Der Einsatz am 17. April 1943 gegen Bremen

Das Wetter über dem Zielgebiet ist klar, perfekt für einen Bombenangriff. Es ist 13.00 Uhr nachmittags am 17. April 1943. Fünf 454 kg schwere Bomben (1.000 Pound) lösen sich aus den Halterungen jeder der olivgrünen Boeing B-17-Bomber und fallen durch die geöffneten Bombenschächte. 530 Bomben – eine nach der anderen, 240 ½ Tonnen Sprengstoff. 8.000 Meter tiefer werden die Explosivkörper mit vernichtender Wirkung aufschlagen. Ein hoher Prozentsatz dieser Bomben wird das Ziel treffen, die Focke-Wulf Flugzeugbau-Montagewerke, wo Focke-Wulf 190-Jäger produziert werden.

80 Maschinen verlassen die Werke pro Monat. Die Hälfte der Produktionsanlagen wird zerstört, und mit ihnen zehn bereits komplett fertig gestellte Jagdflugzeuge.

Die Kommandeure der 8. US-Luftflotte stellen für diesen Angriff die größte Bomberstreitmacht zusammen, die von den US-Kommandostellen bisher je ausgesandt wurde. 115 Flugzeuge werden in die Luft gebracht, acht Bomber müssen auf Grund technischer Probleme umkehren, eine B-17 wirft ihre Bomben auf ein „Gelegenheitsobjekt“ ab (target of opportunity). Die verbleibenden 106 „Fliegenden Festungen“ jedoch erreichen das Ziel: Bremen.

Der deutsche Funkhorchdienst hat längst erkannt, dass sich ein großer Einflug ankündigt. Als die Bomber-Wellen beim Anflug über die Nordsee in den Radarbereich der deutschen Funkmessgeräte gelangen, spätestens aber, als gegen 11.45 Uhr ein Aufklärungsflugzeug der Luftwaffe die Formation eine volle Stunde vor Erreichen der deutschen Küste sichtet, sind die Verteidiger gewarnt – und gut vorbereitet. 496 Flugabwehrgeschütze (Flak) und ein Empfangskomitee von etwa 150 deutschen Jägern erwartet den Bomberstrom, dessen erste Welle aus der 91st und 306th Bomb Group (BG) besteht, während die zweite Welle von der 303rd und 305th BG gebildet wird. Jede Welle besteht aus drei gestaffelten Bomberformationen (so genannte „Combat-Boxen“) von jeweils 18 (–21) Flugzeugen, die dicht zusammen fliegen, um sich gegenseitig zu decken und ihr Abwehrfeuer zu bündeln.

Image

Schematische Darstellung zweier Combat-Boxen aus je 18 schweren Bombern.

Jede Combat-Box enthält drei Untergruppen zu jeweils üblicherweise sechs Flugzeugen. Diese Untergruppen („Flights“) fliegen in einer typischen Anordnung, geordnet in zwei Dreierketten („Elements“) pro Gruppe, die sowohl hintereinander versetzt positioniert sind als auch in der Höhe gegliedert. Ebenso sind die Gruppen wiederum gegeneinander versetzt – seitlich, hintereinander und in der Flughöhe. Der erste Flight der Combat-Box fliegt mit seinen sechs Bombern vorne in der Mitte, der zweite Flight in Flugrichtung links dahinter und höher, der dritte Flight in Flugrichtung rechts dahinter tiefer.

Etwa 300 Meter seitlich darüber und darunter folgt jeweils eine andere Combat-Box aus 18 „Fortress“ Bombern, sodass drei Boxen eine Welle bilden. Hinter der die nächste Welle heranfliegt ...

Image

Drei Boeing B-17-„Flights“ beim Sammeln zur „Combat Box“. Sie werden später nicht nebeneinander, sondern in der Flughöhe versetzt gestaffelt fliegen.

Die Feuerkraft einer Bomber-Box hat es in sich. Es ist ein Abwehrfeuer von 13 schweren Maschinengewehren (MGs) pro viermotorigem Bomber des Typs B-17 F. Je zwei parallele MGs befinden sich in motorgetriebenen Drehtürmen – einer am Rumpfrücken und einer unter dem Rumpf, auch die zwei MGs des Heckstandes sind elektrisch unterstützt. Die übrigen MGs feuern handbedient einzeln aus Luken.

