Der Sieg über die Franzosen wird gefeiert. Hitler ist in Hochstimmung. Am 19. Juli 1940 hält der deutsche Reichskanzler in der Berliner Krolloper eine flammende Rede. „Noch einmal“ richte er einen Appell an die Vernunft in England, so wirbt er öffentlich. „Ich sehe keinen Grund, der zur Fortsetzung dieses Kampfes zwingen könnte. Ich bedaure die Opfer, die er fordern wird!“ Dieser Kampf könne nur mit der vollständigen Vernichtung eines der beiden Gegner enden, erkennt Adolf Hitler. Die Engländer mögen glauben, dies werde Deutschland sein. Er aber wisse, es werde England sein!
Die Antwort der Briten ist vorhersehbar. Klein beigeben? Niemals!
Folgerichtig war bereits drei Tage vorher in Berlin die „Weisung Nr. 16“ ergangen, die eine Invasion Englands vorsah für den Fall, dass die Briten – wie zu befürchten war – nicht einlenken würden. Doch das stellt die deutsche Militärorganisation vor eine nur sehr schwer lösbare Aufgabe. Keine der drei Wehrmachtteile Marine, Heer oder Luftwaffe ist auch nur ansatzweise auf ein derartiges Unternehmen vorbereitet. Deutschland ist eine Landmacht mit einer starken Marine, aber keine Seemacht!
Um eine maritime Landungsoperation durchführen zu können, sind bestimmte Voraussetzungen nötig. Die allererste ist die, dass die Soldaten, Geschütze, Fahrzeuge und Panzer schließlich irgendwie über das Wasser des Ärmelkanals auf die britische Insel gelangen müssen. Und dann an Land gehen müssen, vermutlich im feindlichen Abwehrfeuer. Was in ungeschützten Booten schwerste Verluste bedeuten kann. Nun, das ist im Moment nur in mäßigem Umfang zu befürchten – schließlich liegt der allergrößte Teil der schweren Waffen Großbritanniens in Frankreich, vor allem am Strand von Dünkirchen, in Trümmern. Womit wollen die also feuern? Doch das zu ändern, ist lediglich eine Frage der Zeit! Die britische Kriegsindustrie produziert fieberhaft, und auch über den Atlantik treffen Hilfsgüter und Treibstoffe ein. Mit Schiffs-Konvois, den gefährlichen deutschen U-Boot-„Wolfsrudeln“ zum Trotz. Deren Erfolge in Zusammenarbeit mit den Fernaufklärern des Typs Focke-Wulf 200 berechtigen allerdings die deutsche Führung zu der trügerischen Hoffnung, England zunehmend isolieren zu können – und Winston Churchill bereiten sie schlaflose Nächte! Er wird einmal sagen, dass ihn während des gesamten Krieges nichts so besorgt hätte wie die Schiffstonnageverluste durch deutsche Unterseeboote.
Focke-Wulf Fw 200 C-1 „Condor“ Seefernaufklärer. Spätere Modelle erhalten einen hydraulisch betätigten Drehturm oben auf dem Vorderrumpf statt dem hier noch vorhandenen Schützenstand mit einem einzelnen Maschinengewehr. Dieser Turm ist mit einem MG oder einer Kanone bestückt. Insgesamt sind es bis zu sechs Abwehrwaffen. Der Fernaufklärer kann eine Bombenlast von 2.100 kg mit sich führen. Mit den Bomben werden anfangs viele alliierte Schiffe versenkt.
Dennoch – die Stunde ist so günstig wie noch nie! Also sollte man wenn, dann schnell in England landen. Na gut – auch hier taucht jenes Wort auf – womit? Es gibt keine Landungsbootflotte in der deutschen Kriegsmarine, nur Fähren, Prahme, Frachter, Motorboote und ähnliches improvisiertes Schwimmgerät. Höchst verwundbare lahme Gefährte. 3.064 dieser schwimmenden Untersätze werden zusammengezogen – das dauert seine Zeit. Und es ist eine wenig vertrauenerweckende Armada!
Wehe denen, die auf diesem Sammelsurium von Schiffen den Geschützen der Royal Navy vor die Rohre kämen. Was natürlich die deutsche Kriegsmarine zu verhindern hätte. Sowohl der deutsche Überfall auf Norwegen als auch die britische Evakuierungsaktion von Dünkirchen hatten gezeigt, was alles mit guter Improvisation und Organisation zu schaffen ist. Aber andererseits: dieses Mal ist England das Ziel. Einfach wird es mit den vorhandenen Mitteln ganz gewiss nicht. Eine gewisse Vorbereitungszeit ist für solch einen Kraftakt nötig. Und wer in einem direkten Schlagabtausch zwischen einer verzweifelt um ihre Heimat kämpfenden britischen Home Fleet (Heimatflotte) und der deutschen Kriegsmarine die Oberhand behalten würde, das bleibt abzuwarten. In Norwegen hatte die deutsche Marine die Hälfte ihrer Zerstörer verloren – allerdings die Briten ebenfalls sehr hart getroffen. Ein Patt!
Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, denn England erholt sich von Tag zu Tag schneller.
Hitler, dessen diesbezügliches Gespür noch vor Wochen zu einem schnellen Angriff auf Frankreich drängte, gehorcht nun seinem Verstand nur sehr widerwillig. Er mag einfach nicht in England landen. Schön, wenn es denn sein muss! Aber eigentlich will er nicht. Unnötige Zeitverschwendung, diese störrischen Briten! Außerdem – was wäre denn, wenn? Wenn man die Briten geschlagen hätte? Dann müssten deutsche Truppen endlos lange Strände der gesamten britischen und (nord-) irischen Küsten sichern! Denn auch dann kann man sich ja nicht sicher sein, dass die Engländer wirklich aufgeben. Man muss ja doch in Betracht ziehen, dass sie von ihren vielen Besitzungen in Übersee aus mit den Truppen der verbündeten Südafrikaner, Australier, Kanadier, Inder und so weiter einen Versuch der Rückeroberung unternähmen. Zumindest dann, wenn die Küsten schlecht oder nicht gesichert wären. Also müsste man sie ausreichend sichern. Mit Truppen, die Hitler anderswo benötigt! Hitler hatte von Anfang an andere Intentionen, als die Engländer zu bekriegen! Bereits am 31. Juli 1940 verblüfft Hitler den Oberbefehlshaber des Heeres Walther von Brauchitsch, seit 19. Juli 1940 Generalfeldmarschall, mit einer kühnen Idee. England werde doch sicher aufgeben, wenn man den Briten ihre letzte Hoffnung nähme?! Wie wäre es damit, Englands „Festlandsdegen“ anzugreifen, Sowjetrussland – je schneller, desto besser, am besten noch in diesem Jahr ...? Mit den russischen Bodenschätzen in der Hand wäre das Deutsche Reich fast unangreifbar, argumentiert Hitler. Und Churchill wäre in Europa endgültig isoliert.
Die Vorbreitungen für das Unternehmen „Seelöwe“, die deutsche Invasion der britischen Insel, laufen dennoch unvermindert weiter. Der früheste Termin, den die Marine nennt, ist Mitte September 1940. Ausgerechnet der Beginn der Herbststürme im Kanal! Das Unbehagen in den deutschen Planungsstäben wächst.
Eine weitere Voraussetzung für eine erfolgreiche Landungsoperation ist ebenfalls klar: die deutsche Luftherrschaft. Auch hier ist Dünkirchen allen gut vor Augen: jede Invasionsflotte ist aus der Luft extrem verwundbar. Ferner müssen die britischen Kriegsschiffe unter allen Umständen von den deutschen Truppentransportschiffen ferngehalten werden. Auch dies ist eine Aufgabe, die die deutsche Kriegsmarine nur mit Hilfe einer Luftüberlegenheit, wenn nicht gar Luftherrschaft garantieren kann.
Das lässt nur einen Schluss zu: die Royal Air Force muss verschwinden! So gründlich und radikal wie möglich! Die britischen Jäger und Bomber müssen unter allen Umständen vom Himmel gefegt werden! Erst dann kann die Landungsoperation gewagt werden – die unter den Bedingungen einer Luftherrschaft allerdings nach Stand der Dinge gegen die verbleibenden britischen Truppen auf der Insel kaum misslingen kann. Wenn das Übersetzen selbst gelingen sollte, womit unter solchen Voraussetzungen zu rechnen ist, ist es gelaufen. Ist der erste Hafen gesichert in deutscher Hand, sind die Briten verloren – trotz der Verstärkungen, die sie inzwischen aus Kanada mit Schiffen bereits erhalten!
Für den frisch gebackenen Reichsmarschall Hermann Göring ist das kein Problem. Er traut sich sogar zu, mit seiner Luftwaffe alleine England „friedensreif“ zu bomben. Welche Überheblichkeit.
In sechs Wochen werde „seine“ Luftwaffe die Royal Air Force erledigt haben ...
„Seine“ Luftwaffe allerdings hatte immerhin während der Kämpfe in Frankreich bei allem Bravour ihrer glanzvollen Erfolge auch ein paar Schrammen abbekommen. Über 1.100 Flugzeuge waren abgeschossen worden, 200 weitere waren durch Unfälle ausgefallen. 145 weitere Flugzeuge sind derzeit beschädigt. Die Erholungspause tut den deutschen Staffeln ohne Zweifel gut. Doch eben nicht nur ihnen. Und im Verhältnis zur verbliebenen Schlagkraft ist die Regeneration der Royal Air Force erheblich gefährlicher, als eine Auffrischung auf deutscher Seite die Einsatzfähigkeit der Luftwaffe erhöht.
Den deutschen Blessuren während der Eroberung Frankreichs stehen alleine auf britischer Seite 1.029 Verluste gegenüber, unter ihnen 446 Jäger, davon wiederum waren 219 in England gestartet. Die Verluste der Armée de l’Air betragen 892 Flugzeuge, davon sind 508 Jagdflugzeuge.
Die Briten rüsten seither mit Hochdruck auf. Seit Wochen rechnen sie mit der Invasion. Was um aller Welt ist denn in Adolf Hitler gefahren? Es scheint fast, als mache der deutsche Reichskanzler Urlaub? Die unverhoffte Galgenfrist gibt Air Chief Marshall Sir Hugh Dowding, dem Kommandeur der britischen Jagdstreitmacht „Fighter Command“, die Gelegenheit, seine Jägerflotte wieder auf Sollstärke zu bringen. Nun wirkt sich Trenchards Weitsicht aus. Ein System von „Schattenfabriken“ war vorhanden, Produktionsanlagen, die in wohl vorbereiteter Weise schnell auf die Flugzeugproduktion umgestellt oder aktiviert werden konnten. Die britische Flugzeugindustrie kann in kürzester Zeit mit der deutschen mithalten, eher überflügelt sie diese sogar. Lord Beaverbrook, den Winston Churchill zum Minister für Flugzeugproduktion ernannt hatte, bringt diese in Rekordzeit auf Hochtouren. Auch die Tagbomberflotte muss wieder auf Vordermann gebracht werden – schnell! Ihre Bomben müssen die deutsche Invasionsflotte versenken – so viele Schiffe wie möglich. Mit den Invasionstruppen an Bord!
Schwieriger ist es schon, gute Piloten auszubilden – in kurzer Zeit! Oder einigen neuerdings vorhandenen bereits kampferfahrenen Piloten so etwas wie britische Disziplin und ein Minimum an Sprachkenntnissen beizubringen. Beispielsweise rachedurstigen Heißspornen wie Polen, Norwegern, Tschechen, Franzosen, Belgiern, und was noch alles einen Steuerknüppel halten kann ...
Anfang Juli 1940 stehen der Royal Air Force 640 einsatzbereite Jagdflugzeuge samt Flugzeugführer zur Verfügung. Es sind 199 Supermarine „Spitfire“, 347 Hawker „Hurricane“ und 25 Boulton-Paul „Defiant“. Die übrigen Maschinen, zweimotorige schwere Jäger des von der Bombervariante auf Jagdeinsätze umgebauten Typs Bristol „Blenheim“, sollten sich im Jagdeinsatz bei Tage als ebenso zweifelhaft im Wert erweisen wie ihre Gegenstücke, die deutsche Junkers Ju 88 C oder die Messerschmitt Bf 110, die allerdings etwas potenter sind. Bei Tiefangriffen oder in der Nacht ist das eine andere Sache.
So gesehen addiert sich die Jagdstreitmacht der Briten auf 571 einmotorige Jagdflugzeuge (incl. der 25 Defiants). Denen stehen auf deutscher Seite 790 einmotorige Messerschmitt Bf 109 E gegenüber. Ergänzt um 260 zweimotorige Messerschmitt Bf 110 und Junkers Ju 88 C. Sie haben 280 Junkers Ju 87 B-Sturzkampfbomber und 1.300 Horizontalbomber der Typen Heinkel He 111, Dornier Do 17 und neuerdings Junkers Ju 88 zu beschützen, von denen die Ju 88 auch sturzflugtauglich sind. Es werden an dieser Stelle häufig Gesamtzahlen gegenübergestellt: „571 britische Jäger gegen 2.630 deutsche Flugzeuge“. Eine solche Relation ignoriert jedoch die Tatsache, dass die Bordschützen der verwundbaren Bomber und – wie sich herausstellen sollte – auch die Besatzungen der Me 110-Zerstörer nur wenig zur Dezimierung der Jäger des Fighter Command beitragen werden. Zumal dann auch berücksichtigt werden müsste, dass ein Teil der deutschen Verluste der britischen Flak-Abwehr zuzuschreiben ist. Und – was ist mit den britischen Bombern im Gegenzug? Nein, der entscheidende Schlagabtausch findet zwischen Hurricanes, Spitfires und Messerschmitt Bf 109 statt! Deren Zahl, die Relation der einmotorigen Jagdflugzeuge zueinander, und deren Abschusserfolge entscheiden. Somit „steht es“ 546 (ohne die Defiants) gegen 790. Diese Sicht hat allerdings erneut einen „Haken“, denn ein großer Teil der britischen Jäger wird durch Angriffe auf deutsche Bomber gebunden und damit vom Luftkampf gegen den Me 109-Begleitschutz abgehalten. So betrachtet gilt wieder die Gesamtrelation.
Die verbleibenden britischen Bomber versuchen, die deutsche Infrastruktur in Frankreich, Holland und Norwegen zu schwächen. Mit einigem Erfolg hier und da, doch auch weiterhin alarmierenden Verlusten. Zweimotorige Mittelstreckenbomber erweisen sich erneut als extrem verwundbar gegen feindliche Abfangjäger. Am 9. Juli 1940 greifen zwölf Bristol „Blenheim“-Bomber der 21 und 57 Squadron den Flugplatz von Stavanger an. Sieben von ihnen fallen der deutschen Abwehr zum Opfer – eine Verlustrate von 60 %! Alle fünf übrigen werden beschädigt, von welchen eine notlanden muss. Am Folgetag versucht es die 107 Squadron mit einer Attacke auf Amiens. Sieben Maschinen führen den Angriff aus. Eine einzige kehrt zurück! Am 13. August 1940 ergeht es der 82 Squadron noch schlimmer. Auch hier kommt nur ein einziger Bomber zurück. Deutsche Jäger hatten die Briten genau in dem Moment erwischt, als sie das Flugfeld Hamstede in Holland bombardierten. Es waren zwölf gewesen.
Besser kommen die britischen Bomber bei Nacht davon – vorerst. Auch diese Angriffe sind allerdings alles andere als ungefährlich. Sie richten sich unter anderem gegen Ziele in Deutschland. Bereits in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai 1940 hatten 19 Hampdenund Whitley-Bomber Straßenknotenpunkte und Bahnanlagen in Mönchengladbach bombardiert – vordergründig militärische Ziele. In Anbetracht der Zielgenauigkeit damaliger Bombenzielgeräte bei Nacht über verdunkelten Zielen ein hoffnungsloses Unterfangen. Zwei Hampdens und eine Whitley gehen verloren – und vier Zivilisten sterben. Lächerlich wenig, doch was sind Zahlen dieser Art in den Herzen der Angehörigen und Freunde? In der Nacht vom 14. auf den 15. Mai 1940 bombardieren 18 Wellingtons, zwölf Whitleys und zwölf Hampdens die deutschen Städte Aachen und Mönchengladbach sowie Ziele bei Breda und Roosendaal. Eine Hampden kehrt nicht wieder zurück. In der Folgenacht geht es weiter: Am 15./16. Mai 1940 fliegen 39 Wellingtons, 36 Hampdens und 24 Whitleys zum ersten Mal in den deutschen Luftraum östlich des Rheins und nehmen sich 16 verschiedene Ziele im Ruhrgebiet vor. Es sind auf dem Papier industrielle Ziele, die bei Nacht ohne elektronische Hilfe jedoch kaum gefunden, geschweige denn präzise getroffen werden können. Noch stehen Zielfindungseinrichtungen, die in Flugzeuge eingebaut werden können, nicht zur Verfügung. Dieser Angriff wird als der Beginn der strategischen Bomberoffensive gegen Deutschlands Städte betrachtet. Eine Wellington geht verloren. Und die Briten hören nicht mehr auf ...! Sie kommen Nacht für Nacht, so am 16./17. Mai 1940 wieder über dem Ruhrgebiet, am 17./18. Mai 1940werden Ölanlagen in Hamburg und Bremen zum Ziel erkoren, und so weiter.
In Deutschland empfindet man diese Bombenangriffe als „Terrorangriffe“ gegen Wehrlose. Es sind in der Tat politisch motivierte Luftangriffe mit dem Ziel, mit Billigung von Verlusten unter der Zivilbevölkerung Achtungserfolge zu erzielen! Diese Absicht kommt der Definition von Terrorangriffen ziemlich nahe. Der strategische Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung wird somit von der Royal Air Force eröffnet. *1 Die Zahl der Toten ist relativ gering. Doch der provokative Effekt ist beträchtlich.
Fataler als die Anzahl der Opfer ist die Eskalation des Verlusts an Skrupeln. Diese Konsequenz derartig „erfolgloser“ Angriffe der RAF auf von vorneherein nicht anvisierbare „militärische“ Ziele sollte noch von ungeahnter Bedeutung sein. Der Geist aus der Flasche nimmt einmal Dimensionen an, die im Mai 1940 in den schlimmsten Alpträumen nicht vorstellbar erscheinen. Auf beiden Seiten. Wenn man von Winston Churchills Visionen einmal absieht, der dieses Szenario ja bereits beschrieben hatte. Und als Kriegsminister nun die Fäden in der Hand hält, die Apokalypse zu forcieren oder zu unterbinden. Von deutscher Position wird ihm guter Wille signalisiert – ob er das allerdings glauben wollte, sei dahin gestellt. Am 15. Mai 1940 hebt Winston Churchill persönlich das bis dahin geltende Verbot auf, zivile Ziele in Deutschland anzugreifen. Es muss entlastend konstatiert werden, dass dies unter dem Eindruck des deutschen Bombenangriffs auf Rotterdam geschieht. Andererseits passt es allen vorherigen Äußerungen Churchills zufolge auch absolut in seine Philosophie des strategischen Bombenkrieges.
Von jetzt an sind Bomben auf Frauen und Kinder im britischen Bomber Command ausdrücklich sanktioniert. Noch gilt dies nicht für die deutsche Luftwaffe, die strikt angewiesen ist, dies zu unterlassen!
Inzwischen wird mit Akribie an elektronischen Hilfsmitteln gearbeitet. Der deutsche Begriff hierfür ist Funkmesstechnik. Das deutsche „Würzburg“-Feuerleitfunkmess-System steht im April 1940 vor seiner Einführung, die ab Ende 1941 großflächig abgeschlossen ist, und erlaubt eine Zielerfassung auch bei Nacht oder schlechter Sicht für den Richtschützen einer Flugabwehrkanonen-Batterie. Diese Geschütze feuern Granaten in eine bestimmte Höhe, welche zuvor eingestellt wird. In dieser Höhe explodieren die Granaten und streuen eine Vielzahl (beim Kaliber 8,8 cm circa 1.500) glühender Splitter in den Luftraum der Umgebung. Meist feuern vier Geschütze in ein 55-m2-Feld. Befindet sich ein Flugzeug in unmittelbarer Nähe – welches also nicht direkt getroffen werden muss – so wird der Luftdruck oder die Splitterwirkung je nach Entfernung zur Detonation eine solche Beschädigung hervorrufen, dass das Flugzeug in Brand gerät und abstürzt. Auch die Crew ist in unmittelbarer Gefahr.
Die Erfassung der Flughöhe und Fluggeschwindigkeit des Feindflugzeuges bei Tage findet mit optischen Messeinrichtungen statt, die dem Kanonier erlauben, mit Hilfe einer Feuerleitanlage den korrekten Vorhaltwinkel einzustellen. Fliegt ein Feindbomber beispielsweise in 4.000 Metern Höhe mit einer Geschwindigkeit von 290 km/h, so benötigen die Granaten sechs Sekunden, um diese Höhe zu erreichen. Der Bomber ist in dieser Zeit etwa 482 Meter weitergeflogen. Somit müssen die Rohre auf einen fiktiven Punkt 482 Meter vor der erwarteten Flugbahn des Bombers gerichtet werden. Die Rechenanlage ist direkt mit den Geschützen verbunden, sodass kein Zeitverlust bei der Datenübertragung zur Einstellung der Rohr-Richtung und –Neigung sowie der Zünderlaufzeit entsteht. Scheinwerfer machen die Nacht zum Tage. Sofern die Sicht klar ist. Bei Nacht und Wolken kommen sichtunabhängige Zielmethoden wie das „Würzburg“-Feuerleitsystem wie gerufen.
Kleinkalibrige Flugabwehrgeschütze – dies sei der Vollständigkeit halber erwähnt – ergänzen die schweren Flak-Batterien und sind gegen tiefer fliegende Eindringlinge konstruiert. Sie schießen mit Schnellfeuerkanonen Geschosse bis zu 4.800 Meter weit bzw. 3.700 Meter hoch, beispielsweise die 2-cm-Brandsprenggranate. Ihre Wirkung ist zwar geringer, dafür sind es viele Geschosse auf einmal.
Um eine Vorwarnungszeit zu besitzen, die Flak-Batterien und die ersten, gerade in ihrer Aufstellung befindlichen Nachtjägereinheiten (mit Messerschmitt Bf 109, Bf 110 und zu Jägern umgebauten Do 17- bzw. Ju 88 C-Nachtjägern ausgerüstet) rechtzeitig zu alarmieren, sind so genannte Funkmessgeräte in ihrer Entwicklung. Die ersten Geräte dieser Art – „Freya“ genannt – sind bereits installiert. Die Deutschen geben ihnen aber noch nicht die Bedeutung – und damit auch der technischen Forschung auf diesem Gebiet – wie es in Kenntnis des weiteren Kriegsverlaufes sinnvoll wäre. Wer ahnt das in diesen Jahren schon? Deutschland muss sich noch nicht allzu viele Sorgen um seinen Luftraum machen. Sowohl dieses als auch die Priorität derartiger Techniken wird sich in den kommenden Jahren ändern. Die „Freya“-Geräte haben eine Reichweite von etwa 160 Kilometer und sind in der Lage, funkmesstechnisch einfliegende feindliche Flugzeuge zu erfassen und somit die Abwehr auf den Plan zu rufen.
Nicht nur in Deutschland. Auch die Engländer arbeiten unabhängig von den Deutschen an einem eigenen Funkmess-System – allerdings mit Hochdruck. Dadurch verschaffen sie sich für den technologischen Rüstungswettlauf eine hervorragende Ausgangsposition. Ihr Wissen geht auf den Techniker Watson-Watt der National Physical Laboratories zurück. Im Jahr 1939 – kurz vor Ausbruch des Krieges – wird ein ausgeklügeltes Verteidigungssystem errichtet, mit Stationen, die Feindeinflüge erkennen und die Abwehr alarmieren können. Die Briten nennen diese Technik „Radio detection and ranging“. Abgekürzt: Radar.
20 Stationen (später werden weitere zwölf errichtet) umziehen die britische Insel von der Westküste nördlich Bristol über die gesamte Kanalküste bis nach Schottland an der Nordsee entlang mit einem Vorwarnnetz. Die Radarstationen bestehen aus Gittermasten mit den dort eingebauten Antennen und aus Bodenstationen, üblicherweise in Form von Baracken. Die dort erfassten Daten werden direkt an das Hauptquartier des Fighter Command in Stanmore im Norden Londons weitergegeben.
Bis zum Erreichen der britischen Insel werden einfliegende Feindverbände von den unsichtbaren Strahlen des Radarsystems erkannt und unbemerkt überwacht. Nach dem Überfliegen der Küste sind die feindlichen Formationen hinter dem Radar-Schirm in dessen totem Winkel angekommen.
Doch nun werden die Feindmaschinen von einem flächendeckenden Netz an Beobachtungsstationen erfasst, die vom Boden aus jede Flugbewegung verfolgen und registrieren können. Die mit Fernrohren ausgerüsteten Posten melden ihre Feststellungen über Menge, Höhe und Kurs der Eindringlinge an „Observer Corps“-Zentren, die sie an Sektoren-Kontrollräume der Jägereinheiten weitergeben.
Diese Sektoren-Kontrollräume sind Hauptquartiere des Fighter Command für eine bestimmten Region. Alle Flugplätze und sämtliche auf diesen Fliegerhorsten stationierte Fighter-Squadrons (Jäger-Einheiten) sind bestimmten Sektoren zugeteilt. Einer der Fliegerbasen beherbergt die Befehls- und Kommandostruktur für den gesamten Sektor, die „Sector-Control“.
Diverse Sektoren-Kontrollräume wiederum sind zu einer Gruppe zusammengefasst, die ihr eigenes Gruppen-Hauptquartier hat. Dieses „Group-Headquarters“ wiederum ist die entscheidende Befehlstelle für die Koordination der Einsätze in den einzelnen Sektoren dieser Gruppe. Es sind insgesamt drei große Bereiche der Insel, denen eine Gruppe zugeteilt ist. Alle Gruppen werden strategisch vom Hauptquartier der Jägerstreitmacht in Stanmore geführt.
In Stanmore laufen die Radarmeldungen zusammen und werden dort auf einen riesigen Kartentisch übertragen, auf welchem verschiedenfarbige Reiter für die Position feindlicher Flugzeuge und eigener Jäger hin- und hergeschoben werden – entsprechen deren Position. Das so entstehende Gesamtbild wird ausgewertet und an die Gruppen-Hauptquartiere weitergegeben, die über eine ähnliche Luftlagesimulation ihres Bereiches verfügen.
Diese wiederum erhalten von den Sektoren die Meldungen der Beobachtungsposten und melden diese im umgekehrten Informationsweg an das Hauptquartier in Stanmore weiter. Stanmore ist somit selbst dann einigermaßen im Bilde, wenn einzelne Sektor-Hauptquartiere oder Radarstationen ausfallen sollten. Wenn es nicht zu viele sind ...
Radaranlagen.
Englands Luftabwehr ist im Fighter Command anfangs in drei Gruppen aufgeteilt. Die große und höchst gefährdete Gruppe 11, welche zunächst den gesamten Süden umfasst, wird jedoch bereits am 13. Juli 1940 in die N° 10 Group und N° 11 Group geteilt. Von da an sind es vier Gruppen ...
Chef des Fighter Command in Stanmore ist Air Chief Marshal Sir Hugh Dowding. Seine Gruppenkommandeure sind im Norden Air Vice Marshal Richard Saul für die 13. Gruppe (13 Group), im Mittelabschnitt nördlich von London Air Vice Marshal Sir Trafford Leigh-Mallory für die Gruppe 12 (12 Group), im Südwesten als Befehlshaber der 10. Gruppe (10 Group) Air Vice Marshal Sir Quintin Brand, und schließlich derjenige, dessen Gruppe 11 (11 Group) die Hauptlast der Verteidigung im Südosten zu tragen haben würde: der gebürtige Neuseeländer Air Vice Marshal Sir Keith Park.
Park ist bei weitem am üppigsten mit Jägerstaffeln ausgerüstet. Bei Großangriffen ist er dennoch auf Unterstützung durch die 12 Group angewiesen. Delikaterweise kann deren Oberkommandierender Leigh-Mallory seinen Kollegen (und Konkurrenten) Keith Park so gut leiden wie der Teufel das Weihwasser. Wenn Leigh-Mallory auch noch wüsste, dass Dowding und Keith Park – die sich sehr gut verstehen – nach der Aufdeckung des extrem raffiniert, kompliziert und scheinbar unentschlüsselbar aufgebauten deutschen „Enigma“-Funkspruch-Chiffriersystemes Zugang zu den wertvollen Erkenntnissen haben, die sich aus dem Abhören des deutschen Funkverkehrs ergeben – ihn, Leigh-Mallory, aber nicht mit einweihen ... – der kommandierende Chef der Gruppe 12 hätte geschäumt vor Wut. Er wird sich noch revanchieren! Dank Leigh-Mallorys guten Kontakten „nach oben“ wird nur wenig später sowohl Dowdings als auch Parks Karriere ein jähes Ende nehmen. Derzeit allerdings benötigt England jeden kompetenten Mann. Es ist kein Platz für Rivalitäten – sollte man meinen ...
Keith Rodney Park.
Hugh Dowding.
Trafford Leigh-Mallory.
Anfang Juli 1940 hat zur Verfügung (eine Squadron besteht offiziell aus zwölf Flugzeugen):
11 Group (Keith Park): |
17 Hurricane-, 8 Spitfire- und 4 Blenheim-Squadrons. |
12 Group (Leigh-Mallory): |
3 Hurricane-, 5 Spitfire-, 1 Defiant- und 2 Blenheim-Squadrons. |
13 Group (Richard Saul): |
9 Hurricane-, 6 Spitfire-, 1 Defiant- und 1 Blenheim-Squadrons. |
Die Squadrons werden allerdings im rollierenden System zwischen den Gruppen ausgetauscht, um ihnen nach den schweren Kämpfen im Süden eine Erholungspause und Auffüllung mit Nachwuchs im Norden zu ermöglichen. Die Zusammensetzung der einzelnen Verbände wechselt somit.
Anfang August 1940 hat zur Verfügung (nun ist die Sollstärke 20 Flugzeuge pro Squadron, die tatsächliche Zahl unverändert):
10 Group (Quintin Brand): |
3 Hurricane-, 4 Spitfire-, 1 Gladiator-und 1 Blenheim-Squadrons. |
11 Group (Keith Park): |
13 Hurricane-, 6 Spitfire- und 2 Blenheim-Squadrons. |
12 Group (Leigh-Mallory): |
5 Hurricane-, 6 Spitfire-, 2 Defiant- und 2 Blenheim-Squadrons. |
13 Group (Richard Saul): |
9 Hurricane-, 3 Spitfire-, 1 Defiant- und 1 Blenheim-Squadrons. |
Die deutsche Gegenseite ist in die Luftflotte 5, Luftflotte 2 und Luftflotte 3 unterteilt. Die Luftflotte 5 unter Generaloberst Hans-Jürgen Stumpf operiert von Dänemark und Norwegen aus, während die Luftflotten 2 (Generalfeldmarschall Albert Kesselring) und 3 (Generalfeldmarschall Hugo Sperrle) von Frankreich aus bereitstehen.
Ohne die Bomberflotten im Einzelnen aufzuführen, sind die gleichartigen Gegner der britischen Fighter Squadrons die deutschen Jagd- und Zerstörerstaffeln (zu je zwölf Flugzeugen), welche zusammengefasst sind in Gruppen (zu je 40 Flugzeugen Sollstärke einschließlich des Stabsschwarms) und (teilweise noch unvollständige) Geschwader. Ihre Stärke beträgt Anfang August 1940:
Luftflotte 2 (Albert Kesselring): |
6 Geschwader (=15 Gruppen) |
Me 109 E (plus 1 Erprobungsstaffel) |
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2 Geschwader (=5 Gruppen) |
|
Me 110 (plus 2 Erprobungsstaffeln) |
|
Luftflotte 3 (Hugo Sperrle): |
3 Geschwader (=9 Gruppen) |
Me 109 E |
|
2 Geschwader (=3 Gruppen) |
|
Me 110-Zerstörer |
|
Luftflotte 5 (Hans-J. Stumpf): |
1 Geschwader (nur 1 Gruppe) |
Me 109 E |
|
1 Geschwader (nur 1 Gruppe) |
|
Me 110-Zerstörer |
Adolf Galland wird inzwischen zum Jagdgeschwader 26 „Schlageter“ versetzt. Er soll Gruppenkommandeur der III. Gruppe dort werden. Es ist heiß an jenem Sommertag, dem 14. Juni 1940, als Galland an dem reichlich kümmerlichen Flugfeld ankommt. Verschwitzt und müde trabt der frischgebackene Gruppenkommandeur in seiner Fliegerkombination über den Platz – bis zu einem Brunnen. Dort stehen ein paar Soldaten. Galland hat Durst – und eine Art Dusche könnte auch nicht schaden.
Ob er hier vielleicht einen Eimer Wasser bekommen könne? Galland fragt höflich an. „Klar.“ kommt die Antwort. „Es ist ja genug drin im Loch!“ Aber ’raufziehen müsse er den Eimer schon selber, bitte schön!
Galland könnte jetzt den Offizier „heraushängen“. Er spart sich die Show. Kein Problem!
Das Wasser tut gut! Als sich seine Identität klärt, hat der Gruppenkommandeur sofort einen Stein im Brett bei seinen Leuten. Am Nachmittag – in neuer Frische – startet er zum ersten Mal in dieser Einheit. Er kommt zurück mit zwei Abschüssen – sein 13. und 14. Luftsieg. Es ist eine Bristol „Blenheim“ und eine Fairey „Battle“. Adolf Galland hat seinen Einstand demonstriert – gleich beim allerersten Start. Sapperlot – da hatten sie wohl wahrhaft einen Teufelskerl erwischt als Chef. Die Gruppe frisst ihm fortan aus der Hand! Und wird von ihm auf komplett neue Kampfmethoden eingewiesen – dynamisch, auch in niedrigeren Höhen anfliegend als bisher gewohnt, frech und ohne Rücksicht auf die feindliche Flak. In jeder Hinsicht flexibel und unkonventionell. Einen guten Monat später wird er zum Major befördert.
Adolf Galland (Mitte).
Zum selben Zeitpunkt wird Douglas Bader Kommandeur der 242 Squadron, eine kanadische Einheit. Die Jungs dort sind ziemlich fertig, schwer demoralisiert. Sie hatten in Frankreich böse Verluste hinnehmen müssen und waren übel „gerupft“ worden. Als Bader in Coltishall auf dem Flugplatz ankommt, spürt er sofort die Skepsis seiner neuen Einheit. Ein Krüppel ohne Beine als Chef? Was kann der uns nützen? Ein Schreibtischtäter sicher, der uns vom Boden aus „führen“ wird. Oder verheizen, je nachdem. Schöne Aussichten sind das! Herzlichen Glückwunsch, Jungs!
Bader zögert nicht lange. Dann klettert er in eine der Hurricanes seiner Squadron. Nach einer halben Stunde Luftakrobatik und Kunstflugshow über dem Flugplatz landet Bader wieder. Und blickt in glänzende, bewundernde Augen. Was für einen Haudegen hatten sie sich denn da eingehandelt?
Es dauert nicht lange, und seine Leute sind ein hoch motiviertes, eingeschweißtes Team geworden. Mit aller Zuversicht einer Truppe, die sich gut geführt weiß, wenn es darauf ankommt. Die einen Squadron Leader hat, der selbst die Konfrontation mit dem Oberkommando der Royal Air Force nicht scheut, wenn es für sie sein muss. Die Maschinen der 242 Squadron sind in einem denkbar schlechten Zustand, es fehlt an Ersatzteilen und Werkzeugausrüstung. Bader kann und will es sich nicht leisten, Piloten nur auf Grund technischer Mängel zu verlieren. Er weigert sich standhaft und hartnäckig, seine Squadron einsatzbereit zu melden, solange dieses Defizit nicht behoben ist.
Douglas Bader (Mitte).
„Die Squadron ist einsatzbereit hinsichtlich ihrer Piloten, aber nicht in Bezug auf die Flugzeuge!“ Innerhalb von 24 Stunden erhält Bader alles, was er angefordert hatte. Und Leigh-Mallorys 12 Group hat eine kampfbereite Hurricane-Squadron mehr.
Phase 1
Es soll an dieser Stelle ausdrücklich angemerkt werden, dass die folgenden, zum repräsentativen Überblick über die Ereignisse ausgewählten Luftkampftage und Begebenheiten nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben – dieser würde den Rahmen dieses Buches vollkommen sprengen. Dadurch ist es unvermeidlich, dass ggf. einzelne Geschwader unterrepräsentiert erwähnt werden. Dies soll nicht den Eindruck erwecken, diese Einheiten wären weniger stark an den erbitterten Luftkämpfen beteiligt gewesen. Diese Feststellung gilt sinngemäß und zwangsläufig in vielen Kapiteln!
