4. „Big Brother is helping you“

„Lakirovany Garantirovanny Grob“. Noch vier Tage bis Weihnachten des Jahres 1942. Der 20. Dezember beschert Oberleutnant Gerhard Barkhorn seinen 102. Luftsieg, einen Tag nach dem Erreichen der magischen Zahl 100. Es ist ein russischer Jäger des Typs LaGG-3, ein Flugzeug, dessen Rumpf aus Kunststoff-imprägniertem lackiertem Holz besteht. Die russischen Piloten haben dem untermotorisierten Jagdflugzeug einen makabren Spitznamen gegeben: „LaGG“ steht demnach synonym für „Lackierter garantierter Sarg“. Ob der sowjetische Pilot, dessen Abschuss dem jungen deutschen Staffelkapitän der 4. Staffel des Jagdgeschwaders (JG) 52 zu einer weiteren Siegesmarkierung verhilft, im verzweifelten Überlebenskampf an den Spitznamen seines brennenden Flugzeuges denkt? „Lakirovany Garantirovanny Grob”...!

Die Bodentruppen, über denen sich die erbitterten Luftkämpfe der II. Gruppe des JG 52 an diesem Jahresende abspielen, haben keine Särge für ihre toten Kameraden, es sind bestenfalls Zeltplanen. Und täglich werden es mehr. Die 6. deutsche Armee in Stalingrad kämpft sich ihrem entsetzlichen Ende entgegen.

Die sowjetischen Jagdflugzeuge tauchen häufig in Überzahl auf. Dennoch fühlen sich die deutschen Piloten überlegen. Sie haben die bessere Ausbildung, bessere Taktik und den besseren Kampfgeist. Das glauben sie zumindest – und dieser Glaube gibt Selbstvertrauen, selbst unter den Neulingen in den Staffeln. Und – sie haben die besseren Flugzeuge. Noch ...!

Zu Beginn des Russlandfeldzuges bestehen etwa 65 % der russischen Jagdflugzeuge aus kleinen Eindeckern des Typs Polikarpov I-16 „Rata“. Es ist eine schwer zu fliegende, doch sehr wendige Maschine. Das Fahrwerk muss manuell mit Hilfe einer Pumpe eingezogen werden – die Technik ist primitiv, aber sie funktioniert, auch im tiefsten Winter. Doch mit den 468 km/h Höchstgeschwindigkeit ist die Maschine für die modernen deutschen Messerschmitt Bf 109 F-4 des Jahres 1941 mit 624 km/h Höchstgeschwindigkeit und die 615 km/h schnellen Focke-Wulf Fw 190 A-3 kein ernsthafter Gegner. Die I-16 haben allenfalls durch ihre agile Wendigkeit eine Chance.

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Die grausame Realität des Luftkrieges. Ein deutscher Soldat steht vor den sterblichen Überresten eines sowjetischen Piloten – samt den Flugzeugtrümmern seiner abgeschossenen Maschine. Jedwede Glorifizierung einer Kampfhandlung wird mit dieser Wirklichkeit absurd.

Sie sind nun seltener geworden, Ende 1942. Der Leistungsunterschied zu den inzwischen von der Luftwaffe eingesetzten Me 109 G-2 und Focke-Wulf Fw 190 A-4 ist eher noch größer geworden bei allerdings nach wie vor ähnlicher Geschwindigkeitsdifferenz. Denn die verbesserten Me 109 G-2 sind 616 km/h schnell und nur unter GM-1-Notleistung mit 653 km/h spürbar schneller als die F-Variante zuvor. Die neuen Fw 190 A-4-Jäger fliegen immerhin 669 km/h schnell, allerdings auch nur mit Kurzzeitleistung (MW-50). Trotz Unterlegenheit werden die robusten „Ratas“ bei den russischen Luftstreitkräften immer noch eingesetzt. Am 11. und 12. Februar 1943 fallen drei dieser Maschinen Barkhorns Geschossen zum Opfer.

Doch die Masse der sowjetischen Jägergruppen ist nun mit moderneren Typen ausgerüstet. Bereits zu Beginn der Kampfhandlungen gegen die deutsche Luftwaffe am 22. Juni 1941 bestehen neben den veralteten I-16 und den noch stärker unterlegenen Doppeldeckern I-153 etwa 10 % der sowjetischen Jagdflugzeuge aus einer neuen Generation von Jagdmaschinen, Jäger der Typen Lavochkin-Gudnov-Gorbunov LaGG-3, Yakovlev Yak-1 und Mikoyan-Gurevich MiG-3.

Auch diese Maschinen können es noch nicht mit den deutschen Gegenstücken aufnehmen. Allerdings sind die sowjetischen Jägereinheiten mit diesen Flugzeugen wesentlich gefährlicher. Die LaGG-3 sind 565 km/h schnell, mit einer 20-mm-ShVAK-Kanone, einem 12,7-mm-UBS-MG und zwei 7.62-mm-ShKAS-MGs bewaffnet und somit ähnlich ausgerüstet wie eine Me 109 G-2, doch viel schwerfälliger und weniger manövrierfähig. Sie werden reihenweise abgeschossen und sind entsprechend unbeliebt.

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Polikarpov I-16 „Rata“.

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Lavochkin-Gudnov-Gorbunov LaGG-3 img.

Es ist die Maschine von Ivan Kaberov aus dem 3. GvIAP, Held der Sowjetunion, Leningrad Front 1942-1943.

Die MiG-3 dagegen sind mit 603 km/h nahe am Leistungsvermögen ihrer Gegner ohne deren Notleistung. Ein guter Entwurf ist die Maschine allerdings ebenfalls nicht. Das Flugzeug fliegt sich wie ein nervöses Rennpferd, extrem unruhig um die Längsachse, schwer zu beherrschen – besonders im Luftkampf. Auch die Bewaffnung (ein 12,7-mm-MG und zwei 7,62-mm-MGs) könnte besser sein. Spätere Versionen besitzen dann auch 3 UBS-MGs. Immerhin kann eine deutsche Me 109 G-2 eine 20-mm-Kanone und zwei 7,92-mm-MGs aufbieten, eine Focke-Wulf Fw 190 A-4 sogar vier 20-mm-Kanonen und zwei 7,92-mm-MGs. Einer der berühmtesten russischen Piloten, Aleksandr Pokryshkin, beschreibt das MiG-3-Jagdflugzeug so: „Ich mochte es sofort. Es konnte mit einem verspielten feurigen Hengst verglichen werden – in erfahrenen Händen konnte es abgehen wie ein Pfeil, doch wehe, Du verlierst die Kontrolle, dann endest Du unter seinen Hufen ...“. Ende 1941 sind etwa 40 % der sowjetischen Jäger-Einheiten mit diesem Typ ausgerüstet.

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Yakovlev Yak-1 im Winter 1941/1942 bei Leningrad (evtl. 247. IAP) mit noch in den Rumpf integriertem Cockpit.

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Mikoyan – Gurevich MiG-3.

Bleibt die Yak-1. 561 km/h schnell, wendig, agil und mit zwei 7.62-mm-ShKAS-MGs und einer 20-mm ShVAK-Kanone an Feuerkraft der deutschen Me 109 G-2 ebenbürtig. Die Maschine fliegt sich gut und sicher. Ein gelungener Jäger, keine Frage. Seit Ende 1941 wird das Modell ergänzt um die modifizierte Yak-7, deren Leistungen ähnlich sind (in Bezug auf Steigrate und Kurvenfähigkeit schlechter, jedoch deutlich besser hinsichtlich Flugruhe und Steuerfähigkeit). Und nun, seit Oktober/November 1942, erscheint eine überarbeitete Version der Yak-1 sukzessive an der Front – die Yak-1b. Der Jäger hat einen vertikal verschmälerten Hinterrumpf, welcher eine komplett aufgesetzte tropfenförmige Kabinenhaube ermöglicht mit perfekter Rundumsicht. Die zwei 7.62-mm-ShKAS-MGs werden durch ein einzelnes 12,7-mm-UBS-MG links auf der Motorhaube ersetzt. Die Sichtverhältnisse sind vergleichbar mit denen in den deutschen Focke-Wulf 190, doch erheblich besser als die Sicht aus einer Messerschmitt Bf 109.

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Yakovlev Yak-9D mit auf dem Rumpf aufgesetzter Haube. Die Yak-9D ist äußerlich einer Yak-1b ähnlich, hat jedoch weiter verbesserte Leistungsmerkmale. Die Yak-1b erscheint ab Oktober 1942, die Yak-9 ab Dezember 1942, in der Langstreckenversion 9D dann ab Sommer 1943 an den Fronten. Dieses Bild ist in der Fabrik in Omsk 1944 erstellt.

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Lavochkin La-5. Dieses ausgezeichnete sowjetische Jagdflugzeug zeigt ebenfalls noch ein in den Hinterrumpf direkt übergehendes Cockpit, wie dies auch bei der deutschen Me 109 der Fall ist. Die Bewaffnung besteht aus zwei 20-mm-ShVAK-Kanonen.

Die Yakovlev-Jagdflugzeuge sollen noch zu den gefährlichsten Gegnern der deutschen Piloten im Zweiten Weltkrieg avancieren – zumindest, was die Potenz des Flugzeuges selbst betrifft. Denn über die meiste Zeit des Krieges sind erfahrene Piloten und in Eigeninitiative taktisch klug geführte Einheiten in Russlands Jagdstreitkräften eher die Ausnahme.

Auch Gudkov lässt der Misserfolg seines fliegenden Sarges nicht ruhen. In der Sowjetunion des Jahres 1942 wird Versagen gnadenlos mit dem Tode bestraft. Stalin hat nicht die geringsten Hemmungen diesbezüglich. Es ist einer der Gründe, warum die sowjetischen Truppenkommandeure am Boden wie in der Luft skrupellos ihre Männer ins offene Messer befehlen – Erfolg um jeden Preis, doch streng nach Befehl, ohne persönliches Entscheidungs-Risiko – geradlinig, und somit vom Gegner vorhersehbar und durchschaubar. Einfallsloses Massen-Morden.

Gudkov sieht das Versagen der LaGG-3 im Motor. Er tauscht den Reihenmotor Klimov M-105 V gegen den Sternmotor Schwezov M-82. Das Resultat übertrifft alle Erwartungen. Und überzeugt selbst den Kreml, welcher gefährlich ungehalten geworden war. Gudkov wird mit weiteren Entwicklungsarbeiten an gescheiterten Projekten betraut – seinen vor der Verschrottung geretteten Jäger soll Lavochkin zu Ende entwickeln. Gudkov bricht psychisch fast zusammen – sein größter Erfolg wird ihm geraubt. Doch die nun aus der LaGG-3 von ihm entwickelte so genannte Gu-82 heißt fortan La-5. Und wird das zweite in der Sowjetunion selbst entwickelte, erfolgreiche und mehr als konkurrenzfähige Jagdflugzeug der Alliierten werden. Ein Jagdflugzeug, dessen auf Lavochkin hinweisenden Namen mit dem rein zahlenmäßig siegreichsten alliierten Piloten verknüpft ist, der gegen die Deutschen gekämpft hat: Ivan Kozhedub (La-5 FN/La-7 – 62 Abschüsse in 326 Einsätzen mit 126 Feindkontakten).

Die La-5 ist ab der Version F/FN einer Focke-Wulf 190 (ohne deren Notleistung) fast ebenbürtig und unter 6.000 Meter Höhe einer Me 109 G-6 in vielen Belangen überlegen. In den Abschussbilanzen zeigt sich dies allerdings erst gegen Ende des Krieges, als kampferprobte La-5 FN-/La-7-Piloten vielen unerfahrenen deutschen Anfängern gegenüberstehen – oft genug (nicht immer) in überwältigender Überzahl.

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Lavochkin La-5 F. Inzwischen ist die Haube der Pilotenkanzel im hinteren Bereich vollverglast, was die Rundumsicht erheblich verbessert. Der Typ F erscheint ab März 1943 an der Front.

Alle sowjetischen Jagdflugzeuge – so erfolgreich sie im Einzelnen letztlich sein mögen – leiden unter einigen prinzipiellen Problemen. Während des größten Teils des Krieges haben die sowjetischen Piloten entweder gar kein Funkgerät zur Verfügung oder nur eines, welches lediglich Anweisungen empfangen kann – nicht senden. Senden können allein die Geräte der Staffelkommandeure – vorausgesetzt, das Funkgerät funktioniert zufällig. Jede Initiative, die auf Erkennen und Umsetzen sich plötzlich verändernder Kampfsituationen beruht, wird auf diese Art blockiert. Es sollte lange dauern, bis sich dies im Verlaufe des Krieges ändern sollte.

Und noch etwas schmälert den Kampfwert der russischen Maschinen. Die Kunststoff-Hauben der Cockpitverglasung neigen zum Vergilben – was nutzt die beste konstruktive Panoramasicht durch einen Gelbschleier hindurch? Viele Piloten öffnen die Haube – um besser sehen zu können. Was den Luftwiderstand erhöht und damit die Flugeigenschaften vermindert. Und außerdem ist es kalt ...