Das Abwehrfeuer eines „Flights“ summiert sich auf bis zu 78 Maschinengewehre, die komplette „Box“ verfügt über 234 MGs. Die feuern aber nicht alle in dieselbe Richtung. Ein Angriff von hinten oben seitlich trifft pro B-17 F auf sechs MGs, pro „Flight“ also auf 36 MGs. Leutnant Heinz Knoke nannte dieses immense Feuer „Bomber-Dusche“.

Image

Ansicht einer „Combat-Box“ von vorne (also nicht in Flugrichtung!). Jede Combat-Box besteht aus drei Sechsergruppen („Flights“), jeder „Flight“ setzt sich aus zwei Dreiergruppen („Elements“) zusammen.

Als die 91st BG die Friesischen Inseln passiert, müssen die Bomber das erste heftige und präzise gezielte Flakfeuer überstehen. Kaum, dass die Maschinen aus der Reichweite dieser Flugabwehrbatterien herauskommen, tauchen deutsche Jäger auf. Es sieht so aus, als ob praktisch jeder Typ an Abfangjägern, den die Luftwaffe aufbieten kann, dem als Opfer der Bombenlast auserkorenen Zielgebiet zu Hilfe kommt. Die meisten Jäger sind vom Typ Me 109, so die II. Gruppe des JG 11, die Jagdstaffel Helgoland, die III. Gruppe des JG 54 und die 2. Staffel des JG 27. Doch auch zwei mit Focke-Wulf 190 ausgerüstete Gruppen stürzen sich in den Kampf (I./JG 1 und I./JG 11). Selbst die zweimotorigen Me 110-Nachtjäger des NJG 1 und 3 unterstützen die deutschen Abwehrkräfte.

Die deutschen Jagdflieger manövrieren sich zunächst in eine gute Angriffsposition, richten dann aber bald unter einer Anzahl „Fortress“ der vorderen Bomberpulks schwere Verwüstungen an. Die Sprengwolken der Flak umhüllen nun wieder den US-Verband, doch trotz des inmitten der Bombergruppen krepierenden Sperrfeuers der eigenen Flugabwehrgeschütze fliegt eine Jäger-Welle nach der anderen eine nicht enden wollende Serie von Frontalangriffen gegen die „Fliegenden Festungen“. Diese werden nicht nur von vorne angegriffen – praktisch aus allen Richtungen fallen die deutschen Piloten über die schwerfälligen, doch gefährlich bewaffneten Viermotorigen her. Vor ihren konventionellen Attacken werfen einige der Me 109 sogar von oben Zeitzünderbomben auf die Bomberformation, welche so konstruiert sind, dass sie nach einer eingestellten Fallzeit zünden und inmitten des Bomberstroms gewaltige Explosionen verursachen. Bisweilen mit Erfolg, doch an diesem Tag bringt diese unkonventionelle Idee nichts ein. Zweimotorige Me 110 greifen die Bomber mit ihren 20- und 30-mm-Kanonen aus einer Distanz von über 1.000 Metern an – außerhalb der Reichweite der bordeigenen Abwehr-Maschinengewehre der angegriffenen amerikanischen Bomber.

Image

Es geht los! Eine P-47 C „Thunderbolt“ vor einer Boeing B-17 F beim Start.

Image

B-17 F – hier aus der 390th Bomb Group – vor einem Einsatz.

„Es wird schon gut gehen! Mein Gott – Du bist auf unserer Seite!“ So oder so ähnlich mag man wohl fühlen an Bord der waffenstarrenden Bomber.

Die Hartnäckigkeit der deutschen Verteidiger zahlt sich aus. Die US-Verluste erreichen ein bisher nie gekanntes Ausmaß.

Auf Grund des Dunstes kann der Kommandeur des Führungsbombers, Captain Maas, den IP-Punkt („Initial Point“), an welchem laut Plan der Zielanflug beginnen soll, nicht ausmachen. Trotzdem navigiert er das Ziel an. Er verfehlt es nicht. Pausenlose Attacken der deutschen Jagdflugzeuge erschweren den Bombenwurf. Die Jäger kommen aus jedem Winkel und lassen sich selbst durch das schwere Flakfeuer der deutschen Geschütze, das ihnen durchaus auch selber gefährlich werden kann, nicht beirren. Die Boeing-Besatzungen allerdings ebenfalls nicht. Deren Reihenwürfe treffen präzise. Als die Bomber sich ihrer Last entledigt haben, hebt es die schweren Flugzeuge fast ruckartig nach oben.