Am 1. Juli 1940 beginnen die deutschen Luftangriffe auf die Konvois, welche die britischen Kanalhäfen untereinander verbinden. Ohne diese Schiffstransporte ist die britische Industrie nach Görings Annahmen stark gefährdet – sie müssen also trotz aller Gefahr durchgeführt werden. Die britischen Matrosen auf den Geleitzugschiffen sind nicht zu beneiden. Deutsche Funkmessgeräte oder Aufklärer werden die Geleitzüge orten. Danach werden starke deutsche Bomberverbände angreifen, gedeckt von Messerschmitt-Jägern. Die werden es der Royal Air Force schon zeigen, davon ist Göring überzeugt! Wie bereits in Frankreich ...
Göring hofft, auf diese Weise die englischen Jäger aus der Reserve locken und zum Kampf stellen zu können. Doch die Briten halten sich auffallend zurück. Sir Hugh Dowding ist ein Mann mit Nerven – und ein brillanter Analytiker. Er ist nicht gewillt, dem deutschen Luftwaffenchef auf den Leim zu gehen. So einfach wird er es diesem nicht machen! Seine Piloten brauchen Zeit – jeder Tag an Luftkampftraining ist kostbar. Bomberpiloten, Küstenflieger werden umgeschult – Dowding braucht jeden Mann!
Me 109 E-3 der 8./JG 53 (III. Gruppe) mit dem charakteristischen roten Band des Geschwaders an der Motorhaube, welches statt dem vorher und später wieder üblichen „Pik Ass“-Emblem in der Zeit vom August bis Oktober 1940 üblich ist.
Der Tag beginnt nicht gut für die Luftwaffe. Zwei Dornier Do 215-Aufklärer werden von britischem Flakfeuer abgeschossen. Eine dritte Maschine vom Typ Ju 88 geht ohne britische „Mithilfe“ zu Bruch – vermutlich durch technischen Defekt. Gegen 06.00 Uhr (britischer Zeit) steht ein deutsches Seenotrettungsflugzeug auf der Verlustbilanz. Diese Seeflugzeuge sollen abgeschossene deutsche (und britische!) Piloten aus dem tödlichen Wasser des Ärmelkanals bergen und tun dies auch. Sie sind mit deutlich sichtbaren roten Kreuzen auf Rumpf und Tragflächen gekennzeichnet – zweimotorige Doppeldecker mit Schwimmern des Typs Heinkel He 59. Es nützt ihnen nicht viel! Die Briten respektieren das auf Churchills Anordnung hin nicht, mit dem Vorwand, die deutschen Rot-Kreuz-Maschinen seien verkappte Aufklärer, während deutsche Schlachtschiffe in der Nordsee am 6. Juni 1940 einen britischen Evakuierungskonvoi aus Norwegen gestellt und neben dem britischen Flugzeugträger „Glorious“ auch Truppentransporter (beispielsweise die „Orama“) versenkt hatten, jedoch das gekennzeichnete Lazarettschiff „Atlantis“ demonstrativ unangetastet ließen. Dies soll nicht unerwähnt bleiben.
Drei Spitfires unter Führung von Flight Lieutenant E. Graham (72 Squadron) schießen dagegen eines dieser He 59-Rot-Kreuz-Schwimmerflugzeuge (Code ) kurzerhand vom Himmel. Der Pilot schafft eine Notwasserung. Zum Glück wird die Besatzung von einem britischen Kreuzer aufgenommen und dadurch gerettet. Sie beschwert sich bitterlich. Es ist kein Einzelfall! Die Briten verwenden zu Rettungszwecken schnelle Motorboote. Es sind wiederholt Berichte laut geworden, dass im Wasser schwimmende Piloten angerufen werden, wessen Nationalität sie angehören. Ist die Antwort nicht zufrieden stellend, überlässt man die Gegner – bisweilen – dem vermuteten Tode durch Unterkühlung oder Ertrinken. Dies ist nicht die Regel – es soll hier kein falsches Bild gezeichnet werden! Doch auch kein „geschöntes“! Es ist zwar nicht üblich, aber auch nicht gerade eine Ausnahme!
Ju 87 B der III./StG 51 greifen einen Geleitzug bei Plymouth an. Sie treffen auf keine britischen Jäger. Schlechter ergeht es den Dornier Do 17 Z des KG 77. Flakfeuer und Jäger der Royal Air Force holen vor Dover drei von ihnen herunter, drei weitere gehen bei anderen Einsätzen über England gegen Ziele in Harwich, Brighton und Aldershot verloren. Eine Ju 88 der I./KG 51 kehrt beschädigt zurück. Der Auftakt ist für die Luftwaffe keine große Vorstellung. Die RAF verliert eine Blenheim, deren Besatzung deutschen Bomben zum Opfer fällt. Es ist ein Nachtjäger, dessen Pilot durch Suchscheinwerfer geblendet wird. Als er notlandet, wird das Wrack bombardiert ...
Die Bilanz (einschließlich der Abschüsse durch Flugabwehrgeschütze. Diese werden in der Aufstellung grundsätzlich als „gemeldet“ gewertet, da sich andernfalls im Vergleich zwischen den Meldungen der Piloten und ihren tatsächlichen Abschüssen eine irreführende Verzerrung ergäbe. Ferner werden nur Verluste der britischen Cat. R und W bzw. des Grades 60-100% gezählt, ohne Beschädigungen geringerer Art. Abschüsse und Verluste auf den Kontinent oder nach Norwegen einfliegender britischer Bomber bleiben außer Betracht, da die Betrachtung selektiv der Luftschlacht um England gilt):
gemeldete britische Abschüsse: 10 tatsächliche deutsche Verluste: 10
gemeldete deutsche Abschüsse: Ø tatsächliche britische Verluste: 1
Am 2. Juli 1940 geht es weiter. Die Luftwaffe verliert eine Do 215 und zwei Do 17 Z, die RAF bleibt ungeschoren. Die nächsten Zusammenstöße finden am 3. Juli 1940 statt. Eine Do 17 Z und drei Ju 88 A-2 werden abgeschossen, eine sehr leicht (3%) beschädigt. Auf der anderen Seite werden eine Hurricane und drei Spitfires beschädigt.
4. Juli 1940. Die Deutschen beginnen, ihre Bomber besser zu schützen. Nun kommt es doch zu Luftkämpfen zwischen Jägern, denen Sergeant Henry Cartwright von der 79 Squadron zum Opfer fällt – ein Ass mit fünf Luftsiegen. Seine Hurricane wird von Me 109 der II./JG 51abgeschossen, die am frühen Nachmittag einen Abfangversuch der britischen Jagdpiloten gegen Dornier Do 17 Z vereiteln können. Die Bomber haben sich derweil bereits einen Geleitzug in der Straße von Dover vorgenommen. Eines der Schiffe erhält einen Volltreffer. Am Abend wird ein weiterer Einflug gemeldet. Neun Hurricanes der 32 Squadron werden einer durch Radar entdeckten eindringenden Streitmacht entgegengeschickt. Sie sollen die Bomber abfangen. Doch diese stellen sich als drei Staffeln heraus – Jagdstaffeln! Es sind deutsche Messerschmitt Bf 109! Innerhalb von 30 Sekunden werden bereits zwei Hurricanes vom Himmel geholt, deren Piloten allerdings notlanden können. Eine abgeschossene Hurricane und vier beschädigte britische Jäger (zwei Hurricanes Cat. 2, zwei Spitfires Cat. 1) stehen auf der einen Seite der Bilanz, zwei zerstörte deutsche Bomber (eine He 111 P, eine Ju 87 B), eine beschädigte (Grad < 60 %) „Stuka“, eine beschädigte (25 %) und eine abgeschossene Me 109 E stehen dagegen.
Bristol „Blenheim“ Mk. IF, ein Nachtjäger, hier in den Markierungen der 54 OTU (Operational Training Unit), ein Schulungsverband.
Allmählich kristallisiert sich ein Schema heraus. So ganz ohne Gegenwehr lassen sich die Briten ihre Frachter und Sicherungsschiffe nicht auf den Grund des Ärmelkanals schicken. Andererseits riskiert Dowding nie mehr als einen kleinen Teil seiner Jäger. Er weiß, dass er sie noch brauchen wird. Für Kohletransporte, die seines Erachtens genauso gut auch auf die Schiene zu verlagern sind, setzt er seine wertvolle Streitmacht nicht aufs Spiel. In der Tat werden später viele jetzt noch mit Schiffen transportierte Güter mit der Bahn befördert – es geht also. Görings Rechnung geht nicht auf.
Die Bilanz (einschließlich deutscher Verluste durch britische Flak, ohne Verluste britischer Bomber):
gemeldete britische Abschüsse: 4 tatsächliche deutsche Verluste: 3
gemeldete deutsche Abschüsse: 4 tatsächliche britische Verluste: 3
Hinweis: Die von deutschen Jägern gemeldeten Abschüsse britischer
Bomber über Frankreich (1 Blenheim, 2 Hudson) werden hier nicht
in Betracht gezogen. Ebenso Beschädigungen unter (<) 60%!
Am 7. Juli 1940 eskalieren die Gefechte. Die Deutschen können es sich leisten, ihre Jäger nicht nur Begleitschutz fliegen zu lassen, sondern zusätzlich auf Patrouille zu gehen. „Freie Jagd“ werden diese Streifzüge genannt, die sich als sehr wirksam erweisen. Ganze Staffeln durchkämmen den Himmel über dem Kanal in der Nähe gemeldeter Geleitzüge und warten auf eine günstige Gelegenheit. Dank Radar wissen die Engländer von ihrer Anwesenheit, und doch ergeben sich für die ungebunden streunenden deutschen Jagdstaffeln immer wieder Überraschungsvorteile. Die freie Jagd ermöglicht ihnen, das zu tun, für was sie konstruiert wurden: zu jagen.
Ein „Schwarm“ aus vier Messerschmitt Bf 109 E-3 der 1./JG 2. Es dürfte sich um eine relativ frühe Aufnahme handeln, da die Balkenkreuze auf den Rumpfseiten später vergrößert werden, um eine schnelle Identifikation zu erleichtern. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Markierungen alle sofort übermalt werden. Eine am 2. September 1940 abgeschossene Me 109 E-1 der 8./JG 54 (Unteroffizier Heinrich Elbers) zeigt auf den Fotos immer noch dieses „kleine“ Balkenkreuz.
Als sich ein britischer Konvoi Dover nähert, befindet sich eine Horde Messerschmitt Bf 109 über den Schiffen. Spitfire der 54 Squadron werden ihnen entgegengeschickt, da man einen Angriff auf den Konvoi erwartet. Die britischen Jäger entdecken die Me 109 nicht – wohl aber einen einzelnen Heinkel He 111-Bomber. Als die Briten zum Angriff ansetzen, fliegen ihnen plötzlich von hinten die Geschosse um die Ohren. Zwei Spitfire gehen zu Boden, können aber notlanden, eine dritte wird beschädigt.
Spitfire Mk. I in der typischen Dreierkette – die so genannte „Vic“-Formation der RAF.
Am Abend werden dann tatsächlich deutsche Bomber zum Angriff befohlen. Es sind die Dornier Do 17 Z des KG 2. Sieben Jäger der 64 Squadron und sechs Maschinen der 65 Squadron der Royal Air Force starten, um ihnen einen gebührenden Empfang zu bereiten. Die Spitfire-Piloten gewinnen Höhe und sehen sich um. Das Sektor-Hauptquartier führt sie immer näher an die deutschen Bomber heran.
Zum gleichen Zeitpunkt halten auch deutsche Augenpaare Ausschau. Sie gehören zu Flugzeugführern des deutschen Jagdgeschwaders 27. Die Messerschmitt Bf 109 befinden sich auf „freier Jagd“. Die Piloten der 65 Squadron bemerken die schnittigen Messerschmitt-Jäger zu spät. Drei Spitfire trudeln brennend vom Himmel, alle drei Piloten finden den Tod.
Die Bomber versenken prompt ein Schiff und beschädigen drei weitere. Auf dem Rückflug – längst ihrer schweren tödlichen Last entledigt – holen die Spitfire der 64 Squadron sie ein ...
Fünf Spitfires und eine Hurricane werden an diesem Tag insgesamt abgeschossen, eine „Spit“ schwer beschädigt. Die Deutschen verlieren während des gesamten Tages zwei Do 17 P und zwei Ju 88 A-1, eine Do 17 P und eine Do 17 Z werden stark beschädigt. Dieses Mal sind die Deutschen leicht im Vorteil – für ihre Jäger ist es gar ein Erfolg ohne eigene Verluste. Doch die britischen Piloten lernen dazu. Die Angelegenheit ist alles andere als einseitig! Jeden Tag werden die Karten neu gemischt!
Die Bilanz (einschließlich – als gemeldet betrachtete – Abschüssen durch Flugabwehrgeschütze):
gemeldete britische Abschüsse: 12 tatsächliche deutsche Verluste: 6
gemeldete deutsche Abschüsse: 9 tatsächliche britische Verluste: 7
Allerdings – und das weiß Dowding: Wenn das so weiter geht, dann wird ein Abnützungskrieg zwangsläufig dazu führen, dass diejenige Seite die besseren Karten hat, welche über mehr Flugzeuge verfügen kann – und mehr Piloten. Genau das hatte er befürchtet! Die Squadrons der Royal Air Force können hoffen, einen der ihren wieder einsetzen zu können, sollte er den Abschuss einigermaßen unverletzt überleben und mit dem Fallschirm über England abspringen oder auf der Insel notlanden. Ein über England abgeschossener deutscher Jagdflieger oder eine Bombercrew ist für die Luftwaffe dagegen verloren – so oder so. Das ist aber auch der einzige Vorteil der Briten – noch.
Mehr Flugzeuge hat die Luftwaffe. Bereits bei den Jägern, erst recht dann, wenn man die Bomber mitzählt – was man insoweit muss, als sich die britischen Jagdflieger nun mal nicht alleine auf ihre deutschen Gegenspieler in den Messerschmitt-Jägern konzentrieren können. Die Asse sind nach wie vor im Ärmel Hermann Görings! Selbst bei einem optimistischen Abschussverhältnis von Zwei zu Eins zu Gunsten der Royal Air Force: so darf das nicht weitergehen, sonst ist Großbritannien verloren!
Dowding hat ein Problem. Einfach tatenlos zusehen, wie die Luftwaffe Großbritanniens Küstenschifffahrt auf den Grund des Ärmelkanals bombt, verbietet schon die öffentliche Meinung. Welcher man allerdings propagandistisch wirkungsvoll schmerzhafte nächtliche Gegenschläge gegen Ziele in Deutschland suggeriert – es ist der Tribut an die Macht der Presse in einer Demokratie und die Stimmung der Bevölkerung. Andererseits kann der Befehlshaber des Fighter Command der RAF auch nicht zusehen, wie seine Jäger dezimiert werden. Das Radarstationen-Netz an der Küste bietet ihm einen gewaltigen Vorteil: seine Einheiten werden gewarnt und können dadurch theoretisch einem einfliegenden Feindverband entgegengeworfen werden zu einem Zeitpunkt, als dieser noch im Anflug ist. Davon hatte man in Frankreich nur träumen können. Doch bisher dauert die Organisation noch zu lange! Dowding ist besorgt.
Sofern man die Bomber erwischt, solange sie ihre Bombenlast noch tragen, sind sie schwerer, unbeweglicher und vor allem bei Treffern verwundbarer. Da sich die Deutschen aber auf die Kanalschiffe konzentrieren, haben sie keinen allzu weiten Anflugweg. Bis Keith Park seine Spitfire und Hurricane auf den Weg gebracht hat, sind die deutschen Kampfbomber oft schon auf dem Rückweg – und damit fähig, gegebenenfalls in gewissem Maße auch Ausweichmanöver zu fliegen. Jedenfalls agiler, als mit den schweren Bomben an Bord. Und während die eigenen Jäger noch im Steigflug Höhe gewinnen, sind die deutschen Jagdflugzeuge längst in Abfanghöhe über ihnen. Diese verwünschte „freie Jagd“ macht es ungeheuer schwer, die Bewegungen der deutschen Jagdverbände vorherzusehen. Mit dieser Methode können sie uns fertig machen – auf die Dauer! Wir müssen unsere Jäger schneller in die Luft bringen! Das muss einfach besser werden! Viel besser!
Wenn die Deutschen natürlich Ziele in England angreifen würden, dann wäre das eine andere Sache. Sie müssten länger anfliegen – mitsamt ihren Bomben – und ihre Jäger hätten weniger Treibstoff für Luftkämpfe übrig, vor allem die einmotorigen Messerschmitt 109. Deren Nachteil in dieser Hinsicht hatten die britischen Jäger – mit ähnlichen konstruktiven Merkmalen – über Dünkirchen ebenfalls schmerzlich erfahren. Eine Viertelstunde Zeit zum Kampf – das hatte genügen müssen! Jetzt ist das bereits etwas anders – nun müssen die Deutschen näher an ihre Spritreserven fliegen, während die Briten über eigenem Gebiet eher kürzere Anflugwege haben. Über dem Kanal trifft man sich bisher in einem noch für beide Seiten gut erreichbaren Bereich. Wie lange wird das so weitergehen? Dowding sehnt eine Veränderung herbei.
Die deutschen Jagdgeschwader sind noch durch eine weitere Achillesferse behindert. Sie haben keine Funkverbindung zu ihren Schützlingen, den Bombern, da die jeweils verwendeten Funkgeräte nicht kompatibel sind. In Begleitschutzmission müssen die Jäger somit „auf Gedeih und Verderb“ dem Kurs der Bomber folgen – und sei es bar jeglicher Vernunft. Fliegen die Bomber zu weit, so können die Jäger sie nicht davon abhalten. Sie haben die Wahl, einfach abzudrehen (und somit die Bomber schutzlos im Stich zu lassen) oder eine Notwasserung im Kanal zu riskieren.
Oberleutnant Ulrich Steinhilper (3./JG 52) erinnert sich an einen Vorfall dieser Art. Weil sie zu lange bei den Ju 88-Bombern ausgeharrt hatten, gehen 21 Messerschmitts in den Fluten des Kanals unter. Die See ist zu stürmisch für erfolgreiche Rettungsmanöver. Nur zwei Piloten werden geborgen, die übrigen 19 ertrinken.
Bisweilen nutzen deutsche Abhörstationen gar die britischen „Headings“ (Funkanweisungen an RAF-Jäger zum Anflug auf deutsche Bomber), um die eigenen Jäger auf Rendezvous-Kurs zu dirigieren!
Auch am 8. Juli 1940 gibt es keine Kampfpause. Spitfires der 610 Squadron überraschen einen Verband deutscher Dornier Do 17 – ohne Begleitschutz! Da hat wohl etwas nicht geklappt bei den „Hunnen“. Wer oben geschilderte Fakten kennt, wundert sich nicht. Es ist 14.00 Uhr(britischer Zeit). Ein nettes Geschenk für die britischen Jäger, sollte man meinen. Doch so unkalkulierbar ist „Fortune“ in einem Kampf dieser Art. Die deutschen Bordschützen schießen um ihr Leben und nehmen Pilot Officer Ravens anfliegenden Spitfire-Jäger ins gut gezielte Kreuzfeuer. Die Geschosse sitzen, treffen, der britische Jäger trudelt in Flammen gehüllt ins Meer. Die Bomber entkommen ohne Verluste, während ein Kollege des Unglückspiloten seinen Kameraden sucht. Er sieht ihn schwimmend im Wasser.
Eine notgewasserte Messerschmitt Bf 109 E-3 des JG 51. Der Pilot hat es noch geschafft – zumindest bis zum Strand. Nicht jeder ist so glücklich.
Es ist das letzte, was man von Raven sieht.
Neun Hurricanes der 79 Squadron steigen als nächste auf. Es gilt mal wieder, einen Geleitzug zu beschützen. Und wieder zahlt sich die deutsche Taktik der „freien Jagd“ aus. Bevor die Hurricane-Piloten wissen, wie ihnen geschieht, werden sie von hinten oben überfallen. Pilot Officer J. E. R. Wood hat keine Chance zu reagieren, da steht seine Hurricane bereits in hellen Flammen. Er schafft es noch, aus dem lichterloh brennenden Hawker-Jäger herauszukommen. Am Fallschirm schwebt er zu Boden. Er hätte das Glück gehabt, von einem Rettungs-Schnellboot der britischen Marine aufgefischt zu werden, wenn er noch gelebt hätte, als die Matrosen ihn schließlich finden. Sein Kamerad Flying Officer E. W. Mitchell zerschellt mitsamt seiner in Feuer eingehüllten Hurricane bei Temple Ewell. Er kommt nicht mehr aus seinem zerschossenen Jagdflugzeug heraus.
Eine Spitfire im Anflug.
Einseitig ist die Angelegenheit allerdings beileibe nicht – wieder einmal. Die nüchterne Abrechnung des Tages weist zwei Hurricanes und zwei Spitfires als Totalverlust aus – und schlimmer: vier tote Jägerpiloten der Royal Air Force. Eine fünfte Jagdmaschine (es ist eine Hurricane) wird durch Me 109-Geschosse beschädigt, doch der Pilot landet unverletzt. Und das zählt! Die Deutschen verlieren zwei Heinkel He 111 H-2 und eine Junkers Ju 88 A mitsamt ihren Besatzungen. Nur drei Mann aus der Ju 88 überleben durch Fallschirmabsprung, ihr Pilot stirbt am Steuer des Bombers. Einer der drei wird schnell gefangen genommen – von Mrs. Caldwell, einer kaltschnäuzigen Britin, die den verblüfften deutschen Kampfflieger kurzerhand um seine Pistole erleichtert und ihn dann „abführt“.
Dem über Feindgebiet abgesprungenen Deutschen wäre ohnehin nichts anderes übrig geblieben, als sich zu ergeben. Aber ausgerechnet einer rabiaten englischen Lady gegenüber? Wie peinlich ...
Ein Jägerpilot schafft es in seiner beschädigten Me 109 E-3 zurück über den Kanal – mühsam, denn er ist verwundet. In Saint-Inglevert westlich von Calais meistert er es dennoch, heil zu landen. Anders als vier weitere Messerschmitt Bf 109 (E-1 und E-3), die über England vom Himmel geschossen werden. Drei der Jagdflieger fallen, ein vierter wird gefangen genommen. Es ist Leutnant Johann Böhm.
Die Bilanz (einschließlich deutscher Verluste durch britische Flak, ohne Verluste britischer Bomber):
gemeldete britische Abschüsse: 11 tatsächliche deutsche Verluste: 7
gemeldete deutsche Abschüsse: 4 tatsächliche britische Verluste: 4
9. Juli 1940. Ein regnerischer Tag mit einer tief liegenden Wolkendecke. Aufklärer der Deutschen sind unterwegs – klar erkennbar im Radarbildschirm. Weniger klar in der Luft, denn in dieser Suppe ist es schwierig, einzelne Eindringlinge abzufangen. Sergeant R. V. Forward aus der 257 Squadron gelingt es. eine Do 17 Z-2 der II./KG 3 aufzuspüren. Der deutsche Aufklärungsbomber quält sich angeschossen zurück nach Antwerpen. Dort legt der Pilot eine Bruchlandung hin. Für einen seiner Kameraden an Bord kommt jede Hilfe zu spät.
Andere deutsche Aufklärer melden Schiffe im Unterlauf der Themse. Ein lohnendes Ziel! Zum ersten Mal sind zweimotorige Me 110-„Zerstörer“ für den Begleitschutz verantwortlich – zusammen mit einer Gruppe Me 109. Die III./ZG 26 begleitet eine Formation von Heinkel He 111-Bombern und Junkers Ju 88, die einen sich bildenden Geleitzug in der Mündung des Flusses zum Ziel haben. Die Schiffe sind für Häfen in Nordengland bestimmt. Da die deutschen Me 109 im Bereich der Themse an die Grenze ihrer Reichweite stoßen, ist es folgerichtig, den Langstreckenjägern des Typs Me 110 die Hauptlast des Begleitschutzes zu übergeben. Schließlich sind sie ja genau für solche Einsätze vorgesehen!
Um 12.45 Uhr (britischer Zeit) meldet die Radarstation Dover, dass sich hinter dem Pas de Calais auf französischer Seite in der Luft etwas zusammenbraut.
Die „Red Section“ der 43 Squadron ist als erste Einheit der Royal Air Force „am Feind“. Über Folkstone an der Kanalküste nahe Dover geraten die Hurricanes an die III. Gruppe des ZG 26. Es kommt zu einem erbitterten Luftkampf, in dem drei der deutschen Me 110 C-2-Zerstörer unterliegen. Zwei von ihnen werden abgeschossen (die Besatzungen fallen), während eine dritte Maschine beschädigt wird. Sie kehrt trotz der Schäden nach Frankreich zurück. Der Pilot überlebt unverletzt, er kommt allerdings ohne seinen Heckschützen zurück. Dieser stieg aus – und ist seither vermisst.
Nur eine der Hurricanes fällt den Geschossen der deutschen Jäger zum Opfer, es ist ausgerechnet das Flugzeug des Squadron Leaders (Kapitäns der Squadron), Major George Lott. Er kommt am Auge verletzt aus seiner Hurricane heraus und springt mit dem Fallschirm ab – gerade noch! Für ihn ist der Kampf vorerst vorbei – sein rechtes Augenlicht ist verloren. Aber er ist wenigstens am Leben!
Kurz darauf wirft sich der „A“-Flight der britischen 151 Squadron den Deutschen entgegen. Es sind nur sechs Hurricanes – gegen eine vielfache Übermacht. Doch das wissen sie nicht.
Als sie es merken, ist es zu spät. Die Deutschen stürzen sich auf die Hurricanes, die sich in zwei Dreiergruppen aufteilen. Eine nimmt den Kampf mit den deutschen Jägern auf, die andere versucht, zu den Bombern vorzudringen. Weit kommen auch diese drei nicht. Die Me 109 und Me 110 haben die Lage unter Kontrolle – angesichts ihrer Übermacht keine Schwierigkeit.
Dennoch gerät eine unglückliche Me 110 C-2 drei der Briten vor die Rohre und wird abgeschossen. Beide deutschen Besatzungsmitglieder der III./ZG 26 sind seither vermisst. Im Gegenzug wird Flight Lieutenant Ironside schwer im Gesicht verwundet und Midshipman Wightman (der eigentlich keinen Air-Force-Rang bekleidet) abgeschossen. Letzterer springt ab und wird von einem britischen Trawler unverletzt aus der See geborgen, während Ironside sein Flugzeug noch bis „nach Hause“ steuern kann, dann aber ins Krankenhaus gebracht werden muss. Er wird für den Rest der „Luftschlacht um England“ für die Royal Air Force ausfallen.
Obwohl die Bomber dieses Mal wirksam abgeschirmt werden konnten – keine der Hurricanes schafft es, am deutschen Begleitschutz vorbei zu den Kampfflugzeugen durchzubrechen – gerät der Angriff aus dem Konzept. Die Bomber haben sich durch die Attacke in sechs Gruppen aufgeteilt – in dem miserablen Wetter war nicht erkennbar gewesen, dass es sich nur um sechs Angreifer gehandelt hatte. Die Zersplitterung dient auch dazu, den Konvoi zu suchen – doch nur eine Bomberformation findet ihn auch. Die Bomben richten wenig Schaden an.
Messerschmitt Bf 110 C-2 der I./ZG 52. Die Gruppe ist in Charleville stationiert und wird ab 26. Juni 1940 zur II./ZG 2, die von Guyancourt aus operiert. Die Kennung und das Geschwaderwappen ändern sich dabei nicht.
Das hat sich nicht gelohnt! Daher wird gegen 16.00 Uhr eine weitere deutsche Streitmacht auf den Weg gebracht – etwa 70 Flugzeuge. Es ist kennzeichnend für dieses frühe Stadium der später so genannten „Luftschlacht um England“, dass sich die Briten solchen Einflügen regelmäßig nur mit wenigen eigenen Jägern in den Weg stellen. Es werden später Zeiten kommen, da sind die Rollen gründlich vertauscht! Keith Park setzt neun Spitfires der 65 Squadron auf die Deutschen an ...
Abstürzende Hurricane aus der Sicht des Heckschützen einer Me 110 (man vergleiche das links unten sichtbare rechte Seitenruder).
Abdrehende deutsche Langstreckenjäger Messerschmitt Bf 110.
Es kommt zu einem Schlagabtausch zwischen den Spitfires und den deutschen Me 109 E–3 des Begleitschutzes. Die Spitfire-Piloten melden die Beschädigung von drei deutschen Jägern und den Abschuss eines vierten. Tatsächlich trifft jedoch nur die letztere Meldung zu. Nur eine Me 109 wird wirklich getroffen! Der erfolgreiche Spitfire-Pilot ist Flight Sergeant Phillips, sein deutscher Gegner aus der II./JG 51 heißt Leutnant Triebel. Man findet später zwar das Wrack seiner Messerschmitt, doch von ihm selbst fehlt seither jede Spur. Ist er noch abgesprungen, vielleicht verwundet, gar ertrunken? Keiner weiß es.
Generell kann festgestellt werden, dass die angegebenen Abschüsse der einen verglichen mit den tatsächlichen Verlusten der anderen Seite sich oft im Verhältnis von 2 : 1 darstellen. Auf zwei behauptete und auch bestätigte Abschüsse (ohne einen Zeugen, die Dokumentation durch die beispielsweise in der Spitfire im linken Tragflächenansatz eingebaute und beim Schießen automatisch mitlaufende Williamson G.45-Kamera oder das Auffinden des Wracks „zählt“ kein Luftsieg, weder hier noch dort) kommt im Durchschnitt tatsächlich meist nur ein echter Verlust. Dies ist im Regelfall keine aufschneiderische Absicht, eher die ehrliche Überschätzung der Trefferwirkung auch durch den mitfiebernden Luftzeugen im Hochgefühl des herausgeflogenen Luftsieges. Es ist allerdings festzustellen, dass die Meldungen der Luftwaffe-Besatzungen und im Speziellen der Me 109-Jagdflieger tendenziell genauer und zutreffender sind als die bisweilen recht euphorischen Angaben innerhalb der britischen Royal Air Force. *2
Auf dem Rückflug der Deutschen versuchen neun Hurricanes der 79 Squadron, die Eindringlinge einzuholen. Die Messerschmitt-Piloten haben keinerlei Treibstoff mehr übrig, um sich auf ein Techtelmechtel mit den „Tommies“ da hinten einzulassen. Sie verlassen sich auf ihre überlegene Geschwindigkeit. Die Hurricanes kommen nicht richtig heran. Dennoch werden nach britischen Angaben drei Me 109-Jäger beschädigt, was sich in den mit deutscher Gründlichkeit akribisch geführten Quartiermeistermeldungen der Luftwaffe nicht nachvollziehen lässt. Es findet keine Beschädigung statt.
Dagegen wird eine einzelne He 111 H-3 der I./KG 53 das Opfer dreier Hurricanes der 17 Squadron. Als beide Motoren brennen, stürzt die Heinkel haltlos östlich von Harwich in die See. Die Staffelkapitäne der 1., 2. und 3. Staffel hatten den Befehl erhalten, „bewaffnete Aufklärung“ zu fliegen. Den Staffelkapitän der 3. Staffel erwischt es dabei zusammen mit seinen Leuten. Oberleutnant Kollmer (Pilot), Oberleutnant Fritz, Unteroffizier Huber, Unteroffizier Neuburger und der Gefreite Stiller sterben. Kollmer und Fritz werden ein halbes Jahr später bei Norderney angeschwemmt.
Zwei Ju 88 des KG 30 haben da schon mehr Glück. Sie waren von Ålborg in Dänemark gestartet. Drei Spitfires der 609 Squadron fangen sie ab. Die britischen Piloten melden die Zerstörung eines der beiden Bomber. Tatsächlich entkommen die modernen und schnellen deutschen Kampfflugzeuge alle beide. Immerhin hatten sie sich angreifenden Spitfires entziehen können! Die Ju 88 wird unter den deutschen Bomberbesatzungen immer beliebter. Das Vertrauen in die Potenz des Bombers wächst.
Inzwischen vermissen die deutschen Verbände fünf Flugzeuge, deren Abschuss zwar teilweise beobachtet wurde, von deren Besatzungen man aber nicht sicher weiß, ob sie noch aus ihren Maschinen herausgekommen sind. Vielleicht schwimmen sie in ihren Schlauchbooten oder gar mit Schwimmweste im Kanal und beten zu Gott um Hilfe. Mehrere der Heinkel He 59-Schwimmer-Flugzeuge des Seenotflugkommandos I werden alarmiert, um möglichst viele Männer zu retten – wenn es möglich ist.
Man hat aus den Erfahrungen gelernt und gibt den wehrlosen Doppeldeckern nun einen Jagdschutz zur Seite. nützt weder das schützende Rote Kreuz noch der Jagdschutz allzu viel, als der kleine Verband auf eine von Flight Lieutenant Al Deere geführte Gruppe von sechs Spitfires der 54 Squadron trifft. Deere nimmt sich den deutschen Begleitschutz vor (meistens ein Schwarm von vier Jägern, es ist in einer britischen Quelle sogar von „Staffelstärke“ die Rede). Pilot Officer Allen holt die He 59 herunter, während Deere frontal auf die Me 109-Formation zuhält. Einer der deutschen Jäger kommt ihm genau entgegen. Wer hat die besseren Nerven? Al Deere fällt es nicht ein auszuweichen!
Dem Deutschen auch nicht ...
Dann kracht es!
Die „109“ erwischt Deere’s Spitfire am Propeller und am Cockpit. Es grenzt an ein Wunder, dass dem Briten nichts passiert. Seine „Spit“ brennt nicht einmal – so lange, bis er in Manston gelandet ist. Dann bricht Feuer aus. Die Haube klemmt! Al Deere verschafft sich mit Brachialgewalt einen Weg nach draußen – irgendwie. Leichte Verbrennungen an der Hand – das ist alles. Dusel muss man haben!
Der Deutsche hat ihn nicht. So ungerecht ist das Schicksal – er hat nichts anderes getan als Al Deere. Doch er bleibt bis heute vermisst. Dagegen ist das Schicksal der britischen Piloten Pilot Officer Garton und Pilot Officer A. Evershed eindeutig. Die wütenden deutschen Messerschmitt-Piloten schießen sie mitsamt ihren Spitfire in das Wasser des Ärmelkanals. Beide Engländer sterben.
Heinkel He 59-Seenotrettungsflugzeug. Die deutlich mit roten Kreuzen gekennzeichnete und als Seenotrettungsflugzeug bewusst unbewaffnete, als Aufklärer mit millitärischen Balkenkreuzen und mit drei Abwehr-MGs völlig unzureichend geschützte Maschine kann mit Hilfe der Schwimmer auf dem Wasser landen und auch wieder starten.
Die Crew des Seenotrettungsflugzeuges bleibt unverletzt und marschiert verbittert in Gefangenschaft. Dank der Schwimmer kann das Flugzeug in englischer Küstennähe notlanden und wird von den Briten später bei Deal sichergestellt. Mitsamt der Crew, die dem Verbandsführer der Spitfires, dessen Namen Al Deere sie nicht kennen, genauso den Teufel an den Hals wünscht wie demjenigen, der sie abgeschossen hatte – Pilot Officer J. L. Allen.
Oder sich einen „Teufelskerl“ herbeibetet, der sie rächen wird!
Am Abend nehmen sich Stukas der I./StG 77 den Hafen Portland bei Weymouth vor. Messerschmitt Bf 110 der V.(Z) LG 1 stellen den Geleitschutz. Von Warmwell aus – einem neu gebauten Flugplatz – starten die Spitfires der 609 Squadron, um den Besatzungen der deutschen Sturzkampfbomber das Leben so schwer wie möglich zu machen – oder möglichst zu nehmen! Wie immer sind die Briten rechtzeitig gewarnt – dank Radar! Flying Officer D. M. Crook ist einer der britischen Piloten. Er fliegt Streife zusammen mit zwei Kameraden, als er deutsche Stukas auftauchen sieht. Es sind zwei, die er erkennen kann. „Tally Ho!“ („Feind in Sicht!“). Kein Problem – die Burschen schnappen wir uns!
