6. „Da fiel Feuer vom Himmel und fraß“

„Da fiel Feuer vom Himmel und fraß ...“

Altes Testament – 2. Könige, Kapitel 1.

Die „Flying Fortress”-Story

Am 17. August 1942 dringen erstmals Boeing B-17 E in feindliches Territorium ein. Zwölf viermotorige Bomber der 97th Bombardement Group (oder „Bomb Group“, BG) fliegen die Eisenbahnanlagen von Rouen-Sotteville an. Die Formation wird von Brigade-General Ira Eaker persönlich angeführt und von britischen Spitfires gedeckt.

Die Maschinen erreichen ihr Ziel, bombardieren es und landeten in England ohne Verluste. Es sieht so einfach aus. Die nächsten zehn Einsätze kosten gerade mal zwei B-17 E, und das ist ohne Zweifel eine akzeptable Verlustrate.

Die Ankunft der F-Versionen ermöglichen der 8. US-Luftflotte zunehmend häufigere Angriffe gegen den Kontinent, wobei man mit Einflügen gegen Kurzstreckenziele beginnt, um Erfahrungen zu sammeln und Kampftaktiken zu entwickeln. In größeren Formationen zu fliegen, welche es erlauben, das Abwehrfeuer der Bomber zu bündeln, ist keine einfache Aufgabe für junge Piloten, welche soeben ihre Fluglizenz erhalten hatten.

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Boeing B-17 mit Kondensstreifen an einem Himmel, der zum bitteren Schlachtfeld wird.

Jede „Combat-Box“ besteht aus 18 Maschinen, zwei bis drei solcher Pulks fliegen gestaffelt übereinander und formieren einen „Combat-Wing“, aus vielen solcher Wings setzt sich schließlich ein Bomber-Strom zusammen. Zusammenstöße in der Luft sind häufig, zumal sich das diesige britische Wetter grundlegend von der klaren Sicht unterscheidet, welche die Piloten von ihren sonnigen amerikanischen Ausbildungsplätzen gewohnt waren.

Einmal in der Luft ist der Anblick einer B-17 Formation jedoch Respekt einflößend – selbst in diesem frühen Stadium.

Die britischen Spitfire-Abfangjäger können die US-Bomber jedoch nur auf einem Teil ihres Einfluges decken. Die amerikanischen Begleitjäger des Typs P-47 „Thunderbolt“ und P-38 „Lightning“ haben zwar als Eskort-Jäger eine höhere Reichweite, stehen aber erst in geringer Anzahl zur Verfügung und benötigen noch einiges an technischen Verbesserungen, bis sie ihrer Aufgabe voll gewachsen sind. Zudem befinden sich die „Lightning“-Verbände ab Ende 1942 zunächst nicht mehr in England, sondern werden nach Nordafrika beordert ...

Eine Supermarine „Spitfire“ Mk. IX hat eine Reichweite ohne Zusatztanks von etwa 690 Kilometern. An dieser Stelle muss kurz auf dien Begriff „Reichweite“ eingegangen werden, um Missverständnisse zu vermeiden, die sich teilweise beim Literaturstudium aufdrängen. Diese Definition wird leider nicht einheitlich angewandt.

Die „Reichweite“ eines Flugzeuges (britisch/amerikanisch mit dem Wort „range“ angegeben) kennzeichnet die Gesamtflugstrecke, zu welcher der jeweilige Typ in der Lage ist. Bei einem Einsatz bedeutet dies den Flugweg hin und zurück. Die Reichweite ist dabei stark von der Flughöhe abhängig, da diese den Luftwiderstand und Flugbenzinverbrauch beeinflusst, und auch von der Art des Fluges. Ein „Reiseflug“ mit gedrosselter Geschwindigkeit benötigt wesentlich weniger Treibstoff als beispielsweise die Luftkampfphase eines Jägers mit einer bis zur Höchstgrenze „hochgejubelten“ Motorleistung. Bei Kampfflugzeugen (Bombern) ist naheliegenderweise das Ausmaß der Bombenlast mitentscheidend für die Reichweite.

Davon zu unterscheiden ist der „Operationsradius“, auch „Eindringtiefe“ genannt. Dies ist die Distanz, welche das Flugzeug vom Start auf der eigenen Flugbasis an bis zum Einsatzziel höchstens zurücklegen kann, wenn es zum Ausgangspunkt zurückkehren soll.