Die deutschen Maschinen haben eine Kanzel aus (Plexi-) Glas. Die britischen und amerikanischen ebenso. Deren Sicht ist glasklar! Ein unschätzbarer Vorteil für jeden Jagdflugzeug-Piloten.

Die amerikanische Bell P-39 „Airacobra“ kommt daher wie gerufen! Die Amerikaner helfen ihren sowjetischen Alliierten – mit Tausenden von Flugzeugen, die während des Krieges an die Sowjetunion geliefert werden. Das erfolgreichste Flugzeug amerikanischer Produktion in den Händen sowjetischer Piloten – viele davon werden Asse im Cockpit dieser Maschine – ist ein Flugzeug, das die US-Luftstreitkräfte nicht schnell genug loswerden können. Bei den (in größeren Höhen ausgefochtenen) Luftkämpfen der britischen Royal Air Force (601 Squadron) an der Kanalküste sowie der US-Piloten gegen die Deutschen in Nordafrika und gegen die japanischen Mitsubishi „Zero“-Jäger im Pazifik erweist sich dieses Flugzeug als verlustreicher Fehlschlag. Doch die Verhältnisse über den Schlachtfeldern in Russland sind andere. Die Einsätze hier dienen vor allem der direkten Unterstützung der Bodentruppen – auf beiden Seiten. Somit finden die Luftkämpfe selten oberhalb von 5.000 Meter Höhe statt. Darunter jedoch sind zwei Jagdflugzeuge geradezu in ihrem Element: die 615 km/h (mit Kurzzeitladedruck eine Minute lang 673 km/h)schnelle deutsche Focke-Wulf Fw 190 A-3 und die 579 km/h leistende amerikanische Bell P-39 D „Airacobra“. Die P-39 hat wie ihre Gegner eine Kanzel aus Plexiglas, eine starke Bewaffnung (P-39 N: eine 37-mm-Kanone, zwei 12,7-mm-Maschinengewehre und vier-7,6-mm MGs) und – ein werksseitig eingebautes Funkgerät!

Das allerdings von den Sowjets anfangs oft ausgebaut wird – um Gewicht zu sparen und damit die Flugeigenschaften der Maschine zu verbessern. Den enormen taktischen Nutzen der Möglichkeit, Kameraden in der Luft zu informieren und zu warnen, erkennt man in den Kreisen der sowjetischen Führung – und Piloten – erst später. Doch dann sind die Airacobras – die alle bereits bei Auslieferung zuverlässig funktionierende Funkgeräte haben, welche sowohl empfangen als auch senden können – vom Stand weg gerüstet. Es mag kein Zufall sein, dass viele in die sowjetischen Jagdstreitkräfte eingeführten taktischen Neuerungen von „Kobra“-Piloten entwickelt sind.

Allerdings könnte der unkonventionell hinter dem Cockpit installierte Allison-Motor der P-39 (wie der P-40) zuverlässiger sein! Auslaufendes Öl friert im Winter nach der Landung fest, auch neigt der lange Kanonen-Schaft zum Bruch, was die Ölwanne beschädigt und Steuerkabel durchtrennt. Nicht weniger als 9.438 Jagdflugzeuge diverser Typen werden alleine von den Vereinigten Staaten der Sowjetunion zur Verfügung gestellt, vorwiegend Curtiss P-40 „Tomahawk“/„Kittyhawk“ und Bell P-39 „Airacobra“. 4.924 P-39 erreichen die Sowjetunion, auch aus britischen Beständen. Denn die Royal Air Force, welche eine Anzahl dieser Jäger in den USA bestellt hatte, ist mit deren Leistungen alles andere als zufrieden. Die Maschinen werden zurückgesandt – oder an die russischen Waffenbrüder verschickt, zusammen mit 2.952 Hawker „Hurricanes“, die nun ebenfalls nicht mehr den Anforderungen des Luftkrieges an der Kanalküste genügen, und einigen wenigen Supermarine „Spitfire“ Mk. Vb. So gehen 212 britische Airacobra Is auf die Reise in die Sowjetunion. 54 davon gehen auf dem gefährlichen Weg über das Nordmeer zu dem einzigen eisfreien Hafen des Sowjetreiches, Murmansk, verloren.

Denn dieser Weg ins russische Imperium ist riskant – und hart umkämpft. Deutsche U-Boote lauern systematisch den britisch-amerikanisch-russischen Konvois auf und versenken ein Frachtschiff nach dem anderen, ihrerseits bedroht von den Wasserbomben der Geleitzerstörer der britischen Marine. Die Überlebenschance der Matrosen eines versenkten Frachters im eiskalten Wasser des Nordmeeres zwischen Spitzbergen und dem norwegischen Nordkapp strebt gegen Null – sie ist so gering wie die Temperatur der tiefblauen See.

Hinzu kommt die Gefahr durch deutsche Überwasserschiffe. Mehr als ein Gefecht mit den Eskortverbänden der britischen Royal Navy findet statt, so am Silvestertag des Jahres 1942 zu 1943 ein Gefecht zwischen dem deutschen Panzerkreuzer „Lützow“, dem schweren Kreuzer „Admiral Hipper“ und sechs deutschen Zerstörern gegen die britischen Korvetten und Zerstörer der Geleitzugeskorte sowie den Kreuzer HMS „Jamaica“ und den Kreuzer HMS „Sheffield“.

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Airacobra I des 19. GvIAP, diese hier wird im Jahr 1942 im Kampf zerstört.

Die Briten entscheiden den Schlagabtausch für sich, beschädigen die „Hipper“ und versenken einen deutschen Zerstörer. Der Geleitzug erreicht Murmansk fast unbeschädigt mit allen Schiffen.

Doch nicht immer gelingt der Durchbruch. Die Route der Konvois befindet sich in Reichweite der von Norwegen aus startenden viermotorigen Focke-Wulf 200-Aufklärer (I./KG 40), Blohm & Voss BV 138-Aufklärungs-Flugboote und Schwimmerflugzeuge Heinkel He 115 der Küstenfliegergruppen (KFI.Gr 406 und 906), der Junkers Ju 88-Sturzkampfbomber des KG 30 und der Heinkel He 111-/Junkers Ju 88-Torpedobomber der I./und III./KG 26. Dann sind da noch die Ju 87 „Stukas“ des StG 5 in Kirkenes, deren Reichweite allerdings ebenso begrenzt ist wie die der Me 109-Jäger zweier Gruppen des JG 5. Als am 31. Mai 1942 der Konvoi PQ 16 Murmansk erreicht, haben die deutschen Kampfflugzeuge und U-Boote sieben mit Kriegsmaterial voll gestopfte Frachter versenkt. Am schlimmsten erwischt es den am 27. Juni 1942 in Reykjavik auf Island auslaufenden Konvoi PQ 17. Deutsche U-Boote und Kampfflugzeuge versenken 24 Frachter mit insgesamt 143.977 BRT und beschädigen mehrere Kriegsschiffe des Geleitschutzes. PQ 18 wird am 11. September 1942 von den deutschen Seeaufklärungsflugzeugen gesichtet. Am 13. September 1942 kommen die 40 Schiffe in die Reichweite der Heinkel He 111- und Junkers Ju 88-Torpedobomber des KG 26. Die 26 Maschinen der ersten Welle treffen auf den Geleitzug westlich der Südspitze von Spitzbergen. Es sind die He 111 der I. Gruppe des KG 26 unter Major Klümper. Die deutschen Torpedobomber holen nach Süden aus und gehen dann wieder auf Ostkurs. Im Tiefstflug zwei Meter über der Wasseroberfläche jagen die zweimotorigen Torpedokampfflugzeuge auf die Transportschiffe und ihre Sicherungsfahrzeuge zu. Die Geleitfahrzeuge – Zerstörer, Korvetten und nun sogar ein Flugzeugträger – haben die Gefahr noch nicht bemerkt. Der deutsche Angriff kommt so überraschend, dass der Flugzeugträger keine Zeit mehr hat, seine Jagdflugzeuge zur Abwehr des deutschen Verbandes umzudirigieren. Die britischen Jäger sind in der Luft und versuchen, einen erkannten Angriff der Ju 88-Sturzkampfbomber des KG 30 abzuwehren. Der Angriff dieser Maschinen richtet dann auch tatsächlich wenig Schaden an. Die bombenbeladenen Ju 88 des KG 30 nähern sich als Sturzkampfbomber in großer Höhe, sodass die ihnen entgegenfliegenden britischen Jäger die weit unten im Tiefflug herannahenden Torpedobomber nicht rechtzeitig erkennen. Direkt vor dem Ziel sehen die Besatzungen der deutschen Torpedoflugzeuge eine weitere Torpedobomber-Einheit hinter sich auftauchen. Es ist die mit Ju 88 ausgerüstete 1. Staffel der III./KG 26, welche – von Hauptmann Nocken geführt – im idealen Moment über dem Kampfgeschehen erscheint. Der Angriff beginnt.

Jeder der Bomber trägt zwei Torpedos – tödliche Waffen. Nun hat die Schiffs-Flak die Gefahr erfasst – die Geschütze feuern aus allen Rohren. Die Torpedobomber fliegen unbeirrt vom heftigen Abwehrfeuer hintereinander so lange neben den Konvoi, bis die Schiffe seitlich zum Verband positioniert sind. Dann drehen die Kampfflugzeuge alle gleichzeitig ein und rasen nun nebeneinander im rechten Winkel zum Kurs des Konvois auf die Schiffe zu.

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Heinkel He 111 beim Torpedowurf.

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13. September 1942.

Schwere, zur Bekämpfung von Seezielen gedachte Schiffsgeschütze helfen bei der Abwehr des deutschen Angriffes mit und schießen ihre Sprenggranaten als Sperrfeuer vor die im Tiefflug dahinjagenden zweimotorigen Maschinen ins Meer. Meterhohe Wassersäulen stellen sich den Bombern in den Weg – vorbei, hindurch. Dann – die „Aale“ los! Die ersten Schiffe sind getroffen. Ein mit Munition beladener Frachter explodiert in einer grellen, mehrere hundert Meter hohen Explosionssäule. Acht Frachter fallen den Torpedos insgesamt innerhalb weniger Minuten zum Opfer. Sechs deutsche Maschinen werden beschädigt, doch alle kehren heil zu den Flugplätzen Banak und Bardufoss in Nordnorwegen zurück. Die sechs getroffenen Heinkel fallen aber vorerst aus. Ein britischer Marineoffizier kommentiert später den Einsatz. Es könne keinen Zweifel geben, so stellt er fest, dass der deutsche Angriff mit „großartiger Tapferkeit und Präzision“ ausgeführt worden sei im Angesicht eines extrem heftigen Abwehrfeuers des gesamten Konvois und seiner Eskorte.

Am nächsten Tag sind die Briten besser auf der Hut. Als die Deutschen mit 22 Torpedobombern zum Zielanflug ansetzen, sind die Jäger des Flugzeugträgers dieses Mal im Bilde und drehen zum Abfangangriff ein. Die deutschen Bomber konzentrieren sich auf den Flugzeugträger, setzen zunächst aber aus der Entfernung heraus ihren Angriff irrtümlich auf das falsche Schiff an – das scheinbar größte im Verband. Doch dieses stellt sich aus der Nähe betrachtet als ein besonders großer Frachter heraus. Als der deutsche Gruppenkommandeur Major Klümper die Verwechslung erkennt und den tatsächlichen Standort des Flugzeugträgers ausmacht, ist der wohlgeplante Zangenangriff bereits im Gange und nicht so einfach auf ein anderes Ziel zu lenken. Daher können nur noch zwei Maschinen auf den Flugzeugträger umdirigiert werden, eine davon ist die He 111 von Klümper selbst. Bereits im Zielanflug wird Klümpers Heinkel von zwei britischen Jägern angegriffen. Die deutschen Bordschützen des Bombers wehren sich verbissen, treffen einen der Jäger. Klümper fliegt wilde Ausweichbewegungen, passiert einen britischen Zerstörer, der aus allen Rohren auf ihn feuert. Dennoch kann er aus 1.500 Metern Abstand seine Torpedos auf den Flugzeugträger abschießen – wenn auch im nicht gerade optimalen Winkel von 45° zum Kurs des Kriegsschiffes. Der Träger kann dann auch prompt den Torpedos ausweichen und entkommt auch den „Aalen“ der zweiten He 111.

Dafür werden drei Frachter getroffen, von denen zwei rasch sinken. Eine deutsche Heinkel wird von drei angreifenden britischen Jägern abgeschossen, drei weitere deutsche Bomber werden von den Flugabwehrgeschützen so zugerichtet, dass sie notwassern müssen. Eine dieser drei Besatzungen wird von einem deutschen Seenotrettungsflugzeug geborgen, die anderen beiden werden von deutschen U-Booten aufgenommen. Allerdings wird eines dieser U-Boote später versenkt, die deutschen Flieger finden dabei zusammen mit den Matrosen des Bootes doch noch den Tod.