Crook bereitet den Kampf vor. Waffen entsichern, Reflexvisier einschalten, auf geht’s. Die drei Spitfire stürzen ihren relativ leichten Opfern entgegen, als Crook eine innere Stimme in sich hört. Und die sagt unmissverständlich: „Vorsicht, hinter Dir!“
Crook sieht sich um. Und erstarrt. Neun Silhouetten sind genau in Abfangposition hinter und über ihnen, zweimotorige Silhouetten. Es besteht kein Zweifel über ihre Natur! Es sind deutsche Messerschmitt-„Zerstörer“, Me 110. Aus dieser Position sind sie in ihrem Element!
„Peter, Michael, watch out!“ „Schaut Euch mal um, nach hinten!“ Die beiden Briten mit den deutsch klingenden Vornamen reagieren nicht! „He, verdammt, seht Euch um! Peter, Michael, verflucht noch mal!“ Es ist zum Wahnsinnigwerden. Zu spät! Die vorderste Messerschmitt Bf 110 hat mit dem Geschwindigkeitsvorteil des Sturzfluges aufgeschlossen und feuert jetzt aus allen Rohren. Crook fliegen die Geschosse nur so um die Ohren. Er reagiert instinktiv. Messerscharfe Linkskurve und weg in die Wolke da unten. Uff! Das war verdammt knapp gewesen!
Crook atmet erst mal durch. Was wohl aus seinen unbedarften Kameraden geworden ist? Moment – was ist das? Schemenhaft taucht links vor ihm die Silhouette eines Flugzeuges auf. Peter? Michael?
Dann lichtet sich der Wasserdampf – die Wolke ist durchflogen! Das Flugzeug ist erkennbar. Es ist eine deutsche Ju 87 – ein „Stuka“. Crook erholt sich schnell von dieser Erkenntnis. Feuer!
2.000 Schuss Munition hämmern in den deutschen Knickflügler, bevor der Heckschütze des Stuka reagieren kann. Aus nächster Nähe! Der Motor des Deutschen fängt an zu qualmen, dann schlagen Flammen aus dem Rumpf. Wenig später hüllen sie das gesamte Flugzeug ein. Langsam kippt der Stuka ab und zerschellt in einer Gischtwolke im Wasser des Ärmelkanals. Crooks erster Abschuss hatte seine Opfer gefunden. Es sind der Gruppenkommandeur der I./StG 77, Ritterkreuzträger Hauptmann Friedrich-Karl Freiherr von Dalwigk zu Lichtenfels und sein Bordfunker, welche mit ihrem Leben Crooks Abschuss-Debüt markieren. Sie sind seither „vermisst“.
Auf der anderen Seite ist „Peter’s“ Uhr abgelaufen. Flying Officer Peter Drummond-Hay stirbt im Geschosshagel der deutschen Zerstörer, die genau auf diese Weise ihre Erfolge erzielen können. Fast nur auf diese Art, doch immerhin. Überraschend aus der Überhöhung von hinten oben. Auch einer der Me 110 C-Zerstörer der 9. V./LG 1 wird abgeschossen, die Besatzung kann allerdings von einer He 59 unverletzt aus dem Kanal gefischt werden. Sie kommt somit wieder in einem neuen Jagdflugzeug zum Einsatz – das ist genau das, was die britischen Piloten mit ihrer Missachtung des Roten Kreuzes verhindern wollen. Andererseits – die Deutschen wissen auch, dass jeder aus einer Hurricane oder Spitfire abspringende Pilot wieder gegen sie kämpfen wird, wenn sie ihn nicht am Fallschirm töten. Und morden dennoch nicht – in diesem so empfundenen Sinne. Zudem könnten die Engländer auch einmal einen der ihren in einer He 59 abschießen, denn die Deutschen fischen jeden auf, der als erkennbar menschliches Wesen im Wasser des Kanals herumschwimmt. Nicht ganz uneigennützig, das muss betont werden, denn ein britischer Pilot ist aus deutscher Sicht in Gefangenschaft besser aufgehoben als womöglich doch noch an Bord eines englischen „Rescue“-Bootes ...
Gemäß dem Geschwaderwappen und der undeutlich sichtbaren Kennung zeigt dieses Foto eine Ju 87 B der III./StG 2.
Auf Initiative von Generalluftzeugmeister Ernst Udet und Hauptmann Werner Mölders werden im Ärmelkanal Rettungsbojen in beträchtlicher Anzahl ausgebracht, die eine 100 Meter lange gelb-rot markierte Treibleine, Haltehandläufe, eine Einstiegsleiter, Kojen, Verpflegung, Frischwasser und Signalmittel enthalten. Im Inneren finden sich Pritschen für vier Personen, zur Not passen auch mehrere Besatzungen in das Gehäuse. Die Bojen retten leider nicht viele ...
„Udet-Boje“.
Vier Spitfire und zwei Hurricane gehen den Briten verloren, eine weitere Hurricane wird beschädigt. Die Deutschen verlieren eine Do 17 Z-2, eine He 111 H-3, eine Ju 87 B, eine He 59, vier Me 110, zwei Me 109. Eine Do 17 und eine Me 110 wird beschädigt.
An Totalverlusten ergibt dies ein Verhältnis von 6 : 10 zu Gunsten der Royal Air Force.
Die Bilanz (einschließlich deutscher Verluste durch britische Flak, ohne Verluste britischer Bomber):
gemeldete britische Abschüsse: 12 tatsächliche deutsche Verluste: 10
gemeldete deutsche Abschüsse: 12 tatsächliche britische Verluste: 6
Zunächst werden die Angriffe der deutschen Luftwaffe auf die britische Küstenschifffahrt unvermindert fortgeführt, mit wechselndem Fortune für beide Seiten. Üblicherweise erleidet die Luftwaffe insgesamt deutlich mehr Verluste als die Royal Air Force, während die deutschen Me 109-Piloten isoliert betrachtet im Luftkampf mit den britischen Jagdfliegern häufiger die Oberhand behalten – was nicht verwundert, da sich die britischen Spitfires und Hurricanes schwerpunktmäßig mit den deutschen Bombern auseinander setzen und daher gefährdet sind, vom deutschen Begleitschutz überrascht zu werden.
Am 11. Juli 1940 fegt ein schwerer Regensturm über die britische Insel, der die Aktivitäten des Fighter Command limitiert, während die Luftwaffe unverdrossen versucht, durch Aufklärer und Flugzeuge der Wettererkundungsstaffeln (Wekusta) Informationen zu erhalten. Douglas Bader wird über eine dieser Dornier-Maschinen informiert – es erscheint aussichtslos, diese bei dem Mistwetter zu finden. Bader sieht deshalb davon ab, das Leben seiner Leute im Blindflug zu riskieren – andererseits ärgert es ihn schon, den Deutschen so einfach ziehen zu lassen.
Wenig später ist eine einsame Hurricane auf der Suche nach einer einsamen Do 17. Als Bader den Aufklärer irgendwie dann doch aufspürt, ist es mit dessen Einsamkeit vorbei. Im Geschosshagel der acht Maschinengewehre in den Tragflächen der Hurricane stirbt der Heckschütze des deutschen Kampfflugzeuges – für Bader erkennbar. Dann ist die Dornier in den Wolken verschwunden.
Messerschmitt Bf 109 E-1 des JG 2. Zu diesem Zeitpunkt wird die Version E-1 nach wie vor im Kampf geflogen, doch zunehmend von den Nachfolgemustern E-3 und bereits E-4 abgelöst. Im Juli 1940 nutzen die Jagdflieger des JG 2 alle drei Varianten nebeneinander.
Als Bader wieder landet, erhält er die Nachricht, dass die Männer eines Luftbeobachtungspostens an der Küste einen deutschen Dornier-Bomber ins Meer stürzen sahen.
Es ist eine Do 17 der Wekusta 261. Alle vier Besatzungsmitglieder sind seither vermisst.
19. Juli 1940: Zwölf Defiant Jäger – es ist die 141 Squadron – werden aus dem Norden in den Süden verlegt, nachdem technische Verbesserungen an ihren ungewöhnlichen Jagdflugzeugen mit den Vierlingsmaschinengewehren im Drehturm vorgenommen worden waren. Dies hatte den noch unerfahrenen Besatzungen allerdings die Möglichkeit zu Trainingsflügen weitgehend genommen, was ihnen nun ein etwas flaues Gefühl in der Magengrube beschert. Ohnehin fühlen sich die Schützen in ihren Türmen reichlich unwohl, ist ein Entkommen aus dieser Falle doch ziemlich mühsam und umständlich. Es benötigt Zeit, viel Zeit, die in einem abstürzenden Flugzeug meistens wertvoll und knapp ist.
Andererseits hatten ihre Kameraden von der 264 Squadron über Dünkirchen Aufsehen erregende Erfolge erzielt, was nun doch ein wenig anspornt. Dass diese Erfolge vor allem daran lagen, dass die deutschen Jägerpiloten die damals noch unbekannten britischen Boulton-Paul-Konstruktionen mit Hurricanes verwechselt hatten und daher von hinten oben angeflogen waren – genau in das Abwehrfeuer der Defiant-Heckschützen hinein – das wissen die Besatzungen der 141 Squadron nicht.
Es trifft sie daher unvorbereitet, dass die Messerschmitt-Piloten ihre Lektion inzwischen gut gelernt haben. Die drei Besatzungen der britischen Squadron, die mit ihren Jagdflugzeugen umkehren müssen, werden dem Himmel für die Motorprobleme danken, welche den Abbruch ihrer Mission erzwingen. Die übrigen neun Maschinen befinden sich auf einem Patrouillenflug über Folkestone/Dover kurz nach Mittag, als das Unheil über sie hereinbricht. Die Briten fliegen den Me 109 der III./JG 51 völlig überraschend in die Arme – die Bodenkontrolle hatte ihnen keine Vorwarnung zukommen lassen.
Boulton-Paul P.82 „Defiant“ der 264 Squadron.
Die Messerschmitt-Piloten identifizieren die Defiants dieses Mal korrekt – und wissen nun, was sie zu tun haben. Sie tauchen überlegt unter die Flughöhe der feindlichen Formation und befinden sich urplötzlich im toten Winkel der britischen Turmschützen hinter und unter dem Heck der Defiant-Jagdflugzeuge. Die britischen Besatzungen finden sich unversehens in der Flugbahn deutscher Geschoss-Salven wieder. Verzweifelt versuchen die Defiant-Piloten, ihren Schützen auf dem Rumpfrücken eine Verteidigungsmöglichkeit herauszufliegen – ein Schussfeld auf den Gegner! Die britischen Flugzeugführer brechen aus der Formation und kurven zu den Seiten weg, während die Schützen ihre vier Maschinengewehre auf die deutschen Angreifer richten. Die sind jetzt jedoch bereits unter ihnen durchgeflogen und daher erneut nicht mehr im Sichtbereich der britischen Visiere.
Im nächsten Augenblick steht das Entsetzen in den Augen der Defiant-Besatzungen. Von vorne oben erfolgt der nächste Angriff – die erste Messerschmitt-Staffel hatte die Defiant-Formation einer zweiten Staffel geschickt direkt in die Schussrichtung getrieben. In Ermangelung einer nach vorne feuernden Bewaffnung sind die Piloten der RAF-Jäger jetzt völlig machtlos – schachmatt! Innerhalb von Sekunden stehen die Jagdflugzeuge der Pilot Officers John Kemp, Richard Howley, Rudal Kidson und John Gardner in Flammen. Nur Gardner kommt noch verwundet aus seiner Defiant heraus, die übrigen sieben Männer sterben im Feuerhagel.
Der Rest der britischen Squadron versucht verzweifelt, die Wolken zu erreichen. Hilferufe gellen durch den Äther, die Aufregung erfasst nun auch die Sektor-Kontrolle. Zwölf Hurricanes der 111 Squadron werden im Alarmstart in die Luft beordert, um der 141 Squadron zu Hilfe zu kommen. Inzwischen greifen die Deutschen pausenlos an – immer aus dem toten Winkel von vorne oder hinten unten aus. Flight Lieutenant Jan Donalds Defiant steht in Flammen, mühsam hält der Pilot seine Maschine noch in der Luft! Er weiß, dass für seinen Heckschütze jede Sekunde wertvoll ist, die er das Flugzeug noch vom Absturz zurückhalten kann, um aus dem brennenden Sarg heraus zu kommen. Pilot Officer Hamilton arbeitet sich mit fahrigen Händen mühsam aus dem Drehturm, die Todesangst im Gesicht. Die Sekunden werden zu Stunden. Endlich – er ist draußen! Man findet nie wieder eine Spur von ihm. Die Überreste seines Piloten dagegen werden in dem zerschmetterten Wrack identifiziert, welches unmittelbar darauf bei Dover zerschellt. Donald ist nicht mehr herausgekommen – für ihn war es zu spät.
Vier Defiants sind es schließlich, die mit letzter Kraft ihr Flugfeld erreichen – zwei davon sind offensichtlich in ernsten Schwierigkeiten. Die beiden Maschinen sind schwer beschädigt. Die Piloten, Flight Lieutenant Malcolm Loudon und Pilot Officer I. N. McDougall, hatten ihre Heckschützen bereits zum Absprung genötigt, um ihnen den Tod bei einer möglichen Crash-Landung zu ersparen. Von dem einen der beiden, Sergeant J. F. Wise, fehlt seither jede Spur, lediglich Pilot Officer E. Farnes überlebt – als einziger „Gunner“ einer der schwer getroffenen Defiants. Nun landen die Piloten – die Reifen der ersten berühren den Boden, dann folgt die zweite. Als die dritte Defiant aufsetzt, zerschellt Flight Lieutenant Loudons Flugzeug in den Häusern von Hawkinge. Im letzten Moment hatte der Motor aufgegeben. Von den gelandeten wird eine Maschine sofort zum Totalschaden erklärt – es ist augenfällig.
Sieben von neun Flugzeugen sind verloren, zwölf Piloten beziehungsweise Schützen sind innerhalb von acht Minuten (13.42 Uhr bis 13.50 Uhr) gefallen. Das Desaster ist das Ende der Karriere der Boulton-Paul „Defiant“ als Jäger im Tageinsatz. Die verbleibenden Flugzeuge starten fortan fast nur noch nachts im Kampf gegen Bomber. Auseinandersetzungen gegen clever geflogene Me 109 sind nicht zu gewinnen, daran kann es keinen Zweifel mehr geben. Wahrscheinlich wäre die britische Squadron bis auf die letzte Maschine ausgelöscht worden, hätten die Hurricanes der 111 Squadron nicht gerade noch rechtzeitig für den Rest der Einheit den Ort des Massakers erreicht. Pilot Officer Simpson kann eine Me 109 treffen. Auch Spitfires greifen ein, was der Abschuss einer Spitfire durch Unteroffizier Maximilian Mayerl (8./JG 51) um 13.52 Uhr südlich von Dover beweist.
Wenig später kommt es erneut zu Luftkämpfen über dem Kanal, wobei die 9./JG 51 um 17.00 Uhr wieder bei Folkestone gegen Spitfires kämpft. Insgesamt verliert die Royal Air Force an diesem Tag zwölf Jagdflugzeuge – jene sieben Defiants und fünf Hurricanes. Zwei der Hurricanes fallen den Bordschützen deutscher Heinkel He 111 zum Opfer, die übrigen gehen auf das Konto der gefährlichen Me 109-Jagdflugzeuge. Fünf Piloten der Royal Air Force fallen, fünf weitere werden verwundet – die unglücklichen Defiant-Heckschützen sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Auf deutscher Seite gehen eine Do 17 P, eine He 111 P und eine Schwimmerflugzeug He 115 verloren, ferner zwei Me 109. Elf Besatzungsmitglieder der Bomber sterben, ebenso Feldwebel Karl Heilmann (9./JG 51, Me 109 E-4) im Kampf gegen Spitfire. Unteroffizier Walter Miesala (9./JG 51, Me 109 E-1) schafft nach Luftkampf bei Folkestone verwundet eine Bauchlandung (Bruchgrad 60 %).
Die Bilanz (einschließlich deutscher Verluste durch britische Flak, ohne Verluste britischer Bomber):
gemeldete britische Abschüsse: 13 tatsächliche deutsche Verluste: 5
gemeldete deutsche Abschüsse: 22 tatsächliche britische Verluste: 12
24. Juli 1940: wie üblich beginnt der Morgen im ersten Sonnenlicht mit Aufklärungsflügen der Luftwaffe. Und den häufig damit verbundenen Verlusten – eine beschädigte He 111 des KG 26 und eine abgeschossene Ju 88 der I./LG 1. Zwei Staffeln Dornier Do 17 greifen anschließend gegen 08.00 Uhr einen Konvoi an – und werden von sechs Spitfires der 54 Squadron abgefangen. Den Bordschützen der Dornier-Bomber gelingt es, die „Spitfeuer“ auf Distanz zu halten. Allerdings sind die Bombenschützen auch nicht in der Lage, in Ruhe ihren Bombenwurf zu zielen. Die Schiffe bleiben ungeschoren.
Der nächste Konvoi ist ab 11.00 Uhr von Medway aus unterwegs. Auch er wird zum Ziel. Es sind 18 Dornier Do 17, die den Auftrag haben, möglichst viele Schiffe zu versenken. Sie werden gedeckt von etwa 40 Messerschmitt Bf 109 E der III./JG 26.
Die komplette 54 Squadron wirft ihre Spitfire dem Verband entgegen – etwa zwölf britische Jäger. Wenig später erreichen weitere sechs Spitfire der 65 Squadron den deutschen Verband. Diese nehmen sich die Bomber vor, da der deutsche Begleitschutz sich bereits mit den anderen britischen Piloten herumschlägt. Somit ist der Weg zu den Bombern frei. Doch deren Besatzungen sind auf der Hut – und offenbar inzwischen in Übung. Sie nehmen die schnittigen englischen Jäger in derartig konzentriertes, gut gebündeltes Abwehrfeuer, dass diese nicht zum gezielten Schuss kommen. Die Do 17 entkommen, ohne irgendwelchen Schaden zu nehmen. Erneut eine beachtliche Abwehrleistung. Derweil ist ein verbissener Luftkampf zwischen den Me 109 und den Spitfire im Gange. Einer der Messerschmitt-Piloten schildert ihn wie folgt (in die Erzählform Präsens transferiert): *3
Brennend abstürzende Spitfire.
„Über der Themsebucht geraten wir in heftige Luftkämpfe mit Spitfire-Jägern, die einen Geleitzug sichern. Ich nehme mir mit dem Stabsverband zwei Ketten Spitfires vor, die wir aus günstiger Überhöhung überraschend angreifen, hänge mich an die linke, außen fliegende Maschine, der ich bei einer Rechtskurve einen langen Feuerstoß beibringen kann. Der Engländer geht fast senkrecht über die Fläche nach unten. Ich folge ihm, bis mir die abgeworfene Kabine entgegenfliegt und ich den Piloten aussteigen sehe. Seinen Sturz verfolge ich bis zum Aufschlag aufs Wasser. Der Fallschirm hatte sich nicht geöffnet.“
Dem unglücklichen Briten hätte die Besatzung des He 59-Rot-Kreuz-Flugzeuges auch nicht mehr helfen können, die ihm einmal einen Teufelskerl an den Hals gewünscht hatte. Es ist Pilot Officer Johnny L. Allen, ein Ass mit sieben Abschüssen und einem anteilig gedrittelten Erfolg. Einer der Luftsiege war jene gemäß des Befehls von Flight Lieutenant Al Deere zerstörte He 59 am 9. Juli 1940 gewesen, deren Abschuss nun von Major Adolf Galland aus Sicht ihrer Besatzung quasi „gerächt“ worden war.
Ein weiterer Spitfire-Pilot wird abgeschossen, doch Sergeant G. R. Collett kann verwundet notlanden. Die Briten revanchieren sich mit zwei abgeschossenen Messerschmitt, deren Piloten fallen. Als die übrigen Jagdflieger der III./JG 26 abdrehen müssen, weil ihnen der Treibstoff zur Neige geht – sie können sich dem Luftkampf mit Spitfire-Jägern nach Belieben im Sturzflug entziehen – werden sie von Kameraden der III./JG 52 abgelöst, die ihrerseits wieder an neun anfliegende Spitfire der 610 Squadron geraten. Bei dem entbrennenden Luftkampf verlieren zwei deutsche Piloten ihr Leben.
Explodierende Messerschmitt Bf 109 E.
Am Nachmittag gelingt es einer einzelnen Do 17, sich – von Wolke zu Wolke hüpfend – einer ganzen Reihe von Abfangversuchen geschickt zu entziehen. Es ist ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel, bis der deutsche Bomber schließlich bei Weybridge auftaucht und seelenruhig auf dem Flughafen Brooklands scheinbar zur Landung ansetzt. Keiner sieht so genau hin, als da offenbar eine eigene Maschine mit ausgefahrenem Fahrwerk zurückkehrt – bis 16 50-kg-Bomben aus dem geöffneten Schacht des frechen Hasardeurs purzeln und in Reihe detonieren. Als man sich von dem Schreck erholt, ist die geradezu unverschämte deutsche Do 17 bereits über alle Berge!
Jeden Tag gibt es Kämpfe, täglich sterben Flieger. Zwei Heinkel He 111 H-3, eine Junkers Ju 88 und sechs Messerschmitt Bf 109 sind die deutschen Ausfälle. Die Jagdflugzeug-Piloten fallen alle bis auf einen – der Glückliche überlebt verwundet, es ist Leutnant Werner Bartels (Stab der III./JG 26, Kennung plus | für die III. Gruppe, also
, Werknummer 6296F. Die Gruppenkennzeichnung hinter dem
wie ,-, | oder ~ ergibt sich logisch und wird daher im Buch bei Angabe von Kennungen nicht erwähnt, siehe Einleitung). Unter den Bomberbesatzungen werden sechs Mann getötet, drei verwundet und zwei gefangen genommen. Die Briten beklagen drei Tote und einen Verwundeten, wobei einer der Gefallenen seine Hurricane aus unbekanntem Grund mit tödlichem Ausgang notzulanden versucht. Zählt man diesen Vorfall nicht, so bleiben drei im Kampf zerstörte Spitfire.
Die Bilanz (einschließlich deutscher Verluste durch britische Flak, ohne Verluste britischer Bomber):
gemeldete britische Abschüsse: 11 tatsächliche deutsche Verluste: 9
gemeldete deutsche Abschüsse: 5 tatsächliche britische Verluste: 3 (4)
So geht das nicht weiter! Beide Seiten sind nicht zufrieden! Zwar lassen die Deutschen aus der Sicht der Royal Air Force mehr Federn als die eigenen Squadrons. Zumal dann, wenn man den Abschussmeldungen glauben kann. Doch das können die sich leisten! Keith Park und Dowding dagegen sehen den Aderlass der eigenen Kräfte mit tiefer Sorge. Es ist eine Frage der Zeit.
Auch die Deutschen analysieren ihrer Verluste sorgfältig. Gut, den Abschussmeldungen zufolge müsste den Briten auf diese Weise irgendwann die Luft ausgehen. Fakt ist aber, die eigenen Maschinen werden merkwürdig frühzeitig angegriffen. Und nie von den großen Verbänden, die man doch eigentlich hatte aus der Reserve locken und dann vernichten wollen. Was sich außerdem etwas schwieriger anlässt, als erwartet – der Preis ist recht hoch, auf die Dauer zu hoch! Die eigenen Verluste stehen in einem überraschend empfindlichen Verhältnis zu der erzielten Dezimierung der Royal Air Force. Die außerdem auffallend zielsicher immer zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ist.
Da man selber Funkmessgeräte besitzt, ist das Geheimnis mit einigem Nachdenken bald gelüftet. Zumindest der sichtbare Teil des Rätsels – denn auf die Idee, dass die Briten den durch die „Enigma“-Chiffriergeräte doch scheinbar so völlig sicher verschlüsselten deutschen Funkverkehr mithören und entziffern könnten, auf diese undenkbare Vorstellung kommt auf deutscher Seite niemand. Aber da sind doch diese Gitterkonstruktionen an der Küste. Diese provozierend in den Himmel ragenden Masten müssen weg! Funkortung, offensichtlich! Das ist des Rätsels Lösung! Und – wenn man die Royal Air Force nicht anders in die Luft zwingt, dann wird man eben etwas nachhelfen müssen! Wenn man ihre Flugplätze angreift, dann haben sie keine andere Wahl, als zu starten! Dann müssen sie sich einfach zum Kampf stellen! Und zwar die gesamte Jäger-Streitmacht der RAF! Dann haben wir sie ...
Gemäß den ursprünglichen Erkenntnissen des deutschen Geheimdienstes geht man am 16. Juli 1940 („Studie Blau“, Oberstleutnant Josef Schmid im Oberkommando der Luftwaffe) von etwa 900 britischen Jagdflugzeugen aus, von denen 75 %, also etwa 675, einsatzfähig seien. Nach den deutschen Abschussmeldungen – auch bei vorsichtiger Interpretation – müsste deren Stärke nun bereits empfindlich dezimiert sein.
Tatsächlich hatte die deutsche Luftwaffe einige Erfolge erzielt. 13 Schiffe alleine der Royal Navy waren bis zum 2. August 1940 versenkt worden, davon immerhin vier Zerstörer (HMS „Brazen“, HMS „Codrington“, HMS „Wren“, HMS „Delight“) und ein Flugabwehrschiff (die HMS „Foyle Bank“). Die anderen Kriegsschiffe sind bewaffnete Trawler und Ähnliches. Hinzu kommen etwa ebenso viele Handelschiffe.
Auch die Anzahl der gemeldeten Abschüsse ist beträchtlich. Deren tatsächliche Zahl wird nicht unzutreffend eingeordnet. Was man aber auf deutscher Seite gewaltig unterschätzt, ist die Fähigkeit der Engländer, beschädigte Maschinen zu reparieren und neue Flugzeuge herzustellen. Auch bei der Ausbildung der Piloten werden Fortschritte erzielt. Fortschritte, die die Deutschen nicht erwarten!
Unter Druck produziert es sich offensichtlich besser! Das wird sich auch in Deutschland zeigen. Anfang 1940 produziert eine völlig intakte deutsche Rüstungsindustrie etwa 125 Messerschmitt Bf 109-Jagdmaschinen im Monat. Im Herbst 1944, in einem – dies sei vorweggenommen – durch flächendeckenden Bombenkrieg bereits drastisch zerstörten Deutschland, dessen Industrie nur noch mit enormem Improvisationstalent verteilt auf viele einzelne Produktionsstätten ihre Aufgaben erfüllen kann, sind es 2.500 Flugzeuge – in einem Monat. An Jagdflugzeugen hat es keiner Seite je gemangelt.
Aber an gut ausgebildeten Piloten! Inzwischen hat sich allerdings auch dieser Mangel im Fighter Command wieder weitgehend normalisiert. Anfang August 1940 hat Dowding immerhin bereits 1.414 Jagdflieger unter seinem Kommando! Alleine im Juli 1940 waren den Squadrons 214 neue Piloten zugeführt worden. Dowding muss befürchten, an seinen eigenen Worten gemessen zu werden. Wie wollte er weitere Höchstanstrengungen in der Ausbildung begründen, wenn ihm mehr Flugzeugführer zur Verfügung stünden als Flugzeuge?
Daher ist der Kunstgriff legitim, die Squadron-Sollstärke wieder auf 20 Jagdflugzeuge pro Squadron zurückzuführen – statt mehr Squadrons aufzustellen, was die Alternative wäre. Dann aber könnte ja jemand auf die Idee kommen, dass es gar keine Defizite an Jagdflugzeugen und Piloten gäbe. Die gibt es auf diese Weise immer noch – auf dem Papier ...
Nein, was Dowding ernste Sorgen macht, ist nicht die Zahl seiner Männer! Es ist deren Ausbildungsstand. Mehr als 80 qualifizierte Squadron-Kommandeure und Flight-Führer waren inzwischen im Luftkampf gegen die Deutschen gefallen, ihre Stellen nehmen teilweise Piloten ein, die reichlich wenig Erfahrung in der Führung einer Formation besitzen. Und der Hauptangriff ist noch nicht einmal erfolgt!
Während die Verluste steigen! Und die Einflüge der Luftwaffe an Entschlossenheit zunehmen. Göring will es offenbar nun wissen!
Alleine am 8. August 1940 wird der britische Konvoi „Peewit“ mit einem derartigen Vernichtungswillen angegriffen, dass von den 20 Frachtschiffen mit Marinebegleitschutz gerade mal vier Schiffe unbeschädigt den Zielhafen Sawanage erreichen. Sieben Frachtschiffe liegen zu diesem Zeitpunkt bereits versenkt auf dem Grunde des Ärmelkanals, sechs weitere sind so schwer beschädigt, dass einige von ihnen den nächstbesten Hafen nur noch mit letzter Kraft erreichen – lange vor dem Ziel. Auch vier der Begleitschiffe der Royal Navy müssen Bombentreffer hinnehmen.
Andererseits hatten die großen Angriffsformationen die britische Radar-Erkennung begünstigt. Alle Abwehr-Starts waren erfreulich rechtzeitig möglich gewesen, sodass die britischen Jäger immer und überall aus bester Angriffsposition heraus agieren konnten. Diese Erkenntnis stellt Dowding zufrieden.
Die Bilanz (einschließlich deutscher Verluste durch britische Flak, ohne Verluste britischer Bomber):
gemeldete britische Abschüsse: 55 tatsächliche deutsche Verluste: 27
gemeldete deutsche Abschüsse: 38 tatsächliche britische Verluste: 18
Heinkel He 111 H-1 im losen Verband ...
Unter den deutschen Verlusten befindet sich erneut ein Seenotrettungsflugzeug, zwei Besatzungsmitglieder der He 59 sterben. Immerhin zehn Junkers Ju 87 „Stukas“ stehen auf der deutschen Verlustliste, ferner vier Me 110-Langstreckenjäger. Elf der übrigen Maschinen sind Messerschmitt Bf 109, wovon eine nur zu 60 % beschädigt wird, der Pilot kehrt unverletzt mit seinem beschädigten Jäger zurück.
Inzwischen lassen sich auch die Deutschen eine Neuerung einfallen. Sie rüsten Messerschmitt Bf 110-Zerstörer mit Bomben aus und führen auf diese Weise den Jagdbomber ein – als Flugzeug, das einige wenige Bomben (allerdings durchaus 500 kg schwer!) ins Ziel tragen kann, nach deren Abwurf aber ohne die Zusatzlast die originäre Geschwindigkeit eines Jagdflugzeuges zurückgewinnt und sich somit feindlichen Jägern ebenso entziehen kann, wie es als Jäger eben möglich ist. Ein großer Vorteil im Vergleich mit den auch ohne Bombenlast langsameren Bombern. Am 8. August 1940 kommt die Erprobungsgruppe 210 unter Hauptmann Walter Rubensdörffer erstmals zum Einsatz – und dies erfolgreich.
... und im Angriff auf einen Frachter.
Am 11. August 1940 eskalieren die Kämpfe. Nach „freier Jagd“ am Morgen und Jagdbomberangriffen von Rubensdörffers Einheit auf Dover stürzen sich gegen 10.00 Uhr (britischer Zeit) 54 Ju 88 der I./und II./KG 54 sowie 20 He 111 des KG 27 auf Portland, gedeckt durch 61 Messerschmitt Bf 110 der I./und II./ZG 2 und 30 Messerschmitt Bf 109 der III./JG 2. Das sind immerhin 165 deutsche Flugzeuge. Allerdings lastet die gesamte Abwehr letztlich auf den wenigen Piloten der einmotorigen Me 109-Jäger, die zunehmend auch noch auf ihre Kameraden in den zweimotorigen Zerstörern aufpassen müssen. Die wissen sich in mittleren Flughöhen oft nicht mehr anders zu helfen, als im Falle eines Angriffs durch Spitfire- oder Hurricane-Gegner einen Abwehrkreis zu bilden. Damit sind die Zerstörer bestenfalls neutralisiert. Ihre eigentliche Aufgabe, die Bomber zu schützen, können sie so nicht erfüllen – im Gegenteil, sie benötigen selber Hilfe. Das wäre nicht in dem Maße der Fall, wenn sich die zweimotorigen Jäger in großen Höhen ungebunden der Jagd widmen dürften – wie sie es zu Beginn der Kämpfe taten. Eine Taktik, bei der die Me 110 auf ihre Gegner herunterstürzen, mit ihrer schweren Bugbewaffnung aus nächster Nähe feuern und dann sofort wieder nach oben hochziehen, lässt selbst einer verfolgenden Spitfire Mk. I kaum eine Aufholchance! Doch in einer Begleitschutzrolle für Bomber verbietet sich dieses „hit and run“-Manöver – der „run“, das Verschwinden nach oben, überließe die Schützlinge in den bombenbeladenen Kampfflugzeugen ihrem Schicksal. Mit dieser Aufgabe, für die sie eigentlich konstruiert wurden, sind die Me 110-„Zerstörer“ vollkommen überfordert – und den wendigen einmotorigen Jägern der Royal Air Force somit ausgeliefert.
Messerschmitt Bf 110 mit dem Wappen der Erprobungsgruppe (EGr) 210.
Hawker „Hurricane“-Jäger der 601 Squadron.
Der Druck auf die Jagdflieger in den einmotorigen Me 109 wächst.
Die 30 Me 109 bekommen es mit Teilen von acht britischen Squadrons zu tun (N° 1, 87, 145, 152, 213, 238, 601 und 609). Es sind 74 britische Hurricanes und Spitfires – alles zusammen. Die deutschen Jäger fliegen den Bombern voraus. Als die Royal Air Force zur Abwehr auftaucht, bilden die Me 110 sofort Abwehrkreise. Im ersten Anflug der Spitfires der 609 Squadron fallen bereits fünf Zerstörer vom Himmel – trotz schützendem „Kreisverkehr“. Eine wilde Luftschlacht entbrennt. Immerhin erreichen die deutschen Jägerpiloten mit ihrer Taktik, dass die meisten Feindjäger sich mit ihnen beschäftigen. Die Bomber bleiben relativ unbehelligt. Nicht ganz allerdings. Vor allem Spitfires der 152 Squadron und Hurricanes der 87 und 213 Squadron brechen zu den Kampfflugzeugen durch.
An anderer Stelle – bei Harwich und Clacton beispielsweise – zeigen die Me 110-Piloten, dass auch sie Abschüsse erzielen können – auf Kosten einer Hurricane und zwei Spitfires.
Am Nachmittag wird ein Küsten-Konvoi das Ziel. Es wird gestartet, gekämpft, gesiegt und verloren ...
Unter den deutschen Verlusten sind erneut zwei Seenotrettungsflugzeuge des Typs He 59. Die Briten unterstellen ihnen Aufklärungsaufgaben! Zwei Spitfire-Piloten bezahlen den Abschuss eines dieser Schwimmerflugzeuge mit ihrem Leben. Sie werden von der Me 109-Eskorte heruntergeschossen.
Die Bilanz (einschließlich deutscher Verluste durch britische Flak, ohne Verluste britischer Bomber):
gemeldete britische Abschüsse: 76 tatsächliche deutsche Verluste: 35
gemeldete deutsche Abschüsse: 57 tatsächliche britische Verluste: 35
Verluste und Abschüsse halten sich die Waage. Dowding kann das nicht wissen, denn er kann sich nur an den deutlich zu hohen Angaben seiner Piloten orientieren. Dass diese Meldungen nach unten korrigiert werden müssen, ist den erfahreneren Kommandeuren beider Seiten klar. Nur – um wie viel? Im tatsächlichen Ergebnis ist die Bilanz für England untragbar. Wenn Dowdings Fighter Command nicht auf Dauer erheblich besser abschneidet als die Jagdgeschwader der Deutschen, ist es über kurz oder lang vorbei! Die Luftwaffe ist dabei, die Royal Air Force vernichtend zu zerschlagen!
Phase 2
Seit dem 12. August 1940 nehmen sich die deutschen Jagdbomber der EGr 210 die Radarstationen an der Küste vor. Man ist auf deutscher Seite zuversichtlich, diese lästige britische Luftüberwachungstechnik mit wenigen gut gezielten Volltreffern ausschalten zu können. Tatsächlich werden die Radarpositionen von Dover, Pevensey und Rye am 12. August in brillant geflogenen Angriffen vorübergehend außer Gefecht gesetzt. Wenn die Baracken mit den Erfassungsgeräten zerstört und die Radarbeobachter – oft weibliche Mitarbeiter der Royal Air Force – getötet werden, ist eine Funktion der Station zunächst nicht mehr möglich. Allerdings nur auf Zeit, denn Baracken kann man wieder aufbauen und Geräte ersetzen. Auch Radarbeobachter. Zum Glück für die Insassen verfehlen die Bomben in Rye die Sendebaracke, während die anderen Gebäude zerstört werden. Das ist nicht immer so.