Image

Eine P-47 C passt auf – zunächst noch.

„Little friend“ vor seinen Schützlingen.

Nun gilt es nur noch, so schnell wie möglich heil nach Hause zu kommen.

Der Weg zurück wird für die 401st Bomb Squadron der 91st Bomb Group zum Alptraum. Fünf ihrer neun vorhandenen Maschinen fliegen in der verhassten unteren Position der Führungs-Box.

Die erste Boeing der „Low Squadron“ (unterster „Flight“ aus sechs B-17 F), die es trifft, ist jene mit der Produktionsnummer 42-5070 „Invasion 2nd“. Der schwere Bomber hat sein Ziel erreicht – Bremen liegt unter den geöffneten Bombenschächten. Flak-Geschosse beschädigen die Boeing. Doch es ist schließlich der Angriff deutscher Jagdflugzeuge, welcher den Hoffnungen der Besatzung auf eine wohlbehaltene Rückkehr nach Bassingbourn ein jähes Ende bereitet. Drei Jäger fliegen direkt von vorne den Bomber an. Sie schießen dem riesigen Flugzeug den inneren linken Motor (Nr. 2) ab, auch die linke Tragfläche brennt. Das ist das Aus! Captain Oscar D. O’Neill läutet die Glocke zum Verlassen des Flugzeuges und gibt zusätzlich per Bordsprechanlage den Befehl zum Aussteigen. Das Flugzeug wird mehr und mehr zu einer lodernden Fackel! Der Schütze des unteren Kugelturmes kommt aus seinem Gefechtsstand und findet die beiden Rumpfschützen bereit zum Absprung vor der seitlichen Rumpftüre, die sich aber nur teilweise öffnen lässt und dann klemmt. Technical Sergeant Benedict B. Borostowski überlegt nicht lange und schiebt die beiden mit Gewalt durch den Türspalt. Er selber springt durch die Heckluke ab. Es kommen alle zehn Besatzungsmitglieder heraus – durch welche Luke auch immer, teilweise durch den offenen Bombenschacht ...

„Invasion 2nd“ zerschellt nahe Oldenburg. Die erste der sechs Boeing.

Etwa vier Minuten nach dem Zielanflug erschüttert ein gewaltiger Schlag den Rumpf der Nr. 41-24459 „Hellsapoppin“. Ein Flugabwehrgeschoss explodiert direkt unter der linken Seite des Vorderrumpfes. Metallteile fetzen durch den Innenraum, verletzen sowohl den Bombenschützen als auch die Piloten. In diesem Moment trennt ein weiterer Flaktreffer der Boeing die rechte Tragflächenspitze ab. Das Plexiglas der Bugkanzel splittert, ein gewaltiges Loch entsteht im Gefechtsstand des Bombenschützen. Feuer bricht aus, im Bug und in der linken Tragfläche. Nun reißen die Sauerstoffleitungen, der Funkraum verwandelt sich dadurch in ein Flammenmeer. Ein Jäger rast vorbei – im toten Winkel der Maschinengewehre des oberen Rumpfdrehturmes. Ein unwirkliches Schreckensszenario läuft ab ...

Image

So sieht ein Bomberpulk in der Angriffsposition von hinten oben aus. Nur eines fehlt für diese Art Sicht: das Abwehrfeuer der Bordschützen in den B-17.

Der Schütze des oberen Turmes, Technical Sergeant Norman L. Thompson, versucht sich zu orientieren. Die Bordsprechanlage ist ausgefallen – was ist los? Dass der Bomber brennt, ist nicht zu übersehen! Kein anderer Schützenstand feuert! Was ist mit seinen Kameraden, sind sie tot? Thompson klettert aus seinem Maschinengewehrturm – unter und vor seinem Gefechtsstand ist die Pilotenkanzel. Beide Piloten sind blutüberströmt. 1st Lieutenant John W. Wilson, der Pilot, hat offensichtlich eine Kopfverletzung, den Copiloten, 1st Lieutenant Arthur A. Bushnell, hat es an am ganzen Körper getroffen. Blut strömt aus dem rechten Auge, beiden Beinen, dem linken Arm und der rechten Hand. Den Bombenschützen hat es im linken Bein erwischt. Besser vielleicht als sonst wo, denn 1st Lieutenant Romm war kurz vor Bremen bereits durch das Geschoss einer Focke-Wulf 190 verwundet worden – auch im linken Bein. So ist es wenigstens dieselbe Körpergegend ein weiteres Mal. Sie tut schon weh!

