 1st US Army Group von Amerikas bestem Armeegeneral geführt wird, dann wird sicherlich dort, am Pas de Calais, die erwartete anglo-amerikanische Invasion Frankreichs erfolgen. Aufklärer stellen dann folgerichtig im fraglichen Zeitraum des Jahres 1944 eine enorme Konzentration feindlicher Einheiten bei Dover fest. Dass diese Panzer, Fahrzeuge und Flugzeuge aus Pappmaschee bestehen, ahnen sie nicht. Patton kommandiert eine Geisterarmee, und Hitler fällt prompt darauf herein. Vielleicht hätte er die Tricks seines berühmtesten Heerführers, des Wüstenfuchses, studieren sollen!
Doch dies sei anhand der Person George Pattons an dieser Stelle lediglich vorweggenommen.
Inzwischen stellt sich die Frage des weiteren Vorgehens im Mittelmeerraum für die alliierten Planungsstäbe neu. Sizilien ist erobert, die Schifffahrtsrouten von Gibraltar nach Malta und Suez sind weitgehend gesichert. Die Amerikaner hatten dies als ihr einziges Ziel angesehen, wonach alle Kräfte auf die bevorstehende Invasion Frankreichs zu konzentrieren und zu verlagern seien – die Landung in der Normandie, nicht am Pas de Calais, wie man den Deutschen erfolgreich suggeriert.
Churchill hatte von Anfang an ehrgeizigere Pläne im Süden des Kontinents gehegt. Daher erfüllt es ihn mit tiefer Genugtuung, als er erfährt, dass Benito Mussolini nach 21 Jahren Diktatur abgesetzt, verhaftet und am 25. Juli 1943 von einem Mann abgelöst wird, der den Alliierten hinter Hitlers Rücken die Kapitulation Italiens anbietet. Feldmarschall Badoglio hat allerdings – nicht ganz zu Unrecht – Angst um sein eigenes Leben, und bittet daher seine neuen Bündnispartner, am Tage der Bekanntgabe des italienischen Seitenwechsels mit einem Luftlandeunternehmen Rom zu besetzen. Badoglio fürchtet, mitsamt der königlichen Familie von den Deutschen an die Wand gestellt zu werden.
Eisenhower erwägt die Luftlandung tatsächlich, doch eine Überprüfung der Lage vor Ort durch den inkognito nach Rom entsandten General Maxwell Taylor ergibt, dass die Italiener nicht in der Lage sein werden, ihre Flugplätze gegen die Deutschen zu behaupten. Eine groß angelegte Seelandung der Alliierten bei Rom ist kräftemäßig nicht durchführbar. Sieben kampferprobte Divisionen – vier amerikanische und drei britische – sollen mitsamt einer großen Anzahl von Landungsbooten nach England verschifft werden. Was bleibt, reicht allenfalls für ein Landeunternehmen von sechs Divisionen. Andererseits – es weckt schon Ambitionen, dass die Italiener geradezu zum Einmarsch in ihr Land einladen. Allmählich freunden sich die Amerikaner mit dem Gedanken an. Er wird zum Plan. Ein Plan, der zeitlich mit der Veröffentlichung der italienischen Kapitulation koordiniert wird. Rom lockt ...
Churchill hat indes seine Hoffnung, die Türken auf die alliierte Seite zu ziehen, nicht aufgegeben. Er rechnet nicht mit allzu viel Widerstand der italienischen Truppen auf den seit dem Jahr 1923 zu Italien gehörenden Inseln des Dodekanes direkt vor der türkischen Küste im ägäischen Mittelmeer. Das muss er auch nicht, da er den Zeitpunkt seines Eingreifens hinter den italienischen Bündnisabfall legt. Daher lässt er britische Truppen auf den Inseln Kos, Samos und Leros am 9. beziehungsweise 16. September 1943 unter dem Schutz amerikanischer Langstreckenjäger des Typs P-38 an Land gehen (1st und 14th US Fighter Group). Doch Winston Churchill unterschätzt die deutschen Einheiten in Griechenland.
Die organisieren sofort eine Gegeninvasion. Mit Hilfe von Seelandungen und Luftlandungen durch Fallschirmjäger gehen die deutschen Verbände überraschend entschlossen gegen die Briten und ihre neuen italienischen Verbündeten vor. Dabei gelingt es, den britischen Minenräumer BMYS-72 aufzubringen. So gelangen die Funk-Codes der Royal Navy in deutsche Hände. Eine wertvolle Beute.
Ende Oktober 1943 sind die ägäischen Inseln zurückerobert und jetzt fest in deutschem Besitz. Die englische Marine – Royal Navy – erleidet erneut durch die deutsche Luftwaffe empfindliche Verluste. 900 britische und 3.000 italienische Soldaten werden außerdem gefangen genommen. Eine schwere Schlappe der Engländer! Und Churchill sieht sich verstecktem amerikanischen Spott ausgesetzt.
Einige der in der Ägäis versenkten oder beschädigten alliierten Schiffe fallen dabei einer neuen deutschen Waffe zum Opfer. Die Zerstörer HMS „Intrepid“, RHS „Vasillisa Olga“ und HMS „Dulverton“ werden durch ferngelenkte Hs 293-Gleitbomben versenkt, der Zerstörer HMS „Rockwood“ beschädigt.