1. Der Geist aus der Flasche

“Es gibt eine Menge von Leuten, die sagen, dass Bomben den Krieg nicht gewinnen könnten. Meine Antwort darauf lautet: Es hat nur noch niemand versucht! Wir werden sehen!”

Air Marshal Arthur Harris im Februar 1942,

Chef des britischen Bomber Command.

“Wenn einmal Arbeiterwohnungen oder zivile Anlagen getroffen werden, so sind dies bedauerliche Zielfehler und durch jene Tatsache bedingt, dass Arbeiterhäuser stets in unmittelbarer Nähe zu diesen Fabriken stehen. Selbstverständlich ist auch die Brechung des Widerstandes der deutschen Zivilbevölkerung Ziel unserer Bomberkräfte!”

Winston Churchill im August 1942, britischer Premierminister.

“Die Opfer sind in die schlimmste aller Missgunst gefallen: sie langweilen!”

Albert Camus über die offiziell 67.078, geschätzt eher 300.000 französischen Opfer alliierter Bomben.

Es ist ein scheinbar friedliches Bild, als die Gruppe britischer Jagdflugzeuge majestätisch über die glitzernden Wogen des Wassers dahingleitet. Weit unter den elegant zu einer Spitze auslaufenden Tragflächen der Supermarine-Jäger liegt der raue Ärmelkanal, welcher Frankreich von England trennt. Derzeit trennt er die feindlichen Lager, denn Frankreich gehört den Deutschen. Die britischen Piloten in den „Spitfire“ getauften schnittigen Flugzeugen sind fest entschlossen. Sie werden verhindern, dass ihrer britischen Heimat ein ähnliches Schicksal widerfährt. England werden die nicht kriegen!

Viel hatte man schon hinter sich nun, Anfang des Jahres 1941. Schlimme Krisen hatte man überwinden müssen. Fast hätten es diese Deutschen mit ihrer Luftwaffe geschafft, sie in die Knie zu zwingen! Es hätte wirklich nicht mehr viel gefehlt, und die britische Royal Air Force hätte geschlagen am Boden gelegen. Dann wäre der Weg frei gewesen über den Kanal! Doch nun war man schon wieder in der Lage, den deutschen Hundesöhnen in Frankreich respektable Gegenbesuche abzustatten. Wenn man das so nennen kann. Jedenfalls hatte man den „Jerries“ mal wieder etwas eingeheizt heute!

Die Spitfires und Beaufighters des „Tangmere Wing“ sind auf dem Rückflug von einem ihrer häufigen Störangriffe auf deutsche Ziele an der französischen Kanalküste, souverän geleitet von ihrem Wing Commander. Der fliegt an der Spitze des Verbandes inmitten seiner Kameraden, als diese unvermittelt entsetzt auseinander jagen. Ihr Kommandeur öffnet die Cockpithaube seiner Spitfire, schiebt die Glaskanzel zurück. Helle Aufregung herrscht unter den neben ihm das Weite suchenden Piloten.

Ihr Kommandeur fliegt sein Hochleistungsflugzeug nun offensichtlich mit den Oberschenkeln, zwischen denen er den Steuerknüppel eingeklemmt hält. Das ist erkennbar, denn er hat sichtbar beide Hände frei! Eine kaum wahrnehmbare Rauchfahne schlängelt sich aus der Führerkanzel, verliert sich im Fahrtwind der Spitfire.

Die britischen Piloten schaffen Platz zwischen sich und ihrem Chef, dessen Maschine dem Augenschein nach nun jederzeit in die Luft fliegen kann. Die offene Kanzel ist ein Indiz für die gefährliche Situation! Zumindest befürchten das Douglas Baders Kameraden, als der mit zwei Beinprothesen fliegende Gruppenkommandeur sich mal wieder im Cockpit seine Pfeife ansteckt ...

Das war, weiß Gott, nicht immer so! Lange sah es nicht so aus, als hätte Douglas Bader auch nur eine winzige Chance, zu dem zu werden, was er im Jahr 1941 ist: ein Idol für sein Land. Schon die ersten Jahre seines Lebens waren schwierig gewesen, als ihn Vater und Mutter wenige Monate nach der Geburt am 10. Februar 1910 in England zurückließen. Sein Vater war als Bauingenieur nach Indien versetzt worden – in ein Klima, welches seine Eltern als gänzlich ungeeignet für einen Säugling betrachteten. Erst im Alter von zwei Jahren war die Familie wieder vereint. Bis sein Vater im Ersten Weltkrieg in Frankreich durch einen Granatsplitter fiel. Frederick Bader wurde in der Nähe von St. Omer begraben. Gerne wäre sein Sohn im Jahr 1941 an seinem Grab gestanden. Doch in Frankreich stehen die Deutschen! Und diesen hatte Großbritannien den Krieg erklärt.

Douglas Bader sollte noch ganz in die Nähe des Grabes seines Vaters kommen. Zu Fuß! Beziehungsweise zu Prothese. Doch das weiß der junge Gruppenkommandeur zu diesem Zeitpunkt nicht.

Trotz Widerständen in seiner Familie tritt Douglas Bader im Jahr 1928 in die britische Royal Air Force (RAF) ein. Dort macht er sich schnell durch seine rebellisch aufsässige Art unbeliebt. Erst eine gehörige Standpauke seines Flugplatzkommandanten in Cranwell, Air Vice Marshal Halahan, bringt den jungen Mann zur Besinnung! „Sie sind jung, ich verstehe Ihre Probleme, aber die Air Force wird Ihre Probleme später nicht mehr tolerieren! Die wollen Männer da, nicht Schuljungen!“

Das nimmt sich Bader zu Herzen. Er spürt und weiß, dass Halahan nicht ganz Unrecht hat mit dem, was er sagt. Bader strengt sich an, trainiert hart. Fast hätte er die Auszeichnung als bester Absolvent der Kadettenschule erworben, das „sword of honour“. Doch der zweite Platz ist auch nicht übel!

Der junge Pilot Officer (Leutnant) der Royal Air Force wird zur 23 Squadron nach Kenley versetzt. Die Staffel fliegt die kleinen gedrungenen Gloster „Gamecock“-Doppeldecker, eine manövrierfähige Maschine, in der sich Douglas Bader schnell sicher fühlt. Sicher genug für elegante Kunstflugmanöver, selbst im Tiefflug. Bader verschafft sich als exzellenter Pilot Respekt unter seinen Kameraden.

Wenig später wird der Gloster-Doppeldecker vom bulligen Typ Bristol „Bulldog“ abgelöst. Dieser Doppeldecker ist schneller, doch auch schwerer und tückischer als sein Vorgänger. Vor allem in niedrigen Höhen ist er schwer zu halten.

Jener Montag im Dezember 1931, der 14. genau, wird Baders Schicksalstag. Drei Piloten der 23 Squadron fliegen mit ihren Maschinen von Kenley zum Flugplatz Woodley, wo sie von einem jungen Piloten im dortigen Clubhaus in eine Diskussion über Flugakrobatik verwickelt werden. Bader, dessen Flugkünste sich inzwischen herumgesprochen haben, wird von dem jungen Kameraden genötigt, eine Probe seines Könnens zu geben. Bader zögert, dann weigert er sich mit dem Hinweis darauf, dass er für derartige Flugmanöver noch nicht genügend Erfahrung mit der Bristol „Bulldog“ habe.

Irgendwann steht der unselige Vorwurf des Kneifens im Raum. Das lässt Bader nicht auf sich sitzen! Wenig später befindet er sich im Cockpit seines Doppeldeckers und fliegt im rasanten Tiefflug über der Piste eine waghalsige Rolle. Er fliegt sie eine Spur zu tief. Die linke Tragflächenspitze seiner Bulldog berührt den Boden. Der Doppeldecker überschlägt sich und zerschellt.

Entsetzt bergen die umstehenden Piloten den jungen Douglas Bader aus den Trümmern seines Flugzeuges. Bader wird sofort in das Royal Berkshire Hospital eingeliefert, wo er in die Hände eines der besten Chirurgen gelangt, die in England zu dieser Zeit praktizieren. Doch sein linkes Bein war unter dem Sitz des Jagdflugzeuges zertrümmert worden, das rechte im Ruder-Pedal eingeklemmt.

Der Chirurg hat keine Wahl. Baders „Ehre“ kostet ihn das rechte Bein bis über dem Kniegelenk, einige Tage später muss ihm das linke Bein unter dem Kniegelenk amputiert werden.

Wenige Ärzte geben dem 21-jährigen Bruchpiloten eine ernsthafte Überlebenschance. Doch Douglas Bader gibt nicht auf. Er will leben! Der junge Mann ist zäh, fast übermenschlich zäh.