Bei Jägern und Bombern muss dabei eine gewisse Zeit zum Sammeln und für den Landeanflug einkalkuliert werden. Die viermotorigen Kampfflugzeuge fliegen zudem – um die feindliche Abwehr so lange wie möglich über die Auswahl des Zieles im Unklaren zu lassen und den Abfangeinsatz des Gegners zu erschweren – häufig einen Zick-Zack-Kurs mit einigen eingeplanten „Haken“, was die Flugstrecke natürlich verlängert.

Noch schwieriger ist es, die Eindringtiefe von Begleitjägern in Eskort-Mission zu definieren, da diese vom Zeitpunkt des „Rendezvous“ (Zusammentreffen) mit dem Bomberstrom über diesem hin und her fliegen müssen. Denn selbst mit gedrosselter Geschwindigkeit ist ein Jagdflugzeug immer noch schneller als ein viermotoriger schwerer Bomber – bei gleichem Kurs wären die Jäger bald „auf und davon“ geflogen. Zudem könnte es ja zudem auch passieren, dass die Jagdeskorte in Luftkämpfe mit feindlichen Jagdverbänden verwickelt wird – dazu ist sie schließlich da!

Auch diese Kampfzeit benötigt Sprit – ziemlich viel Benzin sogar, da die Motoren in dieser heiklen Phase fast durchweg auf Vollast laufen. Ohne, dass dabei die zu überwindende Distanz zum Ziel und danach zurück nennenswert verkürzt würde. Denn bei einem Luftkampf ist die Richtung, in welche sich die gegenseitigen Verfolgungsjagden und Kurvenduelle bewegen, vollkommen unkalkulierbar – und nur im günstigen Zufall ist es die Flugrichtung zum Ziel.

All dieses führt dazu, dass man – um in obigem Beispiel zu bleiben – die Reichweite einer Spitfire von etwa 690 Kilometern nicht etwa einfach halbieren kann, um die Eindringtiefe zu ermitteln. Diese beträgt Mitte 1943 unter Einsatzbedingungen etwa 280 Kilometer, was einer Distanz von Südengland bis etwa Antwerpen entspricht.

Viel weiter kommt auch die bereits in England vorhandene amerikanische Konstruktion P-51 A „Apache“ nicht – oder auch „Mustang“ I bzw. II, was sich später als Name durchsetzt. Diese Version der berühmten P-51 ist jedoch in keiner Weise vergleichbar mit dem später so erfolgreich operierenden Jagdflugzeug. Die P-51 A ist noch mit dem amerikanischen „Allison“-Motor ausgerüstet, dessen Höhenleistungen stark enttäuschen. Als Begleitjäger kommt die P-51 A daher nicht infrage. Das Flugzeug wird zu Aufklärungsflügen oder zu Tiefangriffen eingesetzt – Letzteres vor allem in Italien.

Der „Durchbruch“ in den Leistungen dieses legendären Jagdflugzeuges gelingt dadurch, dass man auf die Idee kommt, den in den USA bei Packard in Lizenz gebauten Rolls-Royce-Merlin-Motor der Spitfire in die sehr strömungsgünstige Zelle der P-51 einzubauen. In Verbindung mit zusätzlichen Treibstoffzellen in den Tragflächen, die mit 697 Litern doppelt so viel Benzin fassen wie der üblicherweise alleinige Rumpftank (322 Liter), ist dann später ab der P-51 C die enorme Reichweite von 2.092 Kilometern erzielbar – ohne Zusatztanks. Mit den abwerfbaren zusätzlichen Tanks kommen die Mustangs in der späten D-Version schließlich bis zu 3.347 Kilometer weit, was einer theoretischen Eindringtiefe von 1.674 Kilometern, realistisch aber einer Einsatzstrecke von England bis Wien (1.200 Kilometer *1) entspricht, maximal 1.360 Kilometer – ohne viel Kurven oder Kämpfe!