Die Gefahr ist groß, dass dem britischen Fighter Command seine wirksamste organisatorische Defensiv-Waffe aus der Hand geschlagen wird. Die Meldungen der deutschen Piloten sind allerdings höchst deprimierend. Die verflixten Radarmasten scheinen einfach unzerstörbar zu sein. Treffer auf Treffer, Bombe auf Bombe sitzt mitten im Ziel – teilweise donnern Volltreffer nach Lehrbuch in die Masten. Und diese verdammten Dinger kümmert das einen Dreck! Das darf doch wohl nicht wahr sein!
So einen Frust hatten die Besatzungen bisher selten zu verdauen. Allmählich reift die Erkenntnis, dass den Gittermasten so nicht beizukommen ist. Eine Bombe entfaltet ihre zerstörerische Wirkung durch die Gewalt des Luftdrucks der Explosion und den zerfetzenden Effekt umherschwirrender Splitter. Doch welchen Eindruck machen die auf eine Gitterkonstruktion? Der Luftdruck verpufft relativ harmlos zwischen den Gitterstäben, und selbst die Zerstörung einzelner Stäbe durch Bombensplitter oder direkte Treffer bringt den gesamten Mast meist nicht zu Fall! Für die Angreifer scheint der Erfolg ihrer Bombentreffer somit praktisch Null zu sein.
Die tatsächliche Wirkung der Angriffe auf die sensiblen Geräte und die bei solchen Angriffen oft auch erfolgende Zerstörung der Baracken bleibt den deutschen Flugzeugführern in ihrer gefährlichen Konsequenz für Dowdings Fighter Command verborgen. Denn die Engländer hatten mit Reservestationen teilweise vorgesorgt und installieren zudem sofort nach dem Ausfall einer Radarstation Notaggregate, welche die Aussendung von Sende-Impulsen ermöglichen, die einen uneingeschränkten Betrieb der Station vortäuschen. Es scheint, als wären die Radarstationen gegen Bomben immun.
Das sind sie nicht, beileibe nicht. Aber es ist eine Frage der Zeit, wann es die Deutschen aufgeben werden, wenn dieser Eindruck bei ihnen entsteht! Und genau das ist es, was die Briten wollen.
Das Wetter ist gut an diesem 12. August 1940, wie geschaffen für Luftangriffe. Ein Vorgeschmack dessen, was da noch kommen sollte, erwartet die britische Insel.
141 deutsche Bomben regnen über Keith Parks Ausweich-Jägerbasis in Lympne. Die Engländer werden völlig überrascht – der Angriff erfolgt genau in der Zeit, in welcher das Radar dieser Gegend ausgefallen war. Er zeigt, wie es geht. Doch auf deutscher Seite ist man sich dessen überhaupt nicht bewusst. Die Bomben richten schwere Zerstörungen an, erwischen derzeit zufällig aber keine Jägereinheit auf dem Boden. Anders als in Hawkinge, einem aktiven Jägerplatz der Gruppe 11 bei Folkstone an der Küste. Junkers Ju 88 der II./KG 76 tauchen ohne jede Vorwarnung über der Flugbasis auf. Ohne Radar sind die Engländer blind – und solchen Überraschungsangriffen ausgeliefert. Zwei Hangars, die Reparatureinrichtungen und vier Jagdflugzeuge fallen den Bomben zum Opfer. Dennoch ist der Platz nach 24 Stunden wieder einsatzbereit.
Als Nächstes sind wieder zwei Konvois an der Reihe. Im Zuge der Luftkämpfe werden vier Hurricanes der 501 und 151 Squadron vom deutschen Begleitschutz der angreifenden Stukas abgeschossen, eine fünfte schwer beschädigt. Zwei der vier abgeschossenen Piloten können gerettet werden, die Deutschen erleiden dieses Mal keine Verluste.
Inzwischen sammelt sich eine beträchtlichre Streitmacht über der französischen Küste – unbemerkt von den bombardierten Radarstationen. Fast 100 Junkers Ju 88 des Kampfgeschwaders 51 und 120 Messerschmitt Bf 110-Zerstörer der Zerstörer-Geschwader 2 und 76 machen sich auf den Weg über den Kanal, gedeckt von 25 Me 109 des JG 53. Erst als die Formation den Bereich der Radarstation von Polling erreicht, wird sie endlich entdeckt. Brand und Park, die Befehlshaber der Gruppen 10 und 11, arbeiten gut zusammen und schicken ihr sofort 48 Hurricanes und zehn Spitfires entgegen.
Wieder formieren sich die Me 110 zum Abwehrkreis, als die britischen Jäger die Szene betreten. Inzwischen bombardieren die Ju 88 mit verheerendem Effekt den Hafen von Portsmouth, während weit über ihnen die „beschützenden“ Zerstörer ihre endlosen Kreise ziehen. Eine andere Gruppe der Junkers-Bomber nützt die Sturzflugeigenschaften ihrer modernen Kampfflugzeuge und deckt die wichtige Radarstation auf den Hügeln über Ventnor mit 15 exakt gezielten Bomben des Kalibers 500 kg ein. Fast jedes Gebäude wird getroffen, die Station fällt für drei Tage komplett aus.
Als sich die Bomber zurückziehen, sind die britischen Jäger über ihnen, die sich angesichts der übereifrigen Flakbedienungen von Portsmouth und Ventnor zunächst noch zurückgehalten hatten. Jetzt ist ihre Stunde gekommen – die deutschen Messerschmitt-Zerstörer sollen ruhig da oben herumkurven – das tut niemandem weh. Damit hatten deren Besatzungen allerdings nicht gerechnet, sie waren sich sicher gewesen, die britischen Jäger auf sich zu ziehen – weg von den Bombern. Doch die englischen Piloten denken (weisungsgemäß) gar nicht daran, sich mit den Zerstörern herumzuärgern.
Radarstation innen (Radarbildschirm und Beobachterin) und außen (Funkmessmasten an der typischen Kreidefelsküste).
Die Piloten der einmotorigen Me 109 dagegen reagieren spät, dann aber souverän. Als sie den Bombern zu Hilfe kommen, sind bereits zehn von ihnen abgeschossen. Doch dann müssen sich die englischen Jagdflieger selber ihrer Haut erwehren. Ein heftiger Luftkampf zwischen den 25 Messerschmitt Bf 109 des JG 53 und den Spitfires der 609 Squadron entbrennt. Die Bomber machen, dass sie davonkommen, attackiert von Spitfires der 152 Squadron. Zwei der Vickers-Supermarine-Jäger fallen den deutschen Bordschützen zum Opfer, beide Piloten sterben. Neue deutsche Jäger kommen hinzu, denen sich auf britischer Seite zusätzlich zwölf Hurricanes der nun anfliegenden 112 Squadron entgegenstellen.
Es ist 12.50 Uhr britischer Zeit, als Spitfires der 65 Squadron in Manston am äußersten Zipfel der britischen Insel 20 Kilometer östlich von Canterbury am Start stehen – bereit zu einem Patrouillenflug. Es ist der ungünstigste Moment, als die Geräusche von Daimler-Benz-Motoren über ihnen anschwellen. Wieder hatte niemand warnen können – ohne die Hilfe der Radarstationen. Auch Manston liegt so an der Küste, dass keine Beobachtungsstation am Boden das Radar ersetzen kann.
Wie ein Wirbelwind fegen Hauptmann Rubensdörffers Messerschmitt Bf 110-Jagdbomber der EGr 210 im Tiefflug über den britischen Flugplatz – quer durch das wütend einsetzende Abwehrfeuer der Flugabwehrgeschütze. In dieser Rolle sind die Zerstörer in ihrem Element. Ihre schwere Bewaffnung hämmert über das Flugfeld, Bomben detonieren. Sekunden später erfüllt ein charakteristisches Pfeifen die Luft. Weitere Bomben fallen aus der Höhe auf das Areal, ein ganzer Regen! Perfekt abgestimmt nehmen sich 18 Dornier Do 17 des KG 2 den Flugplatz vor und decken ihn mit einem Bombenteppich zu. Es kracht überall, eine Blenheim explodiert, zwei Hangars brennen, die Reparaturbaracken fliegen in die Luft. Krater bedecken die Startbahn – etwa 150 Sprengkörper leisten ganze Arbeit.
Nur einer der Spitfire-Piloten schafft es noch in die Luft – allerdings halten sich die Schäden bei den anderen mit unglaublichem Glück in erstaunlichen Grenzen. Der Flugplatz selber ist jedoch nach dem verwegenen Blitzangriff eine rauchende Trümmerwüste.
Und doch benötigen die Arbeiter des Flugplatzes nur 24 Stunden, um ihn wieder einsatzfähig zu gestalten. Keith Park ist nun gewarnt. Er weiß jetzt, was die Deutschen wollen.
Seine Flugplätze!
Ausgerechnet! Etwas Schlimmeres konnte kaum passieren!
Die Bilanz (einschließlich deutscher Verluste durch britische Flak, ohne Verluste britischer Bomber):
gemeldete britische Abschüsse: 73 tatsächliche deutsche Verluste: 28
gemeldete deutsche Abschüsse: 42 tatsächliche britische Verluste: 26
„Adlertag“. Der lange erwartete Großangriff beginnt. Genug mit dem Geplänkel über dem Kanal, ab jetzt geht es der Royal Air Force an den Kragen – die Briten müssen auf die Knie, koste das, was es wolle. Görings Ruf steht auf dem Spiel.
Eine Spitfire Mk. I wird gewartet und aufmunitioniert. Dem um die linke Tragfläche laufenden Piloten scheint eher nachdenklich zu Mute ...
Auch auf deutscher Seite wartet man – in diesem Falle die Gewehre des Bodenpersonals. Die Messerschmitt Bf 109 E-1 der II./JG 26 im Hintergrund stehen bereit für den Startbefehl.
Ein Scherz lockert die Spannung auf – doch für wie lange? Dem mulmigen Gefühl in der Magengrube ist nicht zum Lachen! Doch wer zeigt das schon gerne – als Jagdflieger einer Hawker „Hurricane“ der Royal Air Force? Auf der anderen Seite ähneln sich die Szenen sehr!
13. August 1940. Zunächst einmal geht prompt alles daneben. Sieht man davon ab, dass die deutsche Einschätzung der wirklichen Stärke des Fighter Command nicht zutrifft – auch die Aufklärungsergebnisse werden falsch interpretiert. Britische Flugplätze, auf denen schon zehn Jahre lang keine Fighter Squadrons mehr stationiert sind, werden als Jägerplätze einsortiert – wie Eastchurch, Worthy Down und Upavon. Andere werden zu Bomberflugplätzen erklärt, weil man Blenheim-„Bomber“ auf ihnen fotografiert hatte – so Tangmere. Es sind in Wahrheit Nachtjäger, die ebenfalls dort beheimateten Hurricanes der 601 Squadron hatte man übersehen. Keiner ahnt, dass die angebliche Bomberfabrik Woolston in Southampton in guter Reichweite direkt an der Küste die Hauptproduktionsstätte für Spitfire-Jagdflugzeuge darstellt. Und über die enorme Wichtigkeit der mehr als lästiges Beiwerk angesehenen Radarstationen ist man sich ebenso wenig im Klaren wie über das Netzwerk im Hintergrund.
So kommt es, dass kaum eines der zum Ziel erkorenen Strukturen wirklich entscheidend ist für die Einsatzfähigkeit des Fighter Command.
Im frühen Morgenlicht startet die erste Bombergruppe. Es sind 74 Dornier Do 17 des KG 2, zu denen bald der erwartete Begleitschutz stößt. Merkwürdig ist allerdings, dass die Zerstörer – etwa 60 Me 110 des ZG 26 – wie wild mit bemerkenswerter Kunstflugakrobatik vor Oberst Johannes Finks Dornier-Bombern herumturnen. Fink wundert sich nur – er ahnt nicht, dass die Jäger ihn zur Rückkehr bewegen wollen! Durch die fehlende Kompatibilität der Funkgeräte erreichen die Jägerbesatzungen jene der Bomber auf dem Funkweg mal wieder nicht. Doch die Kampflieger begreifen nichts – und selbst wenn doch, es wären Mutmaßungen, fragwürdige Interpretationen der dargebotenen Flugmanöver. Das ist im Zweifelsfall zu wenig, um einen befohlenen Einsatz einfach abzubrechen ...
Es ist trübe heute morgen. Da die prognostizierte Wetterbesserung sich auf den Nachmittag verspätet, hatte Göring persönlich den Angriff kurzfristig verschoben. Die Zerstörer-Piloten wissen das inzwischen. Doch Fink bleibt ahnungslos. Dann sind die Dornier-Bomber in den Wolken verschwunden.
Als sie wieder herauskommen, fehlt der Begleitschutz! Wo sind die Me 110, verflucht? Glücklicherweise ist man schon fast über dem Ziel. Dann sind die Jäger da! Die der anderen Seite! Zunächst die Spitfires der 74 Squadron. Die Bordschützen der Bomber wehren sich. Am liebsten würde man sofort umkehren – doch Befehl ist Befehl! Ihr Ziel ist die Marine-Basis in Sheerness und der britische Flugplatz Eastchurch. Ein Flugplatz des Coastal Command – also der Marineflieger der Royal Air Force. Keine Basis der Jagdflieger, wie man auf deutscher Seite irrtümlich glaubt! Was nichts daran ändert, dass doch eine Spitfire dort am Boden zerstört wird – so falsch liegt die deutsche Aufklärung also nicht. Allerdings ist die Anwesenheit der 266 und 19 Squadron auf Eastchurch eher ein Zufall. Fünf Blenheims der Küstenflieger werden außer dem Jagdflugzeug zerstört, alle Hangars getroffen – die Munition explodiert. Die Operationszentrale fällt aus. 16 Männer sterben im Bombenhagel.
Jetzt gesellen sich die Hurricanes der 111 und 151 Squadron hinzu. Als die nicht eskortierten Dornier-Bomber die schützende Wolkendecke wieder erreichen, fehlen fünf von ihnen. Flight Lieutenant Roddick Smith (151 Squadron) fliegt eine der ersten mit zwei 20-mm-Kanonen ausgerüsteten Hurricanes – mit durchschlagendem Erfolg im wahrsten Sinne. Er trifft zwei der deutschen Bomber, die ihm im Gegenzug die Frontscheibe zerschießen – ohne ihn aber dabei zu verletzen.
Auch andere Einheiten erfahren nichts von der Verschiebung des Angriffes. Die Jäger der I./JG 2 kurven über Südengland herum, während die Junkers Ju 88 des KG 54, die sie eigentlich beschützen sollen, irgendwo von Wolke zu Wolke hüpfen und zwischendurch britische Jäger abwehren. Die Ju 88 kehren ohne Verluste zurück, während sich Oberleutnant Paul Temme in seiner Me 109 einem Hurricane-Piloten der 43 Squadron geschlagen geben muss.
Als eine andere Gruppe des KG 54 zurückgerufen wird, hält es niemand für nötig sicherzustellen, dass deren Begleitschutz davon erfährt. Am vereinbarten Treffpunkt werden die Zerstörer der I./ZG 2 dann auch prompt erwartet. Von zwei britischen Jäger-Squadrons! Bevor sich die Me 110 zurückziehen können, schießt Flying Officer David Hughes (238 Squadron) einen Zerstörer vom Himmel.
Am Nachmittag bricht der Sturm los. Nun starten die deutschen Geschwader massiert, kurz nach 15.30 Uhr (britischer Zeit) ist auf den noch unversehrten und den inzwischen teilweise wieder funktionstüchtigen Radarschirmen die Hölle los. 120 Junkers Ju 88 des KG 54 und LG 1 und 30 Me 110 der V./LG 1 sammeln sich zum Angriff, ebenso 27 Ju 87 der II./StG 2, gedeckt von 30 Me 109-Jägern der II./JG 53. Auch 52 Ju 87 des StG 77 greifen an, gemeinsam mit den Jägern des JG 27.
Die Royal Air Force wartet schon auf sie.
Überall entbrennen heftige Luftkämpfe. Als Spitfire der 152 Squadron auf die Me 109 der II./JG 53 treffen, müssen diese bereits abdrehen – die Achillesferse der einmotorigen Jagdflugzeuge wirkt sich wieder einmal aus! Die Tankuhr mahnt bösartig penetrant zum Rückzug! Derweil nehmen sich 77 Hurricanes und Spitfires die deutschen Bomber des LG 1 vor. Die den Hafen von Southampton schwer zerstören, doch der entscheidend wichtigen Spitfire-Fabrik wenige hundert Meter daneben kein Haar krümmen. Noch. Hurricanes der 43 und 257 Squadron fangen die Ju 88 des LG 1 ab, gleichzeitig stürzen sich die britischen Piloten der 152, 213 und 601 Squadron auf die Junkers Ju 88 des KG 54. Die Me 110 des Begleitschutzes werfen sich dazwischen, drei von ihnen büßen ihren Mut mit der Zerstörung. Den Besatzungen der Junkers Ju 87 „Stukas“ der II./StG 2ergeht es nicht besser. Ihr Me 109-Begleitschutz hatte sie schweren Herzens alleine weiter ziehen lassen müssen. Ja. die Treibstoffanzeige! Wieder einmal! „Wie soll man so den Krieg gewinnen, Herrgott noch mal?“
Junkers Ju 87 B „Stuka“ beim Abschwung.
Es ist ein Desaster. Die Spitfire-Piloten der 609 Squadron betrachten das Massaker als eine Art Truthahnjagd! Sechs von neun Stukas werden zusammengeschossen.
Inzwischen suchen die Stukas des StG 77 den Jägerflugplatz Warmwell und finden ihn in dem immer noch örtlich trüben Wetter ebenso wenig wie ihre Kameraden in den Ju 88 zweier weiterer Staffeln des LG 1 die Basis des Fighter Command bei Middle Wallop. Beide Einheiten irren in der tief liegenden Wolkensuppe umher und bombardieren schließlich Ausweichziele – das LG 1 den Flugplatz Andover. Auch Hauptmann Anton Keils Stukas der II. Gruppe des StG 1 können ihr Ziel nicht finden.
Das gelingt Hauptmann von Brauchitsch besser. Inzwischen ist auch die IV.(Stuka)/LG 1 in der Luft und auf dem Wege nach Detling, einem Flugplatz bei Maidstone. Me 109-Jagdflugzeuge des JG 26 geben den Sturzkampfbombern Schutz. Als diese die Basis Detling erreichen, sind die Männer dort unten soeben auf dem Wege in die Kantinen, um ihr Abendessen einzunehmen. Group Captain Edward Davis wird in seinem Kommandoraum getötet, den ein Volltreffer in Stücke reißt – ebenso wie drei der Kantinen und sämtliche Hangars. Als die Stukas abdrehen, sind die Pisten von Kratern übersät, 22 Flugzeuge rauchende Wracks, sämtliche Einrichtungen beschädigt – und 67 Männer tot.
Eine Katastrophe? Ja, für Detling. Nicht für Dowding. Auch nicht für Keith Park. Denn Detling gehört nicht zum Fighter Command ...
Der Auftakt des Hauptangriffes deckt Koordinationsdefizite der deutschen Luftwaffen-Einheiten auf. Doch deren Kommandeure lernen ebenso schnell wie die der Royal Air Force. Noch hat es offensichtlich nicht überall geklappt.
Aber der Ansturm lässt nun Böses ahnen.
Die hören jetzt nicht mehr auf ...
Die Bilanz (einschließlich deutscher Verluste durch britische Flak, ohne Verluste britischer Bomber):
gemeldete britische Abschüsse: 66 tatsächliche deutsche Verluste: 41
gemeldete deutsche Abschüsse: 28 tatsächliche britische Verluste: 13
Zusätzlich melden die deutschen Jagdgeschwader (2.(J)/LG 2 und 5./JG 53) den Abschuss von drei Blenheim über England. Ferner werden von Jägern der II./JG 77 und der Flak elf von zwölf Blenheim-Bombern über dem Flugplatz Hamstede in Holland abgeschossen – wie bereits erwähnt. Die hier angegebenen britischen Verluste enthalten die am Boden zerstörte Spitfire ebenso nicht wie die übrigen 46 durch Bomben vernichteten britischen Flugzeuge. Generell stehen in der Logik dieser Tabelle den gemeldeten Abschüssen auch nur durch Abschuss im Luftkampf verloreneFlugzeuge gegenüber.
Heinkel He 111 H-2 des Kampfgeschwaders 53 „Legion Condor“. Im Vordergrund eine Stabsmaschine mit der Kennung . Die weißen Balken am Seitenleitwerk der He 111 des KG 53 entstehen während der Luftschlacht um England und helfen beim Bilden größerer Formationen.
Junkers Ju 88 A-5 der 2./KG 30. *4
Dornier Do 17 Z des Kampfgeschwaders 76 beim Bombenwurf.
Nachdem auch der 14. August 1940 bei wetterbedingt eingeschränkter Angriffstätigkeit zu immerhin 17 Verlusten der Luftwaffe durch britische Jagdflugzeuge und weiteren zwei durch Flugabwehrwaffen geführt hatte, macht sich Betroffenheit breit unter den deutschen Kommandeuren. Allenfalls die Erfolge in der Nacht zum 14. August 1940 gegen die Spitfire-Fabrik in Castle Bromwich (deren Produktion allerdings nicht wesentlich unterbrochen wird) und vor allem gegen die Bomber-Schmiede der Brüder Short bei Belfast in Nordirland berechtigen einigermaßen zur Zufriedenheit. Bei dem letzteren Angriff, der vom Gruppenkommandeur der KGr 100, Hauptmann Friedrich Carol Aschenbrenner, persönlich geführt wird, werden fünf der brandneuen strategischen viermotorigen Bomber Großbritanniens durch Bomben zerstört – fünf Short „Stirling“. Ein Langstreckenangriff der deutschen Bomberbesatzungen, der trotz technischer Navigationshilfen großes Können beweist.
Die Briten sind in der Lage, das noch zu toppen. 36 ihrer Whitley-Bomber schaffen es in derselben Nacht, mit nur vier Bomben an Bord einen neunstündigen Flug zu bewältigen. Sie überwinden die Distanz bis nach Mailand und Turin in Norditalien – immerhin 950 Kilometer einfache Strecke –, um den Flugzeugwerken der italienischen Marken Caproni und Fiat einen Denkzettel auf den Weg zu geben. Die wenigen Bomben richten kaum Schaden an, doch der moralische Effekt ist beträchtlich. Mussolini beschließt – gegen Hitlers Willen – eine eigene kleine Luftstreitmacht an die Kanalküste zu schicken. Der italienische Stolz gebietet eine angemessene Antwort auf diese britische Provokation.
15. August 1940. Göring beruft die Oberkommandierenden seiner Luftflotten nach „Carinhall“ *5, seiner Landsitz-Residenz in Brandenburg knapp 70 Kilometer nordwestlich von Berlin. General der Flieger Bruno Lörzer, Kommandeur des II. Fliegerkorps, ist genauso geladen wie Generaloberst Ulrich Grauert, der für das I. Fliegerkorps verantwortlich ist. Generalmajor Theo Osterkamp als Jagdfliegerführer 2 (Kommandeur der Jagdgeschwader in der Luftflotte 2) ist ebenso dabei wie die Kommandeure der beiden in Frankreich stationierten Luftflotten selbst, Kesselring und Sperrle. Was ist los mit der Royal Air Force? Oder besser: mit der Luftwaffe? Warum kommt diese nicht voran? Göring wiederholt eine derartige Konferenz nur wenig später am 19. August 1940. Das Ergebnis potenziert sich nur dabei ...
Es liegen detaillierte Pläne vor, die Angriffe zu intensivieren. Doch Göring will zunächst einmal zusammen mit seinen Kommandeuren die Lage sondieren – vernünftigerweise. Weniger vernünftig ist Görings Einschätzung der Sachlage. Es müssen größere Bomberformationen her, besser geschützt von den Jägern! Ja, die Jäger – warum verhindern sie die Verluste der Bomber nicht? Die Sündenböcke sind schnell gefunden! Die Jäger versagen, ihnen kommt die Schuld an den Verlusten zu! Statt ihre Aufgabe zu erfüllen und auf die Bomber aufzupassen, streunen sie gierig nach Abschüssen und Auszeichnungen durch den britischen Himmel und erreichen gar nichts! Die „freie Jagd“ dient einzig und allein der Profilierungssucht der Jagdflieger, in sträflicher Vernachlässigung ihrer Pflichten und der Verantwortung den Bomberbesatzungen gegenüber! So ist das – das hört auf!
Heinkel He 111 der KGr 100, erkennbar an den wie Stacheln vom Rumpfrücken der Bomber empor ragenden Zusatzantennen für die Leitstrahlferngesteuerte Funknavigation (so genanntes „X-Gerät“).
Göring ist vor allem über die hohen Verluste seines Vorzeigeflugzeuges erzürnt, des gefürchteten Junkers Ju 87 „Stuka“. Hatten nicht diese Präzisionsbomber den Sieg in Polen und Frankreich maßgeblich mit errungen? Wieso sollten sie denn jetzt versagen? Wie soll die Invasion ohne sie stattfinden? Sie müssen besser beschützt werden, hier liegt doch das Problem! Die Jäger sind schuld ...!
Doch wie sollen denn die Jagdflieger dieses langsame Flugzeug wirkungsvoll beschützen? Beim Anflug mit den Bomben an Bord ist der Sturzkampfbomber nicht einmal halb so schnell wie die Messerschmitt Bf 109! Die Jäger müssten, um Nahdeckung gewährleisten zu können, pausenlos Schleifen fliegen – wie es die amerikanischen Jägerpiloten später tun werden, um ihre „Fliegenden Festungen“ vor deutschen Abfangversuchen zu bewahren. Doch deren Spritreserven sind dank entsprechender Jagdflugzeugkonstruktion und infolge der Verwendung abwerfbarer Zusatztanks unvergleichlich viel höher als die einer Spitfire oder Me 109 des Jahres 1940. Auf den Gedanken, solche Zusatztanks bei den Me 109 zu verwenden, kommt offensichtlich niemand – außer den Jagdfliegern selber. Sie wurden bereits in Spanien erprobt, werden jetzt bei den Me 109 aber nicht eingesetzt. Warum? Sie hätten die Achillesferse des gesamten deutschen Luftkrieges am Tage gegen England behoben.
Nein, diese Herumkurverei um die Stukas ist es dann, die dazu führen muss, dass gelegentlich die Jäger genau in dem Moment wegen Treibstoffmangels dazu gezwungen sind abzudrehen, in dem die britischen Jäger zum Angriff ansetzen. Wie am 13. August 1940, vorgestern erst, als die Stukas der II./StG 2 zusammengeschossen worden waren – genau auf diese Weise. Die Sturzkampfbomber fliegen in etwa 4.000 Meter Höhe an – wesentlich tiefer als die Horizontalbomber, die dem britischen Flak-Feuer mit einigem Erfolg nach oben ausweichen. Manche Luftkämpfe finden in 8.000 Metern Höhe statt – ungewöhnlich für die Verhältnisse zu Kriegsbeginn. Das können die Stukas nicht, da sie ihr Ziel schließlich später im Sturzflug angreifen sollen, also als Punktziel erkennen müssen. Das bedeutet, die aufsteigenden englischen Jägerpiloten erreichen die Flughöhe der Stukas schneller als die der Bomber und können diese leichter von oben herab angreifen – für die Piloten des Fighter Command sind die Ju 87 somit ein willkommenes Ziel, zumal diese sich mit einem einzigen Heckschützen viel schlechter verteidigen können als die zweimotorigen Bomber mit ihren bis zu fünf Abwehrständen.
Gut, und die deutschen Jäger? Was sollen sie tun? Im Sturzflug den Stukas hinterhertauchen verbietet sich – bei der resultierenden Geschwindigkeit ohne Sturzflugbremsen flögen den Messerschmitt-Piloten ihre „abmontierten“ Tragflächen um die Ohren. Und in jeder Flughöhe eine Streife zu postieren – bei aller zahlenmäßigen Überlegenheit, aber dafür reicht die Einsatzstärke der einmotorigen Jäger nicht aus. Also wird es fast zwangsläufig in der Phase des Sturzangriffes und des anschließenden Sammelns nach dem Abfangen eine Zeit geben, in welcher die Stukas verwundbar auf sich selbst gestellt sind. In der die Jäger der Eskorte zwar oben aufpassen, möglicherweise aber anfliegende Feindmaschinen nicht daran hindern können, schneller an die Stukas heranzukommen, als sie sich dazwischen werfen können. Da die englischen Piloten das wissen, nützen sie clever und gezielt diesen Moment, wenn sich die Chance bietet. Natürlich hören die Besatzungen der Ju 87 dies nicht gern.
Genauso wenig die der zweimotorigen Bomber, die sich auch vehement eine nähere Deckung des eigenen Begleitschutzes wünschen. Schon aus psychologischen Gründen – die sichtbare Anwesenheit der Beschützer beruhigt.
Nur – es ist nun einmal taktisch unklug, so zu verfahren. Auch hier sei vorweggenommen, dass die Amerikaner später ganz ähnliche Erfahrungen machen werden. Solange ihre Begleitjäger in der Nähe der Bomber bleiben, werden sie immer wieder von oben oder aus der Sonne heraus überrascht und von ihren deutschen Widersachern „auf dem linken Fuß“ erwischt. Erst als die US-Kommandeure beginnen, den Bomberströmen ganze Jäger-Squadrons auf Streife weiträumig vorauszuschicken und auch die Flanken mit Patrouillen decken, wendet sich das Blatt. Allerdings haben die USAAF-Streitkräfte zu diesem Zeitpunkt eine derartige zahlenmäßige Überlegenheit, dass sie es sich leisten können, diese „Freie Jagd“-Streifen um die Bomber herum zusätzlich zu denjenigen Jagdverbänden zu installieren, die nach wie vor als Nahschutz bei den Bombern bleiben. Die Amerikaner bieten ihren Kampfbombern also Nah- und Raumdeckung. Dazu reicht es in der Luftwaffe über England in der Regel nicht – erst recht dann nicht, wenn die Jäger auch noch die Zerstörer beschützen müssen.
Zerstörer – ein weiteres Lieblingskind des Oberbefehlshabers der Luftwaffe. Doch statt die Konsequenzen aus den hohen Verlusten zu ziehen und die Messerschmitt Bf 110 aus dem Kampf zu ziehen, werden die Jagdflieger der einmotorigen Messerschmitt Bf 109 mit einer zusätzlichen Bürde belegt. Als hätten die nicht schon genug zu tun. Und wenn etwas nicht klappt – die Jäger sind schuld.
Für die Jagdflieger sind diese Vorwürfe eine schwere Belastung. Sie tun ihr Möglichstes, geben ihr Bestes und oft genug ihr Leben – nur, um als Versager abgestempelt und gar als feige denunziert da zu stehen. Es ist bitter. Dabei wissen die Piloten mit einiger Erfahrung ganz genau, dass sie das Gesetz des Handelns nicht an den Gegner abgeben dürfen. Sie müssen den Luftraum als Ganzes überwachen – eben jagen. Das geht nur, wenn sie den Bombern vorausfliegen, denn sie müssen rechtzeitig die zur Abwehr aufsteigenden Hurricanes und Spitfires entdecken. Sie müssen sie so früh erkennen, dass sie noch Zeit haben, sich in eine günstige Abfangposition zu manövrieren – und dann blitzartig, überraschend und vernichtend zuschlagen. Von hinten oben, am besten mit der Sonne im Rücken. So können die britischen Abfangjäger am wirkungsvollsten dezimiert werden, zumal mit den spezifischen Qualitäten der Me 109 im Vergleich zu ihren Gegnern in den kurvengängigeren Spitfire und Hurricane. Mit denen man sich eben gerade nicht auf einen Ringelpietz um die Bomber herum einlassen sollte, denn bei solch einem Tanz sind die britischen Konstruktionen klar im Vorteil.
Wenn der Jägerpilot erst abwartet, bis sein Feind sich in die vorteilhafteste Position geflogen hat – nur, weil er selber sklavisch bei der Bomberformation verharrt wie ein Kaninchen – dann hat er schon halb verloren. Göring will das nicht hören.
In Frankreich waren die Verhältnisse völlig anders gewesen. Die Luftwaffe hatte über die Brennpunkte einen dichten Luftschirm legen und anfliegende Feindverbände gelassen erwarten können – ohne Reichweiten- und Treibstoffsorgen. Im Übrigen war sie so präsent gewesen, dass sie fast überall die Initiative innehatte. Die Aktionen der Gegner waren im Vergleich zur Situation über England unkoordiniert. Abfangversuche alliierter Jäger hatten das Problem, den deutschen Gegner erst einmal finden zu müssen. Denn der war seit der letzten Meldung – abgegeben per Telefon von Bodenbeobachtern und somit frühestens nach Überfliegen der Frontlinie – längst weitergeflogen, hatte meistens bereits seine Bomben abgeworfen. Eine Luftführung an den Feind heran gab es nicht, viele französische Jäger hatten nicht einmal Funkgeräte. Beim Aufeinandertreffen hatte dann meistens der die besseren Karten, der in der günstigeren Ausgangsposition war – was stark vom Zufall abhing, und von den Zahlenverhältnissen. Der Zufall hat in England jedoch einen Namen: „Radio detection and ranging“.
Kurz: Radar.
Göring wertet diesen Unterschied nicht. Die Jäger sind schuld! Auch die Zerstörerbesatzungen!
Man einigt sich in der Luftwaffe nun darauf, „erweiterten Begleitschutz“ zu fliegen. Die Jagdflieger bleiben in Sichtverbindung zu den Bombern, greifen gegnerische Abfangverbände aber aktiv bereits an, wenn diese sich nähern. Das heißt im Klartext, es ist dann auch erlaubt, der feindlichen Formation, sobald sie erkannt wird, entgegenzufliegen und sie im Abstand zu den eigenen „Schützlingen“ abzufangen und in Luftkämpfe zu verwickeln. Was die Bomber allerdings einem gleichzeitigen unverhofften Angriff von der anderen Seite relativ schutzlos aussetzt – wenn der eigene Jagdschutz nicht so umfangreich ist, dass er sich aufteilen und beide Seiten decken kann.
Hier wäre es hilfreich, wenn die Funkverbindung zwischen den Jägern und den Bombern – wie es später der Fall ist – funktionieren würde. Doch das ist nicht so, wie auch das Rendezvous zwischen den Bombergruppen und ihren Begleitjägern über der Küste Frankreichs beileibe nicht immer reibungslos klappt – mit möglicherweise katastrophalen Verlusten als Folge. Für die dann natürlich die Jagdflieger verantwortlich sind ...
Schließlich wird die „Jagdaufnahme“ praktiziert. Ablöseverbände der Jagdgeschwader fliegen den eigenen, zurückkehrenden und möglicherweise angeschlagenen Formationen entgegen, um deren Verfolgung durch feindliche Jäger bis zur Küste Frankreichs zu unterbinden. Zu diesem Zeitpunkt können die ursprünglich mitfliegenden Begleitjäger diese Aufgabe nicht mehr übernehmen, da sie sich nun beeilen müssen, nach Hause zu kommen. Ja, ja, die Tankanzeige ...
Reichsmarschall Hermann Göring hat seine Vorstellungen und Vorurteile, und er will Gehorsam.
Außerdem macht es laut Göring keinen Sinn, die Radarstationen weiter anzugreifen. offensichtlich nützt das gar nichts – sie werden nicht einmal für Stunden außer Gefecht gesetzt. Die Mühe kann man sich also sparen! Zeitverschwendung!
Hermann Göring fällt auf die englischen Finten mit Bausch und Bogen herein.
Es ist einer der fatalsten und folgenreichsten Fehler, welcher während des gesamten Krieges von einem Befehlshaber begangen wird.
Das Wetter am Morgen dieses Donnerstags, des 15. Augusts 1940, ist so miserabel wie gestern. Viel tut sich nicht, zunächst. Die Briten schießen einen Do 17-Aufklärer der 3.(F)/31 vom Himmel, den sechs Spitfires regelrecht durchsieben. Eine Ju 88 dagegen entkommt den Piloten des Fighter Command, während eine weitere der 5.(F)/122 durch „Ack-Ack“, wie die Engländer ihre Flugabwehrgeschütze nennen, abgeschossen wird.
Reichsmarschall Göring hatte die Weiterführung der Angriffe zunächst ausgesetzt, obwohl seine gesamte Streitmacht fertig munitioniert und mit Bomben beladen in den „Startlöchern“ steht. Da klart das Wetter auf. Für Oberst Paul Deichmann ist völlig klar, dass der Befehl zum Abwarten alleine dem schlechten Wetter zuzuordnen war. Dieses Hemmnis fällt nun weg. In Abwesenheit seines Chefs Lörzer lastet die Kommandogewalt über das II. Fliegerkorps auf Deichmann. Und Deichmann handelt.
Startbefehl!