Ins Royal Air Force Hospital nach Uxbridge verlegt, lernt Bader 1932 die Dessoutter-Brüder kennen. Immer noch ist sein Genesungsweg schwer und schmerzhaft, doch Marcel Dessoutter, ein früherer Flugzeugkonstrukteur, macht ihm Mut. Auch er hatte durch einen Flugunfall ein Bein verloren. Danach hatte er eine Firma für künstliche Beinprothesen aus Leichtmetall und Aluminium gegründet.

Bader ist der erste Patient, welcher zwei Beinprothesen erhält. Mit eisernem Willen überwindet er alle Widerstände. Er lernt zu gehen – ohne Stock. Dann beginnt er, wieder Auto zu fahren. Und irgendwann einmal keimt in ihm der Wunsch auf, wieder zu fliegen. Er wird zu einer Besessenheit.

In einem Pub in Uxbridge lernt Bader seine künftige Frau Thelma kennen. Sie arbeitet im „Pantiles“ als Kellnerin. Die Beziehung zu Thelma gibt Bader neuen Lebensmut. Vor allem, als er unter Vermittlung von Staatssekretär Sir Phillip Sasson am Flugplatz Lympne ein Avro 504-Schulflugzeug fliegen darf.

Seine Flugkünste geben keinerlei Anlass zur Kritik. Bader beherrscht das Trainingsflugzeug – auch mit zwei Beinprothesen. Ein medizinisches Gutachten bescheinigt ihm daraufhin eingeschränkte Flugtauglichkeit.

Bader ist glücklich – bis ihn die Royal Air Force im April 1933 trotz des Gutachtens endgültig in Pension schickt. Wegen Vollinvalidität. Für Bader bricht die Welt zusammen.

Es bleibt dem jungen Mann nichts anderes übrig, als seine Flugträume zu begraben. Er nimmt einen Schreibtischposten in der Asiatic Erdöl Company an, heute unter dem Namen „Shell“ bekannt. Sein einziger Lichtblick ist die Hochzeit mit seiner Frau Thelma im Jahr 1935. Douglas Bader lebt sein Leben, doch seine Leidenschaft gehört der Fliegerei. Vor allem der Royal Air Force. Und die braucht ihn nicht.

Bis Deutschland im Jahr 1939 in Polen einmarschiert ...

Dieser Feldzug verändert das Gesicht der Welt. Er dauert wenig mehr als einen Monat. Danach gibt es in England ein neues Wort: „Blitzkrieg“. Es hört sich seltsam an, mit englischem Akzent gesprochen. Doch das Wort umrundet den ganzen Erdball. Seine fürchterlichen Konsequenzen ebenfalls.

Maßgeblichen Anteil an der Existenz dieses Wortes hat ein Mann, der eines Tages Douglas Baders Lebensweg kreuzen sollte. Es ist ein deutscher Pilot, geboren am 19. März 1912 in Westerholt. In Friedenszeiten würde man „Fliegerkamerad“ dazu sagen. Ja, in Friedenszeiten ...!

Doch wie sagte der französische Marschall (französisch: Maréchal) Foch in Versailles, wo am 28. Juni 1919 die Abgesandten des im Ersten Weltkrieg unterlegenen Deutschen Reiches einen bitter demütigenden „Friedensvertrag“ unterzeichnen mussten? Im Spiegelsaal des Schlosses, demonstrativ genau an dem Ort, an dem am 18. Januar 1871 eben dieses deutsche Reich gegründet worden war – nach der Niederlage Frankreichs? Er sagte:

„Das ist kein Frieden, das ist ein Waffenstillstand für zwanzig Jahre!“

Er sollte sich irren. Wenn auch nur um gerade mal zwei Monate ...

Nein, sie sind nicht friedlich, diese Zeiten. Selbst ohne Schüsse nicht. Denn es stimmt auch im Jahr 1932, weit vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, nicht friedlich, wenn einem begeisterten Flieger das Fliegen verwehrt werden soll. Es schafft ein Feindbild. Wer sind diese Engländer und Franzosen, die sich da im „Versailler Vertrag“ angemaßt hatten, der deutschen Jugend den technischen Fortschritt zu verbieten? Ja sicher, Deutschland hatte den Ersten Weltkrieg verloren. Doch wie hatte man ihn denn „verloren“? Gegen die Russen im Osten hatte man sich eindeutig siegreich durchgesetzt, in Italien waren die Österreicher am 28. Oktober 1918 am Piave in Venetien zwar schwer geschlagen worden – aber besiegt? Besiegt waren sie nicht! Und im Westen hatte die zunehmende Unterstützung der Amerikaner mit ihren frischen Truppen die Front ins Wanken gebracht. Nachdem aber andererseits die deutsche März-Offensive die britische Front durch einen 70 Kilometer tiefen Einbruch fast zum Zusammenbruch getrieben hatte. Mit der Juni-Offensive an der Aisne war man doch immerhin bis auf wenige Dutzend Kilometer an die französische Hauptstadt Paris herangekommen! Ohne die Amerikaner hätten die doch einpacken können gegen unsere Truppen, oder etwa nicht? Ja, danach hatte man am 8. August 1918 an der Somme bei Amiens eine schwere Niederlage einstecken müssen – erstmals und völlig überraschend gegen Stahlkolosse auf Ketten, die nur durch Geschützfeuer zu stoppen sind. Die Briten hatten sie aus Geheimhaltungsgründen „Tank-Fahrzeuge“ genannt. Die Deutschen finden ein anderes Wort dafür: „Panzer“. Aber zusammengebrochen war sie doch trotzdem nicht, die deutsche Westfront, oder? Man war auf dem Rückzug gewesen, aber nicht besiegt! Nein, erst als die deutsche Admiralität am 29. Oktober 1918 eine letzte, hoffnungslose Seeschlacht befohlen hatte, den „ehrenvollen Untergang“ der kaiserlichen Flotte, war es zu jenem Matrosenaufstand gekommen, der sich zur so genannten November-Revolution entwickelt hatte. Und zum Abdanken des Kaisers – mehr oder minder unfreiwillig! Die Front war hinter dem Rücken der tapferen Kämpfer unserer Armee verraten worden, so wird das in dieser Zeit von dem allermeisten Deutschen gesehen! Der Mythos der so genannten „Dolchstoßlegende“ beginnt zu entstehen. Es mag völlig dahingestellt sein, ob er zutrifft – so undifferenziert ganz gewiss nicht, wie er sich in den Herzen der besiegten Deutschen verfestigt! Doch er definiert die Stimmung einer Nation, die das Gefühl hat, dass die ehemaligen Gegner eine innenpolitische Schwäche ihres Feindes schamlos und charakterlos ausgenutzt hatten.

Gibt der Umstand, dass man sich in Anbetracht des Aufruhrs im eigenen Land und der kritisch desolaten militärischen Lage zu ehrenvollen Waffenstillstandsverhandlungen genötigt sah, den so genannten Siegermächten das Recht, Deutschland einen derart despektierlichen „Friedensvertrag“ aufzuzwingen? Mit Bedingungen, die geradezu eine Schande sind? „Reparationszahlungen“ an England und Frankreich in einer Höhe, die Deutschland ausbluten lassen müssen! 132 Milliarden Goldmark! Wer soll das jemals bezahlen? Eine nachhaltige Inflation war entstanden! Das hatte man nun davon! Noch dazu: Alle Kolonien hatte man hergeben müssen, ein bitterer Schlag! Die Schiffe der deutschen Hochseeflotte wurden von ihren Besatzungen nahe des britischen Scapa Flow befehlsgemäß selbst versenkt. Besser, als sie ehrenrührig zu übergeben. Viele deutsche Ostgebiete mussten an das neu gegründete Polen abgegeben werden, andere Gebiete an Dänemark, Litauen und Belgien. Was am schmerzlichsten war, die Franzosen hatten sich ausgerechnet Elsass-Lothringen angeeignet! Diese Franzosen, die nach jenem „Vertrag“ das östliche Rheinland und Saarland besetzen durften und die Bodenschätze dieser Region geradezu schamlos ausplünderten. Mit Waffengewalt, wenn es sein musste! Damit Deutschland nie wieder auf die Füße komme oder gar einen Krieg führen könne! Wie entsetzlich demütigend das war! Das war nicht alles: das Landheer musste auf 100.000 Mann reduziert werden – nicht viel mehr als eine Polizeitruppe! So war man doch ein wehrloser Spielball aller umgebenden Mächte, hilflos deren Willkür ausgeliefert! Das große, ehrwürdige Deutsche Reich! Und die Delegation der neuen – wie nannte man das jetzt? – „demokratischen“ Regierung unter Reichskanzler Friedrich Ebert hatte, um diese Strafen der Siegermächte zu legitimieren, auch noch eine alleinige Schuld Deutschlands am Ausbruch des ersten Weltkriegs anerkennen müssen.