Weitere Angriffe auf die alliierten Schiffe folgen. Am 16. September 1942 sind die deutschen U-Boot-Rudel am Geleitzug, später starten erneut die He 111-Torpedoflugzeuge des KG 26 und die Ju 88-Sturzkampfbomber des KG 30. Sie greifen fast gemeinsam an – die Sturzkampfbomber etwas früher aus der Höhe, dann die Torpedoflugzeuge im Tiefflug. Das Flugabwehrfeuer der Schiffsartillerie wird auf diese Weise effektiv zersplittert. Eine Heinkel He 111, welche direkt in das wütende Abwehrfeuer eines russischen Zerstörers fliegt, explodiert getroffen beim Aufprall auf die eiskalte See. Wieder brennen drei Schiffe. Ihr Sinken wird nicht beobachtet – es genügt aber, wenn sie zurückbleiben. Unter der Wasseroberfläche des unbarmherzigen Nordmeeres warten bereits die U-Boote auf Beute.

Der Konvoi verliert 13 seiner 40 Schiffe, drei letztlich durch U-Boote, zehn unmittelbar durch Luftangriffe. 104.000 BRT Schiffsraum und viele Tonnen an kriegswichtigem Material liegen auf dem Meeresgrund. Doch 27 Schiffe schaffen es nach Archangelsk, dem zweiten Hafen im Nordmeer, der im Gegensatz zu Murmansk jedoch nicht so oft eisfrei ist – mit der Ausrüstung einer ganzen Armee an Bord. Eine enorm wichtige Hilfe für Stalins Kriegsindustrie. Drei deutsche Flugzeug-Besatzungen kommen bei den Angriffen ums Leben, sieben Maschinen werden zerstört, alle anderen haben Beschuss-Schäden. Eine andere Quelle nennt insgesamt 20 deutsche Flugzeugverluste. Auch drei deutsche U-Boote sinken.

Obwohl im Jahr 1943 alleine die Luftwaffe 92 Frachter, einen schweren Kreuzer, fünf U-Boote, 30 Küstenschiffe und elf Geleitfahrzeuge versenkt, kann dies die Flut an westlichen Jagdflugzeugen, Bombern, allradgetriebenen Lastwagen und „Sherman“-Panzern, die der Roten Armee von den USA und Großbritannien zur Verfügung gestellt werden, nicht eindämmen. Zusammen mit der ungeheuren Eigenproduktion der Sowjetunion in den außerhalb der Reichweite deutscher Bomber pausenlos auf Hochtouren produzierenden sowjetischen Fabriken hinter dem Ural sind diese Mengen an Kriegsmaterial die Basis für die gigantische Zahlenüberlegenheit der sowjetischen Kriegsmaschinerie in der zweiten Hälfte des Krieges gegen die Invasoren aus Deutschland und ihre Verbündeten.

Zumal es sicherere Nachschubwege für die alliierte Unterstützung der Sowjetunion gibt als den Seeweg über das Nordmeer – vor allem von den USA aus. Am mühsamsten und zeitraubendsten ist die Alaska-Sibirien-Route. Direkter ins Kampfgebiet kommen die Hilfslieferungen der westlichen Alliierten über den Persischen Golf und den Iran. Persiens Reza Schah sympathisiert offen mit Deutschland und beherbergt viele deutsche Fachkräfte im Land. Diese Tatsache liefert Großbritannien und der Sowjetunion den Vorwand, im August 1941 in den Iran einzumarschieren und Persien von zwei Seiten aus zu erobern. Diesem Zangenangriff zweier hochgerüsteter Mächte aus dem Norden und dem Süden gleichzeitig hat der Schah militärisch wenig entgegenzusetzen. Und der Vorwand – wen kümmert es? Die Weltpresse hat andere Themen! In Wahrheit bedürfen Russen wie Engländer der geostrategischen Lage des Landes, um ihre Versorgungslinien zu sichern. Vor allem Versorgungslinien für die Rote Armee, Straßen und Pisten, die allerdings nur einen Bruchteil der Mengen auf dem Landwege transportieren können, welche die Schiffe der Geleitzüge in Murmansk und Archangelsk wie eine Flut aus ihren Rümpfen ergießen. Im Jahr 1942 werden nach einer geheimen Ausarbeitung des Luftwaffen-Führungsstabes Ic vom 4. April 1943 über das Nordmeer stolze 1,2 Millionen Tonnen an Panzern, Lastwagen, Flugzeugen, Jeeps, Industrierohstoffen und Kriegsmaterial aller Art an die Sowjetunion ausgeliefert, während in demselben Zeitraum über den persischen Golf und im fernen Osten nur 0,5 Millionen Tonnen an Stalins Truppen weitergegeben worden seien. Alleine über Archangelsk und Murmansk habe die Rote Armee 2.350 Panzer, 8.300 Lastkraftwagen, 6.400 andere Fahrzeuge und 2.250 Geschütze erhalten – nur im Verlauf des Jahres 1942 alleine ...

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Konvoi PQ 17, 5. Juli 1942, 6.000-BRT-Frachter, versenkt von der Ju 88 des Leutnant Erkens, II./KG 30.

„Zapasnii Aviatsionii Polk“ (ZAP) heißt „Reserve-Flug-Regiment“. Diese Einheiten werden gebildet, um fast völlig aufgeriebene Fronteinheiten mit Flugzeugen neu auszurüsten und die Überlebenden zusammen mit Nachwuchspiloten zu neuen Kampfeinheiten auszubilden. Sie werden zunehmend auch mit der Aufgabe betraut, die Piloten im Umgang mit westlichen Flugzeugtypen zu schulen.

Die Briten stellen zur Montage ihrer Jäger und zur Flugschulung der russischen Piloten eigene Fachleute und eigene Piloten zur Verfügung – vor allem im Gebiet um Murmansk an der finnischen Front (RAF 151 Wing). Im Falle der über den Iran direkt an die sowjetische Kaukasus-Front in Einzelteilen gelieferten amerikanischen P-40 „Kittyhawk“- und P-39 „Airacobra“-Jäger genießen die sowjetischen ZAPs diesen Service nicht. Der erste Schritt im Umgang mit den neuen Flugzeugen ist deren Zusammenbau – auf der Basis dürftiger englischsprachiger Bedienungsanleitungen. Sie hätten genauso gut chinesische Schriftzeichen enthalten können. Keiner der sowjetischen Mechaniker hat je etwas von „try and error“ gehört („Probiers auf gut Glück“). Dennoch beherrschen sie diese Devise. Verluste im Falle „error“ (Irrtum) einkalkuliert!

Am 15. Mai 1942 erfolgen die ersten Einsätze mit dem Bell-Jäger an der Nordfront bei Murmansk durch das 19. Gardejäger-Regiment (GvIAP), ausgerüstet mit zehn P-40 E und 16 britischen Airacobra Is. Zwei deutsche Jäger fallen den sowjetischen Geschossen zum Opfer. Der Auftakt ist ein Erfolg.

Die ersten US-Versionen der P-39 „Airacobra“ erreichen die sowjetischen Streitkräfte über den Iran. Die erste sowjetische Einheit, die diesen Typ erhält (P-39 D-2). ist das 298. IAP (Istrebitelnyi Aviatsionnii Polk – Jagdflieger-Regiment) im Januar 1943, kurz darauf gefolgt vom 45. IAPund 16. GvIAP. Diese Regimenter gehören zur 216. Luft-Division (IAD) im Kaukasus, aus welcher die 9. Garde-Luftdivision (GvIAD) hervorgeht. Am Ende des Krieges sollte diese Einheit zur erfolgreichsten sowjetischen Jägerdivision avanciert sein. Ihren Piloten werden 1.147 Luftsiege zugeschrieben, 31 von ihnen werden als „Helden der Sowjetunion“ ausgezeichnet (drei davon sogar doppelt und einer dreifach). Die meisten erringen ihre Erfolge auf der „Kobra“, wie die „Airacobra“ von den sowjetischen Fliegern genannt wird. Das Elite-Regiment 16. GvIAP sollte zur russischen Legende werden, aus deren Reihen einige der bekanntesten russischen Jagdflieger-Asse hervorgehen, wie Aleksandr Pokryshkin (59 individuelle Abschüsse, sechs anteilige Abschüsse) Grigorii Rechkalov (56 individuelle Abschüsse, sechs anteilige Luftsiege), Alexandr Klubov (31/19), Arkadii Fedorov (24/18) und andere! Die meiste Zeit ihres Kampfes finden sie auf der anderen Seite ebenso bedeutende Gegner, denn sie haben es fast immer auch mit dem deutschen Jagdgeschwader 52 zu tun. Deren bekannteste Vertreter sind die erfolgreichsten Jagdflugzeugpiloten aller Nationen und Zeiten und die einzigen, denen über 300 Abschüsse gelingen: Erich Hartmann (352) und Gerhard Barkhorn (301). Es stehen somit russischen Assen deutsche Asse gegenüber – ununterbrochen vom Jahr 1943 bis zur Kapitulation der letzten deutschen Truppen im Jahr 1945.

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Konvoi PQ 17, 6. Juli 1942, 5.411-BRT-Frachter „Pan Atlantic“, versenkt von der Ju 88 des Oblt. Siefert, III./KG 30.

Doch davon kann Anfang Januar 1943 noch nicht die Rede sein. Einzig Gerhard Barkhorn darf mit Fug und Recht mit über 100 Luftsiegen auch nach den hohen Maßstäben der Deutschen als Jagdflieger-Ass bezeichnet werden, während Erich Hartmann gerade mal den ersten seiner Gegner zu Boden geschickt hat. Pokryshkin hat zwölf Abschüsse verbucht und ist nach alliierten Kriterien ebenfalls bereits ein Ass. Rechkalov hat vier alleinige und zwei anteilige Luftsiege errungen, Klubov hat zu diesem Zeitpunkt neben sechs am Boden zerstörten Feindflugzeugen vier Erfolge in der Luft verzeichnet.

Die Zeit der sowjetischen Piloten im Cockpit ihrer „Kobras“ sollte noch kommen.

Durch die Einschließung der 6. deutschen Armee in Stalingrad am Morgen des 23. November 1942 ist die gesamte Heeresgruppe A im Kaukasusgebiet aufs Höchste bedroht. Noch binden die verzweifelt um ihr Überleben kämpfenden Männer der 6. Armee starke russische Verbände. Fällt Stalingrad, so werden diese Truppen frei und können fast ungehindert bis Rostow am Asowschen Meer durchstoßen. Denn zwischen Stalingrad und Rostow steht wenig, was sich ihnen in den Weg stellen könnte. Dann wäre die gesamte Heeresgruppe A – bestehend im Wesentlichen aus der 1. Panzerarmee und der 17. Armee – eingeschlossen – eine weit größere Streitmacht als die der 6. Armee in Stalingrad. Und genau das hat Stalin auch vor. Die Deutschen in Stalingrad müssen vernichtet werden! Bald!

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Sowjetische „Katjusha“-Raketengeschosse, von den Deutschen so genante „Stalinorgeln“. Die Salven sind vernichtend und entsprechend gefürchtet. Oft sind die Abschussrampen auch auf Lastwagen montiert. Damit sind die Einheiten sehr mobil einsetzbar.

Hitler zögert lange, der Rückführung der Heeresgruppe A zuzustimmen, ist man doch den ersehnten Ölquellen am Kaspischen Meer schon so nahe gekommen. Doch als der Fall Stalingrads unausweichlich wird, hat die deutsche Wehrmacht keine Wahl mehr – wenn man noch einen Hauch an Vernunft behalten will. Erst Anfang 1943 erhalten die fast bis Grosny in Tschetschenien vorgestoßenen deutschen Truppen den Befehl zum Rückzug. Die vom mühsam erfochtenen 800 Kilometer tiefen Vorstoß erschöpften Verbände ziehen sich nun wieder kämpfend auf eine Rückzugslinie nach der anderen zurück. Die 1. Panzerarmee nimmt den Weg in Richtung Rostow – den Flaschenhals, den die verbliebenen Einheiten der Heeresgruppe Süd (Don) von Mansteins mit letzter Kraft für den Rückzug der 1. Panzerarmee offen halten. Die 17. Armee marschiert zurück in Richtung auf die Krim ins Gebiet des Flusses Kuban. Die deutschen Truppen werden pausenlos angegriffen. Die nachrückende Rote Armee ist nicht gewillt, die verhassten Feinde so einfach entkommen zu lassen. Doch den sowjetischen Truppen gelingt es trotz großer Anstrengungen nicht, den geordneten deutschen Rückzug zu einer Flucht werden zu lassen. Die Vernichtung der Heeresgruppe A bleibt aus. Und Stalin tobt.