Doch dies liegt im Sommer des Jahres 1943 noch im Bereich der kühnsten amerikanischen Träume! Verglichen mit der internen Treibstoffmenge von 697 + 322 = 1.019 Litern einer P-51 D verfügt eine Spitfire Mk. IX intern im Rumpf über 386 Liter Sprit (ein zusätzlicher Tank hinter dem Cockpit in einigen Maschinen fasst weitere 132 Liter, was sich dann auf 518 Liter summiert), eine Messerschmitt Bf 109 G-6 über 400 Liter internen Kraftstoff und eine Focke-Wulf 190 A-4 über 523 Liter Benzin.

Seit April des Jahres 1943 steht den amerikanischen Luftstreitkräften nach der P-38 ein weiteres für Langstreckeneinsätze entwickeltes Jagdflugzeugmuster zur Verfügung. Es ist die bullige P-47 C „Thunderbolt“, deren Riesenrumpf ebenfalls 1.155 Liter Benzin fasst. Allerdings hat die Thunderbolt durch den Pratt & Whitney-R-2800-59-18-Zylinder-Doppelsternmotor mit 1.850 PS (1.380 kW – ohne Notleistung, welche die Kraft auf 2.300 PS steigert) auch einen enormen Durst, ferner ein kolossales Gewicht, was die Reichweite einer P-47 C ohne Zusatztanks auf etwa 1.000 Kilometer begrenzt. Dies entspricht mit dem für Sammeln und Luftkämpfe veranschlagten Treibstoff einer Eindringtiefe von circa 370 Kilometern – nur wenig mehr als jene 280 Kilometer, die auch schon mit den britischen Spitfires zu bewältigen sind. Nicht genug!

Mit Hilfe von 75 Gallonen- (284 Liter-) Zusatztanks schaffen es die schweren US-Jagdflugzeuge dann schließlich ab Ende Juli 1943 bis nach Dortmund, was sich bei einem Luftkampf nahe Haltern am 30. Juli 1943 zeigt. Die deutschen Jäger erwarten nicht, ihre amerikanischen Kollegen so weit östlich anzutreffen, und werden überrascht. Zwar können es die frühen Versionen der Thunderbolt weder an Wendigkeit noch an Steigvermögen mit ihren deutschen Gegnern aufnehmen, deren bisheriger Vorteil im Sturzflug alliierten Jägern gegenüber verkehrt sich jedoch im Falle der schweren P-47 ins Gegenteil. Ein deutscher Pilot, der nach bewährtem Muster nach unten abschwingt, wundert sich schnell, wie plötzlich ihn die ungeheure Feuerkraft einer Thunderbolt in Gestalt von acht 12,7-mm-MGs einholt ...

Als General der Jagdflieger Adolf Galland dem „Führer“ das Vordringen amerikanischer Begleitjäger auf das Reichsgebiet wenige Wochen später sorgenvoll meldet, kommt es zu einer denkwürdigen Auseinandersetzung zwischen Galland und seinem Vorgesetzten Göring, der zutiefst befürchtet, mit weiteren Hiobsbotschaften bei Hitler noch mehr an Gunst zu verlieren. Göring bezeichnet dies als „Unsinn“ und „Phantasterei“, es sei unmöglich und er verbitte sich derartige Falschmeldungen. Galland bleibt ruhig und regt an, Göring möge die Absturzstellen amerikanischer Jäger bei Aachen doch selber feststellen lassen. Darauf „befiehlt“ ihm Göring aufgebracht „dienstlich, dass die amerikanischen Jäger nicht bis Aachen kamen“. Galland lächelt spöttisch. „Zu Befehl, Herr Reichsmarschall ...!“

Hinter dem deutschen Grenzgebiet müssen die „Fliegenden Festungen“ jedoch nach wie vor ohne ihre „kleinen Freunde“ auskommen und sind zur Abwehr deutscher Jagdflieger auf sich selbst gestellt. Die Kommandeure der 8. US-Luftflotte hoffen und erwarten dabei, dass das massierte Abwehrfeuer der dicht gruppierten schwer bewaffneten Bomber bei Einflügen tief nach Deutschland genügen würde, um die deutschen Jäger-Piloten abzuschrecken und auf Distanz zu halten. Tut es nicht! Weder die Führung der US-Streitkräfte noch die der britischen Royal Air Force (RAF) hat mit einem derartig grimmigen Widerstand der deutschen Luftwaffe gerechnet, mit welchem sie dann tatsächlich während des Krieges fast bis zum letzten Tag der Auseinandersetzung konfrontiert wird.