Es wird als ungeheuerliches Unrecht empfunden! Schließlich hatte man doch tapfer und ehrenvoll gekämpft! Hatte man nicht das Recht, mit Respekt behandelt zu werden als Volk und Nation?

Es ist die Basis für das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zu den ehemaligen Kriegsgegnern. Es ist jedoch fatalerweise auch die Grundlage für die damalige Beziehung der Deutschen zu demokratisch gewählten „Politikern“, eine Stimmung, welche weit entfernt davon ist, vertrauensvoll zu sein. Das Verhalten jener Regierung wird als unterwürfige Schwäche empfunden. Dieses Gefühl macht die Deutschen anfällig für markige Sprüche, großartige Visionen eines wieder erstarkten „Reiches“, macht sie blind für Recht und Unrecht.

Es ist der unselige Bodensatz für Rache, für die Wiederherstellung einer so viel Unheil beinhaltenden psychologischen Schimäre, die sich trefflich dazu eignet, andere Menschen zu manipulieren und zu fanatisieren:

der so genannten „Ehre“ ...!

Sie hat nicht nur Douglas Bader unglücklich gemacht.

Daran denkt sein deutscher Kollege mit den französisch-hugenottischen Vorfahren vermutlich nicht, als er nach dem Abitur an einem humanistischen Gymnasium den glühenden Wunsch hegt, „Verkehrspilot“ zu werden. Etwas anderes hätte Adolf Galland auch nicht angeben können, wenn er denn Pilot werden wollte. Eine militärische Laufbahn in der Fliegerei ist Deutschland zu dieser Zeit durch den Versailler Vertrag strikt verboten. Deutschland darf seit jener Unterschrift der deutschen Delegation vom 28. Juni 1919 keine Militärflugzeuge mehr herstellen, was die deutsche Flugzeugindustrie hinsichtlich der sich anspruchsvoll entwickelnden militärischen Flugzeugtechnologie in ein hoffnungsloses qualitatives Defizit geraten lassen muss! Es sind nur noch 140 zivile Passagierflugzeuge erlaubt, und selbst diese unterliegen strengen Einschränkungen hinsichtlich Höchstgeschwindigkeit (169 km/h), Reichweite (200 Kilometer) und Dienstgipfelhöhe (knapp 4.000 Meter). Alle anderen Flugzeuge müssen ausgeliefert werden. Es sind 14.000 Flugzeuge, 27.600 Flugzeugmotoren, 16 Luftschiffe und 37 Luftschiffhallen. Die deutsche Flugzeugindustrie gibt auf, entlässt ihre Arbeiter. Was die Arbeitslosigkeit in Deutschland nur noch weiter erhöht.

Im „Londoner Ultimatum“ vom 5. Mai 1921 wird dieser Knebelzustand sogar noch verschärft. Von nun an ist in Deutschland jeder Motorflug verboten, abgesehen von jenen 140 Verkehrsflugzeugen. Somit wird auch die Ausbildung möglicher späterer Kampfpiloten auf „zivilen Sportflugzeugen“ unmöglich gemacht.

Die deutschen Flugzeugkonstrukteure mit internationalem Ruf und Können verlagern ihre Tätigkeit ins Ausland. Claude Dornier entwirft und baut in der Schweiz weiter, während Hugo Junkers in Deutschland entwirft, aber von Schweden aus legal Flugzeuge herstellt, wie auch Ernst Heinkel, der die Svenska Aero A.B. als Basis nutzt. Gleichzeitig arbeitet das deutsche Reichsamt für Luftfahrt, verharmlosend ab dem Jahr 1919 „Abteilung Luftverkehr“ im Reichsverkehrsministerium, unter Hauptmann a. D. Brandenburg zielstrebig an einer Lockerung der Restriktionen wenigstens für die zivile Luftfahrt – mehr und mehr mit Erfolg. Inzwischen erlebt die als einziger Zweig der Luftfahrt von Einschränkungen freie Segelfliegerei einen enormen Aufschwung. Denn der Traum vom Fliegen ist in jenen Zeiten ein Jugendtraum mit einer fast unwiderstehlichen Anziehungskraft.

Wenn der Motorflug schon verboten ist – der Segelflug ist es nicht. Was die „Siegermächte“ übersehen haben – auch mit einem Segelflugzeug lassen sich sehr anspruchsvoll Piloten einer fliegerischen Grundausbildung unterziehen. Viele erlernen ihre ersten Flugkünste auf diese Art und Weise – und das Wissen um Aerodynamik und Flugeigenschaften entwickelt sich weiter.

Auch in Deutschland. Denn Segelflugzeuge sind ebenfalls Flugzeuge!

So kommt auch ein gewisser Adolf Galland schon in den Zwanziger Jahren zur Fliegerei und erhält sogar zunächst nach seinem Abitur ein eigenes Segelflugzeug. Ganz offiziell und „legal“. Aber auch weniger offiziell und „legal“ wird allmählich für Deutschland wieder Fliegerei getrieben.

Im Jahr 1923 schließen diejenigen beiden Mächte in Europa, die von vielen der übrigen Staaten (vornehmlich Frankreich und England) mit Argwohn und Misstrauen beäugt werden, ein Geheimabkommen: die Sowjetunion und Deutschland. Es ist ein Zweckbündnis, von welchem beide Seiten profitieren. In den Niederlanden gebaute Fokker D.XIII-Jagdflugzeuge werden heimlich in die Sowjetunion geschafft, Junkers baut südlich von Moskau in Fili eine Fabrik. In Lipezk, knapp 500 Kilometer südwestlich von Moskau, wird eine geheime deutsche Jagdfliegerschule aufgebaut. Die Sowjets sichern sich auf diese Weise neuestes technisches Wissen aus erster Hand, während die Deutschen in Halbjahreskursen jeweils 120 Piloten ausbilden – zu Jagdfliegern.

Inzwischen bemüht sich die deutsche Reichsregierung, aller Welt vor Augen zu führen, welche katastrophalen Auswirkungen die brutal harten Wirtschaftssanktionen des „Diktats von Versailles“ auf Deutschland haben. Sie erfüllt die Auflagen nach Kräften, insbesondere, was die Reparationszahlungen betrifft, und „fährt den Karren sehenden Auges an die Wand“. Die deutsche Wirtschaft steht kurz vor dem Zusammenbruch, die Verhältnisse werden immer schlimmer. Als sich dann doch die Zahlung der Reparationsleistungen verzögert, besetzen belgische und französische Truppen kurzerhand mit rücksichtsloser Waffengewalt am 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet, um die Entschädigungszahlungen in Form von Industriegütern und Kohle einzutreiben. Außerdem hat Frankreich auf diesem Wege einen exakten Überblick über alle Exporte an Stahl und Fertigprodukten aus Deutschlands industrieller Kernregion.

Dies geschieht ohne Einverständnis der Engländer, die gründlich verstimmt sind. Ein nationaler Aufschrei in Deutschland ist die Folge, die Bevölkerung leistet auf Anweisung der deutschen Regierung passiven Widerstand bis hin zur Arbeitsverweigerung und zum Generalstreik. Es kommt sogar zu Sabotageakten. Die Franzosen reagieren mit Ausweisungen und Todesurteilen und vollstrecken sie auch. Einer der Hingerichteten, Albert Leo Schlageter, wird in Deutschland zum Märtyrer stilisiert. Die deutsche Regierung druckt Geldnoten, um den Arbeitskampf der Arbeiter gegen die herrisch auftretenden Besatzer zu finanzieren. Die Inflation in Deutschland gerät völlig außer Kontrolle. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung nähert sich dem Siedepunkt, es gärt im deutschen Volk. Im Oktober 1923 kommt es zum Putsch linker Kräfte in Deutschland. Der Putsch wird niedergeschlagen. Im November 1923 kommt es zu einem Aufstand rechter Kräfte, der vom Münchner Bürgerbräukeller seinen Ursprung nimmt. Einen Tag später ist auch dieser Umsturzversuch niedergeschlagen. Ihr Anführer ist der frühere Generalquartiermeister der Obersten Heeresleitung, Erich Ludendorff, und der Vorsitzende der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und Führer des Deutschen Kampfbundes, eines Bündnisses von bayerischen Einwohnerwehren und der so genannten „Sturmabteilung“ (SA). Ein mehrfach von der Wiener Kunstakademie abgelehnter Kunstmaler aus dem niederösterreichischen Waldviertel an der Grenze zu Böhmen mit allerdings beachtlichen rhetorischen Fähigkeiten. Ein gewisser Adolf Hitler. Ein Mann, der es im Ersten Weltkrieg als Freiwilliger zum Gefreiten gebracht hatte und sich mit einer völlig unkritischen Haltung des bedingungslosen „Kadavergehorsams“ die völlige Abneigung seiner Kameraden und eine menschliche Isolierung im 16. Bayerischen Reserve-Infanterieregiment eingehandelt hatte. Der sich einerseits als Meldegänger immerhin das Eiserne Kreuz erster Klasse verdient hatte, andererseits von einem Militärarzt nach der Verwundung durch einen Gasangriff als Psychopath eingestuft worden war, der für Führungsaufgaben völlig ungeeignet sei. Und dessen längst überfällige Beförderung von seinem Kompanieführer abgelehnt wurde mit den Worten: „Diesen Hysteriker mache ich niemals zum Unteroffizier!“