Image

Beschussschäden an einer B-17 F, offenbar entstanden am 28. Juli 1943.

Thompson erkennt, dass der Bomber jeden Moment explodieren kann. Also öffnet er die bereits wieder geschlossenen Tore des Bombenschachtes. Es funktioniert – die Elektrik erfüllt ihren Dienst – noch! Thompson springt ab. Auf fast wundersame Weise schaffen es 1st Leutnant Bushnell, 1stLeutnant Barton, 1st Lieutenant Romm und Technical Sergeant Howard A. Earney, der Funker, ebenfalls. Trotz ihrer Verwundungen.

Es ist anzunehmen, dass eine deutsche Me 109 dem Bomber den „Rest“ gibt. Leutnant Heinz Knoke, Staffelkapitän der 5./JG 11, wird der Abschuss konkret dieses Bombers zugesprochen – nach mehreren Anflügen. So eine „Fliegende Festung“ steckt einiges an Beschuss-Schäden weg, offensichtlich! Doch irgendwann ist es zu viel. „Hellsapoppin“ bricht mit dem verbleibenden Rest ihrer Besatzung an Bord im Bereich des Funkraumes auseinander. Der Bomber schlägt etwa 30 Kilometer südwestlich von Bremen auf dem Boden auf.

Zu dem Zeitpunkt, als die B-17 Nr. 42-5172 „Thunderbird“ (Code Image) von einer Flak-Flugabwehrgranate getroffen wird, sind nur noch vier Flugzeuge des „Flights“ übrig. Die Steuerbord-Motoren Nr. 3 und 4 fangen Feuer, die rechte Tragfläche brennt sofort durch entflammtes Öl. Auch im Funkraum und im Bombenschacht bricht Feuer aus. Der Pilot, 1st Lieutenant Harold H. Beasley, betätigt den Feuerlöschknopf. Nichts tut sich.

Der Schütze des Kugelstandes unter dem Rumpf, Staff Sergeant James Branch, wird am Augenwinkel von einem Granatsplitter getroffen. Blut strömt über sein Gesicht. Er bittet den Piloten über die Bordsprechanlage, seinen Abwehrstand verlassen und nach oben in den Rumpf kommen zu dürfen. Lieutenant Beasley gestattet es ihm. Branch schnappt sich einen Feuerlöscher und versucht, die Brände im Funkraum und im Bombenschacht zu löschen. Es gelingt ihm nicht. Beasley gibt daraufhin das Klingelsignal für die Crew zum Fallschirmabsprung. Der Heckschütze Staff Sergeant Johnnie Cagle verlässt das angeschossene Flugzeug durch die Heckluke. Staff Sergeant Branch sieht, wie der Funker, Technical Sergeant Jay Franklin, vermutlich auf Grund von Sauerstoffmangel bewusstlos zusammenbricht, als er auf dem Weg zur Heckluke den rauchgeschwängerten Funkraum verlassen will. Branch und der rechte Rumpfschütze, Staff Sergeant Everett Creason, ziehen ihn hoch und werfen ihn einfach über Bord in der Hoffnung, er werde schon zu sich kommen und dann seinen Fallschirm öffnen, sobald er wieder genug Sauerstoff atmen könne. Zum Glück ist es so. Nach Franklins unsanftem Hinauswurf verlassen die Rumpfschützen und Staff Sergeant Branch selber ebenfalls das Flugzeug.

Zur selben Zeit steigt der Bordmechaniker Technical Sergeant Mark Schaefer aus seinem oberen Drehturm hinab zu Pilot und Copilot, um ihnen bei der Stabilisierung des Flugzeuges zu helfen. Keine Chance – der Steuerknüppel lässt sich in alle Richtungen bewegen, ohne den geringsten Effekt. Die Steuerung ist völlig zerschossen! Also folgt er dem Navigator, 1st Lieutenant Harry D. Sipe, und springt durch die Bugluke ab.