Hitler wiederum will seine Pläne einer Eroberung der kaukasischen Ölquellen partout nicht aufgeben. Dies ist der Grund, warum die 17. Armee nicht ebenfalls nach Rostow dirigiert wird, um zusammen mit der 1. Panzerarmee den hart bedrängten deutschen Truppen in der Ukraine zu Hilfe zu kommen. Dort ist – wie zu erwarten war – nach dem Fall Stalingrads eine gefährliche Großoffensive der sowjetischen Stoßarmeen in Richtung auf den Fluss Dnjepr im Gange. Die Deutschen haben größte Mühe, diesem mit Elan geführten Vorstoß Herr zu werden.

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Doch die 17. Armee, die Generalfeldmarschall von Manstein dringend zur Verteidigung der Ukraine benötigt hätte, bildet auf Hitlers ausdrücklichen Befehl einen Brückenkopf im Vorland des Kaukasus und igelt sich dort ein – östlich der Wasserstraße von Kertsch, welche die Taman-Halbinsel und das Kuban-Gebiet von der Halbinsel Krim trennt. Die Panzer und Infanteristen der Roten Armee rennen erbittert gegen die deutschen Verteidigungsstellungen an. Noch, im Februar 1943, bewegt sich die Front, sie wird Ende April zwischen Novorossijsk, Krymsk und Temrjuk am nördlichen Rand der Taman-Halbinsel zum Stehen kommen. Darüber geben die Luftstreitkräfte beider Seiten ihr Äußerstes, um die Bodentruppen zu unterstützen. Der so genannte Kuban-Brückenkopf sollte Schauplatz der erbittertsten Luftkämpfe zwischen der deutschen Luftwaffe und den allmählich erstarkenden Verbänden der VVS, Voenno-Vozdushnye Sily (sowjetische Luftwaffe) werden.

In der Nacht zum 3. Februar 1943 lässt das Feuer von Schiffs-Artillerie die Stadt Novorossijsk erbeben. Das Feuer wird ergänzt durch landgestützte Geschütze. Dann tauchen schemenhaft Sturmboote und Schnellboote aus der Dunkelheit auf. Am nächsten Morgen haben sich die sowjetischen Soldaten südwestlich der Stadt einige kleinere und einen größeren Brückenkopf gesichert, die Stadt Novorossijsk selbst können sie den Deutschen nicht entreißen. Die deutsche Luftwaffe und Heeresverbände schlagen sofort zurück. Die kleineren Brückenköpfe werden eingedrückt, die Sowjetsoldaten werden im Bombenhagel zurück ins Schwarze Meer getrieben. Oder in den Tod. Doch an dem großen Brückenkopf beißt sich die deutsche Wehrmacht die Zähne aus. Alle entschlossenen deutschen Gegenangriffe werden von den sowjetischen Truppen rund um den Myschako-Berg zurückgeschlagen, trotz unermüdlicher Unterstützung der Ju 87-Sturzkampfbomber der I./StG 3.

Deutsche Heinkel He 111- und Junkers Ju 88-Bomberverbände der Luftflotte 4 (VIII. Fliegerkorps) bombardieren unablässig die sowjetischen Versorgungsschiffe, Nachschublinien, Bahnverbindungen und Aufmarschräume, während sich die Junkers Ju 87-Stuka-Verbände der StG 2, 3 und 77die Panzerspitzen vornehmen. Sowjetische Petlyakov Pe-2-Bomber und Iljuschin Il-2 „Stormovik“-Tiefangriffs-Schlachtflugzeuge ihrerseits versuchen, deutsche Artilleriestellungen auszuschalten, Verteidigungslinien sturmreif zu bomben und den Nachschubverkehr über die Wasserstraße von Kertsch zu unterbinden. Besonders der von den Flugabwehrgeschützen der 9. Flak-Division stark verteidigte deutsche Nachschub-Hafen von Taman ist das Ziel ganzer Schwärme der sowjetischen „Stormovik“-Schlachtflugzeuge. Und darüber kämpfen die Jägerverbände beider Seiten mit einer bisher noch nicht da gewesenen Intensität um die Luftherrschaft. Die sowjetische Piloten sind euphorisch in ihrem Siegeswillen, beflügelt durch die vernichtende Niederlage einer ganzen deutschen Armee in Stalingrad. Doch auch der unbedingte Siegeswillen der deutschen Piloten ist in keiner Weise gebrochen. Jetzt erst recht! Der Ingrimm der Kämpfe auf Leben und Tod nimmt zu.

Die sowjetischen Piloten benutzen nun neuerdings auch die P-39 „Kobras“ amerikanischer Bauart. Das 298. IAP (später 104. GvIAP) macht sich inzwischen mit der „Kobra“ vertraut, ebenso das 45. IAP (später 100. GvIAP). Eine Staffel dieser Einheit fliegt Curtiss P-40 „Kittyhawk“-Jäger, die beiden anderen sind mit P-39 „Airacobras“ ausgerüstet. Obwohl es nach dem 298. IAP mit P-39 ausgerüstet wird, kommt das 45. IAP früher zum Einsatz. So dürfte die erste abgeschossene sowjetische „Kobra“ die P-39 D-1 mit der Produktionsnummer 41-38433 sein. Es ist eine Maschine des 45. IAP, die am 10. März 1943 über Krasnodar verloren geht. Die erste abgeschossene Kobra des 298. IAP ist die P-39 D-1 mit der Produktionsnummer 41-38444. Ihr Pilot Starshii Serzhant Belyakov findet in der brennenden Maschine am 19. März 1943 den Tod.

Die berühmtesten Piloten des 45. IAP sind die Brüder Boris Glinka (bei Kriegsende 30 Abschüsse und ein anteiliger Erfolg) und Dimitrii Glinka (50 Luftsiege, die ihm alle alleine zugeschrieben werden).

Dimitrii ist der jüngere der beiden Brüder. Er hatte mit seiner Yak-1 bereits sechs Abschüsse im Frühjahr 1942 erzielt, war dann aber selber abgeschossen und schwer verwundet worden. Mitte April 1943 hat der inzwischen wieder genesene Dimitrii 146 Einsätze hinter sich und immerhin 15 Abschüsse erreicht. Am 14. April 1943 erzielen sowjetische Truppen bei Krymsk einen Durchbruch durch die deutschen Stellungen. Sofort wirft sich die deutsche Luftwaffe den eingedrungenen Truppen entgegen. Panzerjagdflugzeuge vernichten einen Teil der russischen Panzer aus der Luft, Jagdflugzeuge und Jagdbomber schießen an diesem Tage 56 sowjetische Flugzeuge ab. Am Folgetag holt Dimitrii Glinka mit seiner „Kobra“ zwei deutsche Ju 88-Bomber herunter – nur, um im Gegenzug zusammen mit dreien seiner Staffelkameraden selber abgeschossen zu werden. Er kommt verwundet aus seinem brennenden Bell-Jäger heraus, es gelingt ihm der Absprung mit dem Fallschirm. Dies ist nicht so einfach, denn der Ausstieg in der Luft ist ein weiterer Schwachpunkt des amerikanischen Bell-Jägers. Die „Airacobras“ haben keine Cockpithaube, die sich nach hinten aufschieben lässt – wie die meisten modernen Jagdflugzeuge. Sondern sie besitzen eine regelrechte Tür mit Scharnieren auf beiden Cockpitseiten. Die ist zwar bequem zum Einsteigen am Boden – aber eine tödliche Falle, wenn man verwundet und dadurch wenig beweglich in einem abstürzenden Jäger dieser Bauart sitzt. Wenn Sekunden zählen, um aus dem brennenden Flugzeug herauszukommen. Falls dies gelingt und der Pilot durch die Tür aus dem Cockpit aussteigt, so fällt der Jagdflieger nicht nach unten aus der Maschine wie bei anderen Jagdflugzeugen möglich – wenn das Flugzeug auf dem Rücken fliegt –, oder er lässt sich vom Sog nach oben aus dem abtauchenden Jäger ziehen, sondern er steigt zwangsläufig seitlich aus. Sofort reißt ihn der Luftstrom nach hinten – wenn er Glück hat, knapp am Höhen- oder Seitenleitwerk am Flugzeugheck vorbei. Dimitrii hat dieses Glück. Sein Bruder Boris exakt eineinviertel Jahre später nicht! Eine Tragfläche ist hart!

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Petlyakov Pe-2-Sturzkampfbomber. Ein gefährliches Kampfflugzeug.

Mit dem Arm im Gips kehrt Dimitrii eine Woche später zu seiner Einheit zurück. Sofort fliegt er wieder – und muss erleben, wie zwei seiner Kameraden (Starshii Leitenant Petrov und Starshii Serzhant Bezbabnov) nur Stunden nach seiner Wiederkehr vom Himmel geschossen werden. Einer der beiden fällt den Geschossen eines Deutschen zum Opfer, der noch recht unbekannt ist. Das sollte sich ändern. Es ist der siebte Abschuss in Erich Hartmanns fliegerischer Karriere.

Der andere der zwei Brüder, Boris Glinka, war seit Kriegsbeginn wirklich viele Einsätze geflogen – doch ausnahmslos erfolglos. Bis er schließlich jetzt den Steuerknüppel einer P-39 „Kobra“ in die Hände bekommt. Im März 1943 und April 1943 gelingen ihm in zwei Monaten zehn Abschüsse mit dieser Maschine. Im Sommer 1944 sollte er später sogar die Führung des bekanntesten „Kobra“-Regimentes übernehmen – des 16. GvIAP.

Das 16. GvIAP wird ab Januar 1943 von MiG-3 und Yak-1 auf die P-39 umgerüstet. Die drei Staffeln der Einheit erhalten 14 P-39 L-1, sieben P-39 K-1 und elf P-39 D-2. Am 9. April 1943 greifen die Jäger des Regimentes erstmals in die Kämpfe ein. Mit dabei sind die Erzrivalen Pokryshkin und Rechkalov. Beiden gelingt der Abschuss je einer Messerschmitt Bf 109 gleich beim ersten Einsatz mit der neuen „Kobra“. Es sollten nicht die letzten sein. Die Erfolge häufen sich – für beide. Drei Tage später sind erneut beide Männer Sieger im Luftduell, Pokryshkin sogar doppelt. Pokryshkin wird am 24. April 1943 mit dem Orden „Held der Sowjetunion“ ausgezeichnet und erhält gleichzeitig ein brandneues Modell der P-39 – eine P-39 N, gegen die er seine ältere D-2 mit der weißen Nummer 13 gerne eintauscht. Diese P-39 N mit der weißen Nummer 100 ist das inzwischen berühmte Flugzeug, welches Pokryshkin bis zum Kriegsende fliegt.

Doch auch die andere Seite schläft nicht. Oberleutnant Gerhard Barkhorn, Staffelkapitän der 4./JG 52 (II. Gruppe) war am 11. Januar 1943 das Eichenlaub zum Ritterkreuz verliehen worden. Am 31. Mai 1943 erscheint erstmals in der Abschussliste des inzwischen zum Hauptmann beförderten Barkhorn der Typ P-39 ...

Seit der zweiten Woche im März 1943 ist die II. Gruppe des JG 52 in Anapa auf der Taman-Halbinsel im Kuban-Brückenkopf stationiert. Vorher mussten die Einsätze von Kertsch auf der Krim aus geflogen werden, da die Landeplätze auf der Taman-Halbinsel durch den Frühjahres-Schlamm unbenutzbar waren. Der Flugplatz Kertsch IV wird von der III. Gruppe des JG 52 übernommen, bevor auch diese am 1. April 1943 direkt nach Taman östlich der Wasserstraße wechselt. Am 16. Mai 1943 erscheint schließlich auch die I. Gruppe des JG 52 in Anapa. Für sechs Wochen ist das Geschwader komplett. Auch die Jagdflieger des JG 3 unter Oberst „Fürst“ Wilcke kämpfen ab März 1943 Seite an Seite mit den Staffeln des JG 52.

Die Luftkämpfe sind an Grimmigkeit kaum zu überbieten. Die deutschen Jäger schießen alleine am 20. April 1943 nur über Novorossijsk 56 Feindflugzeuge ab. An diesem Tage versuchen deutsche Truppen erneut, den Brückenkopf südwestlich von Novorossijsk einzudrücken. Doch eine halbe Stunde vor Angriffsbeginn erscheinen plötzlich etwa 60 sowjetische Bomber über den deutschen Aufmarschräumen, begleitet von etwa 30 Jägern. Sie stören den Angriff nachhaltig bereits im Ansatz und richten schwere Schäden an. Nach einer kurzen Pause erscheint eine zweite Welle von über 100 Maschinen über den Köpfen der deutschen Soldaten und fügt den deutschen Truppen weitere Verluste zu. Am 21. April 1943 versucht sich der sowjetische General Nowikow von einem vorgeschobenen Gefechtsstand aus ein Bild über die Luftkämpfe zu machen. Direkt über seinem Kopf wird der Il-2-Pilot N.V. Rhyklin von deutschen Jägern angegriffen. Dem Heckschützen der „Stormovik“, Jefremenko, gelingt es, zwei der deutschen Jagdmaschinen abzuschießen. Doch dann wird das Il-2-Schlachtflugzeug selbst schwer getroffen, der Pilot Rhyklin wird verwundet. Er schafft es mit Mühe, aber immerhin dennoch, seine rauchende Iljuschin zurück zum eigenen Flugplatz zu steuern. Und wird später zusammen mit seinem Heckschützen mit dem goldenen Stern zum „Helden der Sowjetunion“ dekoriert.