Hunderte von schweren Flugzeugmotoren röhren los. Die Maschinerie setzt sich gnadenlos in Bewegung. Auf der anderen Seite des Kanals im Bereich von Keith Parks 11 Group patrouillieren drei Squadrons zu je zwölf Hurricanes (N° 56, 85 und 615), eine weitere ist am Auftanken. Auch diese Einheit (die 501 Squadron) stellt zwölf Hurricanes. Sechs weitere Squadrons stehen in Bereitschaft - zu jeweils zwölf Spitfires (N° 54, 64 und 266) sowie je zwölf Hurricanes (N° 111, 151, 257). Die 65 Squadron hat zusätzliche neun Spitfires zur Verfügung. Neun Hurricanes der 1 Squadron sind auf einem Verlegungsflug, die sechs Hurricanes der 17 Squadron ebenfalls. Soweit der Stand der Dinge in der 11 Group. Hinzu kommen die Verbände der 10, 12 und 13 Group. Die N° 13 Group ganz im Norden Englands ist weitgehend außerhalb des deutschen Drucks gelegen. Bisher ...
Die britischen Radarmeldungen überschlagen sich fast. Da kommt etwas auf sie zu! Group Captain Grice im Sektor-Kontrollraum auf dem Flugplatz Biggin Hill gibt Befehl, mit den frisch aufgetankten zwölf Hurricanes der 501 Squadron vom Flugplatz Hawkinge unverzüglich zu starten. Ist es Intuition oder Zufall? Die Jagdflugzeuge sind seit etwa 25 Minuten gerade eben in der Luft, als das charakteristische Heulen der Stuka-Sirenen über ihrem Flugplatz anschwillt. Dann schlagen die Bomben der Ju 87 ein. Es sind die Maschinen zweier Staffeln der IV.(Stuka)/LG 1. Die Hurricanes der 501 Squadron sind noch in der Nähe, zwölf Spitfires der 54 Squadron kommen hinzu. Die Hurricanes heften sich den deutschen Sturzkampfbombern sofort an die Fersen und schießen zwei von ihnen ab, wenn sie auch fälschlicherweise die wahrscheinliche Zerstörung der fünffachen Anzahl melden werden. Die Strafe folgt auf dem Fuße. Über den Stukas hatte der deutsche Begleitschutz aufgepasst und sofort eingegriffen, als der britische Abwehreinsatz erkennbar wurde. Die Messerschmitt-Piloten stürzen sich aus ihrer günstigen Ausgangsposition von oben blitzartig auf die Briten und schießen zwei Hurricanes und zwei Spitfires ab. Es kommt, wie es in dieser Konstellation fast kommen muss – allen Vorstellungen Görings zum Trotz. Haben die Jäger versagt, nur weil zwei der Stukas nicht wiederkommen?
Die Stukas beschädigen Hawkinge schwer, doch der Löwenanteil der Bomben waren 50-kg-Splitterbomben unter den Tragflächen gewesen. Diese Orgie aus umherzischenden glühend zackigen Metallteilen hätte wohl jedes Flugzeug auf dem Flugfeld zerstört – wäre eines da gewesen. Den Gebäuden können sie nicht viel anhaben – für die sind die 500-kg-Hauptbomben unter dem Rumpf zuständig ...
Keils Stukas der II./StG 1 nehmen sich die Basis Lympne vor. Auch hier erwischen ihre 500-kg-Bomben und 50-kg-Splitterbomben keine Jagdflugzeuge auf dem Boden. Es sind keine da! Lympne wird vom Fighter Command auf Grund der Küstennähe bei Folkestone nur als vorgeschobener Einsatzplatz genutzt – stundenweise! Fast alle Gebäude werden zerstört, die 26 Junkers Ju 87 entkommen.
Die Spitfires der 54 Squadron landen inzwischen – um aufzutanken. Und haben unglaublichen Dusel. Wenn sie wie regelmäßig üblich auf ihrer Heimatbasis Manston gelandet wären, wären die britischen Jagdflugzeuge fast auf dem Präsentierteller gestanden, als zwölf Messerschmitt Bf 110-Zerstörer der II./ZG 76 über den Flugplatz herfallen – ihr erster Einsatz als Jagdbomber. So werden nur zwei Spitfires im Feuerhagel und Explosionsreigen zerstört – und 16 Männer des Bodenpersonals getötet.
Die Vielzahl der Zacken auf den Radarstationen scheint die Abwehr der 11 Group zu überfordern. Die Briten haben den Vorteil, den Löwenanteil ihrer Abwehrkräfte in dem kleinen Streifen England konzentrieren zu können, der innerhalb der Reichweite der deutschen Messerschmitt Bf 109-Jäger liegt – im Süden. Auch das ist ein Unterschied zu der späteren anglo-amerikanischen Luftoffensive gegen Deutschland, welche auf so weit verstreute Ziele im ganzen Reichsgebiet gerichtet ist, dass die Luftwaffe ihre Jägerkräfte zu diesem Zeitpunkt drastisch zersplittern muss. Um genau diese Verteilung der RAF-Abfangjäger über ganz England zu erreichen, haben sich die Deutschen etwas ausgedacht!
Man geht davon aus, dass im Norden der Insel nur eine schwache Abwehr postiert sein kann. Deren Stärke allerdings unterschätzen die Kommandeure der deutschen Luftflotten gründlich. Die Tatsache, dass der verbissene Widerstand der Royal Air Force im Süden nicht spürbar abnimmt, wird von den Nachrichtenoffizieren in den deutschen Stäben kurzerhand darauf zurückgeführt, dass Dowding wohl alles in den Süden geworfen hat, was er irgendwie im Norden entbehren kann. Das Auftauchen neuer Squadron-Nummern im Bereich der 11 Group scheint diese Annahme zu bestätigen – die dann mit geheimdienstlichen Mitteln auch nicht weiter hinterfragt wird. Man will Dowding dazu zwingen, mehr Jäger vom Süden zurück in den Norden zu verlegen und damit Keith Parks 11 Group zu schwächen.
Dowding ist sich der Gefahr für die Industrieregionen im Norden aber durchaus bewusst und weiß auch, dass seine Piloten – oft gegen ihren erklärten Willen – von Zeit zu Zeit zu einer Ruhepause im Norden geradezu gezwungen werden müssen, will er sie nicht durch erschöpfungsbedingte Fehlleistungen unnötig verlieren. Daher hat Air Vice Marshal Saul mehr erfahrene Squadrons zur Verfügung, als Göring ahnt. Den „neuen“ Squadrons im Süden stehen andere gegenüber, deren Nummern im Süden nicht etwa deshalb nicht mehr festgestellt werden, weil die Luftwaffe sie komplett vernichtet hätte. Sie sind vorübergehend „auf Urlaub“ zur Auffrischung im Norden des Inselreiches.
Die Luftflotte 5 aus Norwegen und Dänemark wird nun mit in den Kampf einbezogen. Man rechnet nicht mit viel Widerstand, als zunächst zwei Seefliegerstaffeln der Küstenfliegergruppe 506 aufsteigen, um eine Scheinattacke in die Nähe von Dundee zu fliegen. Dies geschieht in der Absicht, Sauls Jäger – so sie denn überhaupt existieren – nördlich nach Schottland zu locken. Die 17 Heinkel He 115-Schwimmerflugzeuge drehen dann auch rechtzeitig wieder ab, bevor sie abgefangen werden könnten. Eine halbe Stunde später startet die Hauptstreitmacht – geschickt so organisiert, dass sie die Küste bei Newcastle upon Tyne 185 Kilometer südlich von Dundee in dem Moment erreichen wird, in welchem die Jägerpiloten der N° 13 Group verblüfft den zurückfliegenden deutschen Marinefliegern hinterhersehen würden – aus gebührendem Abstand natürlich. Und damit am falschen Einsatzort wären.
72 Heinkel He 111 H-4-Bomber des KG 26 hieven ihre Bombenlast in die Luft und machen sich von Stavanger-Sola in Norwegen aus auf den Weg zu ihren Zielen. Diese sind die englischen Flugplätze Dishforth und Usworth bei Newcastle upon Tyne. Die Bomber werden begleitet von 21 Messerschmitt Bf 110 D-1/R1 Langstreckenjägern der I./ZG 76 – eine Rolle, für die diese konstruiert sind. Sie halten sich über den Bombern und auf derjenigen Seite, von welcher her die Sonne scheint. Unglücklicherweise kommt es zu einem Navigationsfehler von drei Grad. Eine Abweichung – ausgerechnet nach Norden. Ein fataler Fehler, denn er bewirkt, dass die Annäherungsroute der Bomber und ihrer Begleitjäger fast parallel zu den Lockvögeln der Küstenflieger verläuft. Im Abstand von höchstens 50 Kilometern.
Dies verstärkt die Signale auf den englischen Radarschirmen zu einem einzigen Großverband, der sich nun im Bereich der Bucht von Edinburgh der Küste nähert. „Mehr als 30 Feindflugzeuge“, meldet der Anstruther Radarbeobachter. Es mag seiner Unerfahrenheit zuzuschreiben sein, dass er sich leicht verschätzt. Zu diesem Zeitpunkt sind es noch 63 He 111 und 21 Me 110, da einige der Bomber aus technischen Gründen umkehren mussten. Ach ja, und die 17 Küstenflieger ...
Kurz nach Mittag bemerken die Bomberbesatzungen von Oberleutnant Fuchs ihren Navigationsirrtum und ändern schleunigst ihren Kurs nach Süden. Sie sind jetzt nur noch 40 Kilometer von der schottischen Küste entfernt. Zwölf Spitfires der 72 Squadron sind bereits auf dem Weg, sie angemessen zu begrüßen! Um 12.15 Uhr (britischer Zeit) werden die Hurricane-Piloten der 79 Squadron in Acklington alarmiert. Die Hurricanes der 605 Squadron sind ab 12.25 Uhr (britischer Zeit) in der Luft.
Die ersten Briten „am Feind“ sind erwartungsgemäß die Spitfires der 72 Squadron. Squadron-Leader Edward Graham ist nicht schlecht erstaunt – und entsetzt – nicht 30, sondern etwa 100 Gegner vor sich zu sehen. Er fliegt ihnen direkt entgegen und muss schnell reagieren. Was nun?
Geschickt überfliegt er die Feindformation und jagt auf die Sonne zu. In diesem Moment hört er eine Stimme im Kopfhörer: „Haven‘t you seen them?” („Hast Du sie nicht gesehen?“). Der Squadron Leader bleibt die Antwort nicht schuldig. „Of course I‘ve seen the bbbbbbastards, I‘m trying to wwwwwwork out wwwwhat to dddddo.“ (“Natürlich habe ich die Bastarde gesehen, ich denke darüber nach, was jetzt als Bestes zu tun ist!”). Der britische Pilot neigt zum Stottern in Stress-Situationen. Dann wenden die Spitfire und haben so die Me 110-Jäger unter und vor sich. Die fliegen mit abwerfbaren Zusatztanks – eine Ausrüstung, die den einmotorigen Jagdflugzeugen im Süden fatalerweise bisher nicht zuteil wurde! Sie wäre ein Segen für jene Me 109! Nur 200 Kilometer Reichweite mehr, und ihre größten Probleme wären gelöst. Doch erst die Version E-7 ab Herbst 1940 kann Abwurftanks mitführen.
Hauptmann Werner Restemeyer und sein zweiter Mann, Hauptmann Hartwich, bekommen die Zusatztanks aber nicht los. Sie sind nicht abwerfbar irgendwie, das kann aus dem Geschehen rekonstruiert werden. Denn die zweimotorige Messerschmitt explodiert in einem Feuerball. Eine zweite Me 110 zerschellt an der Küste bei Durham, in ihr finden Oberleutnant Loobes und sein Heckschütze den Tod.
Dann sind die Spitfires an den Bombern. Die Heinkel-Maschinen versuchen, eine Wolkendecke zu erreichen. Bis sie es geschafft haben, zerbirst eine von ihnen auf einem Feld bei Bridlington. Als die restlichen He 111 die Spitfires der 72 Squadron los sind, fällt ein „Flight“ von fünf Hurricanes der 605 Squadron über sie her. Der Einsatz gerät zum Spießrutenlauf. Als vier weitere Bomber abgeschossen sind, bekommen es die verzweifelten Besatzungen mit den zwölf Hurricanes der 79 Squadron zu tun. Zu denen sich inzwischen 13 Spitfires – ein Indiz für die allmählich steigende Zahl von Jagdflugzeugen in einer Squadron – der 41 Squadron gesellen. Nachdem noch zwei Bomber zerschellen, machen sich die übrigen auf den Rückweg. Auf dem offenen Meer fliegt eine davon auch noch einem „Flight“ von sechs zweimotorigen Bristol Blenheim Mk. IVF-Jägern der 235 Squadron in die Arme, welche von einem Einsatz gegen Seeziele zurückkehren. Die schicken sie auf den Grund der Nordsee.
Inzwischen haben die Me 110 D-1/R1 ein Drittel ihrer Maschinen verloren, der Rest quält sich zurück über die See nach Norwegen. Acht Heinkel He 111 H-4 des KG 26 werden abgeschossen – zwei davon allerdings durch britische Flugabwehrgeschütze. Sieben Me 110 der I. Gruppe des ZG 76 ergänzen den Erfolg der britischen Piloten. Welche im Gegenzug eine Hurricane der 605 Squadron verlieren, Pilot Officer K. S. Law überlebt verwundet. Ein Kamerad der 79 Squadron landet seine beschädigte Hurricane völlig unverletzt.
Ein klarer Sieg für die Royal Air Force. Er stellt unmissverständlich eines klar: ohne Begleitschutz durch Messerschmitt Bf 109 geht es nicht. Und – auch der Norden Englands wird verteidigt.
Das merken die Piloten der Junkers Ju 88 C-2, A-1 und A-5 des in Ålborg in Dänemark stationierten KG 30 ebenso. Es sind 50 der modernen schnellen Kampfflugzeuge, welche nun in den Luftraum von Leigh-Mallorys 12 Group eindringen. Auf Grund ihrer Geschwindigkeit hält man es für vertretbar, sie ohne Begleitschutz von Jagdflugzeugen in die Höhle des Löwen zu schicken. Die Zerstörerversion dieses Bombers – der „schwere Jäger“ Ju 88 C-2 – soll ersatzweise die Deckungs-Aufgabe übernehmen. Eine Staffel des KG 30 – die Zerstörerstaffel – ist mit diesem Typ ausgerüstet. Sie steht bereits in der Umschulung zur 4./NJG 1 (ein neu gegründeter Nachtjägerverband).
Messerschmitt Bf 110 mit Zusatztanks unter den Tragflächen.
Sie überfliegen die Küste bei Flamborough Head und sehen sich plötzlich zwölf Spitfires der 616 Squadron und sechs Hurricanes des B-Flights der 73 Squadron gleichzeitig gegenüber. Der Luftkampf ist kurz und einseitig. Kein einziger britischer Jäger wird von den Ju 88 C-2 auch nur beschädigt, während fünf der Ju 88 C-2 das Opfer britischer Geschosse werden – eine weitere geht durch Notlandung in Dänemark zu Bruch. Zusätzlich schafft es eine Ju 88 C-2 beschädigt bis Holland. Trotz der Angriffe schlagen sich die Besatzungen der Ju 88 A-1-/A-5-Bomber mit Vollgas tapfer bis zu ihrem Ziel durch – dem Flughafen Driffield des Bomber Command. Dort leisten sie trotz schwerem Flakfeuer ganze Arbeit. Zehn Whitley-Bomber der Royal Air Force zerbersten im deutschen Bombenhagel. Einer der Junkers-Bomber wird bereits vor Erreichen des englischen Flugfeldes von den Geschossen einer Hurricane am Weiterflug gehindert, eine zweite Ju 88 A-5 zerschellt nach Luftkampf mit Spitfires bei Hunmanby. Es ist 13.25 Uhr (britischer Zeit). Ob acht zerstörte deutsche Ju 88 und 27 gefallene Besatzungsmitglieder das Ergebnis von zehn Schrotthaufen auf Driffield rechtfertigen?
Jedenfalls ist es der letzte Angriff der deutschen Luftflotte 5 dieser Art bei Tage. Stattdessen wird ab September 1940 das Kampfgeschwader 26 nach Frankreich verlegt – unbemerkt von den Briten.
Am frühen Nachmittag werden die Radarbeobachter an der Südküste Englands vor eine schwere Aufgabe gestellt. Eindeutig braut sich da etwas zusammen. Die Zacken auf ihren Schirmen lassen ein ganzes Bombergeschwader erahnen. Doch die Gegenspieler der britischen Radarauswerter auf deutscher Seite sind nicht dumm, sie wissen inzwischen, dass die Funkortungsgeräte der Engländer nur sehr bedingt zwischen Bombern und Jägern oder Jagdbombern unterscheiden können. Geschickt lancieren die deutschen Kommandeure Ablenkungsangriffe auf Nebenziele und lassen die Bomber auch einmal Haken schlagen auf ihrem Kurs, um die britische Abwehr zu verwirren und zu täuschen. Das gelingt auch oft genug.
Die britische Luftlageauswertung weiß jetzt tatsächlich nicht, welche der erkennbaren Formationen die Bomber sind – es ist das gesamte Kampfgeschwader 3 mit seinen Dornier Do 17 unterwegs – und welche Zacken den Jagdschirm markieren. Daher wartet man noch ab – und versucht fieberhaft, die deutschen Absichten und Ziele herauszufinden.
Es ist fast zu spät, als die Piloten der 17 Squadron in Martlesham bei Ipswich 100 Kilometer nordöstlich von London dringend zu einem Alarmstart befohlen werden. Die Jägerpiloten rennen zu ihren abgestellten Jagdflugzeugen, starten die Motoren. Nur drei der Hurricanes schaffen es noch in die Luft, dann sind Rubensdörffers Jagdbomber der Erprobungsgruppe (EGr) 210 bereits über ihrem Flugplatz. Von den 30 Bomben der 25 deutschen Maschinen treffen 18 ins Schwarze. Der Angriff wird wieder einmal mit hoher Präzision höchst routiniert und kaltblütig geflogen. Ein Fairey „Battle“-Bomber explodiert derartig vehement, dass seine Trümmer zwei Gebäude und zwei Hangars schwer beschädigen. Die Bevorratungsgebäude und Reparatureinrichtungen werden ebenso zerstört wie die Offiziersmesse und die komplette Wasserversorgung, auch die Telefonverbindungen. Der Platz fällt zwei Tage lang für das Fighter Command aus.
Inzwischen setzen die Deutschen nicht nur zunehmend ihre zweimotorigen Jäger höchst erfolgreich als Jagdbomber ein – was den gebeutelten Piloten der Messerschmitt-Zerstörer wieder etwas Auftrieb gibt –, sondern auch einmotorige Me 109. Die 3. Staffel der Erprobungsgruppe 210fliegt Messerschmitt Bf 109. Die Me 109 kann zwar nur eine 250-kg-Bombe tragen – die Me 110 schleppen immerhin je zwei 500-kg-Bomben mit sich –, dafür ist sie nach Abwurf ihrer Last uneingeschränkt im Luftkampf einsatzfähig. Rubensdörffer hat heute seinen eigenen Begleitschutz dabei.
Neun Hurricanes der 1 Squadron stellen sich gemeinsam mit den dreien der 17 Squadron, die in Martlesham noch hoch gekommenen waren, zum Kampf. Die Me 109 nehmen den Schlagabtausch an. Flight Lieutenant Mark Brown wird in seiner Hurricane abgeschossen, später aber verletzt aus dem Ärmelkanal gefischt, zwei seiner Kameraden sterben (Pilot Officer Dennis Browne und Sergeant M. M. Shanahan). Die Deutschen entkommen ohne Verluste – gerade noch, denn die zwölf Spitfires der 19 Squadron (einige von ihnen bereits mit Kanonen ausgerüstet) kommen knapp zu spät. Sie sehen nur noch rauchende Trümmer.
Jetzt geht es erst richtig los! 88 Dornier Do 17 – das gesamte KG 3 – nähern sich der Küste bei Deal knapp östlich von Dover an der Landspitze der Halbinsel. Sie werden von immerhin 130 Messerschmitt Bf 109 der JG 51, 52 und 54 gedeckt. Zusätzlich befinden sich auch noch 60 Me 109 des JG 26 auf „freier Jagd“ über dem Luftraum der 11 Group. Das ist genau das Erfolgsrezept, obwohl die Kommandeure der deutschen Luftflotten derzeit noch Görings Vorwürfe ertragen müssen. Es ist 15.30 Uhr (britischer Zeit).
Hawker „Hurricanes“ Mk. I der 501 Squadron heben am 15. August 1940 ab und stellen sich zum Kampf. Es ist ihr letzter Start. Beide Maschinen kehren nicht zurück ...
Messerschmitt Bf 109 E-4 mit einer SC-250-Bombe.
Die britischen 111, 151 und 64 Squadrons sind bereits in der Luft – 24 Hurricanes und zwölf Spitfires. Vier weitere Squadrons starten eiligst, um der Armada entgegenzutreten. Keiner der etwa 80 britischen Jägerpiloten kommt durch den dichten deutschen Jagdschirm hindurch zu den Bombern – fast keiner. Irgendjemand muss aber gemäß den deutschen Verlustmeldungen die einzigen beiden Dornier-Bomber vom Himmel geholt haben, welche den britischen Bordwaffen zum Opfer fallen. Da jedoch keinerlei Abschussmeldungen dieser Art in der Royal Air Force eingehen – nicht einmal per Funk – lässt dies nur einen Schluss zu. Die erfolgreichen britischen Schützen haben nicht einmal so lange überlebt, dass sie ihren Triumph per Sprechfunk an ihre Kameraden weitergeben konnten ...
Über England teilen sich die deutschen Bombergruppen auf. Die Flugplätze von Eastchurch und Rochester versinken im deutschen Bombenhagel, erneut wird die Produktion der neuen schweren viermotorigen Short „Stirling“-Bomber unterbrochen – dieses Mal in der Fabrik der Brüder Short in Rochester. Die Flugplätze selber jedoch haben nichts mit dem britischen Fighter Command zu tun – sie anzugreifen ist schlicht eine Fehlentscheidung. Nun beteiligen sich auch einzelne Staffeln der Kampfgeschwader 1 und 2 an dem Überfall. Sie wiederum werden gedeckt von Me 109 der I./LG 2. Der Flugplatz Maidstone und die Radarstationen Hawkinge, Dover und Rye werden angegriffen, auch die Radar-Funkortung in Foreness wird zum Ziel. Die Briten tun ihr Bestes, aber ihre Verluste steigen. Gegen diese massierten Einflüge hilft auch die Radarwarnung wenig. Die nun teilweise ausfällt. Was nützte es andererseits, wenn die Beobachter melden könnten, dass mehr deutsche Flugzeuge am Himmel sind als Wolken? Gut – man wüsste besser, wo genau. Überall wird verbissen gefochten – mit hoher Tapferkeit auf beiden Seiten. Auch die Deutschen lassen Federn in diesen schweren Kämpfen.
Nicht an jeder Stelle läuft es gut für die Piloten der Luftwaffe. Etwa 60 Junkers Ju 88 des LG 1 fliegen in die Bucht von Southampton. Sie werden beschützt von 40 Messerschmitt Bf 110 des ZG 2, von Zerstörern. Das heißt so viel, dass sie letztlich ungeschützt sind.
Ihre Ziele sind die Flugplätze Middle Wallop und Worthy Down. Ihre Gegner bestehen aus etwa 50 Spitfires und Hurricanes der 43, 249, 601 und 609 Squadron der 10 Group. Die letzten Spitfires der startenden 609 Squadron berühren mit ihren Reifen noch die Grasnarbe des Rollfeldes von Middle Wallop, als die ersten Bombeneinschläge bereits um sie herum den Boden mit Trichtern übersäen. Von nun an sind die Briten im Vorteil, und sie stürzen sich mit Inbrunst auf die deutschen Bomber, die trotzdem todesmutig durch den Geschosshagel hindurchfliegen und ihren Auftrag erfüllen – koste es, was es wolle. Es „kostet“ alleine fünf von sieben Ju 88 einer einzigen Staffel! Es ist die von Hauptmann Jochen Helbig geführte 4./KG 1. Die Hurricanes der 601 Squadron fallen regelrecht über sie her.
Weiter westlich ist Portland das Ziel von rund 40 Junkers Ju 87 „Stukas“ – wieder einmal. Es ist 17.00 Uhr in England. Die Sturzkampfbomber der I./StG 1 und II./StG 2 werden von 60 Me 109 aus den Jagdgeschwadern 27 und 53 begleitet, zusammen mit 20 Me 110-Zerstörern der V./Lehrgeschwader (LG) 2. Die beiden Hurricane-Squadrons N° 87 und 213 aus Exeter übernehmen den Angriff auf die Me 110 und Stukas, während 14 Spitfires (erneut ist die Anzahl 14 ein Indiz dafür, dass die Squadrons nun von 12 auf 20 Maschinen Sollstärke aufgerüstet werden) der 234 Squadron versuchen, ihre „Kollegen“ in den Me 109 am Eingreifen zu hindern. Zwei Spitfires werden in dem Ringen abgeschossen, eine dritte so lange gejagt, bis der Pilot in seiner schwer beschädigten Jagdmaschine notlanden muss – bei Cherbourg in Frankreich auf der für ihn völlig falschen Seite des Ärmelkanals.
Die Spitfires können die deutschen Einsitzer nicht so binden, dass diese den übrigen Formationen nicht zu Hilfe kommen könnten. Die Me 110 – längst wieder in ihrem Abwehrring nutzlos am Himmel umherkreisend – werden von den Kameraden der Jagdstaffeln „herausgehauen“. Squadron Leader John Dewar aus der 213 Squadron entkommt den Me 109 in seiner angeschossenen Hurricane nur mit Mühe. Die 87 Squadron bringt nur fünf Hurricanes in die Luft. Flight Lieutenant Ian Gleed manövriert sich und seine Männer in eine gute Ausgangsposition gegen die Me 110-Zerstörer. „Okay, chaps! Let’s go and surround them!” („Okay, Kumpel! Auf geht’s, treiben wir sie in die Enge!“). Die Hurricanes jagen los und erzielen angeblich fünf Me 110-Abschüsse. In den deutschen Verlustlisten finden sich diese nicht – mit einer Ausnahme, in welcher ein möglicher Schreibfehler (V./LG 1?) Zweifel aufkommen lässt – diese Me 110 wird zu 60 % beschädigt. Dagegen ist das Schicksal der fünf Briten unstrittig. Zwei von ihnen sterben in ihren Hurricanes, ein dritter schafft verwundet eine Bruchlandung
Am Abend sind die Deutschen schon wieder über England. Wieder nehmen sich Dornier Do 17-Bomber Flugplätze des Fighter Command in Kent vor, während Me 109 des JG 26 Streife fliegen. Die Dornier-Bomber sollen eines der wichtigsten Sektoren-Hauptquartiere in Biggin Hill knapp südlich des Stadtrandes von London zerstören. Die schlanken Kampfflugzeuge dieses Typs bewähren sich gut in überraschenden Tiefangriffen auf feindliche Flugplätze. Daneben hat Hauptmann Rubensdörffer mit seinen Jagdbombern erneut eine besondere Aufgabe. Rubensdörffers 15 Me 110 und acht Me 109 werden auf die „Sector Control“ in Kenley angesetzt. Die Kommandeure der Luftwaffe suchen sich ihre Ziele überlegt heraus – soweit die Nachrichtenlage und Aufklärungsergebnisse dies ermöglichen.
Kenley liegt nur einen Steinwurf von Biggin Hill entfernt – südöstlich des Londoner Stadtteils Croydon. Es ist angedacht, dass die beiden Kampfgruppen durch ihren gleichzeitigen Angriff die gegnerische Abwehr aufteilen sollen. Als Rubensdörffers kleine Streitmacht über Frankreich am vereinbarten Treffpunkt mit der Jäger-Eskorte des JG 52 erscheint, ist von den Kameraden in den Jagdflugzeugen nichts zu sehen. Was nun?
Rubensdörffer weiß, dass eine Fehlentscheidung jetzt – wie so oft in diesem „Geschäft“ – sein Leben und das vieler Männer kosten kann. Greift er ohne Jagdeskorte an, fliegt er möglicherweise direkt ins offene Messer. Kehrt er aber um, dann haben die Bomberbesatzungen in den Do 17 mit ihrem Begleitschutz die gesamte britische Royal Air Force alleine auf dem Hals – was das Fighter Command betrifft. Also hält er weiter Kurs. Es wird schon gut gehen!
Hauptmann Rubensdörffer leitet seine Streitmacht über Sevenoaks und nähert sich dann seinem eigentlichen Ziel Kenley im Sturzflug von Norden her. In England ist es 19.00 Uhr, als sich ein Flugfeld vor den Kanonen- und Maschinengewehr-Mündungen der deutschen Jagdbomber aus der Abendstimmung hervorhebt. Ob die britischen Flugabwehrkanoniere auf der Hut sind? Ihr Feuer ist gefährlich! Manchmal werden an Raketen hängende Drähte hochgeschossen, die an Fallschirmen langsam wieder niedergehen. Fliegt man in so einen Drahtverhau hinein, bleibt wenig Zeit zum Beten.
Sofort erfolgt der Angriff – wie gewohnt blitzartig und überfallartig. Gebäudeteile fliegen zerlegt durch die Luft, Geschosse durchsieben die Einrichtungen, Fensterscheiben zerbersten. Eine Reparaturfabrik für Hurricanes am Rollfeldrand wird zerstört – gemeinsam mit weiteren Instandsetzungsbetrieben ähnlicher Art. Die Bomben sitzen mit tödlicher Präzision. Es kracht überall, Brände lodern auf. Munition detoniert, Hangars explodieren, die Nachschub-Ausrüstung der N° 1 Squadron der Kanadier fliegt in die Luft. In der Umgebung des Flugplatzes arbeiten viele Zivilisten – auch und vor allem in den erwähnten Rüstungsbetrieben. Sie werden völlig überrascht. Erst eine Viertelstunde nach dem Angriff ertönen die Luftschutzsirenen endlich! Durch die explodierende Munition kommen viele der Arbeiter ums Leben. Panik bricht aus. Von den 68 Toten gehören nur sechs zum Bodenpersonal des Flugplatzes. Der Rest sind zivile Opfer – eine höchst gefährliche Tatsache. Der altehrwürdige Abfertigungsbau des früheren Zivilflugplatzes Croydon in Londons südlicher Vorstadt brennt wie ein Fanal.
Croydon! Ein Vorort Londons! Es ist nicht Kenley! Angriffe auf London und das Bombardieren ziviler Ziele ist von Hitler persönlich mit Rücksichtnahme auf die öffentliche Meinung in England strikt verboten. Der Flugplatz Croydon ist zwar kein ziviles Ziel, und zivile Opfer in an militärische Objekte angrenzenden Wohngebieten hatte es bereits andernorts in England gegeben. Sie sind unvermeidbar – zumal in Rüstungsbetrieben, die völlig legitimerweise der Zerstörung ausgesetzt sind!
Das hier aber ist nun mal ein Vorort von London! Versehen hin oder her!
London ist tabu!
Rubensdörffer muss ernste Konsequenzen befürchten. So oder so. Es erwischt ihn aber so! Neun Hurricanes der 111 Squadron unter Leitung von Squadron Leader John Thompson waren nur Minuten vorher von Croydon aufgestiegen und nehmen sich jetzt die Angreifer vor. Hurricanes der 32 Squadron aus Biggin Hill kommen genau im richtigen Moment hinzu, um die nahebei präsenten Me 109 zu binden. Die Me 110 können jetzt nicht anders, als sich mit bemerkenswertem Können blitzartig zum Abwehrkreis zu formieren. Rubensdörffer sitzt in der Falle – lange kann er hier nicht bleiben! Es ist eine Frage der Zeit, wann sie durch hinzukommende weitere britische Jäger überwältigt werden würden! Auch ein Abwehrkreis ist keine Lebensversicherung! Sobald die Briten nicht aufpassen, die über dem Verteidigungskreis lauern, muss er hier weg!
Wie auf ein Kommando brechen die Zerstörer in zwei Gruppen aus dem Abwehrkreis aus und jagen einer Wolkendecke entgegen. Da drin wären sie in Sicherheit! Rubensdörffer schafft es nicht. Es ist Thompson persönlich, der das deutsche Ass einholt und abschießt. Sechs Me 110 und eine Me 109 werden vernichtet – in Anbetracht des meilenweit als riesige Rauchwolke sichtbaren Desasters von Croydon vermutlich mit Inbrunst. Keiner überlebt. Der gebürtige Schweizer Rubensdörffer ist ein schwerer Verlust für die Luftwaffe. Er hatte lange durchgehalten – langsam waren die Verfolger näher gekommen. In dieser Höhe ist jeder Geschwindigkeitsvorteil einer Me 110 gegenüber Hurricanes inexistent. Dann hat der Bordschütze die feuernde Hurricane von Thompson am Heck. Andere Hurricanes komme dazu, verfolgen dann aber eine weitere Me 110. Rubensdörffers Maschine brennt, sie verliert Höhe. Erst als die Bäume unter ihm eine Notlandung unmöglich machen, ist es vorbei. Beide Besatzungsmitglieder sterben im Feuer explodierenden Flugbenzins beim Aufschlag.
Es ist ein schwarzer Tag für die Luftwaffe, zumal auch die Do 17 irrtümlich nicht Biggin Hill, sondern West Malling angreifen. Das ist nicht der Flugplatz des Sector Control Hauptquartiers wie geplant, doch auch ein Jägerflugplatz – immerhin. Hier ist die 141 Squadron stationiert. Ein paar der deutschen Dornier-Bomber gehen ebenfalls verloren.
Manch anderer hatte gerade noch mal Glück gehabt. Auch ein gewisser Neuseeländer, der einmal den Befehl zum Abschuss eines Rot-Kreuz-Flugzeuges gegeben hatte. Alan Deere schafft es noch, bei Deal aus seiner brennenden Spitfire herauszukommen. Ein verstauchter Fuß wird ihn eine Weile an seinen Bezwinger erinnern.
Ein Teufelskerl, der ihn da heruntergeholt hatte.
Es ist der 20. Luftsieg von Adolf Galland ...
Im Hauptquartier des Fighter Command in Stanmore beobachten Dowding, Lord Ismay, Lord Beaverbrook und Winston Churchill bedrückt schweigend den Kartentisch, auf dem unzählige Symbole hin und her geschoben werden. Schicksale auf dem Kartentisch, lebend oder tot. Staffeln, Geschwader, Squadrons, Ziele, Piloten, Menschen, Opfer. Die kalte Mathematik des Krieges.
Als Winston Churchill schließlich in seinem Wagen zurück zu seinem Amtssitz nach Chequers bei Amersham im Westen von London fährt, verharrt er lange schweigend. Lord Ismay versucht besorgt, den Prime Minister zum Reden zu bringen. „Lassen Sie mich in Ruhe!“ wird Ismay von Churchill bedeutet. Lange sitzen die beiden stumm nebeneinander, dann bricht der Premier das Schweigen:
„Never, never in the field of human conflict was so much owed by so many to so few“ („Niemals, noch nie in einem menschlichen Konflikt, haben so viele so wenigen so viel zu verdanken!”).
Es wird der Kernsatz einer berühmt gewordenen Rede Churchills, als er ihn am 20. August 1940 vor dem House of Commons (Unterhaus des britischen Parlamentes) wiederholt.
Auf der anderen Seite des Ärmelkanals wird der Tag als „Schwarzer Donnerstag“ in die Geschichte der Luftwaffe eingehen.
Die Bilanz (einschließlich deutscher Verluste durch britische Flak, ohne Verluste britischer Bomber):
gemeldete britische Abschüsse: 185* tatsächliche deutsche Verluste: 72*
gemeldete deutsche Abschüsse: 87* tatsächliche britische Verluste: 32*
*(182 durch britische Jäger + 2 Abschüsse durch britische Flak und 1 durch Blendung mit Suchscheinwerfer).
*Eine vermisste Me 109 der I./JG 77 über Dänemark wird nicht gezählt.
*Zuzüglich einer Bristol „Blenheim“ über Dänemark.
*Zuzüglich zehn Whitleys, zweier Spitfires, einer Battle und drei Blenheims am Boden. Unfälle werden nicht erfasst.
Einer der deutschen Verluste ist ein Seenotrettungsflugzeug des Typs He 59. Ein Crewmitglied fällt.
Verluste in dieser Größenordnung sind für beide Seiten untragbar! Dennoch werden die Angriffe der deutschen Luftwaffe mit unvermindertem Siegeswillen weitergeflogen, Tag für Tag, wieder und wieder. Genauso erbittert halten die britischen Piloten dagegen. Die Kämpfe werden immer härter. Und dennoch bleiben sie einigermaßen fair, von Ausnahmen abgesehen.