Anfang 1943 haben die Amerikaner vier B-17 F-Gruppen mit circa 200 Flugzeugen zur Verfügung (91st, 303rd, 305th und 306th Bomb Group). Sie verstärken ihre Angriffe gegen Ziele in Frankreich und Holland, abgeschirmt durch britische Spitfire. Während dieser Einflüge sind die Bomber plötzlich einer neuen – und beängstigend effektiven – Angriffstaktik der Deutschen ausgesetzt. Im Bewusstsein der schweren Abwehrbewaffnung der „Fliegenden Festungen“ gegen konventionelle Angriffe von hinten suchen die Luftwaffe-Piloten den Schwachpunkt der Bomber – und finden ihn: den Bug. Die deutschen Jäger greifen fortan frontal an – mit Annäherungsgeschwindigkeiten von über 800 km/h. Solche Attacken erlauben es den Jägerpiloten, auf die nach vorne ungepanzerte Pilotenkanzel zu schießen und dabei nur noch im Abschwung kurze Zeit dem Feuerhagel der in Richtung der klassischen Angriffe nach hinten konzentrierten Abwehr-MGs des Bomber-Pulks ausgesetzt zu sein. Nach vorne oben hat die B-17 F nur einzelne handbediente MGs in der Bugkanzel und den oberen Zwillingsdrehturm zur Abwehr aufzubieten.

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Messerschmitt Bf 109 G-1 im Frühjahr 1943 in Jever. Der Pilot ist Feldwebel Siegfried Zick der 2. Staffel des JG 1, aus der die 5./JG 11 wird! Sichtbar sind die Gondelkanonen und Radausbuchtungen.

Am 27. Januar 1943 wagt die 306th BG den ersten Angriff auf deutschen Boden und bombardiert Wilhelmshaven. Frontalangriffe der Abfangjäger fordern ihren Tribut. Trotzdem sind die Kommandeure der 8th USAAF immer noch angenehm überrascht über die „geringen“ Verluste, welche deutlich unter der 10-%-Rate liegen, welche als akzeptabel angesehen wird. Die Bomberbesatzungen haben verständlicherweise ihre eigenen Ansichten darüber, wie „akzeptabel“ diese Verlustrate ist! Die Kommandoebene hatte den Besatzungen 25 Einsätze als Ziel gesetzt, danach dürfen sie nach Hause zurückkehren. Dennoch ist die Moral der Crews extrem angeschlagen, denn 80 % der Bomber werden abgeschossen, bevor sie 25 Einsätze überstanden haben. Die erste B-17-Crew, welche 25 Feindflüge überlebt, ist die Besatzung der B-17 F-25-BO N° 41-24577 „Hell’s Angels“ Image der 358th Bomb Squadron/303rd Bomb Group unter Captain Irl Baldwin, welche am 13. Mai 1943 glücklich ihr „Soll“ erfüllt hat.

Sie wird dicht gefolgt von einer Boeing B-17 F-10-BO mit der Produktionsnummer 41-24485 aus der 324th Bomb Squadron/91st Bomb Group. Die wesentlich bekanntere „Memphis Belle“ mit dem Code Image unter Captain Robert K. Morgan erreicht den Abschluss ihrer 25-Einsätze-Tour sechs Tage später am 19. Mai 1943. Fünfmal wird dieser B-17 ein Teil der Motoren in Brand geschossen, einmal kommt sie mit fast abgeschossenem Heckleitwerk zurück.

Die mit Messerschmitt Bf 109 G-1 bis G-3 ausgerüsteten Staffeln der Reichsverteidigung werden zu ihren Einsätzen gegen US-Bomber mehr und mehr mit dem Rüstsatz „R6“ aufgerüstet. Dieser Rüstsatz verstärkt die serienmäßig eingebaute Bewaffnung – bei einer Me 109 G-1 besteht die normale Waffenausrüstung aus zwei 7,9-mm-MG 17 auf der Motorhaube und eine durch die Propellernabe feuernde 20-mm-Kanone MG 151. Diese Feuerkraft erweist sich als viel zu gering zum Abschuss eines amerikanischen viermotorigen Bombers. Es sind meistens mehrere Anflüge nötig, um eine „Fliegende Festung“ zum Absturz zu bringen – im Gegensatz zu den mit zwei MG 17 und immerhin vier 20-mm-Kanonen ausgerüsteten Focke-Wulf 190 A-4/A-5, die gegen die neuen schweren Bomber der Amerikaner wesentlich erfolgreicher sind. Allerdings lässt die Flugleistung der Focke-Wulf ausgerechnet in den Höhen, in denen die US-Bomber gewöhnlich anfliegen (6.000–8.000 Meter Höhe) spürbar nach. Hier ist die Me 109 wieder deutlich im Vorteil – auf die man somit nicht verzichten kann, trotz ihrer eher gegen Jäger gedachten schwächeren Bewaffnung.