Als ein deutscher Jäger auftaucht, sind nun nur noch der Bombenschütze 2nd Lieutenant Mathew Michaels und die beiden Piloten an Bord. Michaels schießt auf ihn mit dem seitlichen vorderen Maschinengewehr, verfehlt ihn aber. In der Bugkanzel sitzend sieht er ein weiteres deutsches Jagdflugzeug im Frontalangriff auf sich zujagen gerade, als der Boeing-Bomber anfängt abzukippen. Dieser Jäger schießt dem Bomber mit seinen 20-mm-Kanonen einen Teil des Rumpfbuges weg. Michaels weiß nicht, wie er aus dem Flugzeug herauskam – möglicherweise wurde er durch das Loch in der Bugkanzel herausgezogen, welches die Geschosse des Jägers rissen. Vielleicht sprang er auch ab, nur noch halb bei Bewusstsein durch die Explosion und somit, ohne sich daran erinnern zu können? Jedenfalls schwebt er wie durch ein Wunder sicher zu Boden.

Der Pilot Lieutenant Beasley und Copilot Lieutenant McCain schaffen es nicht. Man findet sie tot im abgestürzten Wrack der „Thunderbird“ etwa 30 Kilometer südwestlich von Bremen.

Es ist gut möglich, dass der Abschuss der „Thunderbird“ diejenige B-17 definiert, welche Feldwebel Hans-Gerd Wennekers für sich in Anspruch nimmt. Wennekers fliegt zusammen mit Knoke in der 5./JG 11. Seine Me 109 trägt die schwarze Nummer Image “. Da „Thunderbird“ nur Minuten nach „Hellsapoppin“ fast an derselben Stelle aufschlägt, mag aus der bekannten Zuordnung des Abschusses von „Hellsapoppin“ zu Leutnant Knoke geschlossen werden, dass „Thunderbird“ einem von Knokes Staffelkameraden zum Opfer fällt. Von diesen schießt nur Hans-Gerd Wennekers eine B-17 ab, Unteroffizier Biermann gelingt eine schwere Beschädigung. Mit letzter Sicherheit wird es sich nie feststellen lassen.

Bereits auf dem Zielanflug wird 42-29574 „The Sky Wolf II“ von Flugabwehrgeschossen getroffen. Dann nehmen sich deutsche Jäger den Bomber vor. Frontal rasen die Jagdflugzeuge auf die Boeing zu. Vor den entsetzten Augen des Piloten 1st Lieutenant Nicholas P. Stoffel und seines Copiloten Captain Robert A. Foster zerbersten die Windschutzscheiben der Führungskanzel. „Jäger von links!“ Warnschreie über den Bordfunk alarmieren über Angriffe aus allen Richtungen. Manche der deutschen Piloten jagen so nahe an dem angeschossenen Bomber vorbei, dass Stoffel und Foster ihre Augen sehen können. Dann kracht es schwer in der Maschine. Das Geschoss eines deutschen Jagdflugzeuges reißt ein Loch in die Bugkanzel und verwundet den Bombenschützen, 2nd Lieutenant Everet A. Coppage, am Gesäß schwer. Der Pilot, Lieutenant Stoffel, wird am Bein verwundet, es ist sein linkes. Das rechte Bein des Copiloten Foster ist ebenfalls aufgerissen, blutet stark. Captain Foster ist sich klar, dass er an Bord verbluten wird, wenn er nicht schnellstens Hilfe bekommt. Er kriecht zum Bug des Bombers, um abzuspringen – in der Hoffnung, dass die Deutschen ihm helfen würden. Im letzten Moment bemerkt er, dass er seinen Fallschirm vergessen hatte. Er kehrt zu seinem Sitz zurück, schnallt ihn um – und verlässt die Boeing.