Deutsche Jäger fügen der roten Luftwaffe schwere Schläge zu. Doch auch die eigenen Verluste sind beträchtlich. Vor allem – es sind neuerdings nicht nur Neulinge, die den inzwischen überraschend kampfstarken russischen Piloten zum Opfer fallen. Die Russen mausern sich zum ernsthaften Gegner!

Erfahrene, umsichtige deutsche Jagdpiloten hatten noch vor Monaten gute Überlebenschancen gehabt – durchaus selbst gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Feindverband. Doch nun war bereits am 8. April 1943 Leutnant Helmut Haberda, Staffelkapitän der 5./JG 52, im Luftkampf gefallen. Hauptmann Ernst Ehrenberg, Staffelkapitän der 9./JG 52, Hartmanns „Karaya“-Staffel, folgt ihm zwei Tage später in den Tod. Am 11. April 1943 war Oberfeldwebel Willi Nemitz, Staffelführer der 6. Staffel, von sowjetischen Jägern bezwungen worden. Ein erfahrener Mann, der noch einen Monat zuvor für 54 Abschüsse das Ritterkreuz erhalten hatte. Bis zu seinem Tod waren es 27 mehr geworden.

Auch die Zukunft verheißt nichts Gutes. Der Gruppenkommandeur der I. Gruppe/JG 52, Major Helmut Bennemann, wird schwer verwundet werden und ausfallen. Und der Nachfolger des post hum zum Leutnant beförderten Willi Nemitz als Staffelkapitän der 6. Staffel, Oberleutnant Karl Ritzenberger, wird am 24. Mai 1943 über Novorossijsk vom Piloten einer Yak-1 bezwungen.

Die Besorgnis in den deutschen Stäben wächst. Von April bis Juni 1943 verliert das Jagdgeschwader 52 insgesamt 23 gefallene und 14 verwundete Piloten. Das steht zwar in keinem Verhältnis zu den im Vergleich hierzu geradezu gigantischen sowjetischen Verlusten, doch es ist alarmierend mehr als früher in einem vergleichbaren Zeitraum.

Die Kämpfe eskalieren. Am 24. April 1943 wird der deutsche Gegenangriff auf den Myschako-Berg und den sowjetischen Brückenkopf südwestlich von Novorossijsk eingestellt. Der Berg ist nicht zu nehmen! Ab 29. April 1943 ergibt sich ein neuer Brennpunkt. Die russische 56. Armee greift bei Krymsk (Krymskaja) an! Alleine in der Nacht zuvor wirft die sowjetische Bomberflotte 210 Tonnen Bomben über den deutschen Verteidigungsstellungen ab, um den Angriff zu unterstützen. Selbst die völlig veralteten Polikarpov Po-2-Doppeldecker kommen – ausschließlich nachts – zum Einsatz. Sie werden geflogen von den „Nachthexen“ des weiblichen Mayors Ye. D. Bershanskaja, deren Pilotinnen mit hoher Treffgenauigkeit agieren. Sie lassen die Deutschen auch nachts nicht zur Ruhe kommen, jedes Licht ist gefährlich!

Der nächste Morgen sieht weitere 144 Sowjetbomber, 82 „Stormoviks“ und 265 Jäger der roten Luftwaffe über dem Schlachtfeld. Sie sind nicht lange alleine. Der Himmel über Krymsk ist in kurzer Zeit voll von Flugzeugen. Berichten zufolge zerschellt im Durchschnitt alle zehn Minuten eines davon. Das sollte bis zum 12. Mai 1943 so bleiben. Jeden Tag gibt es bis zu 40 Luftkämpfe, in welche jeweils etwa 100 Maschinen beider Seiten verwickelt sind. Keine Seite bleibt der anderen etwas schuldig in diesen Gefechten! Den Bodentruppen der Roten Armee gelingt am 4. Mai 1943 die Eroberung von Krymsk. Weiter kommen sie nicht. Am 26. Mai 1943 erfolgt ein erneuter Vorstoß. Die russischen Panzer brechen durch, werden dann jedoch im Hinterland gestellt und vernichtet.

Etwa 100 sowjetische T-34 werden zerstört.

Das sowjetische 57. Gardejäger-Regiment (GvIAP) ist mit britischen Spitfire Mk. Vb-Jagdflugzeugen ausgerüstet (auf deutscher Seite traut man zunächst den Augen kaum und den ersten Luftkampfberichten gar nicht, sondern geht von einem Irrtum aus). Auch sie haben Funkgeräte. Doch viele der sowjetischen Kameraden in ihren Yaks und LaGGs haben keine! So bleiben die verzweifelten Hilferufe der russischen Spifire-Piloten ungehört, die ihre angreifenden Kameraden davon zu überzeugen versuchen, dass ihre Spitfire keine Messerschmitt-Jäger sind. Denn die Silhouette des britischen Jagdflugzeuges ähnelt der einer deutschen Me 109 doch sehr. Zu sehr für die Hektik eines Luftkampfes, in welchem Sekunden zählen für den, der zuerst trifft. So werden die Spitfire wieder aus dem Einsatz zurückgezogen. Die versehentlichen Verluste durch eigene Jäger sind ganz entschieden zu hoch!

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Polikarpov Po-2.

Hauptmann Barkhorn holt am 30. April 1943 und am 28. Mai 1943 je eine Spitfire vom Himmel über dem Kuban-Kampfgebiet. Es sind seine Abschüsse Nr. 125 und 128. Am 7. Juni 1943 ebben die schweren Luftkämpfe über der Taman-Halbinsel allmählich ab. Die Deutschen bereiten eine Offensive im Raum von Kursk vor – Operation „Zitadelle“. Das ist der sowjetischen Führung bekannt. So werden alle entbehrlichen Kräfte nach Norden verlegt – auf beiden Seiten. In den ersten Juli-Tagen fliegen Stab, I. Gruppe und III. Gruppe des Jagdgeschwaders 52 in den Raum Charkov. Die II. Gruppe des Geschwaders verbleibt zunächst im Kuban-Brückenkopf. Die 17. deutsche Armee zieht sich erst im Oktober 1943 (15.9. – 9.10.) aus ihren Stellungen auf der Taman-Halbinsel auf die Krim zurück. Schätzungen zufolge hat die sowjetische Luftwaffe während der Luftschlachten über dem Kuban-Gebiet etwa 2.280 Flugzeuge eingebüßt. Sowjetische Quellen behaupten im Gegenzug etwa 1.100 deutsche Verluste. Den Stärkemeldungen der deutschen Einheiten ist jedoch zu entnehmen, dass das nicht annähernd stimmen kann. Die deutschen Verluste – schmerzhaft genug – liegen weit niedriger.

Es ist Herbst 1943. Die Schlacht um Kursk ist geschlagen, die größte Panzerschlacht der Kriegsgeschichte bei dem kleinen Ort Prochorovka hatte mit einem Patt geendet – und einem Blutbad. Doch letztlich war den deutschen Verbänden der Durchbruch nicht gelungen. Mehr und mehr werden Bodentruppen abgezogen, um dem alliierten Vordringen in Italien etwas entgegensetzen zu können. Immer stärker hängt die Verteidigung Italiens alleine von der Standfestigkeit der deutschen Verbände ab. Dies führt letztlich zum Abbruch der letzten großen deutschen Offensive im Osten.

Auch die Jägereinheiten müssen immer mehr Staffeln zur Verteidigung des Reichsgebietes gegen die viermotorigen Bomber der Amerikaner abgeben. Und dies, obwohl sie gegen die täglich stärker werdenden russischen Verbände nicht eine einzige Maschine entbehren können – die Einheiten der deutschen Luftwaffe sind nun hoffnungslos in der Minderzahl.

Hauptmann Gerhard Barkhorn ist seit 1. September 1943 Gruppenkommandeur der II. Gruppe des JG 52. Vorübergehend war seine Gruppe wie die anderen beiden Gruppen des JG 52 zuvor ebenfalls in die Ukraine verlegt worden. Sie wird als „Feuerwehr“ eingesetzt und verlegt von einem Krisenherd zum nächsten. Im September 1943 liegt die II./JG 52 auf dem Platz in Poltava. Ende Oktober 1943 (am 29.10.) verlegen die Stabsmaschinen zusammen mit der I. Gruppe des JG 52 wieder zu den altbekannten Wehrmachtseinheiten der 17. Armee. Am 2. November 1943 folgt Barkhorns II. Gruppe. Die 17. Armee hat sich nun auf der Krim verschanzt, verfolgt von den Truppen der Roten Armee, denen es gelingt, im Raum Kertsch auf der Krim einen Brückenkopf zu errichten. Auch über die salzhaltige Siwaschsee sickern sowjetische Truppen zunehmend auf die Krim ein. Doch die 17. Armee kann die Lage stabilisieren und igelt sich erneut ein. Am 1. November 1943 erreicht die Rote Armee die Landenge von Perekop und somit auch den nördlichen Landzugang zur Krim. Die 17. deutsche Armee auf der Halbinsel ist eingeschlossen, zusammen mit rumänischen Truppenteilen. Es werden nun gestaffelte Verteidigungsstellungen errichtet und in den Folgemonaten ausgebaut.

Hauptmann Barkhorn ist zu diesem Zeitpunkt auf dem Flugplatz von Bagerovo 13 Kilometer westlich von Kertsch stationiert. Und hat es wieder mit sowjetischen P-39 „Kobras“ zu tun. Zwischen dem 16. November 1943 und dem Jahreswechsel zum Jahr 1944 fallen ihm neben anderen Flugzeugtypen alleine elf dieser Maschinen zum Opfer.

Hauptmann Barkhorn ist beliebt bei seinen Männern. Erich Hartmann sagt später über seinen einstigen Kommandeur: „Gerd Barkhorn konnte sich wirklich freuen, wenn ein anderer erfolgreich war. Nur wenige Männer waren so. Als ich ihn überholen konnte, gratulierte er mir aus vollem Herzen. Er war ein Mann und Führer, für den seine Leute durchs Feuer gegangen wären.“

Einmal fliegt Hartmann mit Barkhorn zusammen, als dieser einen russischen Jäger angreift. Barkhorns Feuerstoß aus nächster Entfernung setzt die sowjetische Maschine in Brand. Barkhorn sieht, dass das russische Flugzeug mit Sicherheit in Kürze abstürzen wird. Immer noch versucht der russische Pilot verzweifelt, aus der Schusslinie zu kommen. Es sind keine Kameraden da, die ihm helfen könnten.

Barkhorn manövriert seine Me 109 neben den feindlichen Jäger und blickt in das angstvoll entsetzte Gesicht des sowjetischen Piloten. Dann gibt er ihm Handzeichen, auszusteigen. Der Russe versteht erstaunt, zögert dann aber nicht lange und nutzt seine Chance. Der Fallschirm kommt langsam außer Sicht. Als Hartmann zusammen mit Barkhorn wieder gelandet ist, fragt er seinen Kommodore, warum dieser das russische Flugzeug nicht einfach samt Pilot zusammengeschossen habe?

Barkhorns Antwort hat Hartmann nie vergessen können: „Bubi, Du musst daran denken, dass dieser russische Pilot vor einiger Zeit der kleine Sohn einer hübschen russischen Mutter gewesen ist. Er hat sein Recht auf Leben und Liebe genau wie wir!“

Wahrlich nicht alle denken so – auf allen Seiten. Es gibt genügend Berichte, dass amerikanische Piloten besiegte Gegner hilflos am Fallschirm hängend abgeschossen haben. Oder wehrlos am Boden! In Russland regiert oft genug der blinde Hass – hier wie dort! Auch auf britischer, kanadischer, australischer, neuseeländischer, südafrikanischer, französischer, polnischer, sowjetischer, italienischer, rumänischer, ungarischer, kroatischer oder deutscher Seite gibt es nicht nur Ritterlichkeit in der Luft!