Ein Mann, der als „Bierkelleragitator“ für die kleine, noch wenig beachtete Splitterpartei NSDAP so unersetzlich geworden war, dass er seine Wahl zum Vorsitzenden erzwingen konnte. Adolf Hitler, der es fertig bringt, nach seiner Verhaftung nur zur Mindeststrafe verurteilt zu werden, obwohl er sich vor Gericht in unzutreffender Weise als alleiniger Putsch-„Anführer“ bekennt, allerdings in sehr zutreffender Einschätzung des geringen Risikos dieser Aussage. Er sei „vom edelsten selbstlosen Willen geleitet“ gewesen, konstatiert der Richter. Die Abneigung gegen die schwächliche Demokratie macht auch vor den Hütern eines Rechtssystemes nicht Halt, welches noch kein Gefühl für demokratische Werte und rechtsstaatliches Verhalten besitzt. Adolf Hitler ist schon bald wieder auf freiem Fuß!

In dieser Zeit ist ein einziges britisches Pfund 50 Milliarden Mark wert! Die Notbremse ist die so genannte Währungsreform des Jahres 1923. In der Folge dieser Entwicklungen lockern sich allmählich die Zwangsbedingungen des Versailler Vertrages. Niemand wehrt sich mehr, als in Deutschland am 1. Januar 1924 die Focke-Wulf-Flugzeugwerke gegründet werden. Im Sommer 1925 ziehen die Franzosen auf amerikanischen und englischen Druck hin aus dem Ruhrgebiet ab. Im Jahr 1926 entstehen die Bayerischen Flugzeugwerke, deren Chefingenieur bald darauf ein gewisser Willy Messerschmitt wird. Und niemand verhindert den Zusammenschluss diverser kleiner Fluggesellschaften zur deutschen „Luft-Hansa“ am 6. Januar 1926, die sich bald zur führenden Fluglinie in Europa mausert. Sie kann es sich nun leisten, bei den inzwischen wieder in Deutschland entwickelnden und produzierenden Flugzeugherstellern moderne Passagierflugzeuge zu bestellen. Flugzeuge, wie die dreimotorige Junkers Ju 52, die sich später durchaus auch als militärische Transportflugzeuge einsetzen lassen würden. In letzter Konsequenz werden schließlich im Jahr 1934 angebliche „Hochgeschwindigkeits-Passagierflugzeuge“ bestellt und für die Luft-Hansa entwickelt. Wie die Heinkel He 111. Es sind nicht viele konstruktive Änderungen nötig, um aus diesem revolutionär strömungsgünstigen zweimotorigen Flugzeug einen der beiden Standardbomber der deutschen Luftwaffe in den ersten Kriegsjahren werden zu lassen.

Als im Jahr 1929 ein Börsenabsturz die Weltwirtschaftskrise auslöst, beginnt das letzte Kapitel der so genannten Weimarer Republik. Die Krise trifft Deutschland besonders hart, da sämtliche ausländischen Investitionen in Deutschland eingestellt werden, Kapital zurückgefordert und zurückgezogen wird. Die Arbeitslosigkeit steigt auf sechs Millionen Menschen. Verzweiflung macht sich breit, Armut greift um sich! Wo ist der Retter in der Not? Gleichzeitig sorgt ein internationaler Plan, der „Young-Plan“ für Aufsehen, der die Reparationszahlungen des Versailler Vertrages in jährliche Raten bis ins Jahr 1988 hinein „streckt“. Dieser Plan, der eigentlich eine Entlastung des Staatshaushaltes bedeuten soll, schreibt das als Unrecht empfundene Ausbluten der deutschen Wirtschaft in einem psychologisch denkbar ungünstigen Moment fest. Wie sollen Arbeitslose, die buchstäblich vor dem „Nichts“ stehen, mit Zeitungsmeldungen dieser Art umgehen? Zahlungen ans Ausland! Immer noch? Zur Hölle damit!

In dieser Situation kommen Männer gerade recht, die den Zorn der Menschen von den Tribünen schreien. Adolf Hitler hatte inzwischen systematisch seine Konkurrenten in der eigenen Partei „kalt gestellt“, ausgeschaltet oder aber auf seine Seite gezogen – wie einen gewissen Joseph Goebbels. Hetzreden und Agitation verfehlen ihre Wirkung nicht. Gezielt inszeniert die Schlägertruppe der Partei in ihren braunen SA-Uniformen Krawalle, um einem Volksbegehren gegen den Young-Plan Ausdruck zu verleihen. Die NSDAP kann die Annahme des Zahlungsplanes nicht verhindern, aber sie erreicht, was sie erreichen will: Sie wird bekannt. Auch Großindustrielle und Banken sehen in der NSDAP ein Bollwerk gegen das drohende Chaos, gegen Enteignungen für den Fall einer bolschewistischen Machtübernahme. Unterstützungsgelder fließen, selbst aus den USA.

Bei den Neuwahlen am 14. September 1930 wird die NSDAP mit 107 Abgeordneten zweitstärkste Fraktion im Reichstag und erreicht einen Stimmenzuwachs aus einem bisherigen Wert von 2,6 % auf nun 18,3 %. Bei den Wahlen vom 31. Juli 1932 stimmen bereits 37 % aller Wähler für die NSDAP, während die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) mit immerhin 14 % der Stimmen zu einer echten Gefahr wird – aus der Sicht derer, die Besitz zu verlieren haben. Der Machtkampf ist programmiert.

Als Adolf Hitler, der durch eine Anstellung beim Landes-Kultur-und Vermessungsamt des Freistaates Braunschweig die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt hatte, am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wird, ist das Schicksal von Recht und Demokratie in Deutschland besiegelt. Auch von sechs Millionen Juden in Europa – doch das glaubt zu diesem Zeitpunkt kein Mensch. Ein Brand im Reichstag wird gezielt den Kommunisten untergeschoben. „Notwendigerweise“ müssen Staatsfeinde wie diese nun bekämpft werden, was Notverordnungen erfordert! Nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung darf der Reichspräsident diese erlassen, wenn es geboten ist. Der greise Hindenburg leistet keinen Widerstand mehr. Hitler hat freie Hand! Vorerst, denn die Notverordnungen sind nur von begrenzter Dauer. Um sie dauerhaft zu etablieren – zur „Abwendung der Not von Volk und Reich“ – ist eine Zweidrittelmehrheit im Reichstag nötig. Nach der verfassungswidrigen „Ausschaltung“ aller 81 KPD-Abgeordneten und einiger SPD-Abgeordneter durch Hitler-treue Polizeieinheiten ist der Weg zum so genannten „Ermächtigungsgesetz“ frei. Die bürgerlichen Parteien, auch das christliche Zentrum und die Liberalen, stimmen dafür – und leiten ihre eigene Entmachtung ein ...! Adolf Hitler ist in der Lage, in Deutschland eine Diktatur zu etablieren. Auf der Basis einer einzigen Partei, der NSDAP.

Den Deutschen beginnt es, besser zu gehen. Nicht allen allerdings. Juden, auch Sinti, Roma und Jenische („Zigeuner“) sowie diskriminierend so bezeichnete „lebensunwerte“ körperlich und geistig Behinderte sind davon ausgenommen, ganz im Gegenteil. Sie werden zunehmend Opfer von Willkür, Verfolgung, Gewalt und schließlich systematischer Ermordung. Ebenso werden politische Gegner kurzerhand liquidiert.