Einer dieser bösen Zwischenfälle spielt sich bereits am Tag darauf ab. Die drei Hurricanes der „Red Section” aus der 249 Squadron sind gerade dabei, sich in Schussposition gegen zweimotorige deutsche Me 110-Zerstörer zu manövrieren und diese anzugreifen, als sie prompt von hinten überrascht werden. Messerschmitt Bf 109-Jagdflieger schießen alle drei Hurricanes sekundenschnell in Flammen. Squadron Leader Eric King kann seine angeschossene Jagdmaschine noch zurücksteuern zum eigenen Flugplatz, während sein Namensvetter Pilot Officer M. A. King mit dem Fallschirm aussteigt. Der dritte Pilot ist Flight Lieutenant James Nicolson. Gerade, als auch er seine Hurricane verlassen will, taucht eine der deutschen Me 110 in seinem Visier auf. Nicholson lässt sich in sein bereits brennendes Cockpit zurückfallen und hält mit allen acht Maschinengewehren voll drauf! Er trifft! Es ist das Ende des Zerstörers. Dann endlich springt der Brite ab – inzwischen mit schweren Brandwunden im Gesicht und an den Händen!
Von unten verfolgen Soldaten der britischen Royal Artillery den Luftkampf, auch Freiwillige der Heimatwehr schauen zu. Die oft schlecht ausgerüstete „Home Guard“ ist nicht ganz vergleichbar mit dem späteren deutschen „Volkssturm“, doch besteht sie ebenfalls aus hastig rekrutierten und notdürftig ausgebildeten Amateurkämpfern im Alter vom Jugendlichen bis zu 65 Jahren. Als nebeneinander Kings und Nicholsons Fallschirme nach unten schweben, gehen die Männer am Boden davon aus, dass es sich um die Besatzung ein und desselben Flugzeugs handeln müsse. Ein Zweisitzer also! Ein deutscher Me 110-„Zerstörer“ – denn britische Zweisitzer sind weit und breit nicht in der Nähe!
„Gebt es Ihnen!“ Die Männer feuern aus ihren Gewehren, die britische Heimatwehr aus Schrotflinten. Es ist bis heute nicht sicher, ob King direkt getroffen wird. Das Loch in seinem Fallschirm genügt. Es wird innerhalb von Sekunden größer. Der britische Pilot stürzt in den Tod, „gekillt“ durch „friendly fire“.
Nicholson landet lebendig. Zu den höllischen Schmerzen seiner Brandwunden kommen jetzt auch noch welche durch britische Schrotkugeln.
Inzwischen haben die Warte einiger Staffeln der deutschen Jagdgeschwader die Rumpfnasen ihrer Messerschmittjäger auffallend gelb bemalt. Beispiele finden sich unter anderem in den Jagdgeschwadern 2, 3, 26, 27, 51, 52, 53, 54. Der Farbkontrast bewirkt, dass diese Me 109 in der Luft leichter erkennbar sind. Das sekundenschnelle Erkennen von Freund und Feind kann über Leben und Tod entscheiden. Die gelben „Nasen“ bewirken andererseits natürlich auch, dass die Maschinen im Tiefflug mit ihrer verminderten Tarnung gegen den Boden stärker auffallen als völlig im Tarnschema gefleckte Exemplare, wie sie deshalb von den anderen Staffeln bevorzugt werden. Ein unerkanntes Entkommen im Verfolgungsfalle ist mit gelbem Rumpfvorderteil schwerer. Diese Vor – und Nachteile gilt es abzuwägen. Ein völlig unerwarteter Nebeneffekt der gelben Nasen ist jedoch der, dass viele Briten sie nicht als Besonderheit einzelner Staffeln erkennen, sondern vermuten, dass es sich um die „Kriegsbemalung“ deutscher Jäger-Asse handelt, die von Göring handverlesen in einer Einheit zusammengeführt würden. Auf diese Weise entsteht bereits bei Erkennen dieser Jagdflugzeuge eine gewisse Schrecksekunde und ein gehöriger Respekt auf der anderen Seite – der den Flugzeugführern in gewissem Maße psychologisch nützlich ist, ohne dass es ihnen überhaupt bewusst wäre. Prompt fördert dies ihre Abschusserfolge, was wiederum das Märchen der Eliteeinheit nährt ...
Während der Luftschlacht um England kommt es zu einer Unterredung zwischen Reichsmarschall Hermann Göring und den beiden Jagdfliegern Major Werner Mölders (inzwischen befördert) und Major Adolf Galland. Beide jungen Jagdflieger-Asse werden im Laufe des Sommers zum Kommodore ihres Geschwaders ernannt. Mölders (Gallands freundschaftlicher Konkurrent um die höchste Zahl der Abschüsse) übernimmt am 20. Juli 1940 das Jagdgeschwader 51. Galland wird eher gegen seinen Willen am 22. August 1940 zum erst 28-jährigen Befehlshaber des Jagdgeschwaders 26 ernannt. Er wäre lieber Gruppenkommandeur geblieben, da er fürchtet, als Kommodore nicht mehr so oft zum Einsatz zu kommen.
Messerschmitt Bf 109 E-1. Die gelbe Motorhaube des Jagdflugzeuges ist bei dieser Farbaufnahme gut erkennbar.
Göring ist mit Galland und Mölders vor dem Sonderzug des Reichsmarschalls in Frankreich alleine, als er vorsichtig das Gespräch auf ein heikles Thema bringt. Es scheint, dass auch ihm die Frage, die er stellen zu müssen meint, nicht gerade angenehm ist. Schließlich war er selber Jagdflieger im Ersten Weltkrieg, wenn auch unter völlig anderen, doch aber ritterlichen Bedingungen. Ist es seine Idee oder gibt er nur eine Frage weiter, die man an ihn gerichtet hat? Benötigt Göring Rückhalt, um ein solches, vielleicht auch ihm widerstrebendes Ansinnen ablehnen zu können?
Göring weiß, dass jeder Jagdflieger der Royal Air Force, der heil aus seiner angeschossenen Jagdmaschine herauskommt, Stunden später wieder auf seine Luftwaffe schießen wird. Das weiß jeder! Ob man sich denn – äh – schon mal darüber Gedanken gemacht habe?
Eisiges Schweigen.
„Jawoll, Herr Reichsmarschall!“
„Ja – und?“ Beide Jägerasse schweigen. Doch ihre Gesichter sprechen!
„Was würden Sie von einem Befehl halten, im Luftkampf mit dem Fallschirm abgesprungene Piloten abzuschießen?“
Galland antwortet. „Ich würde das für Mord halten, Herr Reichsmarschall, und versuchen, mich einem solchen Befehl mit allen Mitteln zu widersetzen!“
Es scheint fast, als wäre der sonst nicht gerade zimperliche Befehlshaber der deutschen Luftwaffe erleichtert. „Genau diese Antwort habe ich von Euch erwartet, Galland“, sagt Göring, während er väterlich beide Hände auf Gallands Schultern legt. Schon im Ersten Weltkrieg seien ähnliche Gedanken aufgetaucht, aber ebenso energisch von den Jagdfliegern zurückgewiesen worden.
Göring, Galland und Mölders.
Ein Schwarm Me 109 des JG 2 vor der französischen Kanalküste am Kap Gris Nez.
Diese Frage wird im Laufe des Krieges, der sich in geradezu gnadenlose Dimensionen ausweiten sollte, innerhalb der Luftwaffe nie mehr erörtert werden, selbst dann nicht, als nicht selten deutsche Piloten am Fallschirm hängend oder nach Notlandungen am Boden wehrlos umgebracht werden.
John Simpson ist ein Beispiel dafür, wie im Sommer 1940 üblicherweise am Kanal verfahren wird – auf britischer Seite genauso wie auf deutscher! Als er in 5.000 Meter Höhe über dem Wasser des Ärmelkanals aus seiner getroffenen Hurricane aussteigt und den Fallschirm öffnet, treibt ihn ein starker Wind in Richtung auf die britische Küste. Jetzt ist er hilflos, ein einziges feindliches Geschoss in seinem Fallschirm – und das war es dann. Sein Bein tut weh, Simpson ist verwundet. „Damned!“ Der Deutsche, der ihn abgeschossen hatte, fliegt auf ihn zu. Dann kreist die Me 109 um ihn herum; enger, immer enger werden die Kreise. Angst steigt auf, die Kehle wird trocken. Was hat der „Fritz“ denn vor?
Dann kann Simpson das Gesicht des Deutschen erkennen. Der winkt ihm zu! Dann dreht er eine letzte Schleife und fliegt davon. Simpson landet schließlich in einem englischen Gurkenbeet.
Die deutschen Angriffe gehen unvermindert weiter. Manchmal kommen die Wellen der Bomber und Jagdbomber gezielt so hintereinander, dass die englischen Piloten kaum noch Zeit haben, neu zu munitionieren und aufzutanken. Die Verluste steigen – hier wie dort. Am 18. August 1940werden alleine 18 Junkers Ju 87 „Stukas“ des StG 77 abgeschossen, vier weitere beschädigt - zu 5 %, 10 % und zweimal zu 35 %. Dieser Aderlass ist nicht mehr zu verantworten. Die Sturzkampfbomber werden fortan nicht mehr gegen die britischen Ziele in Südengland eingesetzt. Dieser Entschluss tut weh!
Dafür kämpfen die anderen Verbände umso verbissener. Tiefangriffe auf die Flugplätze der 11 Group wechseln sich mit Höhenbombardements der Do 17, He 111 und Ju 88 ab. Am 18. August 1940 verlieren die Briten 37 Jagdflugzeuge in Luftkämpfen und sieben durch Bomben, zusätzlich fällt eine Hurricane den übereifrigen eigenen Flugabwehrkanonieren zum Opfer – der Pilot stirbt bei diesem Irrtum. 66 deutsche Verluste stehen dem entgegen. Inzwischen wird auch in der Luftwaffe die Nachschublage spürbar schwierig. Während die britische Flugzeugindustrie auf Hochtouren produziert, fängt man in Deutschland erst allmählich an, den Ernst der Lage zu begreifen. Die deutschen Flugzeugschmieden haben eine Produktionsrate, die kaum über der in Friedenszeiten liegt. Die Engländer produzieren pro Monat längst das Doppelte an Jagdflugzeugen als die Deutschen. Auch die Ausbildung der englischen Piloten kann gut und gerne mit den deutschen Zahlen mithalten – vorsichtig definiert.
Das Ungleichgewicht zwischen der Einsatzstärke der Royal Air Force und der Luftwaffe bleibt bestehen, doch allmählich vermindert es sich zu Gunsten des Fighter Command. Da die Ausgangslage allerdings für die Briten weit ungünstiger war, ändert es nichts an den Prognosen. Die Luftwaffe kämpft entschlossen, und sie kämpft in Anbetracht ihrer strategischen Nachteile gut. Sie bleibt trotz aller Verluste in der Übermacht. Die Abnützung des Fighter Command ist höher als der britische Nachschub an Piloten und selbst an Jagdflugzeugen. Das ist entscheidend. Das Ende ist in Sicht!
Immer noch haben die Piloten der Royal Air Force viele Trümpfe. Sie werden systematisch an die Feindverbände herangeführt, während auf deutscher Seite die Befehle Stunden alt sind, nach denen sich die Kommandeure in der Luft orientieren sollen. Die Engländer sind dank der nun weitgehend ungestört und unzerstört arbeitenden Radaranlagen stets über die Luftlage perfekt im Bilde – die Deutschen fliegen ihre Einsätze praktisch blind und können erst reagieren, wenn sie mit ihren eigenen Augen einen angreifenden Jagdverband erkennen. Die Besatzungen der deutschen Kampfflugzeuge wissen oft nichts oder wenig über ihre Ziele, bombardieren unwichtige Flugplätze. Die Deutschen kennen die Struktur der Organisation des Fighter Command nicht, auch nicht die Effizienz von Dowdings Nachschuborganisation. Ihre Spionage versagt fast vollständig – und wo dies nicht der Fall ist, treffen die Meldungen oft auf ungläubige Ignoranz in den obersten deutschen Führungsstäben. Man ist also auf Aufklärungsergebnisse der Luftwaffe angewiesen – doch die einzeln fliegenden Aufklärer erleiden hohe Verluste. Zunehmend weichen die britischen Squadrons auf perfekt getarnte kleine Privatrollfelder aus, ehemalige Segelflugplätze. Die sind aus der Luft kaum aufzufinden. Die anfangs ebenso wie in der Luftwaffe problematische Funkverbindung zwischen den britischen Squadrons ist allmählich klar und deutlich durch Umstellung auf VHF- (very high frequency) Standard.
Tiefangriff von Dornier Do 17 der 9./KG 76 auf den britischen Flugplatz Kenley am 18. August 1940. Eine Spitfire der 64 Squadron steht am nördlichen Ende des Flugfeldes in einer „Splitterbox“. Bisher scheint sie heil geblieben ...
Und: die Briten haben keine Reichweitenprobleme! Um die chronische Treibstoffknappheit der Messerschmitt Bf 109-Jäger zu vermindern, werden nun die Jagdgeschwader der deutschen Luftflotte 3 überwiegend in den Bereich der Luftflotte 2 verlegt – in die Gegend um Calais näher an die englische Südküste heran. Dafür sollen sie jetzt aber weiter fliegen, denn man konzentriert sich nun nicht mehr alleine auf die küstennahen britischen Jägerflugplätze (bzw. was man für solche hält ...), sondern auch auf jene in der Nähe von London. Auf denen die Sektor-Kommandostrukturen untergebracht sind.
Damit bleiben die Treibstoffprobleme allerdings doch wieder dieselben! Wenn die deutschen Jäger – die es sich nicht leisten können, am vereinbarten Treffpunkt mit den Bombern lange auf diese zu warten, falls sie sich verspäten sollten – die britische Südküste erreichen, bleibt nur noch für etwa 30 Minuten Flugzeit. Das sind ungefähr 250 Kilometer Distanz. Es ist erheblich weniger, wenn man als Begleitschutz um die langsameren Bomber herumkurven muss, was durch die vielen Schleifen eine Menge Sprit kostet. Bis zum Stadtrand von London sind es von der Küste aus 70 bis 100 Kilometer. Hin und zurück also 140 bis 200 Kilometer. Das heißt allerhöchstens 10–20 Minuten Zeit für Luftkämpfe!
Nicht immer kann man einen Kurvenkampf mit britischen Jägern einfach nach Belieben abbrechen – geradlinige Flucht nach Hause bedeutet: die feindlichen Hurricanes oder die schnelleren und damit gefährlicheren Spitfires hängen sofort ebenso direkt am Heck! Nur aus der Höhe – wenn man sie noch zur Verfügung hat – ermöglicht die bessere Sturzfluggeschwindigkeit der Me 109 ein relativ gefahrloses Entkommen.
Es passiert, dass eine komplette deutsche Jagdstaffel, eine Me 109 nach der anderen notlandet – ohne Beschussschäden! Zwölf Messerschmitt–Jäger! Sieben von ihnen finden sich in bewegter See im Wasser des Ärmelkanals wieder. Die letzten vier Piloten der Staffel schaffen es gerade noch an den Strand der französischen Küste. Einer davon ist Leutnant Max-Hellmuth Ostermann (7./JG 54). *6
An der Kanalküste notgelandete Me 109 E-4 (erkennbar an der Form der Windschutzscheibe).
Die Jagdflieger benötigen dringend eine Umrüstung ihrer Messerschmitt Bf 109-Abfangjäger zur Aufnahme von Zusatztanks. Stattdessen erhalten einige von ihnen Abwurfvorrichtungen für Bomben.
Zunehmend mischt sich Göring in das Kampfgeschehen ein. Der Reichsmarschall wird ungeduldig. Er befiehlt nun endgültig, die „freie Jagd“ aufzugeben. Die Jäger haben bei den Bombern zu bleiben und diese zu beschützen.
Es kommt zu einer denkwürdigen Krisenunterredung in Frankreich. Göring versammelt die Kommandeure der Bombergeschwader um sich ebenso wie auch die Repräsentanten der Jäger. Auch die Majore Galland und Mölders sind dabei.
Göring weiß, dass sich allmählich Unsicherheit in den deutschen Reihen verbreitet. Täglich fehlen Freunde und Kameraden der Flieger am Tisch beim Abendessen, neue Gesichter kommen und fehlen bald auch. Göring will Siegeszuversicht verbreiten. Er vermisst Kampfgeist – völlig zu Unrecht! Um diesen zu vermitteln, kommt er selber an die Kanalküste. Und macht psychologisch falsch, was man falsch machen kann. Vor allem den Jagdfliegern gegenüber. Sie werden mit Vorwürfen überhäuft!
Reichsmarschall Göring verlangt den unmittelbaren Begleitschutz, direkt in Sichtweite der Bomber. Major Galland versucht, dem Reichsmarschall die enormen Nachteile dieses Vorgehens zu erläutern. Abgesehen vom fatal höheren Treibstoffverbrauch verlören die Jagdflieger das doch so kardinal wichtige Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Sie dürften sich erst wehren, wenn sich die britischen Jäger, die sich dann nach ihrem Belieben sowohl Ort als auch Winkel ihres Angriffes selber ungestört heraussuchen könnten, vermutlich aus bester Angriffsposition von hinten oben auf sie stürzen würden.
Das Ergebnis wäre zwangsläufig der Kurvenkampf – eben genau die Luftkampfart, in welcher die Hurricanes und Spitfires den Me 109 deutlich überlegen sind. Genau die Situation, welche die Piloten bisher erfolgreich vermeiden, wo immer das geht! Mit Spitfires könnte man solch einen engen Geleitschutz vielleicht fliegen, doch niemals ausgerechnet mit der Messerschmitt Bf 109!
Göring will davon nichts hören. Er vertritt kritiklos die Ansichten der Bomberkommandeure, die sich natürlich – aus ihrer Sicht verständlich – engeren Jagdschutz wünschen. Und die Einwände der Jäger für Ausreden halten.
Galland stehen innerlich die Tränen in den Augen. Kann es sein, dass ein ehemaliger Jagdflieger wie Göring ihn so wenig versteht? Ist es möglich, dass der Oberkommandierende der eigenen deutschen Luftwaffe ein gefährlicherer Gegner für Galland und seine Geschwaderkameraden ist als die gesamte britische Royal Air Force?
Göring ist unbelehrbar. Harsche, ja verletzende Worte fallen. Schließlich schlägt der Reichsmarschall verbindlichere Töne an. Er erwarte, dass man gehorche – aber ob er darüber hinaus denn noch etwas für die Jäger tun könne? Mölders – Galland: haben sie denn irgendwelche Wünsche?
Mölders hat einen! Er möchte einen stärkeren Motor für die Me 109.
Göring verspricht dies.
„Und Sie, Galland?“
„Jawoll, Herr Reichsmarschall! Ich bitte um Ausrüstung meines Geschwaders mit Spitfire!“
Galland erschrickt selber, als es heraus ist.
Und Göring bleibt die Spucke weg! Mit offenem Mund steht er fassungslos da. Dann dreht er sich wortlos um und verlässt grollend die Szene.
Doch nicht nur in der deutschen Luftwaffe fühlt man sich in der Krise. Keith Park steht mit seiner 11 Group zunehmend mit dem Rücken an der Wand. Addiert man die Verluste beider Seiten nur im Luftkampf – also ohne Unfälle, technisches Versagen oder Bombentreffer am Boden – alleine am 8./11./12./13./15. und 18. August 1940 jeweils zusammen, so fehlen Göring nun 269 Flugzeuge, Dowding aber ebenfalls 161 Jäger! So viel kann Lord Beaverbrooks Flugzeugindustrie nicht liefern! Noch schlimmer: alleine 231 der erfahreneren Jägerpiloten sind seit Beginn der Kämpfe um England inzwischen tot, vermisst oder verwundet – die Novizen gar nicht mitgezählt. Die Ausbildungszeit für Ersatzpiloten sinkt auf gerade mal 14 Tage! Von sechs Monaten, die man zu Kriegsbeginn für nötig gehalten hatte!
Auf seinen Kollegen Quintin Brand, Kommandeur der im Westen Südenglands benachbarten 10 Group, kann sich Keith Park verlassen. Bei Leigh-Mallory im Norden Londons sieht das schon ganz anders aus. Leigh-Mallory ist ehrgeizig, es passt ihm überhaupt nicht, dass die Jägerpiloten seiner 12 Group immer nur die zweite Geige spielen sollen, währen Keith Park mit seinen Squadrons im Südosten Englands die Lorbeeren im Kampf gegen die Deutschen einstreicht. Daher kommt es ihm sehr gelegen, dass Keith Park ihn nun – von ganzem Herzen widerstrebend – um Hilfe rufen muss, als die Luftwaffe jetzt sogar die Flugplätze der 11 Group im Süden Londons bombardiert.
Galland, Lörzer, Göring und Mölders.
„Ich bitte um Ausrüstung meines Geschwaders mit Spitfire!“
Der 24. August 1940 ist der erste Tag, an welchem Görings neue Methoden greifen sollen. Sie werden allerdings gar nicht so ungeschickt umgesetzt, denn die Luftwaffe kommt nun mit Bomberverbänden, die von einem gigantischen Jagdschirm bewacht werden. Nur zwei der zwölf herangeführten britischen Squadrons aus Keith Parks Arsenal kommen durch den dichten Schutzschild von Hunderten Messerschmitt Bf 109 überhaupt durch zu den Bombern – es scheint, als hätten die deutschen „Bomberbarone“ Recht. Sogar Defiants der 264 Squadron kommen noch einmal zum Einsatz und schießen vier Ju 88 ab, beschädigen eine fünfte. Dafür werden prompt vier der Vierlingsturm-Jäger im Gegenzug heruntergeholt – drei von Me 109, die vierte von Bordschützen eines der Bomber. Mit 14 Bombern halten sich die Verluste der Kampfflugzeuge dann tatsächlich in Grenzen, das hat aber seinen Preis! Auch 14 Me 109 gehen verloren.
Gallands Befürchtungen bewahrheiten sich!
Als alle Squadrons der 11 Group in der Luft sind, hat Keith Park keine Reserven mehr. Es bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als Leigh-Mallory zu bitten, auf Parks nördliche Flugplätze aufzupassen. Der sieht nun die Chance gekommen, eine Taktik anzuwenden, die ihm von einem britischen Jagdflieger seiner 12 Group ans Herz gelegt wird. Es ist Douglas Bader.
Bader ist der Überzeugung, dass es alleine darauf ankommt, so viele deutsche Flugzeuge wie möglich abzuschießen – egal in welcher Phase des Angriffes. Das sei am allerbesten möglich in der Überzahl. Also tritt er vehement dafür ein, zunächst die eigenen Kräfte zu formieren und mehrere Squadrons zu einer Großformation zusammenzufassen – „Big Wing“ nennt er diese – und dann erst zuzuschlagen. Auf die Gefahr hin, dass das Sammeln einer solchen Streitmacht so viel Zeit in Anspruch nimmt, dass der Gegner seinen Auftrag bereits ausgeführt hat und sich auf dem Rückflug befindet. Das müsse man in Kauf nehmen. Schieße man dann aber mit dem massierten Angriff einer vereinten Jägerstreitmacht die doppelte Anzahl an Feindmaschinen herunter als beim Angriff jeder Squadron einzeln auf deren Hinflug, dann sei das allemal vorzuziehen. Die Zerstörungen durch das inzwischen erfolgte Bombardement müsse man eben hinnehmen.
Das ist für Keith Park völlig inakzeptabel. Was soll er in Kauf nehmen? Die Ziele sind seine Flugplätze, wohlgemerkt! Leigh-Mallory, den Bader längst überzeugt hat, kann gut reden! Dessen Basen sind ja außerhalb der Reichweite der deutschen Me 109 – und somit werden sie nicht bombardiert! So kann man es sich leicht machen! Außerdem – ihm, Park, bleiben an vorderster Front gerade mal einige Minuten, um nach der Radarwarnung seine Squadrons in Angriffsposition zu bringen. Er hat schlicht nicht die Zeit, sie auch noch umständlich zu einem Großverband zusammenzudirigieren!
Leigh-Mallorys „große Geschwader“ sollen gefälligst die Flugplätze seiner 11 Group beschützen, während er den Deutschen zusetzt, verdammt noch mal. Keith Park ist ziemlich verärgert über die Kritik an seinen Einsatzplänen.
Leigh-Mallory wiederum ist erpicht darauf, seinen Anteil am Ruhm nicht zu verschenken. Er will beweisen, dass er Recht hat. Er sammelt seine Einheiten nach dem Start – was prompt misslingt. Nur die Spitfire der 19 Squadron, versuchsweise mit einer Kanone pro Tragfläche ausgerüstet, die auch noch zur Ladehemmung neigt – erwischen angeblich noch ein paar Me 110. Es sind gerade mal sechs britische Jagdflugzeuge, und in Wirklichkeit geht keine der beiden an diesem Tage tatsächlich abgeschossenen Me 110 an die Spitfires der N° 19 Squadron verloren. Die übrigen Piloten der 12 Group Leigh-Mallorys können den Deutschen nur noch hinterherwinken!
Die Bilanz (einschließlich deutscher Verluste durch britische Flak, ohne Verluste britischer Bomber):
gemeldete britische Abschüsse: 54 tatsächliche deutsche Verluste: 31
gemeldete deutsche Abschüsse: 48 tatsächliche britische Verluste: 23*
*(hinzu kommen eine Hurricane und zwei Blenheim durch eigene Flak bzw. versehentlich durch Hurricanes der 1 Squadron RCAF).
Inzwischen kommen die Deutschen vermehrt auch in der Nacht. Dank moderner Technik finden die Bomber auch verdunkelte Ziele. Meistens. Ein System von zwei Funk-Richtungsstrahlen, welche exakt gebündelt ausgesendet werden können, kreuzt sich über dem Ziel. In den Empfängern der Lorenz-Blindflugeinrichtung sind diese Signale erfassbar. Die Technik wird von den Deutschen „Knickebein“ getauft – die Briten kontern sie, als sie schließlich merken, was da vor sich geht, vergeblich mit „Headache“ (Kopfschmerz“) – Störsendern. Die Bomberbesatzung wird also – wenn sie den Kurs hält – mit einem Hinweis versehen, wenn sie sich über dem Ziel befindet. Mit dieser Technik sind die Deutschen den Briten weit voraus, welche lange nicht dahinterkommen, wie das System funktioniert. Leitstrahlen dieser exakten Bündelung auf eine solch enorme Entfernung hinweg (bis zu 500 Kilometer) kennen sie nicht.
Noch genauer funktioniert eine etwas kompliziertere Anordnung, die allerdings nur bis zu 350 Kilometer weit anwendbar ist. Diese nennt man „X-Gerät“. Sie basiert auf einem Hauptstrahl, auf welchem der Führungsbomber direkt zum Ziel geleitet wird. Abweichungen in die eine oder andere Richtung werden für den Piloten an Bord akustisch hörbar. Dieser Hauptzielstrahl wird nun von zwei weiteren, seitlich kreuzenden Hilfsstrahlen ergänzt. Fliegt der Bomber über den ersten Kreuzungspunkt, so alarmiert ein Signal die Besatzung, dass man sich dem Ziel nähert. Bei diesem Signal wird durch Tastendruck ein Ablaufautomat gestartet („X-Uhr“), dessen grüner und mitgezogener schwarzer Zeiger nun loslaufen. Die nun gestoppte Ablaufzeit misst die exakte Geschwindigkeit über Grund einschließlich der Windeinflüsse, da der genaue Abstand zum nächsten Signal als Rechengröße bekannt ist. Bei Erreichen des zweiten Hilfsstrahls stoppt der Funker per weiterem Tastendruck die beiden Zeiger, dafür wird ein roter Zeiger in Gang gesetzt, der sekundengenau bei Erreichen des stehenden schwarzen Zeigers den Abwurf einleitet. Dieser erfolgt automatisch direkt über dem Ziel – mit einer sehr geringen technischen Abweichung. Das System funktioniert und wird zunächst in die Bomber der spezialisierten KGr 100 eingebaut, die als Führungseinheit fungiert, welche anderen Bombergruppen den Weg weist. Die Briten werden diese Leitfunktion später in ihrem eigenen Bomber Command „Pfadfinder“ nennen.
Doch derzeit sind sie ziemlich machtlos. Zwar versucht man, die Leitstrahlen aufzufinden – was dann auch mit Hilfe speziell ausgerüsteter Flugzeuge möglich ist – und dann zu stören. Doch Letzteres gelingt nur mit mäßigem Erfolg, auch wenn einzelne Paradeaktionen als Gerücht kursieren. So will man eine deutsche Bombergruppe dazu verleitet haben, Bomben auf die neutrale irische Hauptstadt Dublin zu werfen. Das verursacht doppelte Schadenfreude – immerhin mögen sich die Briten und die Iren nicht besonders. In der Tat sterben in Dublin am 26. August 1940drei Menschen durch Bomben.
In aller Regel treffen die deutschen Bombenschützen das gewünschte Ziel. Und dies zudem auffallend präzise. Als Knickebein ab September 1940 doch störbar wird (Störsender „Aspirin“), markiert die KGr 100 mit Brandbomben im X-Verfahren das Ziel. Britische Nachtjäger versuchen, sie daran zu hindern, doch ihre Einsatztätigkeit steckt in der Royal Air Force genauso in den Kinderschuhen wie in Deutschland. Wie findet man bei Nacht im Dunkeln feindliche Bomber? Die Piloten futtern kilogrammweise Mohrrüben, um mit dem Betacarotin darin ihre Nachtsichtfähigkeit zu erhöhen – mit zweifelhaftem Erfolg. Immerhin kommen die glücklosen Defiant-Jäger zu einem lohnenden Betätigungsfeld. Auch werden bereits zu diesem Zeitpunkt bordeigene Zielsuch-Radargeräte in zweimotorige Bristol „Blenheim“-Nachtjäger eingebaut. Davon wiederum können die deutschen Techniker nur träumen. Das wird sich noch ändern ...
Immer noch sind Luftangriffe auf zivile Ziele in der deutschen Luftwaffe strikt verboten – im Gegensatz zum Bomber Command der RAF. Das wissen auch die beiden Bomberbesatzungen, die in der Nacht zum 25. August 1940 Öltanks in Thameshaven bombardieren sollen. Irgendwie verlieren sie die Orientierung. Die Schande, mit den Bomben an Bord wieder zurückzukehren (und die Gefahr, die bei einer Landung mit der gefährlichen Last bestünde), wollen sie sich nicht antun. In der festen Überzeugung, irgendwo in Zielnähe, aber außerhalb des Stadtgebietes von London zu sein, klinken sie aus.
Die Bomben treffen in Londons Wohngebiete!
Churchill reagiert sofort. Er sieht eine willkommene Gelegenheit, seinen Rückhalt in der Bevölkerung zu steigern, die einen wachsenden Rachedurst entwickelt. Der erste Vergeltungsschlag folgt auf dem Fuße – sofort in der folgenden Nacht. 81 britische Bomber fliegen nach Berlin – ein ungeheuerlicher Vorgang, den Göring als völlig unmöglich ausgeschlossen hatte. Nur 29 Maschinen erreichen Berlin, viele kehren unverrichteter Dinge um – manche landen mit ihren Bomben! Doch die übrigen werfen 21 Tonnen Explosivkörper auf die Reichshauptstadt, teilweise in Schrebergärten. Mit minimalen Zerstörungen als Folge, doch mit maximaler psychologischer Wirkung.
Als die Briten zwei Nächte später wiederkommen, sterben zwölf Berliner Zivilisten, 90 weitere werden verletzt. Nun ist für Hitler und Göring das Maß voll. Lange genug hatte man Winston Churchill gewarnt. Bei den Angriffen auf die Städte des Ruhrgebietes hatte man ja noch militärische Ziele und dilettantische Durchführung unterstellen können – allerdings auch nur mit wirklich sehr viel gutem Willen. Seit Kriegsbeginn bis zum 13. Mai 1940 hatte die deutsche Seite insgesamt 51 britische Luftangriffe auf augenscheinlich nichtmilitärische Ziele in Deutschland zu verdauen neben 14 Angriffen auf militärische wie Brücken, Bahnlinien und die Rüstungsindustrie. Im August 1940 kündigt der britische Informationsminister Duff Cooper in der BBC (Britischer Radio-Rundfunk) an, die Royal Air Force werde nunmehr Hamburg „pulverisieren“. Was soll man davon halten? Hamburg als Ganzes ist ganz gewiss kein militärisches Ziel! Auch die deutsche Bevölkerung hat allmählich den Wunsch, die Briten in ihre Schranken zu verweisen. Sie fragt sich, warum man sich so etwas gefallen lässt!
He 111 kurz vor dem Abwurf der Bomben.
Und jetzt auch noch Bomben auf die deutsche Hauptstadt! Jetzt reicht es!
Auch Hitler ist der öffentlichen Meinung in Deutschland verpflichtet.
Er kündigt in einer propagandistisch wirkungsvollen theatralischen Rede auf seine typische Art am 4. September 1940 an, die deutsche Luftwaffe werde dann, wenn die Engländer glaubten, sie könnten ungestraft deutsche Städte angreifen, ihre Städte im Gegenzug „ausradieren“. „Wir werden diesen Nachtluftpiraten das Handwerk legen!“
Doch immer noch will sich Hitler auf Gebiete beschränken, die zumindest überwiegend militärische Bedeutung haben. Die Docks und Lagerhallen, Hafenanlagen an der Themse. Oder das Regierungsviertel. Stadtviertel mit Rüstungsbetrieben, das Londoner „East End“, auch wenn nun Wohngebiete angrenzen dürfen – wie im Ruhrgebiet. Aber nicht wie im reichlich unindustriellen Berlin! Ob es militärische Vernunft oder Rücksichtnahme ist, die ihn leiten, mag zweifelhaft sein. Von „planmäßigen Terrorangriffen auf Wohnviertel“ sei „kein kriegswichtiger Erfolg zu erwarten“, wird er noch am 6. Februar 1941 in seinen „Richtlinien für die Kriegführung gegen die englische Wehrwirtschaft“ postulieren. *7
Das Bomber Command der Royal Air Force kümmert all dieses wenig. Die britischen Bomber bombardieren in elf Nächten fünfmal Berlin – ohne auch nur den Vorwand militärischer Ziele. Es scheint, als wolle Churchill den deutschen Reichskanzler Hitler geradezu dazu provozieren, zurückzuschlagen.
Es ist nicht davon auszugehen, dass Churchill die militärischen Konsequenzen einer derartigen Verlagerung der deutschen Bombenangriffe auf das nahe liegende Vergeltungsziel – London – überblickt. Allerdings sollte man seinen Weitblick auch nicht unterschätzen. Fest steht, dass Winston Churchill dringend auf die wohlwollende öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten von Amerika angewiesen ist, und deutsche Gegenschläge mit Blick auf die Sympathien der amerikanischen Presse herausfordert. Er benötigt die Hilfe der Amerikaner dringender als Wasser und Brot. Vielleicht kann man die USA zum Kriegseintritt bewegen? Was könnte mehr Eindruck auf die Amerikaner machen als massive deutsche Terrorangriffe auf Unschuldige in der altehrwürdigen Hauptstadt Großbritanniens? *8
Derweil gehen die unermüdlichen Luftangriffe auf Keith Parks Flugplätze unvermindert weiter ...
Das Fighter Command der Royal Air Force wankt. Es benötigt nur noch den letzten K.O.–Schlag. Noch zwei Wochen solche mörderischen Angriffe, und Dowding muss seine letzten Jäger aus Südengland abziehen. Das ist genau das, was die Deutschen wollen! Dann ist der Weg zur Invasion frei!
Am 26. August 1940 sind erneut sämtliche Squadrons der 11 Group in der Luft, um sich dem deutschen Ansturm entgegenzuwerfen. Die Männer sind müde, verbraucht, nach pausenlosem Einsatz physisch wie psychisch am Ende! Sie fliegen dem Feind entgegen – Keith Parks Kommandostellen haben somit keine Objektschutzdeckung über den Flugplätzen selbst. Hierzu braucht Park die Squadrons der 12 Group, die müssen von ihren Flugplätzen nördlich der Hauptstadt London starten und die Lücke füllen. Vor allem Debden, North Weald und Hornchurch liegen in Leigh-Mallorys Obhut.
Als dessen von ihm selber hoch gelobte Squadrons endlich über Debden und North Weald erscheinen, hat die Luftwaffe die wichtigen Basen längst in Schutt und Asche gelegt und ist auf und davon!
Debden ist Keith Parks eigenes Hauptquartier! Der Air Vice Marshal kocht vor Wut!