Andererseits wird das spätere US-Ass Robert S. „Johnny“ Johnson von einem deutschen Focke-Wulf 190-Piloten verschont. Am 26. Juni 1943 wird seine P-47 „Thunderbolt“ img im Luftkampf über Nordfrankreich von den Geschossen eines deutschen Fw 190-Jägers schwer getroffen. Das Cockpit klemmt, der verwundete Johnny hat keine Chance, aus dem kaum noch manövrierfähigen Jagdflugzeug auszusteigen. Angeschossen fliegt der amerikanische Jäger in Richtung Kanalküste nach England. Dem ersten Angriff ist der Pilot mit knapper Not entkommen. Er ist nun allein. Keiner seiner Kameraden ist in Sichtweite. Da taucht zu Johnsons Entsetzen eine weitere einzelne Focke-Wulf 190 auf. Sie greift an und feuert. Johnson kann wenig dagegen tun, seine P-47 C-2 mit der Produktionsnummer 41-6235 ist kaum noch in der Luft zu halten. Ausweichbewegungen sind nicht mehr möglich. Die deutschen Geschosse treffen – doch die unverwüstliche amerikanische Maschine fliegt immer noch. Der deutsche Pilot fliegt heran, mustert den Amerikaner. Beide Flugzeuge überfliegen nun nebeneinander die Küste bei Dieppe. Es muss ein verwirrendes Bild für die deutschen Flak-Kanoniere an der Küste sein, die wohl nicht recht wissen, was sie von der merkwürdigen Szene da oben halten sollen. Jedenfalls feuern sie nicht.

Der deutsche Focke-Wulf-Pilot weiß offensichtlich auch nicht so recht, ob er Mitleid mit seinem dahinsiechenden Gegner haben soll oder nicht. Er umkreist die wehrlose Thunderbolt. Dann setzt er abermals zum Angriff an – und feuert. Ein Geschosshagel durchsiebt die Republic P-47. Doch sie fliegt weiter. Der Deutsche kommt erneut heran, schüttelt den Kopf. Johnson blickt zu ihm herüber. Möglicherweise erkennt der deutsche Pilot erst jetzt, dass sein amerikanischer Kollege nicht in der Lage ist, die Haube zu öffnen. Eine Todesfalle! Eine furchtbare Situation, der Alptraum jedes Jägerpiloten. Was geht dem jungen deutschen Jagdflieger wohl durch den Kopf? Er kann das Antlitz des Amerikaners – und nun chancenlosen Opfers – sehen. Der Feind ist nicht mehr anonym, der Gegner nicht das Flugzeug! Da ist ein Gesicht! Der Deutsche wackelt schließlich mit den Tragflächen und lässt Johnson ziehen. Der schafft es tatsächlich nach England zurück.

Wer weiß, ob der Focke-Wulf-Pilot nicht doch noch den Fangschuss abgegeben hätte, hätte er gewusst, dass der amerikanische Pilot, dessen Leben er da großmütig verschonte, noch 27 seiner Kameraden vom Himmel holen würde. Doch Johnson vergisst diesen 26. Juni 1943 fortan nie.

Wohl auch nicht der sowjetische Pilot, dessen Mutter den Lebensretter ihres Sohnes – Gerhard Barkhorn – sicher nie kennen gelernt hat.

Inzwischen ist das Jahr 1944 angebrochen. Die sowjetischen Streitkräfte dringen immer weiter in Richtung Rumänien vor. Mit welcher Ingrimm diese Kämpfe ausgefochten werden, zeigt ein Überfall sowjetischer Panzer mit aufgesessener Infanterie eines Nachts im Januar (9.1.1944). Die Nacht ist sternenklar, als ein aufgeregter Einsatzoffizier Major Hans-Ulrich Rudel weckt und dringend zum Einsatz bittet. Dessen Stuka-Einheit liegt in der Nähe eines Platzes mit dem Namen Malaja-Wiska 50 Kilometer nordwestlich von Kirowgrad und 100 Kilometer östlich von Uman. Es verwundert nicht, dass die Piloten der Jägerstaffeln dort den Platz scherzhaft „Malaya-Whisky“ nennen. Doch das Lachen ist ihnen vergangen, als urplötzlich sowjetische T-34-Panzer am Flugplatzrand auftauchen, aus allen Rohren feuernd. Dazwischen russische Infanterie, schemenhaft im Sternenlicht erkennbar. Die russischen Panzer verschwenden keine Granaten für die abgestellten Messerschmitt Bf 109-Jagdflugzeuge der I. und III. Gruppe des JG 52. Die I. Gruppe war nicht lange auf der Krim geblieben, doch ihr Feuerwehr-Vagabundendasein war sie inzwischen gewohnt. Panzer, die über ihre Messerschmitt-Jäger walzen, allerdings nicht. Die Piloten sind im Schlafanzug, doch die Kameraden der Platzflak sind schnell auf dem Posten. Wütend – wenn auch mit dem Rücken zur Wand – feuern sie ihre Schnellfeuersalven gegen die Angreifer und halten zumindest die Infanterie in Schach. Nun mischen sich auch einige Pak- (Panzerabwehr-) Geschütze ein. Die Bodenmannschaften des Jagdgeschwaders greifen zum Karabiner und Maschinengewehr. Die ersten Sowjet-Panzer gehen in Flammen auf. Die anderen werden nun vorsichtiger. Kaum, dass der Morgen graut, starten am anderen Platzende in Sichtweite und Schussdistanz der russischen Panzerkanonen Focke-Wulf Fw 190-Jagdbomber eines ebenfalls auf dem Platz stationierten Schlachtgeschwaders. Die russischen T-34 geraten nun auch aus der Luft unter Feuer und Bomben. Als dann noch Major Rudels Stukas über dem Flugfeld auftauchen, führen die Jägerkameraden da unten wahre Freudentänze auf. Die Bordkanonen der Stukas vernichten nun, was von den sowjetischen Panzern noch übrig ist. Am Ortsrand in mehreren Schluchten finden Rudels Maschinen die Nachschubkolonnen der sowjetischen Panzereinheit. Rudels Männer bringen zunächst die sowjetische Flak zum Schweigen. Danach explodieren die mit Munition und Treibstoff voll beladenen Lastwagen. Der Einbruch ist zurückgeschlagen. Es ist gerade noch mal gut gegangen!

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Johnny Johnson.

Wirklich? Sieben Messerschmitt-Jäger sind plattgewalzte Schrotthaufen. Und eine Menge an Ausrüstung ist zerstört, einschließlich der kompletten Einsatzzentrale. Major Günther Ralls III./JG 52 hatte in den letzten zwei Monaten nur zwei Maschinen in Luftkämpfen verloren. Und nun das!

Andererseits: Flugzeuge sind ersetzbar. Piloten nur noch schwer. Von denen kam außer einem keiner zu Schaden. Doch die Bodenmannschaften beklagen Verluste. Unteroffizier Panitz und die Obergefreiten Prasser, Ulrych, Conrad, Kolwei sowie Flieger Baum fallen, Obergefreiter Soureli wird vermisst.

Wie konnte das passieren? Im Jahre 1944 in Russland kann das passieren!

Nicht immer, doch allmählich immer öfter!

Major Günther Rall soll an dieser Stelle nicht unterschlagen bleiben, immerhin ist er mit 275 Luftsiegen der nach Hartmann und Barkhorn dritterfolgreichste Jagdflieger aller Nationen in der Geschichte.

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Eine auch nur ansatzweise als Übersicht genügende Darstellung des Lebenslaufes Ralls muss den Rahmen dieses Buches ebenso sprengen, wie auf die Würdigung so vieler interessanter Persönlichkeiten aller Nationen verzichtet werden muss. So kann beispielsweise Oberstleutnant Heinz Bär, der mit 16 Abschüssen auf dem „Turbo“ immerhin der erfolgreichste Düsenjägerpilot in der Me 262 und mit 220 Luftsiegen insgesamt einer der erfolgreichsten Asse ist, auch nur erwähnt werden. Dessen Ansicht über Günther Rall darf allerdings nicht fehlen. Bär bezeichnet Rall neben Marseille als einen der größten Schützen der Luftwaffe, welcher praktisch aus jeder Lage heraus habe schießen können.

Günther Rall wird am 10. März 1918 im süddeutschen Gaggenau geboren und besucht das renommierte humanistische Stuttgarter Karls-Gymnasium. Im Jahr 1936 wird er Offiziersanwärter im Heer, 1938 wechselt Rall zur Luftwaffe – schließlich kommt er zur II./JG 52 bei Stuttgart. Am 18. Mai 1940 beginnt seine Luftsieg-Karriere mit dem Abschuss einer französischen Curtiss P-36 „Mohawk“ über Metz. Nach den Kämpfen über Frankreich folgt die Luftschlacht um England. Dann fliegt Rall Einsätze über Kreta. Anschließend nimmt das JG 52 im Süden der Sowjetunion am Russlandfeldzug teil.

In dieser Zeit hat Rall alle Chancen, vor Barkhorn und später Hartmann zum erfolgreichsten Jagdflieger aller Zeiten zu werden, doch ein Luftkampf in der Abenddämmerung des 28. November 1941 wird ihm zunächst zum Verhängnis. Rall macht den Fehler vieler Jagdflugzeug-Piloten – er sieht zu lange seinem abgeschossenen Opfer hinterher. Und wird prompt selber von hinten überrascht. Die folgende Bruchlandung im Halbdunkel überlebt der deutsche Jagdflieger nur mit viel Glück – und dreifach gebrochenem Rückgrat. Das heißt als Folge der medizinischen Diagnose: nie wieder fliegen ...

Normalerweise! Es ist ein fürchterlicher Papierkrieg, doch Rall will unbedingt in den echten Krieg zurück. Er schafft es endlich im August 1942. Im November 1942, drei Monate nach seiner Wiederkehr beim Geschwader, erringt Rall seinen 101. Luftsieg. Im statistischen Durchschnitt hatte er in diesen drei Monaten alle drei Tage zwei Abschüsse erzielt.

Günther Rall erzielt diese Luftsiege mit einer traumwandlerischen Sicherheit für den richtigen Vorhaltewinkel. Ähnlich wie bei Hans-Joachim Marseille basiert diese Präzision auf einer Kombination aus harter Übungsarbeit und einer untrüglichen Intuition. Rall schildert dies mit eigenen Worten so: *1

„Ich hatte eigentlich kein Schießrezept. Es ist in erster Linie eine Sache des Gefühls, die dieses Können entwickelt. Ich war fünf Jahre an der Front, und da bekommt man einfach das Gefühl für den richtigen Vorhaltewinkel. [...] Ich konnte nicht immer direkt hinter einem Gegner einkurven. In einigen Fällen hätte schon der Versuch dazu genügt, dass sie sich hinter mich setzen konnten und dadurch die Chance bekamen, mich abzuschießen. Manchmal nahm ich die Schnauze hoch und drückte in dem Augenblick auf die Knöpfe, in dem meine Eingebung und mein Gefühl mir sagten, dass es der richtige Moment war – also mit dem Gefühl für den Vorhalt, das ich vorher beschrieben habe. Bumm! Das andere Flugzeug flog genau in die Garbe hinein. Deshalb muss ich sagen, dass ich kein Rezept hatte und mich nicht als genialen Jäger ansehe. Ich erzielte Abschüsse auf große und kürzeste Schussentfernungen – es ging bis zum Zusammenstoß in der Luft – und ich muss ausdrücklich sagen, dass es harte Arbeit und die Erfahrung waren, die mir zum Erfolg verhalfen.“

Im Mai 1944 wird Günther Rall Kommandeur der II./JG 11 an der Westfront. Als das Geschoss eines US-Jägers ihm am 12. Mai 1944 den Daumen der linken Hand abreißt und ihn zum Aussteigen zwingt, wäre er fast von einem deutschen Bauern mit einer Mistgabel gelyncht worden. Wie Heinz Bär trägt Rall eine erbeutete amerikanische Flieger-Lederjacke. Sie wäre ihm um ein Haar zum Verhängnis geworden!

Allerdings landet er wieder im Lazarett – und verliert nun den Anschluss an die Abschusserfolge seiner Kameraden Barkhorn und Hartmann. Eine Diphterieinfektion verhindert die rasche Heilung, erst im November 1944 wird Rall aus dem Lazarett entlassen und zunächst im weiteren Genesungsverlauf Kommandeur einer Jagd-Verbandsführerschule. Schließlich übernimmt er im März des Jahres 1945 noch das Jagdgeschwader 300. Trotz fliegerischer Erfahrung auf der Focke-Wulf 190 einschließlich der modernen Version D-9 und sogar auf dem Düsenjet Me 262 fühlt sich Rall bis zum Kriegsende als Jägerpilot in der Messerschmitt Bf 109 zu Hause – wie viele der erfolgreichsten deutschen Jagdflieger. Er beendet den Krieg als Major mit 275 Abschüssen nach 621 Luftkämpfen, in denen er achtmal abgeschossen wurde mit der Folge von sieben Bauchlandungen und jenem einen Fallschirmabsprung.