Nach einigen Sekunden im freien Fall zieht Foster die Reißleine – und hat sie in der Hand, frei vom Rest seines Fallschirmes und abgerissen. Verzweifelt versucht der junge Amerikaner, die Hülle seines Schirmes im Fallen mit der Hand zu öffnen. Schließlich gelingt es ihm. Mit dem Schlauch seiner Sauerstoffmaske bindet sich Foster im Schweben das Bein ab. Endlose Minuten – dann ist er unten. Foster findet sich in einem Feld wieder. Aufstehen kann er nicht. Wütende Schreie erreichen ihn, als eine aufgebrachte Gruppe deutscher Bauern auf den Amerikaner zurennt. Das lässt nichts Gutes ahnen! Zum Glück für Foster nähert sich von der anderen Seite ein Militärfahrzeug. Die deutschen Soldaten sind schneller als die Bauern – und retten Foster zumindest vor einigem Ungemach, wenn nicht vor dem Lynchtod. Fünf Monate verbringt der junge Amerikaner im Krankenhaus in Oldenburg. Danach ist sein Bein verheilt, dank den Bemühungen der Oldenburger Ärzte.

„The Sky Wolf II“ wird derweil von Lieutenant Stoffel alleine weitergeflogen – und von Flak-Geschossen wie auch Bordwaffenfeuer geradezu durchsiebt. Weitere Besatzungsmitglieder werden verwundet, Lieutenant Coppage trifft es erneut – dieses Mal im Gesicht. Der ebenfalls bereits verletzte Navigator, 1st Lieutenant John F. Segrest, hilft ihm, aus dem Bomber zu kommen. Zu dem Zeitpunkt lebt Coppage noch. Den Absprung insgesamt bis zum Aufkommen auf der Erde überlebt er nicht.

Als ein weiterer Treffer die komplette Elektrik der „Fliegenden Festung“ außer Kraft setzt, läutet der Pilot die Klingel mit dem Signal, das Flugzeug zu verlassen. Der Heckschütze, Sergeant Medina, antwortet nicht – schon eine ganze Weile. Ist er tot oder verwundet? Der Weg zum Heck ist weit – zu weit für die Rettung eines vermutlich Toten! So springen Stoffel und Segrest durch die Bugluke ab.

Der Schütze des Kugel-Turmes unter dem Flugzeug, Sergeant Quist, hört hinter seinen beiden parallelen Maschinengewehren den Klingelbefehl zum Aussteigen mit blankem Entsetzen. Für ihn ist es ein Todesurteil! Um aus dem Bomber heil herauszukommen, muss er sein kugelförmiges Gefängnis so drehen, dass die Rohre der MGs nach unten zielen und die Einstiegsöffnung somit ins Rumpfinnere zeigt. Nur so kann er seinen Abwehrstand zum Inneren des Bombers hin verlassen, um an den Fallschirm heranzukommen. Doch die Bewegung des MG-Standes wird von Elektromotoren gesteuert.

Und diese sind ausgefallen ...

„The Sky Wolf II“ zerschellt 16 Kilometer südlich von Aurich in Ostfriesland. Mit Sergeant Carl H. Quist. Insgesamt fünf Männer der Crew sind tot. Nun bleiben noch zwei Boeing-Bomber in der „Low Squadron“ übrig.

Der Bomber mit der Produktionsnummer 42-5391 heißt „Rain of Terror“. Ein zutreffender Name, fürwahr! Wenn auch noch nicht in diesem Stadium des Bombenkrieges, als die Amerikaner sich noch auf industrielle und militärische Ziele konzentrieren und ernsthafte Skrupel haben, sich an den Flächen-Bombardierungen der britischen Royal Air Force unter Sir Arthur Harris gegen die Zivilbevölkerung zu beteiligen.

Auch der Opfergang dieser Boeing beginnt bereits über dem Ziel. Flak-Geschosse treffen den Bomber ebenso wie die Bordwaffen von Messerschmitt- und Focke-Wulf-Jägern. Brände brechen aus, Feuer an Bord. Ein weiterer Jäger-Angriff! Geschosse schlagen in den Aluminium-Rumpf, verwunden den oberen Turmschützen Technical Sergeant Robert F. Flanagan und töten Staff Sergeant Nick Sandoff, den Heckschützen. Zumindest sieht man ihn zusammengebrochen in seinem Abwehrstand liegen.