Der Rüstsatz „R6“ verspricht, in Bezug auf die Feuerkraft der Me 109 Abhilfe zu leisten. Diese Zusatzausrüstung verstärkt die vorhandene 20-mm-Bugkanone in der Propellernabe durch zwei weitere 20-mm-Kanonen (MG 151/20) in Gondeln unter den Tragflächen. Mit zwei Maschinengewehren und drei 20-mm-Kanonen können die so aufgerüsteten Me 109 G-1, G-2 und G-3 mit den Focke-Wulf-Jägern in ihrer Waffenwirkung wieder mithalten. Es ist nur noch eine Kanone an Differenz vorhanden.

Somit werden eine Anzahl der die „109“ fliegenden und an der „Heimatfront“ gegen amerikanische Bomben-Einflüge eingesetzten Staffeln mit diesem Rüstsatz ausgerüstet. Das größere Gewicht dieser Waffen macht allerdings eine Verstärkung des Fahrwerkes nötig. Die größeren Räder passen nun nicht mehr in die Tragfläche, was eine Ausbeulung der oberen Radabdeckung auf der Flügeloberseite nach sich zieht (siehe den gelben Pfeil im rechten Foto oben).

Die II./JG 11 wird am 1. April 1943 aus der I./JG 1 neu aufgestellt und übernimmt deren Me 109 G-1 – größtenteils bereits mit Gondelwaffen (siehe die hellen Pfeile auf den Fotos Seite 267 oben).

Zum Ersatz ihrer Ausfälle für die betagten Me 109 G-1 erhält die Gruppe ab Mitte April 1943 nach und nach neue Me 109 G-6. Diese Version der Me 109 wird bereits ab Werk standardmäßig mit Gondelkanonen unter den Tragflächen ausgeliefert. Ferner werden die beiden Maschinengewehre über dem Vorderrumpf vom Kaliber 7,92 mm (MG 17) aufgerüstet zu 13 mm (MG 131). Die breitere Gurtzuführung dieser kräftigeren Maschinengewehre bedingt eine Ausbuchtung im Rumpf seitlich an der Motorhaube des Messerschmitt-Jagdflugzeuges, die dem Typ G-6 den Spitznamen „Beule“ einbringt. So bewaffnet sind die Me 109 G-6 nun aber sehr viel schwerer, als in ihrer Grundkonstruktion beabsichtigt. Sie sind den alliierten Jägern (vornehmlich den Spitfires) an Geschwindigkeit und Wendigkeit daher zwangsläufig deutlich unterlegen, aber sehr potente „Bomber-Killer“. Den britischen und amerikanischen Jägern stellen sich diese Verbände daher nur im Notfall – wenn sie angegriffen werden. Da die britischen Spitfire und amerikanischen Thunderbolts nicht in die Tiefe des Reichsgebietes mitfliegen können, ist es möglich, Luftkämpfen Jäger gegen Jäger mit diesen speziell gegen Bomber ausgerüsteten Messerschmitt-Maschinen auszuweichen. Man greift die Bomber einfach erst dann an, wenn die britischen und amerikanischen Eskorten wegen Spritmangels abdrehen müssen. Noch ...

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Originalfoto. Messerschmitt Bf 109 G-1 auf dem Platz der 5./JG 11 in Jever im Spätfrühjahr 1943.

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Me 109 G-1 optisch vergrößert zur Verdeutlichung der Gondeln.

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Die ab Sommer 1943 ausgelieferte Me 109 G-6 mit der charakteristischen „Beule“ an der Gurtzuführung der Motorhauben-MGs nun mit dem Kaliber 13 mm. Die Gondelkanonen dieser Maschinen der 3./JG 27 sind gut erkennbar.