Nach dem Krieg wird Rall – wie viele ehemalige Offiziere – als Militarist geächtet und als Nazi verdächtigt. Entsprechend schwer hat er es, eine Anstellung zu finden. Er verweist in diesem Zusammenhang auf einen Fakt, welcher auch dem Autor bedeutend genug erscheint, ihn hier zu zitieren:*2

„Einem aktiven Offizier war es im Vorkriegsdeutschland niemals erlaubt, einer politischen Partei beizutreten. Es war strikt verboten. So waren eigentlich wir diejenigen, die weiße Westen hatten, aber sie machten uns verantwortlich! Diese Weisung, die uns verbot, in politische Parteien einzutreten, geht auf die alte Weimarer Republik zurück. Einige Offiziere waren zwar Ehrenmitglieder der Nationalsozialistischen Partei, dies hatte aber nichts mit einem regulären Eintritt und einer Mitarbeit in der Partei zu tun. Ich war niemals Mitglied einer politischen Partei, weil ich aktiver Offizier war. Mir war es untersagt, Mitglied zu werden, selbst dann, wenn ich es gewollt hätte!“

Zurück zu Ralls kameradschaftlichem Konkurrenten Barkhorn. Am 13. Februar 1944 erzielt Gerhard Barkhorn über der Krim seinen 250. Luftsieg, eine Yak-1. Seine II. Gruppe/JG 52 war auf der Halbinsel geblieben, zum Schutz der 17. Armee. Diese gerät mehr und mehr unter Druck. Die Sowjets bauen ihren Brückenkopf bei Kertsch aus. Am 7. und 8. April 1944 beginnt der Sturmangriff der sowjetischen Armeen von beiden Seiten, zudem über die Siwaschsee. Die Deutschen wehren sich tapfer, auch die Rumänen. Doch die Front ist nicht zu halten. Am 9. Mai 1944bricht die 17. Armee zusammen. Ihre Reste werden seit dem Vortag über See nach Rumänien evakuiert – unter schweren Verlusten durch sowjetische Bomber und Schlachtflugzeuge. Etwa 150.000 deutsche Soldaten können entkommen. Doch ihre schweren Waffen bleiben auf der Krim zurück – dringend benötigt, und inzwischen nur noch mit Mühe zu ersetzen. Barkhorns II. Gruppe wird zuletzt von den beiden anderen Gruppen des Geschwaders unterstützt. Wochenlang werden täglich etwa zwei Dutzend sowjetische Flugzeuge vom Himmel geholt. Doch es nützt alles nichts. Die Übermacht ist zu erdrückend.

Gerhard Barkhorn trägt seit 2. März 1944 für nun 251 Abschüsse das Ritterkreuz mit dem Eichenlaub und Schwertern, während Erich Hartmann am selben Tag für inzwischen 202 Luftsiege das Ritterkreuz mit dem Eichenlaub verliehen wurde. Gerhard Barkhorn und Erich Hartmann sind Rivalen und Kampfgefährten. Wie auf russischer Seite Grigorii „Grisha“ Rechkalov und Aleksandr Pokryshkin. Doch im Gegensatz zu ihren russischen Gegnern sind die beiden deutschen Piloten dicke Freunde!

Pokryshkin ist seit Anbeginn des Krieges dabei, als das 16. GvIAP noch 55. IAP hieß und an der Grenze zu Rumänien in Beltsy stationiert war. Der Start seiner Kariere war nicht allzu erfolgversprechend gewesen, denn auf seinen ersten Abschuss konnte er nicht gerade stolz sein. Es war ein sowjetischer Su-2-Bomber, den er irrtümlich für eine deutsche Maschine gehalten hatte. Doch dieses Erlebnis hat einen großen Einfluss auf seine künftige Kampftaktik. Pokryshkins Heißsporn erhält einen Dämpfer, der junge Pilot wird vorsichtiger – und überlegter. Prompt stellt sich 24 Stunden nach seinem fatalen Fehler der erste legitime Luftsieg ein.

Das 55. IAP ist gerade dabei, von I-153-Doppeldeckern und I-16 „Ratas“ auf MiG-3 umzurüsten, als der Krieg mit Deutschland ausbricht. Die Einheit wird im Jahr 1941 überwiegend mit Tiefangriffen und Aufklärungsmissionen betraut. Bei einem derartigen Aufklärungsflug wird Pokryshkin im Winter 1941 über den deutschen Linien durch einen Flak-Treffer abgeschossen, schafft eine Notlandung und schlägt sich zu den eigenen Linien durch. In seiner Freizeit beschäftigt er sich intensiv mit Luftkampftaktik und wertet die eigenen Einsätze ebenso sorgfältig aus wie die Art, mit welcher die deutschen Gegner ihre Abschüsse erzielten. Und kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl die sowjetischen Flugzeuge als auch Kampftaktiken dem Gegner unterlegen sind.

Diese Einschätzung hält Pokryshkin nicht zurück – eine anmaßende Offenheit in diesen Tagen. Kritik an der Führung ist gefährlich in der Sowjetunion, allemal zu einem Zeitpunkt schwerer Niederlagen. Doch seine Erfolge steigen schnell an, als das Regiment im Frühjahr 1942 die ersten Yak-1-Jagdflugzeuge ausgeliefert bekommt, welche eine Zeitlang neben den MiG-3 geflogen werden. Pokryshkin sichert sich eine dieser schnellen und wendigen Maschinen und fliegt sie sehr erfolgreich. Am 7. März 1942 erhält das 55. IAP Gardestatus (16. GvIAP). Pokryshkin wird Staffelkapitän – und ist nun endgültig in der Position, seine Vorstellungen von Luftkampf in seiner Staffel umsetzen.

In den roten Luftstreitkräften ist ähnlich zur Royal Air Force eine Dreier-Flugformation üblich, welche den Nachteil hat, dass zwei Maschinen einer Führungsmaschine folgen müssen – was meistens einer davon schlechter gelingt als der anderen. Damit ist ein Teil der Aufmerksamkeit alleine durch die Schwierigkeit gebunden zusammenzubleiben. Die Deutschen fliegen zu zweit (sie nennen es „Rotte“). Der Vordermann des Paares greift an, konzentriert sich auf sein Opfer, der andere – „Rottenflieger“ oder „Katschmarek“ genannt – deckt und passt nach hinten auf. Außerdem greifen die Deutschen meist blitzartig aus der Überhöhung von hinten oben an, schießen einen oder mehrere ausgesuchte Gegner ab und entkommen dann leicht durch den Fahrtüberschuss, anstatt sich – wie in den sowjetischen Jagdschulen gelehrt – auf einen unkalkulierbaren Kurvenkampf einzulassen. Eine zweite Rotte fliegt mit etwas Abstand seitlich hinten, sodass es gefährlich ist, dem ersten Feindpaar nachzusetzen – allzu leicht gerät man dabei vor die Rohre der Deckungsmaschinen. Die nun ihrerseits die Verwirrung nutzen und angreifen. Nach dem Angriff steigen die deutschen Jäger wieder in die Höhe – und stürzen sich erneut auf ihre Gegner. Sind es viele, dann wird der Luftkampf komplex.

Pokryshkin studiert, analysiert und übernimmt diese äußerst erfolgreiche Taktik von den Deutschen. Ähnlich wie die Briten und Amerikaner, die im Laufe des Krieges ebenfalls ihre veralteten Taktiken zu Gunsten der vorbildlichen deutschen Methoden aufgeben. Pokryshkin führt die Zweierformation ein und entwickelt die so genannten „Kuban-Stufen“. Pokryshkin teilt seine Staffel in drei Gruppen, die alle in unterschiedlicher Höhe seitlich versetzt fliegen. Welche Gruppe auch immer angegriffen wird – der Gegner hat schnell eine der anderen im Nacken.

Die Erfolge sind sichtbar. Im Mai 1943 ist Pokryshkin Mayor, „Held der Sowjetunion“ und Regimentskommandeur des 16. GvIAP. Prompt sieht sich Pokryshkin mit einem Kriegsgerichtsverfahren wegen Kritik an Führungsstellen konfrontiert, vor welchem ihn nur seine Abschusserfolge und sein Kommissar retten. Sein ehemaliger Kommandeur Zaev hatte ihm das eingebrockt. Doch am 24. August 1943 ist Pokryshkin rehabilitiert und erhält den zweiten Stern zum „Helden der Sowjetunion“ – für 30 Abschüsse in 455 Einsätzen. Die meisten Erfolge sind mit der P-39 „Kobra“ erzielt. Einsätze, in welchen der umsichtige Kommandeur meistens auch den Gesamterfolg seiner Einheit im Blick hat.

Anders als einer seiner Staffelkommandeure, Grigorii Rechkalov, ein ungestümer ehrgeiziger Heißsporn, der früher mehrfach als Pokryshkins Flügelmann geflogen war. Seit Juni 1943 ist er Staffelkapitän der 1. Staffel/16. GvIAP. Auch er ist erfolgreich und trägt den Orden des „Helden der Sowjetunion“ – doch im Gegensatz zu Pokryshkin hat der aggressiv fliegende Rechkalov mehr seine eigenen Abschusserfolge im Kopf als das Wohl seiner Männer. Dies bringt ihn in ernste Konflikte mit Pokryshkin, der als Regimentskommandeur die Verluste der Einheit als Ganzes verantworten muss.

Da ist Pokryshkin sein Zögling Alexandr Klubov schon lieber. Der ist schwer gezeichnet. Die Brandnarben hatte er sich zugezogen, als das deutsche Jäger-Ass Oberfeldwebel Alfred Grislawski (7. Staffel/JG 52) am 2. November 1942 bei Mozdok seine I-153 vom Himmel geschossen hatte. Es war Grislawskis 62. Abschuss gewesen. Danach war Grislawski zu seinem Flugplatz zurückgeflogen und hatte seinen 23. Geburtstag gefeiert, während sowjetische Soldaten Klubov aus dessen lichterloh brennender notgelandeter Maschine zerrten. Auch eine Art Geburtstag, wenn auch weniger lustig.

Klubov wird stellvertretender Staffelkapitän. Am 15. August 1943 fangen sechs P-39 „Kobras“ unter seiner Führung zwei deutsche Aufklärungsflugzeuge des Typs Focke-Wulf 189 ab, welche von vier Me 109-Jägern geschützt werden. Klubov teilt seine sechs Jäger und greift von zwei Seiten an. Beide Aufklärer werden abgeschossen, Klubov bringt alle Maschinen heil nach Hause. Das imponiert Pokryshkin.

Einmal hat es Klubov mit einem deutschen Messerschmitt-Piloten zu tun, der ihm alles Können abverlangt. Die beiden schenken sich nichts, es ist ein harter, verbissener Kurvenkampf. Klubovs P-39 wird getroffen, doch er kann den Deutschen abschütteln. Das Duell endet mit einer Bruchlandung Klubovs auf seinem Flugplatz. Klubov erhält eine P-39 N mit der weißen Nummer 45 und am 13. April 1944 den Goldenen Stern eines „Helden der Sowjetunion“ für 14 persönliche und 13 gemeinsam mit anderen Piloten erzielte Abschüsse, die er in 84 Luftkämpfen und 310 Einsätzen bis Anfang September 1943 erzielt hatte. Weniger gut kommt ein Wutausbruch an bei der Beerdigung eines seiner Piloten. Ein Mechaniker hatte ein Werkzeug in der P-39 „Kobra“ des Piloten vergessen. Der bezahlte diese Unachtsamkeit mit dem Absturz der Maschine – und mit seinem Leben. Klubov toleriert das nicht. er zieht seine Pistole und erschießt den unglücklichen Mechaniker. Daraufhin werden Klubov seine Auszeichnungen aberkannt – doch er darf weiterhin fliegen.

Im Frühjahr 1944 übernimmt Klubov die 3. Staffel des 16. GvIAP. Nach der Rückeroberung der Krim ist das sowjetische Gardejäger-Regiment nun bei Jassy (Iaşi) stationiert. Dort kämpft auch Major Hans-Ulrich Rudel mit seinen Stukas und der Panzerstaffel mit den „Kanonenvögeln“. Und Hauptmann Gerhard Barkhorn mit seinen Messerschmitt-Jägern der II./JG 52. Major Barkhorn – ab Mai 1944.

30. Mai 1944

Kapitan Klubov hat inzwischen 17 ihm persönlich zugeordnete Abschüsse erzielt, alleine gestern zwei Bomber des Typs Ju 88 und einen Me 109-Jäger. 19 weitere Luftsiege teilt er sich mit anderen Piloten. Letztere sind auf seiner P-39 N mit der Seriennummer 42-9334 als weiße Sterne aufgemalt, während die Abschüsse, die er alleine erzielt hatte, durch rote Sterne gekennzeichnet sind.

Am 30. Mai fangen Klubovs „Kobra“-Jäger eine Formation deutscher Ju 87-Sturzkampfbomber ab. Klubov kann einen Stuka abschießen, doch dann ist eine Me 109 des deutschen Begleitschutzes hinter ihm. Klubov gelingt es trotz all seinem fliegerischen Können nicht, diesem deutschen Piloten aus dem Fadenkreuz zu kommen. Klubovs P-39 wird schwer getroffen. Er kann das angeschossene Jagdflugzeug mit knapper Not zu seinem Fliegerhorst zurücksteuern. Doch er überlebt weitgehend unverletzt.