Als das Feuer den Cockpitbereich erreicht, gibt der Pilot 1st Lieutenant Robert B. Walker den Befehl zum Abspringen. Wer noch kann, folgt dem Befehl. Warum der linke Rumpfschütze, Staff Sergeant Donald J. Snell, nicht lebend den Erdboden erreicht, ist unklar. Die beiden Piloten steuern das Flugzeug weiter, als der noch lebende Rest der Besatzung längst am Fallschirm schwebt. Sie schaffen eine Bauchlandung am Strand und verbringen den Rest des Krieges in deutscher Kriegsgefangenschaft. Immerhin – sie leben!

Die „Low Squadron“ besteht noch aus einer Boeing. Sie gehört nicht zur 401st Squadron der 91st Bomb Group, sondern zur 323rd Squadron/92nd BG. Ob dies der Grund ist, dass sie durchkommt?

Die untere Gruppe wird von den deutschen Verteidigern praktisch vernichtet. Auch die anderen Pulks erleiden schwere Verluste. 16 B-17-Bomber werden zerstört – 50 Prozent mehr, als in irgendeinem einzelnen Einsatz bisher eingebüßt wurden. Kaum eine Boeing bleibt ungeschoren, 39kommen mit Beschädigungen zurück! 161 Besatzungsmitglieder sind tot oder vermisst, vier überleben verwundet.

Die Deutschen verlieren dagegen nur vier Jäger: Unteroffizier Hans Pelzer (3./JG 1, ( Image, Werknummer 140566) fällt in seiner Fw 190 A-4, ferner geht eine Me 109 T der Jasta Helgoland durch Beschuss verloren – ihr Pilot ist Unteroffizier Herold, er rettet sich durch Fallschirmabsprung. Eine Me 109 G-4 der 9./JG 54 (Image, Werknummer 14935) zerschellt durch Zusammenstoß mit einer B-17. Auch der Pilot dieser Me 109 kommt mit dem Schrecken davon und entgeht dem Tod durch Absprung mit dem Fallschirm, es ist Hauptmann Bob. Eine Me 110 E-1 der 1./NJG 3 wird durch die US-Bordschützen abgeschossen, zwei der drei Männer an Bord sterben. Zudem kollidieren zwei Me 110 G-4 der III./NJG 1 ohne Feindeinwirkung, was als Flugunfall anzusehen ist.

Neun Jagdmaschinen werden beschädigt, vier davon durch Notlandungen nach Motordefekt oder Spritmangel – man hatte bei der hitzigen Verfolgung die Tankuhr übersehen!

17. April 1943

Image

Flugzeugtyp:

Messerschmitt Bf 109 G-1/R6

Nationalität:

Luftwaffe

Einheit:

5. Staffel (II. Gruppe)/JG 11

Pilot:

Feldwebel Hans-Gerd Wennekers

Stationierung:

Jever/Deutschland

Flugzeugtyp:

Boeing B-17 F „Flying Fortress“

Nationalität:

US-Air Force/8th Air Force AAF

Einheit:

401st Bomb Squadron/91st Bomb Group

Flugzeug:

(Produktionsnummer 42-5172) „Thunderbird“

Stationierung:

Bassingbourn/England

Image

Hinweis: die Karte zeigt im Gegensatz zu den Frontverlaufskarten den Nachkriegsgrenzverlauf (Elsass-Lothringen, Luxemburg u.a.), da hier die Lokalisation des Ortes aus heutiger Sicht im Vordergrund steht.

Image

Messerschmitt Bf 109 G-1/R6, 5. Staffel (II. Gruppe) des JG 11, Feldwebel Hans-Gerd Wennekers.

Image

Boeing B-17 F N° 42-29591 -Image- der 401st Bomb Squadron/91st Bomb Group „The Shamrock Special“.

Sie war der Nachfolger von N° 42-5172 –Image-„Thunderbird“, von welcher kein Profil existiert.

Image

Messerschmitt Bf 109 G-6 mit Werferrohren für die 21-cm-Wurfgranate 42, Rüstsatz „R2“.

Ab dem Sommer des Jahres 1943 versuchen die Deutschen, mit einer fast abenteuerlichen Waffe die feindlichen Bomberverbände auseinander zu sprengen, um die dann nicht mehr dicht an dicht im Pulk fliegenden viermotorigen Maschinen einzeln besser bekämpfen zu können. Im späteren Flugzeug-Handbuch D.(Luft) T.2190 A-7 bis A-9, Teil 8 C für die Focke-Wulf 190 A-7 bis A-9 heißt es:

Image

Hier findet sich dieselbe Ausrüstung unter der Tragfläche einer Focke-Wulf 190 A-5 (bei der Focke-Wulf ist dies der Rüstsatz „R6“).