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Eine Me 109 des Typs G-2 mit Gondelkanonen (Rüstsatz „R6“).

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Eine bullige P-47 „Thunderbolt“ (vermutlich des Typs C-5 im Sommer 1943 in Duxford, England) aus der 83rd Fighter Squadron/78th Fighter Group in der 8th USAAF.

Ab Mai 1943 steigen die Verluste der Amerikaner. Es sind nun etwa 600 B-17 F in England. Die deutsche Luftwaffe besitzt Anfang 1943 an allen Fronten zusammen gerade noch 1.360 Jagdflugzeuge, von denen nur 908 einsatzklar sind! Die 8th USAAF leitet eine so genannte „Blitz-Woche“ ein. Das Ergebnis ist ein stolzer Verlust von 128 Viermotorigen, das entspricht einer Verlustrate von über 20 %!

Trotz dieses Aderlasses werden noch ehrgeizigere Pläne angesetzt. Am 17. August 1943 wird die bis dahin größte B-17-Streitmacht auf den Weg gebracht (insgesamt 376 Boeing B-17-Bomber in zwei Angriffsformationen), um Schweinfurt und Regensburg zu bombardieren. Der erste Verband besteht aus 146 Bombern. Ihr Ziel sind die Messerschmittwerke in Regensburg. Die Deutschen, wohl wissend, dass die Begleitjäger so weit nicht mitfliegen können, warten, bis diese abdrehen.

Dann drehen sie selber zum Angriff ein. Die deutschen Jäger lassen den amerikanischen Besatzungen von nun an keine ruhige Minute mehr. Ganze Reihen von sechs Jagdflugzeugen jagen Tragfläche an Tragfläche aus allen Rohren feuernd durch die Bombergruppen. Andere greifen von vorne an – nach den Worten eines Navigators bilden sie „Schlangen wie bei der Essensausgabe“. Die „Sargecke“ des Verbandes wird von der 100th BG gebildet. Es ist der am weitesten hinten unten fliegende Pulk. Bald ist die Box auseinander gerissen, wie Wölfe stürzen sich die Jäger auf die versprengten Maschinen. 90 Minuten benötigen die viermotorigen Bomber von dem Moment, an welchem sie ihren Begleitschutz zurücklassen müssen, bis zum Ziel. Die gesamte Zeit über werden sie gehetzt. Der übel zugerichtete Rest entkommt plangemäß über die Alpen zu den alliierten Flugplätzen nach Nordafrika.

Der zweite Angriff auf die Kugellagerfabriken in Schweinfurt hätte fast gleichzeitig stattfinden sollen. Doch plötzlich einsetzender Nebel in England verhindert den Start der Bomber-Gruppen zum vorgesehenen Zeitpunkt. So sind die deutschen Jäger längst wieder aufgetankt und munitioniert, als die 230 „Fliegenden Festungen“ der zweiten Gruppe über dem Reichsgebiet einfliegen. Und diese Armada fliegt nach dem Angriff nicht nach Süden weiter, sondern muss sich den gesamten Weg über dem Feindesland wieder zurück nach England durchkämpfen. Die deutschen Jäger starten teilweise zum dritten Mal, um die Amerikaner beim Rückflug erneut in Empfang zu nehmen. Erst als die rettenden Thunderbolt-Jäger der Amerikaner über Holland und Belgien ihren schwer angeschlagenen Kameraden in den Boeing zu Hilfe eilen, lassen die Deutschen von den Bombern ab.

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Boeing B-17 F „Flying Fortress“ (Fliegende Festung) der 94th Bomb Group/8th USAAF in dem typischen, für viele Amerikaner so ungewohnten nasskalten englischen Wetter ...