Am 30. August 1940 ist eine der letzten Reserveeinheiten in der Luft, welche sich Keith Park noch nicht einzusetzen getraut hatte. Die 303 Squadron wird von Squadron Leader Ronald Kellett geführt, der wenig Vertrauen zu seinen Leuten hat – ähnlich wie einer seiner „Flight Commanders“, der Kanadier Flight Lieutenant John Kent. „Alles, was ich über die polnische Luftwaffe weiß, ist, dass sie gerade mal drei Tage gegen die deutsche Luftwaffe durchgehalten hat, und ich habe keinen Anlass zu vermuten, dass sie sich über England glanzvoller in Szene setzen wird!“
Da sollte er sich gründlich täuschen. Die Polen brennen darauf, es den Deutschen heimzuzahlen! Dennoch werden sie bisher nicht zum Einsatz zugelassen – ebenso wenig wie die Tschechen und alle anderen, die erst noch die britische Sprache „richtig“ lernen sollen. Und den bornierten englischen Formationsflug in Dreierketten, der eh zu nichts nütze ist – wie die Polen wissen. Denn es sind alles ausgebildete Jagdflieger, die viel mehr Kampferfahrung besitzen als die englischen Neulinge, die man an ihrer Stelle den Deutschen zum Fraß vorwirft! Die Polen verstehen nicht, warum sie so arrogant und überheblich behandelt werden! Das Verhältnis zu den britischen Kameraden ist nicht das beste!
Blick aus der Sicht des Bombenschützen und gleichzeitig Bugstand-MGSchützen eines Dornier Do 17 Z-Bombers.
Vermutlich der obere Heckschütze dieser Heinkel He 111 hat getroffen. Die ihn angreifende Spitfire verfehlt den Bomber nur knapp.
So ist also die 303 Squadron zu einem Übungsflug in der Luft – wieder einmal – als Flying Officer Ludvik Paszkiewicz über Hertfordshire leicht über sich eine deutsche Formation ausmacht. Feindliche Bomber und Jäger – offensichtlich! Es ist 16.15 Uhr (britischer Zeit).
Ein bisschen Englisch kann der Pole inzwischen! “Hullo, Apany Leader, bondits ut 10 u‘clock.” Ronald Kellet hört die Warnung per Sprechfunk – doch er reagiert nicht. Inzwischen werden die Deutschen offenbar angegriffen – von anderen Hurricanes. Paszkiewicz wird es nun zu dumm! Disziplin hin oder her – ihn hält jetzt nichts mehr. Sekunden später sitzt er gemeinsam mit irgendwelchen britischen Kollegen hinter einer Me 110 und pumpt den deutschen Zerstörer mit glühenden Metallteilen voll. Die Maschine der 4./ZG 76 kippt lichterloh brennend im Sturzflug dem Aufschlag entgegen.
Dowdings Fighter Command hatte alleine während der letzten Woche 100 Piloten verloren! Noch an demselben Abend wird die 303 Squadron als einsatzfähig erklärt. Und die Tschechen, und so weiter, aus welchen Ländern auch immer sie kommen mögen. Hauptsache ist nun, sie können schießen!
Sie kommen! Eine Formation von Heinkel He 111 im Anflug auf Südengland.
Sergeant Bohumir Furst, ein Tscheche, mit Maskottchen vor seiner Hawker „Hurricane“ Mk. I der 310 (Czechoslovakian) Squadron in der Royal Air Force.
Ein Glückstreffer der Deutschen hatte die Elektrizitätsversorgung einer ganzen Region außer Gefecht gesetzt. Ohne Strom funktioniert nicht viel. Auf jeden Fall kein Radar!
Die Bomber kommen Welle für Welle ...! Douglas Baders 242 Squadron kann zwei He 111 H-2 der 5./KG 1 abschießen – die sechsfache Zahl wird gemeldet. Biggin Hill wird schwer getroffen, völlig überraschend von Junkers Ju 88 im Tiefflug. Die 500-kg-Bomben lassen kaum einen Stein auf dem anderen, ein Volltreffer richtet ein Blutbad an. 39 Tote sind zu beklagen. Die Sektor-Kontrolle muss vorerst Hornchurch mit übernehmen – zusätzlich zum eigenen Sektor. Es wird immer schlimmer ...
Die Bilanz (einschließlich deutscher Verluste durch britische Flak, ohne Verluste britischer Bomber):
gemeldete britische Abschüsse: 59 tatsächliche deutsche Verluste: 24
gemeldete deutsche Abschüsse: 59 tatsächliche britische Verluste: 22
Die Angriffe der Deutschen folgen nun so dicht aufeinander, dass es schwierig wird, eine koordinierte Gegenwehr aufrechtzuerhalten. Wie grimmig es zugeht, wird aus einem Bericht deutlich, der ein Ereignis am 31. August 1940 über Hornchurch anschaulich beschreibt:
„13.15 Uhr. Eine große Formation feindlicher Bomber – ein höchst beeindruckender Anblick in V–Formation in 4.500 Meter Höhe – erreicht den Flugplatz und wirft ihre Bomben (etwa 60 alle zusammen) in Linie von unseren Splitterboxen zum Treibstoffdepot bis nach Elm Park. Die Einfassungen und die Fensterscheiben der Baracken gehen zu Bruch, aber viel mehr Schäden an den Gebäuden entstehen nicht, und der Flugplatz bleibt trotz seines umgepflügten Zustandes einsatzfähig. Die Squadron war sofort zum Blitzstart befohlen worden, als die ersten Bomben fielen, und acht unserer Maschinen heben gerade noch sicher ab. Die verbleibende Dreiergruppe (Section) ist genau in dem Moment am Start, als die Bomben einschlagen. Alle drei Maschinen werden völlig zerschmettert – bereits in der Luft – und das Überleben der Piloten ist ein völliges Wunder. Sergeant Davis, der in Richtung auf die Hangars abhebt, wird über den Fluss Ingrebourne zurückgeschleudert und kriecht aus seiner Maschine heraus zwei Äcker weiter – unverletzt! Flight Lieutenant Al Deere wird der Propeller und eine Tragfläche abgerissen, er hebt einen halben Meter ab, überschlägt sich und rutscht etwa 100 Meter auf dem Rücken über das Rollfeld. Er wird aus seiner wenig beneidenswerten Lage befreit vom dritten Piloten im Bunde, Pilot Officer Edsall, dem ein ähnliches Schicksal widerfährt mit Ausnahme der Tatsache, dass er mit dem Kopf oben auf die Landebahn kracht. Er rennt über das Rollfeld, noch während die Bomben einschlagen, und zieht Deere aus seinem Wrack. Alle drei Piloten sind am nächsten Morgen wieder einsatzklar.“ *9
Die Bilanz (einschließlich deutscher Verluste durch britische Flak, ohne Verluste britischer Bomber):
gemeldete britische Abschüsse: 78 tatsächliche deutsche Verluste: 38
gemeldete deutsche Abschüsse: 99 tatsächliche britische Verluste: 33*
*(die drei durch Bombentreffer in Hornchurch am Boden vernichteten Spitfire kommen hinzu)
Dowding ist am Ende. Der 3. September 1940 bricht an. Immer noch hat er 621 einsatzfähige Jagdflugzeuge. Doch in welchem Zustand ist sein Fighter Command? „Urlaub“ im Norden der Insel ist längst nicht mehr möglich, das rollierende Austauschsystem mit der 13 Group ist vorbei. Die Piloten sind fix und fertig. Und täglich werden es weniger. Pilot Officer John Ellacombe verliert in seiner Squadron (der 151) innerhalb von drei Wochen 17 von 23 Piloten. Sie alle werden verwundet oder fallen im Luftkampf. In welchem Zustand sind Keith Parks Flugplätze? Kaum ein Fliegerhorst der 11 Group ist vom Bombenhagel verschont geblieben. Die Schäden sind beträchtlich – und bedrohlich!
Auch auf deutscher Seite ist der Verschleiß beachtlich. Die Schlacht hinterlässt in den Gesichtern der deutschen Piloten und Bomberbesatzungen keine geringeren Spuren. Wie lange kann das noch so weitergehen? Auch die deutschen Piloten kämpfen bis zum Umfallen.
Göring versammelt die Befehlshaber der Luftflotte 2 und 3 um sich – Generalfeldmarschall Albert Kesselring und Generalfeldmarschall Hugo Sperrle. Genau dieses muss jetzt besprochen werden – wie soll es weitergehen? Man sieht sich kurz vor dem Ziel – zu Recht. Göring hält einen Nachrichtendienstbericht in Händen, nach welchem seit dem 8. August 1940 1.115 britische Jagdflugzeuge abgeschossen worden seien. Er bezweifle, dass die Royal Air Force noch mehr als 100 Jäger aufbieten könne.
Heinkel 111 beim Bombenabwurf. Es ist gut erkennbar, dass die Bomben ungewöhnlicherweise mit der Spitze nach oben aufgehängt befördert werden.
Kesselring hält diese Zahl für glaubhaft. Sperrle zweifelt an ihr. Fest steht, seine Verbände werden weiterhin unvermindert angegriffen – und nur das zählt vernünftigerweise für den Pragmatiker Sperrle.
Nicht für Göring! Der Reichsmarschall glaubt gerne, was er glauben will!
Aber gut. Man wird ja sehen. Göring entscheidet mit Hitlers Segen, dass die Angriffe nun gegen London gerichtet werden sollen. Zwar nur gegen die militärisch relevanten Docks und Hafenanlagen im Osten, aber immerhin. Es sind auch bewohnte Gebiete. Das müsste jedenfalls nun die letzten Jagdflugzeuge der Royal Air Force auf den Plan rufen. Und damit der Vernichtung anheim fallen lassen, wie Göring glaubt! Die letzten 50 Spitfire, wie er verlauten lässt. Denn mehr haben die nicht mehr! Diese Ansicht spricht sich herum in der Luftwaffe ...
Göring veranlasst genau das, was Churchill sich insgeheim wünscht. Und er tut das, was Keith Park und Dowding nützt. Denn Park ist im Moment alles recht, wirklich alles – wenn die Deutschen doch bloß endlich seine leidgeprüften Flugplätze in Ruhe ließen!
Doch für die Luftwaffe viel schlimmer ist: die Engländer, die ohnehin ihre Jägerstreitmacht bereits im Süden in einem engen Bereich zur Abwehr massieren können, könnten diesen Bereich dann noch mehr konzentrieren. Sie könnten alles einsetzen, was sie in Südengland haben.
Alles auf einmal!
Denn London als Angriffsziel wäre – wie von Air Vice Marshal Trafford Leigh-Mallory geradezu herbeigesehnt – voll im Einsatzbereich der 12 Group. Endlich hätte Leigh-Mallory Zeit genug, seine „Big Wing“ Geschwader zusammenzuführen. Vielleicht würde sich nun zeigen, was Douglas Baders Theorie wert ist.
Und: die Deutschen müssten noch länger anfliegen! Ohne Tricks und Haken auf direktem Wege, wenn ihren Jägern ohne Zusatztanks auch nur ein kleiner Rest an Kampfzeit über London verbleiben soll.
London anzugreifen, statt jeden Morgen auf’s Neue die Radarstationen an der Küste außer Funktion zu bomben und dann unter großräumigen „freien“ Jägerpatrouillen die südenglischen Flugfelder unbenutzbar zu machen, ist wohl der größte Fehler Hermann Görings im gesamten Zweiten Weltkrieg.
Für Hugh Dowding und Keith Park ist diese Fehlentscheidung das zweite Wunder seit Dünkirchen. Es ist die Rettung in allerletzter Minute!
Phase 3
Der Beginn der Invasion der britischen Insel ist auf den 21. September 1940 festgelegt. Am 1. September 1940 entdecken britische Aufklärer ganze Flotten von Frachtkähnen, die nun die belgische Küste hinaufsteuern. Längst versuchen britische Bomber die deutsche Invasionsflotte – so unzureichend sie auch sein mag – in den Kanalhäfen anzugreifen. Tagsüber werden die Angriffe selten in größeren Gruppen als zwölf Bomber geflogen – sie richten nicht viel aus, erleiden teilweise aber schwere Verluste. Nachts werden die Kanalhäfen mit Bomben belegt, teilweise mit über 100 Kampfflugzeugen. Deutsche Städte werden weiterhin angegriffen, jedoch eher in kleineren Gruppen. Münster beispielsweise wird in dreieinhalb Monaten vierzehnmal bombardiert – doch fallen selten mehr als zehn Bomben pro Nacht auf das Stadtgebiet.
In den ersten sechs Tagen des Septembers 1940 gehen die Angriffe der Deutschen auf Keith Parks Jägerflugplätze unvermindert weiter. Die britischen Jägerpiloten holen 125 deutsche Gegner vom Himmel, büßen aber in demselben Zeitraum 119 Jagdflugzeuge ein. Und dies, nachdem Dowding in den vierzehn Tagen zuvor bereits 466 Flugzeuge hatte abschreiben müssen, aber nur 269 neue erhalten hatte.
Am 7. September 1940 ist es soweit. Reichsmarschall Hermann Göring steht in allem Pomp seiner Figur am Pas de Calais. Sein komplettes Gefolge an Stabsoffizieren in ihren herausgeputzten Prachtuniformen begleitet ihn, gemeinsam mit einem Heer von deutschen Journalisten. Dieser fast höfische Popanz mag einen sehr zwiespältigen Eindruck hinterlassen haben bei den abgekämpften Frontkommandeuren der erbittert mit der Royal Air Force ringenden Luftwaffe. Stolz verkündet Göring den Pressevertretern, dass er nun höchstpersönlich die Leitung der Angriffe auf England übernommen habe.
Zum selben Zeitpunkt ist Keith Park zu einer Besprechung mit Dowding in das Hauptquartier des Fighter Command nach Stanmore gefahren. Seine Sektoren-Kommandeure haben Anweisungen, wie sie bei einem erneuten deutschen Angriff auf seine Flugplätze zu verfahren haben. Doch den gesamten Vormittag tut sich – nichts. Es ist fast unnatürlich ruhig über England. Jeder Offizier, jeder Beobachter, jeder Pilot spürt es körperlich: da stimmt etwas nicht. Irgendetwas braut sich da zusammen, und es kann nur ein böses Unheil sein!
Über der französischen Kanalküste schwillt langsam, aber unüberhörbar der Schall von Flugzeugmotoren an. Allmählich wird das Grollen lauter, es steigert sich zu einem Dröhnen – dann versteht man sein eigenes Wort nicht mehr. Göring, der mit einem Scherenfernrohr die gegenüberliegende britische Küste bei Dover samt den deutlich sichtbaren völlig unzerstörten Gittermasten der Radarstation dort in Augenschein genommen hatte, blickt nun auf. Mit selbstgefälligem Stolz genießt der mit Gold-Tressen geschmückte Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe in seiner hellblauen Nobeluniform das gigantische Schauspiel über den Köpfen der erlauchten Beobachter.
Um 15.45 Uhr (britischer Zeit) hatten sich die ersten Zeichen sammelnder deutscher Luftstreitkräfte auf den Radarschirmen etabliert. Fast ruft es Erleichterung bei den Engländern hervor – bis die Meldungen zunehmende Bestürzung bewirken. Was da ankommt, dürfte der größte Luftverband sein, der bisher je zusammengestellt worden war!
Welle um Welle deutscher Bomber braust über die Köpfe des Staatsbesuches am Pas de Calais hinweg – dicht gefolgt von Aberhunderten von Jägern. Es ist ein beeindruckendes Schauspiel. 348 Bomber und 617 Jäger sind es genau – fast 1.000 Flugzeuge auf einmal. Ein gigantisch anmutender Strom aus Flugzeugsilhouetten!
Um 16.30 Uhr (britischer Zeit) sind sämtliche 21 Fighter-Squadrons der 11 Group, die in einem Umkreis von gut 100 Kilometer um London herum stationiert sind, in der Luft. Sie fliegen nach Süden – in Richtung ihrer vorgeschobenen Flugplätze. Doch hier ist nichts! Was soll das denn jetzt? Inzwischen gehen neue Direktiven ein. Der gigantische deutsche Verband fliegt einen ungewohnten Kurs. Sofort werden die britischen Jäger umdirigiert. Als die ersten von ihnen im Anflug aus der Entfernung den deutschen Großverband zu Gesicht bekommen, stockt den Piloten der Atem.
Spitfires kippen ab zum Angriff. Feind erkannt! „Tally ho!“
Ein Schwarm Messerschmitt Bf 109 der 9./JG 2.
Die Bomber-Formationen fliegen schulbuchmäßig zusammen – eine neben der anderen, dahinter ein Strom, der nicht enden will. Mindestens 30 Kilometer lang und einen halben Kilometer breit. Und darüber paradieren die Jäger, Es ist ein Anblick, der das Blut in den Adern gerinnen lässt.
Dann fallen die ersten Bomben. Auf London! Die Docks sind das Ziel, gemeinsam mit den Werften, Lagerräumen und den kompletten östlichen Vororten bis heran an die berühmte Tower Bridge. Das Pfeifen fallenden Stahls erfüllt die Luft, ergänzt um ohrenbetäubende Detonationswellen und das Bellen der Flugabwehrgeschütze. Die Luft ist durchzogen von Kondensstreifen, die sich in wilden Kurven schneiden, als die ersten Abwehrangriffe der britischen Jäger einsetzen. Gefolgt von der Gegenwehr des deutschen Begleitschutzes. Das Londoner East End geht im Rauch der Explosionen unter.
Acht britische Squadrons erreichen schließlich den deutschen Verband und stellen sich dem Großangriff entgegen. Die Hurricanes der 111 Squadron sind zu tief, um an die Bomber heranzukommen, nehmen aber einige Zerstörer des Begleitschutzes aufs Korn. Die Spitfires der 41 Squadronstürzen sich dagegen mit Elan auf die Flanke des Bomberstromes.
Sie kommen nicht weit! Sofort sind die Me 109 des Begleitschutzes auf dem Plan. Sie stellen die Spitfire und treiben sie in die Enge. Drei der Supermarine-Jagdflugzeuge stürzen brennend in die Tiefe.
Auch die 19 Squadron kommt heran, erwischt aber nur eine einzelne Me 110. Die acht Piloten fetzen den unglücklichen Zerstörer gemeinsam in Stücke. Die Hurricanes der 249 Squadron haben weniger Glück. 60 Me 109 nehmen sie in die Zange. Sechs Hurricanes werden abgeschossen, sie selbst bleiben chancen- und erfolglos. Zu ihrem Glück wird nur einer der Briten getötet, drei weitere bleiben verwundet am Leben.
Genau anders herum scheint das Glück den Spitfire-Piloten der 609 Squadron hold zu sein. Sie geben den Abschuss dreier Me 110, einer Me 109 und zweier Do 17-Bomber zu Protokoll – ohne eigene Verluste. Dies können die Hurricane-Piloten der 43 Squadron nicht von sich behaupten. Sie gehen den Me 109 ins Netz und verlieren ausgerechnet ihren Squadron-Kommandeur, außerdem noch einen Testpiloten der Firma Hawker, Dick Reynell.
Bleibt eine zusammengefasste Einheit, die man den „Duxford-Wing“ nennt. Es ist ein Verband aus Leigh-Mallorys 12 Group, geleitet von keinem anderen als Douglas Bader. Seine Polen der 303 Squadron holen nach eigenen Angaben zehn Gegner herunter. Das Sammeln und Steigen auf stolze 7.000 Meter Höhe – etwa 1.000 Meter über den Bombern – hatte mal wieder viel Zeit gekostet. Baders Duxford Wing erwischt die Eindringlinge daher erst beim Abdrehen – tatsächlich drei Me 110. Die Polen verlieren zwei Hurricanes an die Me 109 der deutschen Eskorte. Baders eigene Squadron, die 242, muss zwei Hurricanes abschreiben, einer der Kanadier fällt. Die Squadron meldet einen Erfolg.
Die Bomber sind weg. Endlich. Doch London brennt. Die östlichen Vororte lodern lichterloh. Feuerwehren kämpfen einen aussichtslosen Kampf gegen die Flammen, Häuser stürzen ein, begraben Menschen unter sich. Ambulanzen versuchen zu retten, was zu retten ist.
7. September 1940.
Die Docks und östlichen Vororte Londons brennen.
Da grollen von Süden die dumpfen Schläge von Flak-Explosionen in das Prasseln der Flammen. Görings zweite Welle ist auf dem Weg. Es sind 318 Heinkel He 111 und Dornier Do 17. Sie müssen nicht lange nach ihrem Ziel suchen.
Von 20.00 Uhr bis 04.30 Uhr am nächsten Morgen dauert der Bombenhagel an. Von weitem schon sehen die Piloten den rotglühenden Feuerschein der brennenden Stadt. Ob manch einem von ihnen die gegen dieses Ausmaß fast lächerlichen, aber eben genau das provozierenden Bombenangriffe der Engländer auf Berlin durch den Kopf gehen? Und das Sprichwort: „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“?
Mit Sicherheit hat keiner der Bomberpiloten auch nur eine vage Vorstellung davon, welchen unglaublich vernichtenden Feuersturm der Wind einmal ernten wird, den ihre Bomben auf London nun säen.
Die Bilanz (einschließlich deutscher Verluste durch britische Flak, ohne Verluste britischer Bomber):
gemeldete britische Abschüsse: 74 tatsächliche deutsche Verluste: 35
gemeldete deutsche Abschüsse: 75 tatsächliche britische Verluste: 35
306 britische Zivilisten, Frauen und Kinder sterben im deutschen Bombenhagel, vor allem jedoch in den Feuern, die berstende Nitroglyzerinbehälter, Rum-Fässer, brennender Zucker und explodierende Munition verursachen – um nur einiges zu nennen. Weitere 142 Menschen sterben in den Vororten. Die Toten haben einen ungeahnten Effekt. Eine „Jetzt-erst-recht“-Stimmung entsteht im britischen Volk.
Der 8. September 1940 bleibt relativ ruhig, beide Seiten lecken ihre Wunden. Abgesehen von einem kleineren Überfall durch 30 Dornier Do 17 mit Begleitschutz auf Flugfelder und die südlichen Vororte Londons passiert nicht viel. Bis die Nacht hereinbricht. Dann ist wieder London dran – mit voller Wucht wie in der Nacht zuvor. Zunehmend erfassen die Bomben auch die Innenstadt mit dem Regierungsviertel. Ferner weiß man, dass im Westen der Stadt größere Elektrizitätswerke stehen. Auch sie werden zum Ziel von Flächenbombardements. Immer noch hofft Hitler, dass die Invasion unnötig werden könnte. Gibt Churchill vielleicht doch noch auf in letzter Minute? Der denkt nicht daran! „Wir werden auf den Stränden kämpfen, wir werden auf den Landungsplätzen kämpfen, wir werden auf den Feldern und in den Straßen kämpfen; wir werden uns nie ergeben!“
Womit? Die britische Armee hat inzwischen aufgerüstet. Mit der Wehrmacht aber hält sie nicht mit!
Die Briten kämpfen in der Luft! Mit Spitfires und Hurricanes! Die Dowding nun rund um London zusammenzieht. Die 10 Group im Westen gibt Squadrons ab, auch Park konzentriert seine Jäger nun. Er gibt Anweisung, jetzt zumindest zwei Squadrons als Angriffsverbandzusammenzufassen. Leigh-Mallory ist in der Lage, dies zu toppen. Douglas Baders „Duxford Wing“ besteht nun aus den Hurricanes der 303 und 242 Squadron und den Spitfires der 19 Squadron.
Die ehrwürdige Saint Paul’s Cathedral in London inmitten des Rauchs der Brände.
Am 9. September 1940 geht es weiter – auch bei Tage. 26 He 111 der II./KG 1 werden begleitet von 20 Me 110 der III./ZG 76 und 60 Me 109 des JG 3. Sie haben Farnborough zum Ziel und sehen sich plötzlich 70 britischen Jagdflugzeugen gegenüber, die sich gleichzeitig auf sie stürzen. Da die Zerstörer sofort in einem Abwehrkreis mit sich selber beschäftigt sind, geraten so die Me 109 in die zahlenmäßige Unterlegenheit. Jetzt schlägt das Fighter Command mit Macht zurück!
Nun kommen 40 Junkers Ju 88 hinzu, gehetzt von den Hurricanes der 253 und 303 Squadron. Eine He 111, vier Me 110 und drei Me 109 gehen verloren – tatsächlich. Baders übriger Duxford Wing greift eine Formation von Dornier Do 17-Bombern an. Die Piloten kehren mit stolz geschwellter Brust zurück. 19 dieser deutschen Hunde hatten sie in die Hölle geschickt. Doch dort muss sich der Teufel noch ein bisschen gedulden. Kein einziger dieser Abschüsse findet tatsächlich statt, weder in den deutschen Verlustmeldungen, noch in den Beobachtungen der britischen Bodenstellen ...
Sergeant František wird allerdings später am heutigen Tage eine He 111 und eine Me 109 bezwingen. Genau um 18.06 Uhr (britischer Zeit) überfliegen 195 deutsche Bomber in etwas weniger als 6.000 Meter Höhe die britische Südküste. Sie halten genau auf das Zentrum Londons zu. Es geht wieder los!
Die kommenden acht Stunden töten 370 Londoner Bürger und verwunden mehr als 1.400. Ohne den Schutz der unterirdischen Gewölbe in den „Underground“ U-Bahn-Stationen wären es erheblich mehr.
15. September 1940
Tag für Tag waren seither Angriffe in größerer und kleinerer Stärke geflogen worden – soweit das Wetter es zuließ. Mit wechselhaf-tem Ergebnis, aber auch Ereignissen, die kamen, wie sie kommen mussten. Als am 11. September 1940 die Me 109 der deutschen Eskorte wegen Treibstoffmangels verfrüht abdrehen müssen und die Me 110-Zerstörer einmal mehr als Begleit-„Schutz“ versagen, sehen sich die Heinkel-Bomber des KG 26 über London unverhofft völlig auf sich alleine gestellt über 60 Hurricanes und Spitfires von sechs massierten Squadrons gegenüber! Sieben He 111 werden abgeschossen, zehn schwer beschädigt. Görings persönliche Führung trägt Früchte.
In der Tat hatte die letzte Woche einen dramatischen Wandel im Fighter Command der Royal Air Force vollbracht. Die wenigen Tage hatten genügt, die fast völlig zerstörte Infrastruktur wieder aufzubauen. Die Flugplätze sind einsatzfähig, die Squadrons mit Ersatzflugzeugen und neuen Piloten aufgefrischt, denen man sogar Einweisungs- und Trainingsflüge in den nun relativ sicheren, von Besuchen der Luftwaffe neuerdings verschonten Arealen des Himmels über Südengland hatte zukommen lassen können. Welcher Luxus, denkt man an die verzweifelten Tage im Augustzurück! Und: die Piloten sind im Angesicht des rot glühenden Horizontes dort, wo ihre Hauptstadt steht, so motiviert wie noch nie! Man wird den Deutschen schon zeigen, wo es lang geht. Kommt nur – wir warten schon!
Heute, an jenem Sonntag dem fünfzehnten, will es Göring wissen – endgültig! Er hat sich inzwischen aber das Vertrauen seiner Piloten gründlich verspielt. Zweifel machen sich breit in den Herzen seiner Leute. Was sollen diese verlustreichen Angriffe auf London? Welchen Sinn mögen diese haben als Vorbereitung zu einer Invasion? Werden sie, Piloten und Besatzungen der einst so stolzen deutschen Luftwaffe, auf dem Altar der Eitelkeiten ihres Oberkommandierenden bedenkenlos geopfert? Befehl ist Befehl – man ist gewohnt zu gehorchen. Doch Bitterkeit macht sich breit. Nur noch 50 Spitfires hat die Royal Air Force, so so! Dann sind das da wohl Truthähne, wie? Kommt doch her und seht Euch den Schlamassel selber an hier! Wissen die da oben überhaupt, was sie tun? Mit uns tun?
Das Wetter heute ist perfekt – ein wunderschöner Spätsommertag. Gegen 11.00 Uhr (britischer Zeit) kommen die ersten Meldungen der Radarstation in Rye herein. Fünf Minuten später befiehlt Keith Park sämtliche Squadrons in den Bereitschaftszustand, selbst die, welche derzeit eine Ruhepause haben. Alle! Außerdem werden die benachbarten Groups 10 und 12 alarmiert. Brands und Leigh-Mallorys Einsatzkräfte. Die schnelle Reaktion verwundert nicht. Der britische Nachrichtendienst hatte Park mit den deutschen Plänen für den heutigen Angriff versorgt. In Erwartung der Schlacht ist Winston Churchill mit seiner Ehefrau Clementine persönlich in Parks Einsatzzentrale – den unterirdischen „Group-Headquarters“ in Uxbridge – zugegen. Gebannt verfolgt er, wie die Symbole auf dem großen Kartentisch in Position gebracht werden, welche Keith Parks Jägereinheiten darstellen.
Etwa 100 Dornier Do 17-Bomber des KG 3 nehmen über dem Pas de Calais ihren Begleitschutz in Empfang – etwa 400 Me 109. Gegen 11.35 Uhr stürzen sich die ersten 20 Spitfires auf die Deutschen – unmittelbar nach dem Überfliegen der Küste. Der Kampf beginnt. Je näher die verbissen weiterfliegenden deutschen Formationen der britischen Hauptstadt kommen, desto heftiger werden sie angegriffen. Als London in Sicht kommt, ist es fünf Minuten vor 12. Die Bordschützen feuern aus allen Rohren. Die komplette vereinte Streitmacht von ganzen neun britischen Jäger-Squadrons wirft sich gleichzeitig den Deutschen entgegen. Fünf dieser Squadrons werden von Douglas Bader geleitet. Sein Duxford-Wing hat inzwischen bereits zwei Spitfire- und drei Hurricane-„Staffeln“ zur Verfügung. Endlich kann Bader zeigen, was diese Massierung erreichen kann.
Die Jägereskorte ist entsetzt über diese Armada britischer Jagdflugzeuge. Sie haben ein enormes Problem – trotz ihrer Überzahl. Durch starken Gegenwind kommen die deutschen Flugzeuge nur mühsam voran – sie schleichen sich geradezu ihrem Ziel entgegen. Dadurch werden die Bomber langsam und extrem verwundbar – und die Jäger verbrauchen viel zu viel Flugbenzin! Die deutschen Jagdflieger sind schlagartig hellwach. Sie kämpfen erbittert um ihr Leben und das ihrer Schützlinge. Aber lange können sie das nicht durchhalten – sie müssen zurück! Die Bomberformation beißt sich unbeirrbar weiter durch. In einer großen Kurve schwenken die Bomber über das Zentrum von London und entledigen sich ihrer tödlichen Last. Gehetzt, gejagt wie von Bluthunden. eingekreist von über 160 Spitfires und Hurricanes, die ihnen böse zusetzen. Eine Dornier Do 17 Z-2 der 5./KG 3 explodiert derartig vehement, dass ihre Trümmer die siegreiche Hurricane gleich mit auf ihrem Weg nach unten nehmen. Es ist 12.10 Uhr. Der Bomber zerschellt vor der Victoria Bahnstation, der britische Jagdflieger Sergeant R. T. Holmes (504 Squadron) schwebt derweil am rettenden Fallschirm auf direktem Wege in einen Mistkübel.
Die Verbände zersplittern sich allmählich, die Kämpfe verteilen sich über ein weites Areal. Örtliche Zweikämpfe finden statt, auch britische Piloten müssen sich geschlagen geben. Doch so ein Hochgefühl hatten sie schon lange nicht mehr erlebt.
Winston Churchill wendet sich besorgt an Keith Park.
„Welche Reserven haben wir noch?“
Parks Antwort ist kurz, knapp und deutlich.
„Keine!“
Sechs Dornier-Bomber (Do 17 Z-2 und Z-3) des KG 3 kehren nicht zurück – fast ein Wunder, dass es nur sechs sind. Es ist ein Kompliment an den deutschen Jagdschutz, der sich in einer schwierigen Situation befunden hatte. Auch die Bordschützen hatten sich wacker gehalten. Es ändert nichts daran, dass der Punkt an die Royal Air Force geht!
Park weiß dank seiner nachrichtendienstlichen Informationen, dass er sich nicht lange auf seinen Lorbeeren ausruhen kann. Die zweite deutsche Welle hat bereits Startbefehl. Es wird nicht lange dauern, bis die erwarteten Radarmeldungen eingehen werden.
Auf den instand gesetzten Flugfeldern der 11 Group ist alles vorbereitet. Blitzartig werden die zurückkehrenden Jagdflugzeuge der Royal Air Force neu betankt und munitioniert.
Die Briten sind bereit für einen neuen Empfang! 170 Dornier Do 17 und Heinkel He 111 röhren über den Ärmelkanal, auch einige Junkers Ju 88 sind mit von der Partie. Es sind die Bomber des KG 2, KG 53 und KG 76, auch einzelne Staffeln des KG 1, KG 4 und KG 26 nehmen an dem Angriff teil. Den Begleitschutz stellen unter anderem die Messerschmitt-Jäger zweier damals bereits bekannter Persönlichkeiten. Hannes Trautlofts JG 54 und Adolf Gallands JG 26. Es sind ungefähr 300 Jagdmaschinen beisammen.
Die deutsche Luftwaffe spürt bereits eine gewisse Verknappung ihrer Jagdflugzeugressourcen. Auch die deutschen Jagdverbände müssen heute teilweise zweimal eingesetzt werden, will man den nötigen Jagdschirm garantieren. Das bedeutet, dass auch die Maschinen der Luftwaffe teilweise wieder aufgetankt werden müssen. Viel früher kann man also nicht erneut anfliegen. Somit sind auch die Briten überwiegend fertig, als es wieder los geht. Obwohl doch einige Piloten noch nicht bei ihren Einheiten sind – vor allem jene, welche abgesprungen waren.
Heinkel-Bomber über den Docks. London aus der Sicht von oben ...
... und aus der Sicht am Boden.
Gegen 14.00 Uhr erreichen die deutschen Verbände das Kampfgebiet. Es sind nun drei Sektionen, die dicht hintereinander anfliegen. Keith Park sammelt bereits elf seiner Squadrons zum Abfangeinsatz, der Rest steht bereit. Im Bereich der 12 Group vereinigen sich inzwischen die 19, 242, 302, 310 und 611 Squadron zum „Duxford Wing“.
Über Kent kommt es zu den ersten schweren Luftkämpfen zwischen den Verbänden Keith Parks und den Begleitjägern der Deutschen. Etwa 170 Spitfires und Hurricanes versuchen gezielt, die Me 109 in Luftkämpfe zu verwickeln. Das ist völlig neu, denn bisher hatten sie regelmäßig versucht, zu den Bombern vorzudringen. Dahinter steckt nun aber eine wohlüberlegte Taktik des britischen Air Vice Marshals. Park weiß, dass die deutschen Me 109 in Luftkämpfen mehr Sprit verbrauchen, als sie es sich leisten können. Vielleicht kann man ihre Treibstoffreserven überstrapazieren? Mit etwas Glück erwischen seine übrigen Jäger die Bomber über London bereits ohne Eskorte ...
Trautloft und Galland halten ihre Schäfchen zusammen. Mehr als zehn Minuten lang wehren sie souverän alle Angriffe auf sich und die Bomber ab, ohne dass die Formation in irgendeiner Weise durcheinander gerät. Gegen 14.30 Uhr brechen in Hornchurch beheimatete britische Squadrons über Canterbury doch zu Bombern des Typs Do 17 durch und können zwei von ihnen abschießen. Andere ziehen eine Rauchschleppe hinter sich her. Sekunden später haben die Briten die Me 109 im Genick.
Südlich von Maidstone erwischen zum selben Zeitpunkt die Hurricanes der 73 Squadron eine Gruppe von Do 17 und He 111 ohne Begleitschutz. Drei Bomber fallen vom Himmel, ohne Verluste auf britischer Seite. Über Dartford am Unterlauf der Themse arbeitet sich ebenfalls um diese Zeit eine große Bomberformation die Themse aufwärts nach Westen in Richtung auf die Royal Albert- und King George Vth-Docks und die östlichen Stadtteile Londons. Die Spitfires der 66 Squadron aus Gravesend und 72 Squadron aus Croydon nehmen sich ihrer an. Die Flugplätze der beiden Einheiten liegen gerade mal einen Steinwurf vom Ort des Geschehens entfernt – der Luftkampf ist hart und äußerst verbissen. Welle für Welle greifen die Briten an, die Bomber fliegen Ausweichmanöver, drücken nach unten, ziehen wieder hoch. Ihre Bordschützen schießen, was das Zeug hält.