Allmählich fällt die Maske des Diktators. Doch nur wenige beginnen, sich zu beunruhigen. Zu sehr blendet der geschickt kultivierte Schein einer wieder erstarkenden, aus dem jahrelangen Siechtum genesenden Nation.

Denn kreditfinanzierte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, der staatliche Bau von Autobahnen – die zwar ohnehin geplant waren, doch schließlich erst von Hitler umgesetzt werden, zumal sie schnelle Truppenbewegungen quer durch Deutschland ermöglichen –, sowie Rüstungsprogramme führen zu einem wirtschaftlichen Aufschwung! Zu genau dem, was das gesamte notleidende Volk so intensiv herbeigesehnt hatte. „Recht“ und Ordnung kehren ein, es ist vordergründig wieder auf etwas Verlass! Man hat wieder Brot und Arbeit, ein Auskommen. Hitlers Popularität wächst. Es scheint, dass endlich ein Politiker Versprechungen hält und etwas für „sein Volk“ tut. Dass die Kredite auch einmal zurückgezahlt werden müssen, wird niemals auffallen. Hitler wird sich nicht scheuen, Gelder zu beschaffen! Durch rücksichtslose Enteignung jüdischen Vermögens und später mit Hilfe noch offensichtlicher purer Gewalt. Während des Krieges fragt niemand mehr nach der Seriosität der Finanzierung der deutschen Kriegsindustrie.

Anfangs müssen sämtliche Entwicklungen immer noch das Deckmäntelchen ziviler Nutzung tragen – oder im Geheimen bleiben. Adolf Galland wird in Italien als angeblicher „Südtiroler“ ausgebildet – im Schießen in der Luft. Ein entsprechendes Abkommen mit dem italienischen Luftfahrtminister Balbo löst die Übereinkunft mit der Sowjetunion ab, welche nach Adolf Hitlers Machtübernahme und seinem Vorgehen gegen die Kommunisten der KPD politisch nicht mehr haltbar ist. Doch die Ausbildung in Italien ist nicht allzu befriedigend. Am 26. Februar 1935 fällt der Vorhang. Deutschland präsentiert der Welt eine wiedererstandene eigene Luftwaffe – gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrages. Diese Restriktionen nun aber durchzusetzen und die sofortige Abrüstung zu verlangen, hätte einen Krieg bedeutet. Den wollen die durch die Weltwirtschaftskrise immer noch gebeutelten Westmächte Frankreich und England unter allen Umständen vermeiden. Allen warnenden Stimmen zum Trotz. Einer der eindringlichsten Warner ist ein Mann, der einmal ebenso schwerwiegende Entscheidungen für viele Menschenleben treffen sollte wie der deutsche „Reichskanzler“. Ein einfacher Abgeordneter im britischen Parlament, der einmal Luftfahrtminister gewesen war. Unter anderem! Winston Churchill.

Bereits zum Erntedankfest des Jahres 1935 präsentiert die deutsche Luftwaffe der staunenden Öffentlichkeit einen für damalige Verhältnisse extrem schnellen und manövrierfähigen Flugzeugtyp, die Dornier Do 17 – einen zweimotorigen Mittelstreckenbomber. Ein Kampfflugzeug! Im Jahr 1937 folgt das „Hochgeschwindigkeits-Passagierflugzeug“ Heinkel He 111. Nun als Bomber! Einer der modernsten Bomber dieser Zeit! Offensichtlich hatte man nichts, aber auch gar nichts an technischem Fortschritt unterdrücken können! Aufbauend auf dem US-Doppeldecker Curtiss „Hawk“ und der in Amerika entstandenen Idee des Sturzflug-Bombenwurfes wird ein entsprechender deutscher Entwurf zur Serienreife gebracht: die Junkers Ju 87, ein Sturzkampfbomber, abgekürzt „Stuka“. Im September 1935 fliegt zum ersten Mal ein hochmodernes Jagdflugzeug, das zum bekanntesten deutschen Jäger des gesamten Krieges avancieren sollte: die Messerschmitt Bf 109. Der Konkurrenzentwurf der Firma Heinkel, die He 112, ist zwar das eher noch revolutionärere und bessere Jagdflugzeug, mit einer aufgesetzten Haube, deren perfekte Panoramasicht erst viel später üblich werden und die „Me 109“ serienmäßig nie erreichen sollte. Das Reichsluftfahrtministerium entscheidet sich dennoch für die Konstruktion Willy Messerschmitts, um die derzeit begrenzten Kapazitäten der Heinkel-Werke für den Bau der He 111-Bomber freizuhalten. Noch ist schnelle Aufrüstung das oberste Gebot! Für eine Luftwaffe, die als Novum eine eigenständige Waffengattung darstellt und nicht mehr dem Heer unterstellt ist.

In dieser Zeit ergibt es sich, dass Adolf Galland – inzwischen offen Angehöriger der Luftwaffe – etwas Ähnliches widerfährt wie seinem britischen Fliegerkollegen Douglas Bader. Galland ist inzwischen bekannt für seine Flugkünste – besonders im Kunstflug in niedrigen Höhen. Immer gibt es Zuschauer, für die sich eine Vorführung lohnt. So auch an jenem Tag im Oktober 1935, als Galland zum ersten Mal mit einer modifizierten Focke-Wulf Fw 44 „Stieglitz“ aufsteigt, einem Doppeldecker mit Kunstflugeigenschaften. Um diese Flugeigenschaften zu verbessern, vor allem im Rückenflug, hat Galland das Höhenruder manipulieren lassen. So lässt sich das Flugzeug auch leichter ins Trudeln bringen ...

Galland leitet das Trudeln ein aus einer Höhe, in der er bisher nach drei Umdrehungen völlig problemlos seinen „Vogel“ abfangen konnte – spektakulärerweise knapp über der Startbahn. Doch dieses Mal reagiert das Ruder ungewohnt träge. Es geht schief – die Erde kommt näher – Mist! Die Grasnarbe kommt etwa 100 Meter zu früh! Der Doppeldecker kracht auf den Erdboden. So spektakulär war die Flugdarbietung wahrlich nicht geplant gewesen! Galland wird ins Lazarett nach Jüterborg gebracht. Er lebt. Wer weiß, wie lange noch. Es sieht nicht gut aus.

Wie es der Zufall will, machen in Jüterborg gerade zwei sehr bekannte medizinische Kapazitäten ihre Wehrübung. So wird Galland von einigen der besten deutschen Ärzte jener Zeit behandelt. Ihnen verdankt der junge Pilot sein Leben. In Deutschland wie in England gibt es medizinische Könner.

Bis auf seine Nase, die nach der Zertrümmerung des Nasenbeins eine reichlich merkwürdige Form angenommen hatte, ist Galland äußerlich nach drei Monaten Krankenhaus wieder einigermaßen hergestellt. Im Gegensatz zu seinem britischen „Kollegen“ hatte auch sein „Fahrgestell“ nichts abbekommen. Dafür steckt in seinem linken Auge ein Splitter. Was für den begeisterten Flieger auf dasselbe hinaus läuft wie im Falle des britischen Kunstfliegers.

Der Abschlussbefund der medizinischen Untersuchung ist niederschmetternd: „fluguntauglich“!

Zum Glück hat der „Salonlöwe“ Galland einige Freunde. Unter diesen ist sein Kommandeur. Der lässt den Untersuchungsbefund klammheimlich irgendwo im Aktenberg verschwinden. Und Adolf Galland darf wieder abheben. Dem begeisterten Flieger fällt ein Stein vom Herzen.

Doch die Freude währt nicht lange. Auch Galland bleibt der Rückschlag nicht erspart! Als er etwa ein Jahr später einen Werkstattflug mit einer Arado 96 durchführt, beginnt der Motor zu stottern. Galland schwebt zur Landung ein, doch zu seinem Unglück steht die Sonne so, dass er geblendet ist. Am Rande des Flugplatzes Bernburg verläuft eine Allee, und um die Bäume als Hindernis zu kennzeichnen, existiert eine „Hindernisbefeuerung“. Erheblich höher, als die Bäume – denn schließlich könnten diese ja auch noch wachsen!

Nun, die Bäume sieht Galland – den Lampenmast leider nicht. Eine Tragfläche bricht ab, der Rest des Flugzeuges kracht auf die Landebahn. Zusammen mit seinem Piloten Adolf Galland.

Dem ist dieses Mal nicht gar so viel passiert – mit einer Gehirnerschütterung ist wieder der Kopf der am heftigsten malträtierte Körperteil. Viel schlimmer ist, dass der Pilot ins Krankenhaus muss. Und dass die Ärzte dort seine Krankenakte anfordern ...