60 der B-17 werden abgeschossen – eine enorme Zahl und eine Verlustrate von 16 % ! Weitere vier werden so schwer getroffen, dass sie nicht mehr reparabel sind. Mit ihnen ergeben sich 17 % an Ausfällen. Zusätzlich sind 168 der Bomber getroffen, jedoch „erhaltungswürdig“ bei ihrer Rückkehr. Und drei P-47 Jägerpiloten bezahlen ihre „Hilfsbereitschaft“ mit dem Tode – samt Verlust der drei „Thunderbolts“, was sich auf 67 Maschinen summiert. 559 Männer der Bombercrews kommen nicht oder leblos nach England zurück, 21 sind verwundet, eine fürchterliche Bilanz. *2

Die Deutschen verlieren 38 Jagdflugzeuge und 15 Piloten im Feuer der Bordschützen und der P-47-Eskorte. Weitere 22 Jagdflugzeuge erleiden Beschussschäden, 16 Flugzeugführer fallen vorerst durch Verwundung aus. Es spricht für die Tapferkeit der amerikanischen Bomberbesatzungen, dass die Verwüstungen am Boden trotz des höllischen Spießrutenlaufes beträchtlich sind. Die Ziele werden mit bemerkenswerter Genauigkeit getroffen. Doch die Schäden sind bald repariert. Allerdings werden die Kugellagerreserven zunächst aufgebraucht.

Am 6. September 1943 greifen 338 Bomber neben einigen kleineren Nebenzielen erneut ein schwer verteidigtes Objekt an – die idyllisch gelegene süddeutsche Großstadt Stuttgart. Es ist ein Fiasko, eines der schlimmsten, die die amerikanische Luftwaffe je überstehen muss. 45 B-17 kehren nicht zurück, zehn weitere sind schrottreif, als sie landen. 335 Männer an Bord der Viermotorigen bezahlen den Angriff mit Gefangenschaft oder – größtenteils – mit ihrem Leben, 27 Verwundete kommen gerade noch einmal davon. Diesem Abwehrerfolg stehen sieben Totalschäden der Luftwaffe gegenüber bei zwei gefallenen und fünf verwundeten deutschen Jagdfliegern. Aus deutscher Sicht ein Sieg.

Am 14. Oktober 1943 ist abermals Schweinfurt das Ziel. Jetzt greifen die deutschen Jäger früher an, attackieren die US „Thunderbolt“-Begleitjäger und zwingen sie dadurch, ihre inzwischen verfügbaren, jedoch noch nicht weit genug reichenden Zusatztanks abzuwerfen – was dann ihre Flugdauer weiter reduziert. Danach ziehen sie sich zurück und warten, bis die Thunderbolts verfrüht abdrehen müssen. Der Aderlass der 320 Bomber beginnt. Als die Schlacht vorüber ist, sind erneut 60 der B-17-Kampfflugzeuge zerstört worden, sieben kehren irreparabel zerschossen zurück. Auch eine P-47 wird abgeschossen, weitere vier sind nach ihrer Rückkehr unbrauchbar. 72 Totalverluste also. Weitere 138 B-17 und zwei P-47 benötigen Reparaturen der erlittenen Schäden. 601 Männer der USAAF sind tot oder vermisst, 40 verwundet. Die Deutschen verlieren 34 ihrer Jagdflugzeuge und 16 gefallene Flugzeugführer. Hinzu kommen 29 beschädigte Maschinen und 13 Verwundete.

B-17-Verluste in dieser Höhe sind unerträglich und würden auf die Dauer die 8th USAAF der völligen Vernichtung preisgeben. Die US-Besatzungen haben das Gefühl, Selbstmordeinsätze zu fliegen. Den Kommandeuren der 8. US-Luftflotte bleibt nichts anderes übrig, als ihre Einsätze bei Tage ins Hinterland des deutschen Reichsgebietes hinein zähneknirschend abzubrechen.

Es scheint, als hätten sich die deutschen Jagdflieger, hätte sich Görings Luftwaffe durchgesetzt und den Kampf um den deutschen Luftraum bei Tage für sich entschieden.

Die Notwendigkeit von amerikanischen Langstreckenbegleitjägern mit einer durch spezielle Konstruktion und verbesserte Zusatztanks ausreichenden Reichweite bis tief nach Deutschland hinein ist für die Bomberbesatzungen der „Fliegenden Festungen“ im Herbst des Jahres 1943 zu einer verzweifelten Frage des Überlebens geworden.

Ohne eigene US-Jagdflugzeuge, die auf dem gesamten Einsatzflug Schutz gewähren, sind die US-Ambitionen gescheitert.

Als sie nur Monate später verfügbar sind, ist das Schicksal der deutschen Luftwaffe besiegelt.

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Abschuss einer abgedrängten Boeing B-17 durch ein deutsches Jagdflugzeug ...

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... auch hier wird eine „Fliegende Festung“ getroffen.

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