In diesem Augenblick nähert sich eine zweite Gruppe deutscher Bomber von Süden dem Stadtgebiet. Die 73 und 253 Squadrons lassen soeben von ihnen ab, da ihnen nach Luftkämpfen von der Küste an bis hierher allmählich der Treibstoff zur Neige geht. Auch die britischen Jagdflugzeuge haben keine wesentlich höhere Reichweite als die deutschen Me 109. Aber kurze Anflugwege! Die beiden Squadrons werden abgelöst von Hurricanes der 249 Squadron aus North Weald und 504 Squadron aus Hendon. Die Deutschen kommen nicht zur Ruhe!
Die dritte Gruppe der deutschen Bomben-Kampfflugzeuge wendet sich dem Westen Londons zu. Die He 111, Do 17 und Ju 88 werden von den Hurricanes der 213 und 607 Squadron aus Tangmere in Empfang genommen. Wo immer deutsche Bomber auftauchen, ist ein Hagel von Geschossen für sie vorbereitet. Und wo immer die britischen Jäger erscheinen, wehren sich die Bordschützen mit dem Mut schierer Verzweiflung.
Alles in allem bekommen es die deutschen Besatzungen mit etwa 300 Feindjägern zu tun. Es ist 14.50 Uhr. Die erste Gruppe ist noch immer über den Docks der britischen Hauptstadt, als sich neues Unheil über ihnen zusammenbraut. Die Piloten in den Spitfires der 66 Squadron sehen ihre Kameraden mit Freude! Flight Lieutenant R. W. Oxspring aus der 66 Squadron gibt zu Protokoll: *10
„Sie hatten von Anfang an gegen 23 Squadrons anzurennen auf ihrem Weg bis hierher, und jetzt, als sie schließlich über London sind, als den Me 109 der Treibstoff knapp wird, kommt Douglas Bader mit noch mal sechzig Jägern angeflogen ...“
Die deutschen Me 109, so konstatiert Bader, sind „for some strange reason“ (aus merkwürdig unerfindlichem Grund) dieses Mal nicht auf ihrer gefährlichen Abfanghöhe über den Bombern, wie von früheren Einsätzen her gewohnt. Sondern sie fliegen auf gleicher Höhe mit den Bombern mit. Wie soll Bader auch wissen, dass der „strange reason“ eine hellblaue Paradeuniform mit Goldtressen trägt!
Oberleutnant Ludwig Franzisket kämpft zu diesem Zeitpunkt in seiner Messerschmitt Bf 109. Auch er sieht die neue Bedrohung anfliegen.
„Da kommen sie, die letzten 50 Spitfires!“, ist sein verbitterter Kommentar. *11
Baders Duxford Wing ist dennoch in einem taktischen Nachteil, denn wieder einmal waren sie zu spät alarmiert worden – wie er meint. Ein anderer Grund für seine „Verspätung“ ist aber, dass der deutsche Großverband sich in Rekordtempo formiert hatte und selbst Keith Park fast auf dem linken Fuß erwischt hätte. Jedenfalls sind Baders Jäger noch im Steigflug, als die Bomberformation über ihnen auftaucht. Dort oben sind offensichtlich schwere Luftkämpfe im Gange. Der Bericht eines Dritten gibt den Einsatz Douglas Baders wieder:
Eine abgeschossene Hurricane verliert ihre Backbordtragfläche.
Heinkel He 111 H-2-Bomber der 9./KG 53 .
„In 5.000 Meter Höhe sind Flak-Explosionen vor ihnen, und in dem Moment sieht er die Bomber. Verdammt noch mal! Alles steht wieder auf dem Spiel bloß, weil sie sich zu spät gesammelt hatten. Gashebel auf Volllast, die aufheulende Hurricane hebt ihre Nase steil nach oben – fast hängt sie an ihrem Propeller bei etwa 160 km/h Steiggeschwindigkeit.
Da – ein Schrei – ‚109s hinter uns!‘
Bader blickt über die Schulter nach hinten. Da sieht er die gelbnasigen Messerschmitt auf sie herunterstürzen und er schreit, als er in eine steile Messerkurve geht: ‚Auseinander!‘ Um ihn herum ist der Himmel voll von rollenden und kurvenden Hurricanes und 109. Eine Gelbnase sitzt hinter seinem Heck, und als er ruckartig seinen Steuerknüppel nach hinten reißt, jagt ein Flugzeug an ihm vorbei – nur um Haaresbreite. Die Luftwirbel der Luftschraube seines Gegners verfangen sich in Baders Hurricane und schütteln sie durcheinander. Die Luftströmung an den Tragflächen reißt ab, plötzlich gerät der Hawker-Jäger ins Trudeln. Bader lässt ihn eine Weile abschmieren, um die Me 109 abzuschütteln, und fängt die Hurricane schließlich in 1.500 Meter Höhe ab. Die Luft ist rein hinter ihm.
Weit über Bader versucht eine einsame Dornier nach Frankreich zu entkommen. Bader steigt steil hoch und jagt sie eine ganze Weile, während seine Hurricane durch den überzogenen Steigflug erneut lahm am Propeller hängt – sie ist kurz vor dem Abtrudeln. Über der Küste ist er fast auf Schussentfernung heran und feuert einen drei Sekunden langen Feuerstoß – doch der Rückschlag seiner Waffen verlangsamt die rüttelnde Hurricane, bis sie plötzlich in der Luft stehen bleibt und erneut abschmiert.
Als er sie abfängt und den Himmel absucht, ist der Feind über alle Berge.“
Ungefähr am gleichen Ort des Geschehens, an welchem Douglas Bader mit knapper Not einer „gelbnasigen“ Me 109 vermutlich des Jagdgeschwaders 26 entkommt, schießt der Kommodore dieses Geschwaders eine Hurricane aus Baders Duxford Wing vom Himmel. Es ist 14.54 Uhr in den britischen Quellen, als der Pole Sergeant Josef Hubacek aus seiner brennenden Hurricane aussteigt. Mit Mühe, denn die Geschosse Adolf Gallands haben ihn am Fuß verwundet. Hubacek gehört zur 310 Squadron aus Duxford. Viel hätte wohl nicht gefehlt, und Bader hätte sich mit Galland ein Privat-Duell geliefert.
Alle die Tragödien, die sich an diesem Tage abspielen, haben eine menschliche Seite. Oberstleutnant Hasso von Wedel ist einer der Veteranen im Stab des Jagdgeschwaders 3. Auf dem Rückweg von London fliegt der Schwarm Me 109 einem ganzen Haufen Hurricanes der 605, 229 und 1 (RCAF) Squadron in die Arme. Von Wedel schafft es nicht, in dem folgenden Kurvenduell seine Gegner auszumanövrieren. Die Me 109 wird getroffen, von Wedel geht in einen Sturzflug und wird verfolgt, vermutlich von Jägern der 1 Canadian Squadron. Das Steuer gehorcht ihm nicht mehr richtig – allmählich stabilisiert sich die Fluglage in die Horizontale. Der Oberstleutnant versucht eine Notlandung, doch das Ruder reagiert nicht. Mit voller Wucht kracht der Messerschmitt-Jäger auf den Boden bei einem Farmhaus und schlittert in einen Schuppen, in welchem eine Mutter mit ihrer Tochter im Auto sitzend auf ihren Ehemann wartet. Die Familie hat einen Sonntagsausflug ins Grüne vor. Die beiden sind sofort tot.
Als ein Polizist bei der Farm ankommt, findet er einen völlig zerschundenen, zerschrammten deutschen Jagdflugzeugpiloten vor, der in einem bedauernswerten Zustand den Tränen nahe um den zerstörten Schuppen herumirrt. Er klagt sich bitter an und entschuldigt sich verzweifelt bei dem Polizisten für das Unheil, das er angerichtet hatte. Der Constabler erfasst die Situation schnell und antwortet dem Deutschen:
„Would you like a cup of tea, Sir …?“ (“Mögen Sie vielleicht eine Tasse Tee, mein Herr ...?“). Dem erschütterten Jagdflieger ist wohl kaum nach Tee zu Mute. Und nicht nur ihm.
Als die zersplitterten Verbände der Luftwaffe in Frankreich ankommen, ist die Betroffenheit groß. Auch im Falle der deutschen Staffeln darf mit Fug und Recht von einem zerschundenen Zustand die Rede sein. Einer der Heinkel He 111-Bomber der 9./KG 53 soll hier beispielhaft erwähnt werden. Der getroffene und beschädigte Bomber landet in Frankreich, so schnell es geht. Die Maschine mit dem Code hat zwei Verwundete an Bord ...
Den Abschluss dieses Tages, der bis heute in England als „Battle of Britain Day“ gefeiert wird, bildet ein Angriff von 27 Heinkel He 111-Bombern der III./KG 55 auf die Marinebasis Portland – wieder einmal. Er wird gefolgt von einem Tiefangriff mit Me 110-Jagdbombern des Erprobungsgruppe 210, die nun von Hauptmann Martin Lutz geführt wird. Dieser Angriff richtet sich gegen die Woolston Fabrik in Southampton – von der man nun offenbar endlich weiß, was sie herstellt: Spitfires. Jagdflugzeuge eines Typs, welcher zum Symbol für die Schlacht über England aufsteigen wird.
Die Bilanz (einschließlich deutscher Verluste durch britische Flak, ohne Verluste britischer Bomber):
gemeldete britische Abschüsse: 186 tatsächliche deutsche Verluste: 56*
gemeldete deutsche Abschüsse: 68 tatsächliche britische Verluste: 33
*(zuzüglich zweier Me 109 mit Schäden 30%/100 % nach Notlandungen oder Notwasserungen durch Spritmangel )
Adolf Hitler hatte sich die letzte Entscheidung zur Durchführung des Unternehmens „Seelöwe“, der Invasion der britischen Insel, auf den 17. September 1940 terminiert. Am 16. September 1940 schlägt das Wetter um. Die Herbststürme setzen ein.
Und – von einer Luftherrschaft über Südengland kann offensichtlich nicht die Rede sein. Die Royal Air Force ist bewiesenermaßen in der Lage, mit ihren „letzten 50 Spitfires“ doch noch erhebliche Verluste zu verursachen. Adolf Hitler entscheidet. Die Operation Seelöwe wird bis auf weiteres verschoben.
Hitler wird die Pläne nie wieder aus der Schublade holen.
England ist gerettet. Görings Eitelkeit hat den möglichen Sieg der Luftwaffe über die Royal Air Force in allerletzter Minute verspielt. Der Reichsmarschall fühlt sich von seinen Kommandeuren und Piloten verraten. Die sich auch von ihm!
Dowdings Fighter Command weiß noch nichts von seinem Glück. Denn Hitlers Entscheidung ist den britischen Piloten nicht bekannt, und sie bedeutet nicht, dass die Angriffe nun eingestellt würden.
Patrouille von Me 109 E-4 des Jagdgeschwaders 3 vor dem charakteristischen Kreidefelsenpanorama der Küste des Ärmelkanals.
Am 18. September 1940 sind die Deutschen wieder mit einer Bomberflotte über London. Und wieder überschätzen sich die Flugzeugführer des Duxford Wing, welche 30 Abschusserfolge melden, die jedoch nur in vier Fällen einer Überprüfung standhalten. Dennoch erleiden die deutschen Bomber ohne Zweifel wieder schwere Blessuren. 17 Maschinen der Luftwaffe gehen insgesamt zu Bruch, dem stehen elf Verluste des Fighter Command entgegen.
Bis zum 30. September 1940 werden Tagesangriffe auf London weiter geflogen. Danach nimmt sich die Luftwaffe wieder die Jägerflugplätze in Südengland vor. Doch die Chance ist unwiderruflich vertan.
Nimmt man eine Bilanz vor, welche aber in dieser Form nur bedingt zulässig ist, so ergibt sich: *12
219 von Me 109 abgeschossene Spitfires 180 von Spitfires abgeschossene Me 109.
272 von Me 109 abgeschossene Hurricanes 153 von Hurricanes abgeschossene Me 109.
491 im Kampf gegen den Messerschmittjäger verlorene Spitfires und Hurricanes gegen 333 im Gegenzug zerstörte Me 109 ergibt die Messerschmitt Bf 109 im Schlagabtausch Jäger gegen Jäger als klaren „Gewinner“. Doch die Kräfteverhältnisse und die taktische Ausgangslage, die das Fighter Command der Royal Air Force primär zum Kampf gegen die deutschen Bomber zwingt, berücksichtigt diese Gegenüberstellung nicht. Es ist nun mal nicht nur ein Duell der Jägerkräfte beider Seiten gegeneinander! Denn ein britischer Jagdflieger, der hinter einen deutschen Bomber einkurvt, verliert dabei leicht seinen „Kollegen“ der anderen Seite in dessen Messerschmitt Bf 109 aus den Augen – was ihm ohne den Bomber „vor Augen“ vielleicht nicht passiert wäre! Mit allen dann möglichen Konsequenzen für ihn. Das muss man bei diesem – daher etwas „hinkenden“ – Vergleich bedenken!
15. September 1940, Höhepunkt der Luftschlacht um England, über den Royal Albert- und King George Vth-Docks in London
Flugzeugtyp: |
Vickers-Supermarine “Spitfire” Mk. I |
Nationalität: |
Royal Air Force (RAF) |
Einheit: |
66 Squadron |
Pilot: |
Pilot Officer Hubert „Dizzy“ Allen |
Stationierung: |
Kenley, England, 15. September 1940 |
Flugzeugtyp: |
Messerschmitt Bf 109 E-4 |
Nationalität: |
Luftwaffe |
Einheit: |
Geschwaderkommodore JG 26 |
Pilot: |
Major Adolf Galland |
Stationierung: |
Audembert, Frankreich, 15. September 1940 |
Flugzeugtyp: |
Heinkel He 111 H-2 |
Nationalität: |
Luftwaffe |
Einheit: |
9. Staffel (III. Gruppe)/KG 53 |
Flugzeug: |
|
Stationierung: |
Lille-Mouvaux, Frankreich, 15. September 1940 |
Flugzeugtyp: |
Hawker „Hurricane“ Mk. I |
Nationalität: |
Royal Air Force (RAF) |
Einheit: |
310 Squadron |
Pilot: |
Sergeant Josef Hubacek |
Stationierung: |
Duxford, England, 15. September 1940 |
Heinkel He 111 H-2, 9./KG 53, Werknummer 3340 – angeschossen von Spitfires der 66 Squadron RAF.
Spitfire Mk. I der 66 Squadron der RAF, Pilot Officer Hubert Allen, Code , N° N3035, September 1940.
Hurricane Mk. I, 242 Squadron, Squadron Leader Douglas Bader.
Messerschmitt Bf 109 E-4, Stab JG 26, Major Adolf Galland, Kommodore des JG 26. Das Profil zeigt die Me 109 mit 32 Abschüssen, Stand beim Start am 15. September 1940.
Phase 4
Mehr und mehr geht die Luftwaffe dazu über, Störangriffe mit schnellen Jagdbombern zu fliegen, deren Chance zu entkommen ungleich höher ist als die von Bomberstaffeln. Dafür gehen die Bomber nun vermehrt nachts zur Offensive über. Auf beiden Seiten. Als britische Bomber angeblich die Bayerischen Motorenwerke angreifen, jedoch vorhersehbar Wohngebiete in München bombardieren, antwortet die Luftwaffe mit gleicher Münze. In der Innenstadt von Coventry sind über 17 Werke verteilt, die Flugmotoren herstellen.
Die britische Industriestadt wird in Zielgebiete eingeteilt, die Rüstungsbetriebe enthalten. Der Rest der Stadt wird verschont. Das Zielgebiet aber – etwa sechs Prozent der Wohnfläche – wird so gründlich dem Erdboden gleichgemacht, dass man fortan von „Coventrieren“ spricht, wenn von der Vernichtung einer Stadt die Rede ist. Zwölf „Pfadfinder“ der Kampfgruppe 100 führen in der Nacht vom 14. auf den 15. November 1940 ihre Schützlinge des KG 1, 3, 26, 27, 55, des LG 1 und der KFl.Gr 606 derart exakt ins Ziel, dass eine Bombendichte tödlicher Präzision auf die unglückliche Stadt niedergeht. 437 deutsche Bomber werfen 394 Tonnen Sprengbomben und 56 Tonnen Brandbomben ab. Auch 127 Fallschirmminen gehen auf die Stadt nieder. *13 554 Einwohner finden den Tod, 865 werden teilweise schwer verletzt. Über 5.000 Gebäude, darunter die Kathedrale, liegen in Trümmern.*14
Das Ende der Luftschlacht um England ist schwer zu datieren. Es ist auf jeden Fall ein Zeitpunkt nach dem 26. Oktober 1940, seit dem sich auch noch eine kleine italienische Streitmacht mit 80 Fiat BR.20-Mittelstreckenbombern und Fiat G.50- sowie Fiat CR.42-Jagdflugzeugen an den Angriffen gegen England beteiligt. Letztere Jagdflugzeugkonstruktionen sind Doppeldecker. Am 11. November 1940 holen sie sich eine blutige Nase. Sieben italienische Flugzeuge fallen bei einem Tagesangriff auf Harwich mit ungefähr zehn BR.20 und 40 CR.42 den Bordwaffen etwa 30 angreifender Hurricanes zum Opfer. Es sind vier der Bomber und drei der wendigen, aber langsamen Doppeldecker-Jäger, die nicht mehr zurückkehren.
Am Ende der Schlacht wird man zusammenzählen. Einschließlich der Bomberverluste beider Seiten ergeben sich für die Luftwaffe 1.887 Flugzeuge, deren Zerstörung durch die Royal Air Force sie hatte hinnehmen müssen. Doch diese hatte im gleichen Zeitraum nicht viel weniger gelitten. 1.547 Flugzeuge der Briten werden von der Luftwaffe im Gegenzug zerstört. Und 27.450 Zivilpersonen getötet.
Die Zeiten der so genannten Luftschlacht um England sind lange vorbei. Es ist ein scheinbar friedliches Bild, als im Sommer des Jahres 1941 ein Pilot genüsslich im Cockpit seines Jagdflugzeuges dem Laster des Rauchens frönt. Das Rauchen ist geradezu zu seinem Markenzeichen geworden inzwischen.
Man kennt das Jäger-Ass nur so. Das Idol fliegt vielleicht das einzige Jagdflugzeug weltweit, in dem als „Sonderausstattung“ ein Zigarrenanzünder und ein Zigarrenhalter angebracht sind.
Es ist das persönliche Kommandeursflugzeug von Adolf Galland.
Der 21. Juni 1941 ist ein Tag, den Adolf Galland nie vergessen wird. Deutsche Radargeräte – Funkmessgeräte, wie man sie hier nennt – stellen einen Einflug britischer Verbände fest. Längst sind die Briten zum Gegenangriff übergegangen und dringen immer unverhohlener in den französischen Luftraum ein, dessen Schutz nun nur noch wenige Jagdgeschwader übernehmen. Der Rest wird inzwischen anderswo benötigt.
Es stellt sich heraus, dass britische Blenheim-Bomber den deutschen Flugplatz Arques bei St. Omer zum Ziel haben. Etwa 50 Spitfire und Hurricane decken den Angriffsverband. Galland startet mit einer Staffel. In 3.500 Metern Höhe kommt der Feindverband in Sicht. Es ist 12.24 Uhr(Ortszeit).
Galland jagt von oben durch den Begleitschutz und nimmt sich eine Blenheim vor. Als sie zerschellt, ist der Kurvenkampf mit den Spitfires und Hurricanes bereits im Gange. Galland schafft es, sich zu lösen. Er erwischt prompt eine zweite Blenheim. Doch dann greifen Leuchtfinger von hinten nach Gallands Me 109. Es ist inzwischen der neue Typ F-2, der weit bessere Flugeigenschaften besitzt als die alte „Emil“. Doch auch die Briten haben ihre Spitfire weiterentwickelt. Sie fliegen nun die Mark Vb.
Galland geht blitzartig in einen Abschwung, als die Geschosse um ihn flirren. Doch trotzdem ein bisschen zu spät. Der Kühler ist zerschossen. Glücklicherweise ist er die Spitfire hinter ihm los. Und unter ihm liegt der Flugplatz Calais-Merck. Wie geschaffen für eine Bauchlandung.
Um 16.00 Uhr ist Galland längst wieder bei seiner Einheit. Und wieder gibt es Alarm. Die Engländer statten derzeit recht häufig ihre netten Besuche ab. Galland startet allein – sein treuer Rottenflieger Hegenauer war fast zum gleichen Zeitpunkt wie er heute morgen von den Spitfire erwischt worden.
Südöstlich von Boulogne erkennt Galland die I. Gruppe seines Geschwaders – er will sich dem Verband anschließen. Doch was ist das? Etwas tiefer als die I./JG 26 erkennt Galland eine Spitfire-Formation. Der Kommodore zögert nicht lange und stürzt sich von hinten auf eine der letzten Maschinen. Es ist allerdings nicht die wirklich letzte – leider.
Galland drückt auf den Waffenknopf. Die durch die Propellernabe feuernde Kanone seiner Me 109 F-2 donnert genauso los wie die beiden Maschinengewehre auf der Motorhaube. Die Spitfire brennt. Oberstleutnant Gallands 70. Abschuss! Da er alleine ist, will er gerne sehen, wo sein Gegner aufschlägt. Denn nur dann, wenn man das Wrack findet, kann der Abschuss bestätigt werden.
Galland sieht dem besiegten Gegner eine Spur zu lange nach – ein Kardinalfehler, dessen Vermeidung er seinen jungen Nachwuchspiloten energisch predigt. Jetzt macht er ihn selber.
Und schon kracht es fürchterlich in seiner Messerschmitt. Die beiden inzwischen serienmäßig als B-Flügel in den Spitfire Mk. V verbauten 20-mm-Kanonen des englischen Jagdflugzeuges leisten ganze Arbeit. Ein Schlag hat Gallands Arm und Kopf getroffen, ohne die Panzerplatte in seinem Rücken wäre er jetzt tot. Die Rumpfseite der Me 109 ist aufgerissen, die Tragflächen sind halb zerfetzt. Doch noch fliegt die Kiste. Der Tank und die Kühlflüssigkeit laufen aus. Mist! Zündung aus – vielleicht ist es im Segelflug zu schaffen! Immerhin ist die Maschine immer noch in 6.000 Meter Höhe.
Dann explodiert der Tank! Die Messerschmitt brennt, glühendes Benzin läuft in die Kabine. Raus! Raus hier – verflucht!
Die Kabine klemmt! Das darf nicht wahr sein! Es wird bereits ungemütlich heiß hier drin, und die Messerschmitt stürzt in die Tiefe! Es sind die schlimmsten Minuten in Gallands Leben!
Er drückt mit aller Kraft gegen die Plexiglashaube, stemmt sich dagegen. Ich will, ich muss hier raus! Plötzlich löst sich die Haube. Gott sei Dank. Doch nun hat sich der Fallschirm verklemmt. Ohne den geht es nicht. Die Messerschmitt rast unaufhaltsam lichterloh in Flammen dem Aufprall entgegen.
Galland hat keine Ahnung, wie er dann doch frei gekommen ist. Samt Fallschirm! Fast hätte er in der Aufregung auch noch den falschen Griff gezogen – und hätte sich damit ungewollt des rettenden Schirmes entledigt. Doch ein Schutzengel bewahrt ihn im letzten Moment davor. Wenige Meter über dem Boden öffnet sich die Seide ...
So kann es gehen! Diese Erfahrung macht auch ein anderer Pilot. Nicht viel später, es ist der 9. August 1941. An diesem Tag sind die Rollen vertauscht. Ein heftiger Luftkampf zwischen Spitfires Mk. Vb und den Me 109 F-2 des JG 26 über dem Pas de Calais ist im Gange. Auch Galland schießt zwei Spitfires ab. Wie auch einige seiner Unteroffiziere.
Adolf Galland in seiner Me 109 E-4 Ende 1940. Neben der beschriebenen „Sonderausstattung“ besitzt die Maschine als persönliches „Extra“ des Geschwaderkommodore ein Fernrohr in der Windschutzscheibe, welches die Identifikation entfernter Flugzeuge erleichtert – es dient nicht zum Zielen.
Wer der Schütze war, der jenen Wing Commander vom Himmel holte, wird sich nie mehr klären lassen. Der britische Pilot will heraus aus seinem brennenden Sarg, doch er hängt fest. Er schildert: *15
„Ich sehe, wie Stücke von meiner Kiste wegfliegen. Die Nase neigt sich nach unten. Ich schaue mich um – meine Maschine hat sozusagen kein hinteres Ende mehr. Also nichts wie raus! Das ist aber leichter gesagt als getan, wenn das Flugzeug senkrecht nach unten schießt und sich dabei dreht wie ein Kreisel. Mit den Händen ziehe ich mich hinaus. Ein Bein ist schon draußen. Das andere, das rechte, klemmt fest. Ich ziehe. Die Maschine zieht auch. Und dann sause ich durch die Luft – ohne rechtes Bein. Das fällt mit der Maschine nach unten ...“
Douglas Bader schwebt am Fallschirm zur Erde. Beim Aufprall bohrt sich auch noch seine linke Beinprothese in die Brust. Damned – das tut weh! Bader wird ins Lazarett nach St. Omer gebracht.
Adolf Galland mit seinem „Markenzeichen“: der Zigarre.
Die verbesserte Spitfire – nun Mk. Vb.
Dort liegt er nun – als Krüppel ohne Beine. Ganz in der Nähe der Stelle, an der sein Vater begraben ist!
Wo sind seine Prothesen? Bader findet die eine an seinem Bett angelehnt. Inzwischen wird er vom Kommandeur der I. Gruppe des JG 26 besucht. Bader bittet, man möge doch in den Trümmern seiner Spitfire nach seinem rechten Bein fahnden. Die Bitte wird ihm gewährt.
Man findet die Prothese – etwas verbeult. Die Flugzeugmechaniker klopfen sie einigermaßen gerade!
Messerschmitt Bf 109 – nun F-2.
Wenig später wird Kommodore Adolf Galland darüber informiert, welchen erlauchten Gast man da im Lazarett gefunden hat. Der Name Douglas Bader ist inzwischen in den Kreisen der deutschen Jagdflieger ähnlich bekannt wie Adolf Galland bei den Briten. Galland lädt das Ass der Gegenseite zu sich ein. Der ganze Geschwaderstab ist versammelt. Bader fühlt sich geehrt – einerseits. Aber etwas misstrauisch ist er andererseits doch! Will man ihn einlullen und dann aushorchen? Was haben die vor?
Allmählich taut der Brite auf. Der Umgang wird fast freundschaftlich. Bader läuft schon wieder ganz gut – doch seine verbogenen Prothesen quietschen gar schrecklich bei jedem Schritt. Ungünstig für einen Mann, der jederzeit die Flucht im Sinne hat!
Daher fragt der charmante Brite an, ob man denn nicht seinen Leuten eine Nachricht zukommen lassen könnte? An seine Frau, dass er lebe und es ihm gut gehe. Und – vielleicht könnte die Royal Air Force dann ja neue Prothesen für ihn abwerfen?
Ach so – ja. Und bitte eine neue Pfeife auch ...! Seine alte war beim Absprung demoliert worden ...
Bader möchte gerne wissen, wer ihn abgeschossen hat. Es wäre furchtbar für Bader, wenn dies gar ein Neuling fertiggebracht hätte! Hm, wer war das denn? So richtig kann das keiner rekonstruieren. Vielleicht war es Galland selber gewesen? Man einigt sich – für Bader nicht erkennbar – einen erfahrenen Oberleutnant auszuwählen, welcher in der Tat als möglicher Schütze an diesem Tag infrage kommt. Es ist ein gut aussehender, blonder deutscher junger Mann – dem Klischee voll entsprechend.
Bader ist angenehm überrascht und schüttelt dem Gegner die Hand! Mit diesem Sieger kann er leben!
Dann unterhält man sich über die Vorzüge der Jagdflugzeuge. Bader lobt die Qualitäten der Me 109 als Gegner, Galland und seine Kameraden die der Spitfire.
Dann will Bader gerne in eine Me 109 sitzen. Man erfüllt ihm den Wunsch. Der Brite sitzt mit glänzenden Augen am Steuer des Jagdflugzeuges, das er so oft als Feind vor und hinter sich gehabt hatte.
Hm. Ob er eine Bitte stellen dürfe? Ob er vielleicht einmal in seinem Leben mit einer Messerschmitt eine Platzrunde drehen dürfe?
Galland überlegt. Fast wäre er dem Charme des Briten erlegen. Doch diese Bitte muss er abschlagen.
„Wenn ich Ihren Wunsch erfülle“, antwortet Galland, „müsste ich befürchten, dass Sie ausreißen. Ich wäre also gezwungen, hinter Ihnen her zu fliegen. Nachdem wir uns jetzt gerade kennen gelernt haben, wollen wir doch nicht gleich wieder aufeinander schießen!“
Am Abend wird Douglas Bader ins Lazarett zurück gebracht. Und Galland setzt sich mit Göring in Verbindung. Der ist sofort einverstanden, dem Engländer die Bitte um eine Nachricht nach England zu erfüllen. Das sei derselbe ritterliche Geist, dem auch er, Göring, sich seit seinen eigenen Jagdfliegertagen verpflichtet fühle!
Göring schlägt vor, die RAF über die internationale Seenotwelle zu informieren, einen Zeitpunkt und einen Flugplatz vorzuschlagen und freies Geleit zuzusichern. Dann könnte eine britische Maschine auf dem Flugfeld landen, das Paket für Bader ausladen und dürfe selbstverständlich unbehelligt wieder starten.
Die verbesserte Messerschmitt Bf 109 F-2 – bei der Rückkehr von einem offensichtlich erfolgreichen Einsatz.
Die Briten erhalten den Funkspruch und quittieren ihn auch. Zu einer Vereinbarung über Ort und Zeitpunkt einer Übergabe der Prothesen kommt es allerdings nicht.
Die Royal Air Force hat in Bezug auf die Übergabe von Geschenken ihre eigenen Vorstellungen.
Wenig später hagelt es Bomben auf den Flugplatz von St. Omer und seine Umgebung.
Bei den Aufräumungsarbeiten nach den Zerstörungen findet man einen Fallschirm und daneben eine Kiste. Auf dieser steht:
„Dieser Kasten enthält Beinprothesen für Wing Commander Bader in Kriegsgefangenschaft“.
Douglas Bader.
Quellen:
WASt – Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht, Berlin. Verluste der deutschen Luftwaffe via Recherche Matti Salonen .
„Battle over Britain”/Doubleday & Company, Inc. New York 1969/Francis K. Mason.
Hinweis: grundsätzlich werden in der neben- und obenstehenden Tabelle Verluste an Menschenleben und/oder Material nur dann gewertet und gezählt, wenn sie durch „Feindeinwirkung“ zustande gekommen sind. Havarien wie Zusammenstöße in der Luft, Start– und Landeunfälle ohne Beschussschäden, technische Defekte oder ähnliche Absturzursachen kommen auch in Friedenszeiten vor und werden zwar im Feld „Bemerkungen“ genannt, jedoch nicht als „Abschuss“ bzw. „Verlust“ gewertet. Dasselbe gilt für Notlandungen nach Benzinmangel oder versehentliche Abschüsse durch eigene Jäger bzw. Flak-Geschütze. Die Spalte „Gesamt“ ist unterteilt in „Pilot/Flugzeug“, da beispielsweise eine Notlandung auf eigenem Gebiet vom Piloten unverletzt überstanden werden kann, während sein Flugzeug möglicherweise einen Totalverlust darstellt.
Abschussmeldungen:
Hinzu kommt die Meldung einer abgeschossenen Bristol „Blenheim“ über Etaples in Frankreich.
Da neun britische Jäger tatsächlich von Bordschützen deutscher Dornier-Bomber (Do 17 Z) abgeschossen wurden und ein weiterer durch den Schützen einer Heinkel He 111 beschädigt wurde (Cat. R), sind mindestens zehn der tatsächlich erfolgten Abschüsse nicht den Jägerpiloten der Luftwaffe zuzuordnen. Somit ergibt sich eine bereinigte Relation von 68 durch deutsche Jagdflieger gemeldeten Abschüssen zu 23 durch die Jäger verursachten Verlusten des Fighter Command der Royal Air Force.
Die bestätigten Verluste des britischen Fighter Command finden sich nachstehend differenziert nach Hurricanes und Spitfires in den Größenordnungen Cat. R („Repair on site not possible” Reparatur vor Ort nicht mehr möglich) und Cat. W („Write off“
Totalverlust). Hinweis: die Nomenklatur änderte sich ab 1941 in Cat. A, Cat. B, Cat. C, Cat. E, dabei entspricht Cat. E nun einem Totalverlust.
Royal Air Force Fighter Command :
Hawker „Hurricane”: |
24 |
Supermarine „Spitfire”: |
9 |
Gesamt: |
33 |
Quelle: „Battle over Britain”/Doubleday & Company, Inc. New York 1969/Francis K. Mason.
Shoe Lane in London nach einem deutschen Bombenangriff.
„The mood of Britain is wisely and rightly averse from every form of shallow or premature exultation. This is no time for boasts or glowing prophecies, but there is this: a year ago our position looked forlorn, and well nigh desperate, to all eyes but our own. Today we may say aloud before an awe-struck world, ‘We are still masters of our fate. We still are captain of our souls.’ “
„Die Stimmung Großbritanniens ist wohlweislich und richtigerweise weit entfernt von leichtfertigem oder verfrühtem Jubel. Dies ist nicht die Zeit für Prahlerei oder glühende Prophezeiungen. Doch eines steht fest: vor einem Jahr erschien unsere Lage verloren und praktisch hoffnungslos, in den Augen aller außer unseren eigenen. Heute können wir einer fassungslos staunenden Welt laut ins Gesicht sagen: ‚wir sind noch Herr über unser Schicksal! Wir haben nach wie vor das Ruder in der Hand!’ “
Winston Churchill, Rede vor dem House of Commons im britischen Parlament, 9. September 1941.
*1Quelle: „Der Bombenkrieg“/CH-Links -Verlag 2004/Rolf-Dieter Müller
*2Quelle: „Entscheidende Luftschlachten des zweiten Weltkrieges“/Motorbuch Verlag/Christopher Shores
*3Quelle: „Die Ersten und die Letzten“/Flechsig Verlag 2005/Adolf Galland.
*4Hinweis: dieses Foto zeigt im Original den Typ A-4 und wurde rekonstruiert zur A-5.
*5Hinweis: Carinhall wird häufig fälschlicherweise „Karinhall“ geschrieben, Göring nannte das pompöse Jagdschloss nach seiner im Jahr 1931 verstorbenen ersten Ehefrau Carin Freifrau von Kantzow.
*6Quelle: „Die Luftwaffe“/Time Life Bücher 1982/W. Mark Hamilton, Seite 93. In Quelle
Aircraft N° 44 „Messerschmitt Bf 109 in action“ Part 1/Squadron/Signal Publications 1980/John R. Beaman Jr. und Jerry L. Campbell, Seite 42, werden dieselben Zahlen, ebenfalls ohne Datum, in Bezug auf einen Einsatz des JG 26 genannt. Eindeutig in dieser Hinsicht ist Quelle
„JG 26 – Top guns of the Luftwaffe”/Ivy Books New York 1991/Donald L. Caldwell. Dort wird auf Seite 51 ein Einsatz am 28. August 1940 beschrieben mit „mindestens“ sieben Notwasserungen, alle Piloten werden gerettet. Von vier am Strand notgelandeten – falls es derselbe Flug ist – ist nicht die Rede.
*7Quelle: „Der Bombenkrieg“/Christoph Links Verlag 2004/Rolf-Dieter Müller, Seite 83f.
*8Quelle: „Der Bombenkrieg“/Christoph Links Verlag 2004/Rolf-Dieter Müller,
*9Quelle: „Battle over Britain”/Doubleday & Company, Inc. New York 1969/Francis K. Mason.
*10*11Quelle: „Die großen Luftschlachten des Zweiten Weltkriegs“/Kaiser – Verlag 2005/kein Autor genannt.
*12Quelle: Aircraft N° 44 „Messerschmitt Bf 109 in action“ Part 1/Squadron/Signal Publications 1980/John R. Beaman Jr. und Jerry L. Campbell, dort zitiert aus
“Luftwaffe fighter units Europe 1939-41”/Jerry Scutts.
*13Quelle: „Entscheidende Luftschlachten des Zweiten Weltkrieges“/Motorbuch Verlag 1988/ Christopher Shores.
*14Quelle: „Das rote Leuchten – Dresden und der Bombenkrieg“/Edition Sächsische Zeitung 2005/ Oliver Reinhard und Mathias Neutzner und Wolfgang Hesse.
*15Quelle: „Die Ersten und die Letzten“/Flechsig Verlag 2005/Adolf Galland.