Dort steht in deutlichen Buchstaben, für jeden klar zu lesen: „Fluguntauglich!“ Was jetzt?

Sein Kommandeur erhält nun jede Menge Ärger! Wie kann man einen Piloten mit einem Splitter im linken Auge, dessen räumliches Sehen beeinträchtigt sein muss, überhaupt noch fliegen lassen? Verantwortungslos ist das! Kein Wunder hat der den Signalmast nicht gesehen!

Galland bestreitet das. Was bleibt ihm auch übrig? Natürlich weiß er, dass sein linkes Auge stark geschwächt ist – immer noch. Doch es darf nicht sein! Das kann er unmöglich zugeben! Er will fliegen!

Die Ärzte glauben ihm seine Beteuerungen nicht. Man wird schon sehen – bzw. vermutlich eben nicht sehen! Es gibt ja Sehtests! Die Generalprüfung findet in Magdeburg statt – der alles entscheidende Moment in Adolf Gallands Fliegerkarriere. Das gesunde Auge wird ihm verbunden. Dann hält man ihm in gebührendem Abstand eine Tafel vor die Nase – mit Buchstaben.

„Bitte lesen sie!“

Die ersten Reihen liest der junge Pilot ohne Stocken. Dann werden die Buchstaben kleiner. Galland zögert, liest etwas abgehackter. Doch er liest richtig. Jeden einzelnen Buchstaben.

Die Ärzte können es nicht glauben. Das kann nicht sein!

„Bitte lesen Sie Zeile vier rückwärts!“

Galland liest – rückwärts. Seine Angaben stimmen. Auch bei den folgenden Zeilen. Wieder rückwärts.

Die verblüfften Mediziner haben keine andere Wahl, als dem Piloten die Diensttauglichkeit zu attestieren. Der ist erleichtert wie selten in seinem Leben. Und kann sich einer diebischen Freude nicht erwehren!

Der Bluff hat funktioniert! Wie sollten die Ärzte auch ahnen, dass ihm ein sehr guter Freund heimlich die Sehtafel „organisiert“ hatte – um das böse Wort „Klauen“ zu vermeiden. Galland hatte monatelang jede Zeile vorwärts und rückwärts auswendig gelernt ...

Im März 1936 bricht Adolf Hitler offen den Versailler Vertrag und marschiert mit seinen Truppen in das „entmilitarisierte“ Rheinland unter französischer „Obhut“ ein. 35.000 Mann treffen auf keinen Widerstand. Die von Deutschlands Wiedererstarken beeindruckten, auch tief beunruhigten ehemaligen Siegermächte nehmen es hin. Vielleicht sogar mit einer gewissen Einsicht, denn das eigenmächtige Vorgehen der Franzosen im Ruhrgebiet hatte diesen in Großbritannien auch nicht gerade Freunde eingebracht. So kommentiert Lord Lothian im britischen Unterhaus die französischen Proteste lapidar mit den Worten „Was soll es? Im Grunde gehen die Deutschen doch nur in ihren eigenen Hintergarten zurück!“ Noch glaubt man, dass Adolf Hitler mit diplomatischer Zurückhaltung zufriedenzustellen sei.

Im Juli 1936 bricht der Spanische Bürgerkrieg aus. Auslöser ist ein Militärputsch der Generäle José Sanjuro und Emilio Mola gegen die neu gewählte sozialistische Regierung. In kurzer Zeit ist Spanien geteilt. Die aufständischen „Nationalisten“ halten den Norden mit Ausnahme des Baskenlandes sowie die Gegend um Sevilla und Cadiz. Ein gewisser General Francisco Franco übernimmt in Spanisch-Marokko die Macht und greift auf Seiten seiner Generalskollegen in die Kämpfe ein. Was nicht so einfach ist, denn wie kann Franco seine Truppen an den regierungstreuen Schiffen vorbei über die Meerenge von Gibraltar auf das Festland bringen? Die „Republikaner“ halten Madrid, den restlichen Süden, Osten und das Baskenland. Diese militärische Auseinandersetzung wird zur ersten Bewährungsprobe von fliegenden deutschen Einheiten, die gemeinsam mit den Italienern den faschistischen Nationalisten zu Hilfe kommen, während die Sowjets den Republikanern Unterstützung zukommen lassen. Was man im Zuge eines Geheimabkommens einmal gelernt hatte, sollte jetzt seine Nagelprobe bestehen. Die ehemaligen sowjetischen und deutschen „Kameraden“ schießen nun aufeinander.

Die Nationalisten geraten ohne die Truppen Francos in Bedrängnis. Es ist die Geburtsstunde einer der ersten Luftbrücken der Geschichte – mit Hilfe Adolf Hitlers, der den zunehmenden sowjetischen Einfluss in Spanien mit größter Sorge beobachtet. Neun Junkers Ju 52-„Passagierflugzeuge“ werden bis zum 11. Oktober 1936 immerhin 13.900 Mann und 274 Tonnen Ausrüstung von Marokko nach Spanien fliegen, schnell umgebaut zu Transportflugzeugen und gedeckt zunächst von deutschen Heinkel He 51-Doppeldeckern. Wendigen, robusten, aber langsamen Jägern, welche den Curtiss-Jagdflugzeugen amerikanischer Bauart und den ebenso wendigen Polikarpov I-15 „Chato“ und I-16 „Rata“ der Regierungstruppen aus sowjetischer Produktion deutlich unterlegen sind.

Was als Hilfe in der Not beginnt, weitet sich für Hitlers Luftwaffe zu einer unverhofften und auch unbeabsichtigten Gelegenheit aus, die letzten Reste an Ausbildungsrückständen des Versailler Vertrages wettzumachen. Im Gegenteil, hier ist man in der Lage, neue eigene Kampftaktiken zu „erproben“, über einem „Übungs“-Schlachtfeld, welches den späteren Gegnern (mit Ausnahme der Sowjetunion) nicht zur Verfügung steht. So kommt es, dass später zu Beginn des Zweiten Weltkrieges die deutsche Luftwaffe über die mit Abstand modernsten Kampftaktiken aller Luftstreitkräfte der Welt verfügt.

Im Herbst 1936 haben die Deutschen 146 Flugzeuge nach Spanien verlegt. Einer der Jagdflugzeugpiloten in Spanien ist ein Flugzeugführer der Jagdstaffel 3, die mit den alten He 51-Doppeldeckern ausgerüstet ist. Es ist Adolf Galland. Da sich die He 51 besser zur Erdkampfunterstützung eignet als zum Luftkampf mit den agileren Flugzeugmustern der anderen Seite, geht man Auseinandersetzungen mit Feindjägern möglichst aus dem Wege. So entwickelt sich Galland gegen seine Neigung zum Spezialisten für die Vorläufer von Jagdbombereinsätzen. Er schreibt einige Berichte zu Erdkampfunterstützungstaktiken und mit ihnen eine Art Handbuch, welches in Luftwaffenkreisen hohe Beachtung findet. Galland wird zurück nach Deutschland abberufen und dazu auserkoren, Schlachtfliegerverbände organisatorisch aufzubauen. Ein übles Eigentor für den eingeschworenen Jagdflieger!

Ende 1936 werden die deutschen Staffeln zur „Legion Condor“ unter General Hugo Sperrle zusammengefasst und als eine Art „Feuerwehr“ eingesetzt. So mancher deutscher Pilot sollte noch öfter in diese Rolle schlüpfen müssen! Immer noch müssen Ju 52-Transportflugzeuge als „Hilfsbomber“ herhalten. Ab dem Jahr 1937 kommen vereinzelt einige modernere Flugzeugtypen zum Einsatz, so ab 9. März 1937 Bomber des Typs Dornier Do 17 E-1/F-1, Heinkel He 111 B-1 und Junkers Ju 87 A-0/A-1. Wenige Wochen später sehen sich die republikanischen Jagdverbände, die sich inzwischen fast die Luftherrschaft erkämpft hatten, einem neuen Flugzeug gegenüber – der Messerschmitt Bf 109 B-1/B-2/C-1. Das Blatt wendet sich! Mit Unterstützung aus der Luft gehen nationalistische Truppen ab 21. März 1937 zum Angriff über und rücken im Baskenland in Richtung auf Bilbao vor. Am 25. April 1937 berichtet die Besatzung eines deutschen Aufklärers von starken Truppenbewegungen in und um eine Kleinstadt herum am Fluss Oca, dort, wo die Straßen und Bahnlinien das Hindernis überqueren.

Bei Guernica.