Major Barkhorn meldet an diesem Tag den Abschuss zweier sowjetischer P-39 „Airacobras“. Beide Abschüsse werden bestätigt.

Jassy (Iaşi) 30. Mai 1944

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Flugzeugtyp:

Messerschmitt Bf 109 G-6

Nationalität:

Luftwaffe

Einheit:

II. Gruppe/JG 52

Pilot:

Gruppenkommandeur Major Gerhard Barkhorn

Stationierung:

Zilistea/Rumänien/30. Mai 1944

Flugzeugtyp:

Bell P-39 N-1 „Airacobra“/„Kobra“

Nationalität:

VVS (Sowjetische Luftwaffe)

Einheit:

16. GvIAP

Pilot:

Kapitan Alexandr Fedorovich Klubov

Stationierung:

Stefanesty/Rumänien/30. Mai 1944

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Hinweis: die Karte zeigt im Gegensatz zu den Frontverlaufskarten den Nachkriegsgrenzverlauf, da hier die Lokalisation des Ortes aus heutiger Sicht im Vordergrund steht.

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Messerschmitt Bf 109 G-6, II./JG 52, Gruppenkommandeur Major Gerhard Barkhorn.

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Bell P-39 N-1 „Airacobra“ 16. GvIAP, Kapitan Alexandr Klubov, Kommandeur der 3. Eskadrilya (Staffel), Jassy (Iaşi), 30. Mai 1944: Abschussmarkierungen Stand 30. Mai rekonstruiert.

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Alexandr Klubov.

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Gerhard Barkhorn.

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Frontverlauf am 12. Mai 1944.

31. Mai 1944

Aleksandr Pokryshkin ist inzwischen Divisionskommandeur. Sein Nachfolger als Regimentskommandeur des 16. GvIAP ist Grigorij Rechkalov. Wieder sind die sowjetischen Jagdflugzeuge in der Luft. Die Maschinen sind entsprechend Pokryshkins „Kuban-Stufen“ in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Rechkalov leitet die Angriffs-Gruppe, während die Deckungs-Gruppe von Klubov geführt wird. Doch dieses Mal geht die Rechnung nicht auf. Rechkalov – gierig nach Abschuss-Erfolgen – missachtet alle Vorsicht. Prompt gelingt es einer Gruppe exzellent geführter Messerschmitt-Jäger, sich zwischen Rechkalovs und Klubovs Jägergruppen zu manövrieren. In kurzer Folge werden fünf der russischen „Kobras“ von den Me 109-Piloten vom Himmel geschossen, bevor Klubovs Jäger eingreifen können. Leitenant Nikolai Karpov, Leitenant Nikolai Chistov und Mladshii Leitenant Vladimir Petukhov finden den Tod. Pokryshkin schäumt, als er den Hergang erfährt.

Rechkalov wird mangelnde Führungsqualität, fehlende Übersicht, Verlust der Kontrolle und Entscheidungsschwäche vorgeworfen. Er wird postwendend seines Amtes als Regimentskommandeur enthoben.

Sein Nachfolger ist kein Unbekannter. Es ist Boris Glinka. Doch er wird das 16. GvIAP nur wenige Tage führen. Am 15. Juli 1944 wird seine P-39 getroffen. Boris Glinka kann aus dem Bell-Jäger abspringen, doch der unpraktische seitliche Ausstieg durch die Tür wird ihm fast zum Verhängnis – wie schon vielen Piloten zuvor. Glinka wird gegen das Leitwerk geschleudert und verletzt sich schwer. Vorerst fällt er aus.

Auch Major Gerhard Barkhorn.

Barkhorn fliegt am 31. Mai 1944 ununterbrochen. Es ist sein 6. Einsatz an diesem Tag. Vier Gegner hatte er heute schon abgeschossen, zwei P-39 „Airacobras“, eine zweisitzige Il-2 „Stormovik“ und eine Yak-9. Nun sind es also schon 272 Abschusserfolge. Jetzt ist er wieder in der Luft, fliegt Geleitschutz für Major Rudels Ju 87 „Stukas“. Barkhorn ist müde, die Wochen und Monate, ja Jahre härtester Kämpfe hinterlassen Spuren. Bisher hatte ihm die kleine weiße Glücks-Nummer 5 im inneren Kommandeurswinkel den nötigen Schutzengel nicht vorenthalten, ebenso der aufgemalte weiße Schriftzug „Christl“, der Name seiner Frau. Doch nun passt er einmal doch nicht auf und wird von hinten völlig überrascht. Geschosse einer „Airacobra“ durchsieben seine Me 109 G-6 mit der Werknummmer 163195. Barkhorn wird am rechten Arm und Bein schwer verwundet. Es gelingt ihm dennoch, seinen Vogel hinter den eigenen Linien einigermaßen heil auf den Boden zu bringen. Soldaten bringen ihn ins Lazarett. Erst Ende Oktober sollte er soweit hergestellt sein, dass er wieder fliegen kann.

Diese Zeit nutzt sein Freund Erich Hartmann, mit der Zahl der Abschüsse an Barkhorn vorbeizuziehen, der bisher „vorn lag“. Am 24. August 1944 schießt Hartmann innerhalb von zehn Minuten vier russische Jäger ab. Der vierte ist sein 300. Luftsieg. Alle vier sind – P-39 „Airacobras“.

Diese Maschinen finden sich nun an der gesamten Front im Osten, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Die Sowjets haben dem verschmähten Entwurf der amerikanischen Bell-Werke mit dem modernen Bugrad und dem hinter dem Cockpit montierten Motor zu Ruhm und Ehren verholfen.

Erich Hartmann beendet den Krieg mit 352 Abschüssen als Kommandeur der I. Gruppe des JG 52. Er wird trotz Kapitulation bewusst amerikanischen Truppen gegenüber doch der Roten Armee ausgeliefert und nach langen, bitteren Jahren in sowjetischer Kriegsgefangenschaft im Oktober 1955 in die Freiheit entlassen. Er wird Kommodore des JG 71 der neuen Bundesluftwaffe Deutschlands. Hartmann scheidet als Oberst im Oktober 1970 aus dem Dienst aus und stirbt am 20. September 1993 in seiner schwäbischen Heimat Weil im Schönbuch.

Gerhard Barkhorn übernimmt am 16. Januar 1945 das Kommando über das JG 6 und fliegt eine moderne Focke-Wulf Fw 190 D-9 „Langnase“ in der Reichsverteidigung. Am 10. April 1945 muss er erneut ins Lazarett, er leidet immer noch unter seinen Verletzungen, die ihm am 31. Mai 1944 zugefügt worden waren. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenlager wird er Gallands berühmtem „Jagdverband 44“ zugeteilt und erhält einen der wertvollen revolutionären Messerschmitt Me 262-Düsenjäger. Beim gerade mal zweiten Einsatz mit dem Düsenjäger am 21. April 1945versagt mitten im Angriff auf amerikanische Bomber seine rechte Turbine. Amerikanische Mustangs jagen Barkhorn den gesamten Weg zu seiner Basis nach Riem zurück, doch es gelingt ihm eine Bruchlandung. Dabei schlägt die Vorderkante der Cockpithaube in sein Genick, die er bereits vor der Landung geöffnet hatte, um schnell aus der bauchgelandeten Düsenmaschine entkommen zu können (amerikanische Piloten hatten die Angewohnheit, bruchgelandete deutsche Flugzeuge so lange mit Bordwaffen zu beschießen, bis sich nichts mehr Lebendiges regte). Diese Verletzung bringt ihn für den Rest des Krieges erneut ins Krankenhaus. Barkhorn überlebt mit 301 Abschüssen.

Nach dem Krieg wird Barkhorn Generalleutnant in der Bundesluftwaffe. Er stirbt auf Grund eines unverschuldeten Autounfalls zusammen mit seiner Frau Christl am 6. Januar 1983.

Aleksandr Pokryshkin beendet den Krieg mit 59 Abschüssen. Er erhält als erster sowjetischer Offizier einen dritten Goldenen Stern als „Held der Sowjetunion“. Er ist nach Ivan Kozhedub der zweiterfolgreichste sowjetische und alliierte Jagdflieger des zweiten Weltkrieges. Auch Pokryshkin bleibt in der Luftwaffe, wenn auch der sowjetischen, und avanciert zum Marshal der Sowjetunion. 1981 setzt er sich zur Ruhe. Im Jahr 1985 stirbt Aleksandr Ivanovich Pokryshkin in Moskau. Er wird mit einem großen Staatsbegräbnis beigesetzt.

Grigorii Rechkalov werden bei Kriegsende 56 Luftsiege zugesprochen. Seine letzten Einsätze fliegt er in einer Lavochkin La-7 über Berlin. Er scheidet im Jahr 1959 als Generalmajor (General Mayor) aus dem Dienst aus und widmet sich dem Schreiben zweier Bücher. Rechkalov stirbt in Moskau am 22. Dezember 1990.

Alexandr Klubov beendet seine Laufbahn mit 31 Abschüssen – neben 19 anteiligen Erfolgen. Am 1. November 1944 (eine Quelle nennt den 10. Oktober) startet Klubov zu einem Übungsflug mit einer neuen Lavochkin La-7. Beim Landeanflug bemerken seine Kameraden, dass die Landeklappen nicht ganz ausgefahren sind – durch Pilotenfehler oder technischen Defekt, das lässt sich nicht mehr klären. Denn Klubov schießt über die Landebahn hinaus und stirbt im zerschmetterten Wrack der Lavochkin, die er seiner treuen P-39 „Kobra“ nun hatte vorziehen sollen.

Und die „Kobras“? Sie fliegen nun über Deutschland. Flugzeuge amerikanischer Produktion dringen im Frühjahr 1945 von allen Seiten in den letzten verbleibenden deutschen Luftraum ein.

Sie tragen alle einen Stern auf Rumpf und Tragflächen.

Manche einen weißen img , andere einen roten img.

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Von links nach rechts: Alexandr Klubov, Grigorii Rechkalov, Andrei Trud, Boris Glinka. Das Foto muss nach Anfang Juni 1944 entstanden sein, da Boris Glinka die Schulterklappen eines Mayors trägt, aber vor dem 1. Juli, da Rechkalov nur einen Goldenen Stern trägt. Die etwas gekünstelt wirkende Harmonie mag ein Indiz dafür sein, dass das Foto gestellt wurde nach dem Eklat am 31. Mai 1944.

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links: Erich Hartmann, rechts: Gerhard Barkhorn. Die beiden erfolgreichsten Jagdflieger aller kriegführenden Nationen. Die Harmonie dieser beiden Männer ist echt. Sie bleiben ein Leben lang Freunde.

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Aleksandr Pokryshkin.

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Eine frühere, im Herbst 1943 vom damaligen Hauptmann Gerhard Barkhorn geflogene Messerschmitt Bf 109 G-6.

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Aleksandr Pokryshkin (links), vor den rauchenden Trümmern einer abgeschossenen deutschen Aufklärungs- Maschine des Typs Focke-Wulf Fw 189. Er lässt sich von dem jungen Kameraden den Abschusshergang erläutern.

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Die Russen geben den verhassten deutschen Focke-Wulf Fw 189-Flugzeugen auf Grund ihrer modernen, großzügig verglasten Kanzel den Namen „Rama“ (Strebe).

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Hinweis: Die Zahl der deutschen Abschussmeldungen erscheint hoch und muss sicher im Einzelfall hinterfragt werden. Es ist davon auszugehen, dass jeder angegebene Abschuss durch die strengen deutschen Anerkennungsverfahren nur dann bestätigt und auch im Sinne obiger Angaben gewertet wurde, wenn er durch einen Augenzeugen oder die Bordkamera, die beim Auslösen der Waffen automatisch eine Aufzeichnung einleitet, nachgewiesen werden konnte. Auch sind die sowjetischen Flugzeugverluste gegen die deutsche Luftwaffe in der Tat gewaltig hoch, dies ist unbestreitbar. Dennoch mag es im Einzelfall so sein, dass eine getroffene Maschine doch noch eigenes Gebiet erreicht und reparabel landet bzw. notlandet, obwohl sie vom Gegner als Abschuss angesehen wurde. Solche Korrekturen der angegebenen Luftsiege sind bei allen an den Luftkämpfen beteiligten Nationen leider angebracht.

*1Quelle: img „Die deutschen Jagdfliegerasse“/Motorbuch-Verlag 1968/Raymond F. Toliver und Trevor J. Constable.

*2Quelle: img „Die deutschen Jagdfliegerasse“/Motorbuch-Verlag 1968/Raymond F. Toliver und Trevor J. Constable.

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