„Teil 8 C/Sonderwaffenanlage: 21 cm BR (Stand Juni 1944)“, dort auf Seite 5:

„Das 21-cm-BR-Gerät dient zum Ausstoßen eines drallgesteuerten Geschosses, der 21-cm-Wurfgranate 42 (Kenntnis des Merkblattes über die Munition „H. Dv. 481/62“ und die vorläufige Schußtafel „H. Dv. 119/984“ erforderlich) mit Glühbrückenzünder ERZ 38. Da diese Waffe keinen gezielten Schuß ermöglicht, ist sie nur gegen Flächenziele (feindliche Kampfverbände) wirksam.“

Image

B-17 F der 410th Bomb Squadron/94th Bomb Group nach dem Bombenwurf. Das Ziel ist das Focke-Wulf-Montagewerk in Marienburg, daher die sichtbare Startbahn. Das Werk wird bei diesem Angriff am 9. Oktober 1943 schwer getroffen.

Es handelt sich eigentlich um eine Artilleriewaffe des Bodenkrieges, den so genannten „Nebelwerfer“. Die 21-cm-Raketengeschosse können bei einem direkten Treffer jeden Bomber absolut vernichtend in seine Einzelteile zerlegen – doch ein solcher Treffer ist bis zu einem beträchtlichen Grad Glückssache! Die Raketen werden in Rohren unter den Tragflächen mitgeführt – eines unter jeder Tragfläche einer Me 109 oder Focke-Wulf 190, zwei unter jedem „Flügel“ einer Me 110 oder Me 410. Die Rohre sind in einem Winkel von 15° nach oben montiert, da das Gewicht des Geschosses zu einer beträchtlichen, der Schwerkraft folgenden Abwärtskurve der Flugbahn führt.

Das genaue Zielen ist also schwerlich möglich. Diese eher unförmige Ausrüstung soll ja auch nicht primär zu einzelnen Treffern, sondern zum Auseinandertreiben der Bomber-Formation führen, wobei man damit rechnet, dass von einer Vielzahl abgefeuerter Projektile einige ihr Ziel wohl finden werden. In der Tat ist dies eher selten, aber doch bisweilen der Fall. Die Nachteile dieses Notbehelfs wiegen allerdings schwer – im wörtlichen Sinne! Das Zusatzgewicht und der enorm erhöhte Luftwiderstand der Werferrohre machen einen so ausgerüsteten Jäger noch weniger konkurrenzfähig gegen feindliche Jagdflugzeuge, als dies bereits mit den Gondelwaffen der Messerschmitt Bf 109 der Fall ist! Daher wird später wieder auf diesen Rüstsatz verzichtet. Erst im Jahr 1945 stehen in der Militärgeschichte erstmals mit den deutschen R4M-Raketen echte, höchst potente Luft-Luft-Raketen zur Verfügung.

Image

Die zweimotorige Silhouette hinter dieser B-17 F der 100th BG ist eine deutsche Me 410, die gerade in Schussposition einkurvt. Der schwere Jäger kann sich außerhalb der Reichweite der B-17-Bord-MGs halten und dennoch schwer treffen – sofern er nicht durch US-Jäger „gestört“ wird ...

Image

Eine Boeing B-17 F der 385th Bomb Group im Landeanflug. Geschafft! Es ist noch mal gut gegangen. Dieses Mal ...

Image

Boeing B-17 F der 569th Bomb Squadron aus der 390th Bomb Group über dem Ziel.

Die Zeit des „Abtastens“ zwischen den amerikanischen Strategen und der deutschen Luftwaffe ist vorbei. Man hatte es wissen wollen. Und eine klare Antwort erhalten. Aber so schnell geben die US-Kommandeure nicht auf. Schließlich geht es auch um die Reputation ihrer Waffe.

Und somit um ihre eigene! Auch sie sprechen diese Sprache ...

Die Schlacht um den deutschen Luftraum hat begonnen!

If you find an error or have any questions, please email us at admin@erenow.org. Thank you!