Um es unmissverständlich auszudrücken: In der deutschen Luftwaffe ist zu diesem Zeitpunkt ein „Terror durch Bomben“ gegen die Zivilbevölkerung ausdrücklich geächtet und verpönt.

Dies muss erwähnt werden, vergleicht man diese Grundhaltung mit dem Einsatz französischer und spanischer Flugzeuge in den Jahren 1925 bis 1926 gegen aufständische Berberstämme im marokkanischen Rif-Gebirge. Die Berber hatten unter ihrem Anführer Abd el-Krim derartig geschickt gegen die französischen und spanischen Kolonialtruppen gekämpft, dass diese sich allmählich militärisch kaum mehr zu helfen wussten. Also werden Flugzeuge mit Bomben, Bordwaffen und mit von dem deutschen Chemiker Hugo Stoltzenberg, der eine Fabrik in Melilla errichtet, an die Spanier gelieferten Senfgasbomben gegen ihre Siedlungen, Brunnen und Herden eingesetzt. Die Rif-Kabylen ziehen sich in bombensichere Höhlen zurück, doch der Ackerbau ist damit unterbunden. Der Aufstand bricht zusammen.

Und die Engländer? Im Irak und in Warziristan zerschlagen im Jahr 1922 britische Fliegertruppen Aufstände mit Bordwaffen, Bomben und selbst Streubomben aus der Luft. Zeitzünderbomben werden über Dörfern abgeworfen. Höllenmaschinen, die eine ungeahnte Wirkung entfachen. Denn die Einheimischen können sich einfach nicht vorstellen, dass die Stahlgebilde auch noch Stunden nach einem Angriff explodieren und ihre Frauen und Kinder töten könnten. Es wird alles aus der Luft angegriffen, was als Unterschlupf für Menschen irgendwie infrage kommt – Dörfer, Hütten, selbst Höhlen. Vizeluftmarschall Sir Ellington erklärt dies in einem Bericht am 11. November 1925 mit den Worten: „Im Kolonialkrieg gegen Eingeborene sollten brutale Methoden erlaubt sein. Eine unmenschliche Kriegsführung gegen Eingeborene ist nicht unmenschlich!“

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Das Jahr 1922 sieht als Kommandeur einer Bomber-Squadron im Irak einen Mann, der es einmal zu der traurigen Berühmtheit des Attributes „Butcher“ (Schlächter) im eigenen Lande bringen sollte. Allerdings nicht wegen der von ihm veranlassten Bombenangriffe auf die Stadt Sileymani bei Kirkuk im Jahr 1924 und nicht auf Grund von Giftgaseinsätzen gegen aufständische Kurden und Araber. Ab dem Jahr 1930 ist er im Luftstab der Royal Air Force für den nahen Osten „tätig“. Arthur Travers Harris.

Bis zum Jahr 1922 ist Winston Spencer Churchill nacheinander Kriegsminister, Luftfahrtsminister und Kolonialminister des Vereinigten britischen Königreiches. Als Kolonialminister setzt er Bomben gegen Aufständische ein. Die spätere Allianz zwischen dem Kommandeur der 45 Squadron RAF in Basra im Irak, Arthur Harris, der keine Gelegenheit versäumt, höchstpersönlich selbst hinter das Bombenzielgerät eines seiner Vickers „Vernon“-Bomber zu klettern, und dem für ihn zuständigen ehemaligen Kolonialminister sollte im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges noch von Bedeutung sein. Churchill sagt in dieser Zeit (im Jahr 1928) zu den neu entstandenen Möglichkeiten des Luftkrieges: „Es öffneten sich Luftwege, auf denen Tod und Schrecken weit hinter die eigentlichen Frontlinien getragen werden konnten, sodass auch Frauen, Kinder, Greise und Kranke, die in früheren Kriegen natürlicherweise verschont blieben, davon erfasst wurden.“

Auch Italien scheut sich in den Jahren 1935 bis 1936 in Abessinien nicht, nach anfänglicher Beschränkung auf militärische Aufgaben Brunnen und Karawanen mit Bomben anzugreifen und systematisch Senfgasbomben gegen zivile Ziele im Hinterland des Gegners einzusetzen.

Kommen wir zurück zu der kleinen Stadt Guernica im Baskenland mit seiner Straßenkreuzung und Brücke. Sie ist am 26. April 1937 das Ziel von 21 (nach anderen Quellen 28) Bombern der deutschen Legion Condor, überwiegend umgebauten Transportflugzeugen des Typs Junkers Ju 52 mit relativ primitiven Bombenzieleinrichtungen, sowie drei italienischen Savoia-Marchetti SM.79. Es ist später Nachmittag. Von diesem Zeitpunkt an gibt es zu den folgenden Geschehnissen unterschiedliche Darstellungen. Vielfach wird behauptet, die Straßenkreuzung und die Brücke seien das Ziel des Angriffes gewesen – ein rein militärisches Ziel. Auch eine Waffenfabrik kommt als Angriffsgrund in Betracht, deren Inhaber Rufino Unceta aber mit den Nationalisten sympathisiert haben soll und diesen daher wohl gerne seine Fabrik intakt übergeben hätte.

Eine solch’ vereinfachte Sicht lässt sich leicht entkräften. Die Gebäude der Fabrik werden beim Luftangriff nicht einmal beschädigt! Auch nicht die Brücke, eine gerade mal zehn Meter lange Steinbrücke, gegen die ein Sturzflugangriff mit den bereits (wenigen!) vorhandenen Ju 87-Sturzkampfbombern erfolgversprechender gewesen wäre als ein Horizontalbombardement – zumal auch noch mit Brandbomben! Aus dieser Unlogik wird dann abgeleitet, es habe sich in Wahrheit um einen gezielten Terrorangriff gegen die Zivilbevölkerung gehandelt, oder gar um einen erbarmungslosen Test deutscher Luftzerstörungsmacht gegen schutzlose Städte. Diese Argumentation ist tendenziös und kurzsichtig. Es darf heute in Kenntnis des Tagebuchs des deutschen Stabschefs, Oberstleutnant Wolfram von Richthofen, als sicher gelten, dass Richthofen keinen Terrorangriff beabsichtigte, sondern die reichlich rücksichtslose Zerstörung der letzten Fluchtmöglichkeit, die den baskischen Truppen noch verblieben war. Der Einsturz der Brücke alleine hätte den Rückzug der feindlichen Kräfte nicht verhindern können – sie wäre schnell mit den in Guernica verfügbaren technischen Mitteln wieder aufgebaut worden, und sei es provisorisch. Doch wenn ganze Straßenzüge in Schutt und Asche gelegt werden – diese Trümmerhaufen blockieren jede Fahrzeugbewegung des Gegners äußerst wirkungsvoll. Das war die Absicht, und diese Intention war rein militärisch. Fest steht aber, dass Richthofen zivile Opfer der Militäroperation nicht im Mindesten gescheut hat. Das kann und soll nicht wegdiskutiert werden!

Freiherr Wolfram von Richthofens Tagebucheintrag vom 30. April 1937 definiert: „In Guernicaiz durch Jus [damit sind die Ju’s, Ju 52, gemeint; der Verfasser] kein Haus mehr ganz. Straßen, der eigentliche Zweck, nur wenig getroffen, aber doch so, dass Verkehr wesentlich verzögert.“Und weiter unten: „Stadt war völlig gesperrt für mindestens 24 Stunden, es war die geschaffene Vorraussetzung für einen großen Erfolg, wenn Truppen nur nachgerückt wären.“ Dies klärt Richthofens Intention eindeutig!

Zunächst erscheinen eine deutsche Dornier Do 17 und drei italienische Savoia-Marchetti SM.79-Bomber über Guernica und laden ihre Bomben ab. Dann werfen drei Heinkel He 111 der VB/88 ihre Last in die Nähe des Bahnhofs. Daraufhin entsteht ein dichter Rauchschleier über der Stadt, in den die folgenden Wellen an Junkers Ju 52-„Hilfsbombern“ ziel- und planlos ihre Bomben hineinwerfen. Etwa 22 Tonnen Bomben regnen auf Guernica nieder, zumindest in Kenntnis ihrer Wirkung! Die Stadt brennt lichterloh, begünstigt durch die galerieartig an den Häuserfronten angebrachten Holzveranden in der typisch spanischen Bauweise. Gleichzeitig werden die Mauern durch Sprengbomben zum Einsturz gebracht. Die Stadt wird völlig zerstört. Es gibt glaubhafte Aussagen, nach denen selbst im Tiefflug auf fliehende Menschen geschossen worden sein soll. Ob dies wirklich zutrifft, und falls ja, ob es sich dabei – wie beispielsweise von Augenzeuge Juan Guezureya berichtet worden sei – um deutsche Piloten in Heinkel He 51-Jagdflugzeugen gehandelt hat und ob diese bewusst auf Zivilisten schossen – es lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit belegen.

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Sollte es aber stimmen, dann scheint das allerdings absolut nicht im Sinne deutscher Führungsstäbe zu sein. Auffallend ist in diesem Zusammenhang auch, dass wenige Wochen zuvor die baskische Stadt Durango auf ähnliche Weise von der italienischen Aviazione Legionaria bombardiert worden war. Die Opferzahlen schwanken hier von 250 bis über 350 Toten.

Die deutschen Bomben treffen Guernica mit verheerender Wirkung. Mindestens 226 Menschen werden getötet. Es sind alte Menschen, Frauen, Kinder – keine Soldaten. Zufällig sind Korrespondenten der britischen Tageszeitungen „The Times“ und „Daily Express“ in der Nähe. Deren Berichte gehen um die Welt. Ein Aufschrei ist die Folge. Die Zahl der Opfer wird allerdings auf 1.600 Tote und 800 Verletzte aufgebauscht.

Als in der Nacht nach dem Angriff die ersten Meldungen über die Zerstörung von Guernica in Berlin ruchbar werden, will Reichskriegsminister Generalfeldmarschall Werner von Blomberg vom Oberkommando der Legion Condor sofort erfahren, wer für den Angriff verantwortlich sei.„Keine Deutschen!“, wird ihm wahrheitswidrig erklärt. Als sich die Wahrheit dann aber doch bis nach Berlin herumspricht, beginnt die deutsche Propagandamaschinerie schleunigst mit Gegendarstellungen.

Adolf Hitler vertritt zumindest in offiziellen Verlautbarungen zu diesem Zeitpunkt noch ein militärisches Weltbild, welches zivile Ziele aus jeder militärischen Handlung heraushalten und unschuldige Opfer vermeiden will. Dennoch hat der zerstörerische Luftangriff für sein Regime einen sehr praktischen Nebeneffekt: das Ausland lernt, Hitlers Luftwaffe zu fürchten. Es ist eine so nicht gewollte, doch deutliche Demonstration von Macht.

Diese Furcht vor deutscher Zerstörungskraft nützt Adolf Hitler bereits im Jahr 1938 beim „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich. Es ist ein Vorgang, der sich unter Jubel der meisten Österreicher vollzieht, jedoch eigentlich am 12. März 1938 einem Einmarsch und einer Annexion gleich kommt.

Und der Respekt nützt beim „friedlichen“ Anschluss des Sudetengebietes an Deutschland. Die Vermittlung von Hermann Göring, damals Reichsminister der Luftfahrt und seit 4. Februar 1938 Generalfeldmarschall, und des italienischen Diktators Benito Mussolini hinter dem Rücken des deutschen Außenministers Ribbentrop führt zu der Konferenz von München und am 30. September 1938 zum so genannten „Münchner Abkommen“. Der britische Premierminister Chamberlain und der französische Ministerpräsident Daladier stimmen dem Anschluss des Sudetenlandes an Deutschland zu, um einen Waffengang zu vermeiden.

Hitler verpflichtet sich, nur das Sudetengebiet zu annektieren. Im Herbst 1938 marschiert die deutsche Wehrmacht auch tatsächlich nur dort ein. Als am 9. März 1939 tschechisches Militär den Teilstaat Slowakei in der übrigen tschechischen Republik besetzt, ist der Vorwand gefunden, auch den Rest des tschechischen Territoriums zu besetzen. Unter Hitlers massivem Druck erklärt der abgesetzte slowakische Premierminister Dr. Jozef Tiso eine selbstständige Slowakei, die sich prompt unter den Schutz des deutschen Reiches stellt. Dieser „Schutz“ rollt am 15. März 1939 in Prag ein. In Form der deutschen Wehrmacht. Politisch wird das „Protektorat Böhmen und Mähren“ gebildet.

Und die Westmächte sehen zu. Allmählich allerdings reift die Erkenntnis, dass der deutsche Reichskanzler Adolf Hitler Verträge nur als ein Stück Papier betrachtet, das man so lange beachtet, wie es opportun erscheint. Irgendwelche Vorwände sind nicht mehr dazu geeignet, dies länger zu verschleiern.

Inzwischen ist der Krieg in Spanien beendet. Am 26. März 1939 kapitulieren die Republikaner, die Truppen Francos marschieren in Madrid ein. Die siegreiche „Legion Condor“ hatte 298 Männer verloren, 386 feindliche Flugzeuge vernichtet (313 davon in Luftkämpfen) und 232 eigene Flugzeuge verloren (davon 72 durch „Feindeinwirkung“). Außerdem hatte sie 21.337 Tonnen Bomben abgeworfen.

Viel wichtiger als das ist aber: Sie hatte Erfahrungen von unschätzbarem militärischen Wert mit nach Hause gebracht. Man hatte gelernt, wie man vorrückenden Bodentruppen äußerst effektiv den Weg frei bomben konnte. Der Einsatz von Sturzkampfbombern auf Punktziele war erprobt. Und: die in Frankreich und England noch lange Zeit üblichen schwerfälligen Jägerformationen in Dreierketten sind in Deutschland nun Geschichte. Bei der Dreiergruppe ist alleine der leicht nach vorne versetzt fliegende Formationsführer dazu in der Lage, sich auf den Gegner zu konzentrieren. Die beiden anderen fliegen relativ eng zum Vordermann links und rechts hinter ihm und sind vollauf damit beschäftigt, ihre Position innezuhalten. Zum aktiven Eingreifen in einen Luftkampf sind sie kaum in der Lage. Dies wird noch verschärft beim Fliegen einer Kurve, denn hierbei muss der innen im Kurvenradius fliegende Pilot eine erheblich engere Kurve manövrieren als derjenige, der außen fliegt. Dies in einem schnellen Jagdflugzeug korrekt zu koordinieren, ist eine fliegerische Herausforderung an sich. Ein beträchtlicher Teil der Aufmerksamkeit gilt dem Fliegen selbst und steht somit nicht mehr dafür zur Verfügung, den Himmel der Umgebung zu beobachten und gefährliche Flugmanöver des Gegners zu erfassen!

Dagegen bilden die Deutschen nun unter dem Einfluss von Adolf Gallands Nachfolger in Spanien, Werner Mölders, eine völlig andere Formation. Die US-Amerikaner, die sie einmal analysieren und für ihre eigenen Jägereinheiten übernehmen werden, nennen sie später „Finger four“ – Vierfinger-Figur.

Dabei fliegen zwei Maschinen zusammen, sie bilden eine so genannte „Rotte“. Der Vordermann und Rottenführer übernimmt die Führung und konzentriert sich auf den Angriff, während sein Rottenflieger – oder „Katschmarek“ – hinter ihm die Augen aufhält und nach rückwärts deckt. Da er nur diese eine Aufgabe hat – dem Rottenführer hinterher zu fliegen, egal ob rechts, links, oben oder unten, und ihm den Rücken freizuhalten – kommt dieser Pilot nicht annähernd in eine derartig überfordernde Situation wie sein britischer „Kollege“. Im Gegenteil, er hat – typischerweise etwas unerfahrener als sein Rottenführer – sogar Gelegenheit, diesen zu beobachten und von ihm zu lernen, wie man sich erfolgreich in Schussposition manövriert. Erfolgt allerdings ein Angriff von hinten, so hat der Deckungsflieger natürlich seinen Vordermann zu warnen und gegebenenfalls auch einzugreifen! So geführte Piloten lernen schnell, vor allem Umsicht, Taktik und selbst verantwortete Eigeninitiative.

Idealerweise fliegen in den deutschen Jagdverbänden zwei Rotten zusammen und bilden einen so genannten „Schwarm“. Diese Viererformation ist es, welche die Amerikaner (und Engländer) „Finger four“ nennen. Beide Rotten fliegen in einer typischen, aber in jeder Hinsicht flexiblen Position zueinander, außerdem in erheblich komfortablerem Sicherheitsabstand als in der V-Formation der Briten üblich. Drei Schwärme bilden eine „Staffel“, die so durchaus einen Luftstreifen von ein bis zwei Kilometer wie die Glieder einer Kette abdecken kann. Diese Taktik erhöht die Schlagkraft der deutschen Jagdwaffe im Vergleich zu allen Widersachern zu Beginn des Zweiten Weltkrieges beträchtlich.

An dieser Stelle seien einige Grundsätze des Luftkampfes jener Zeit dargelegt, die helfen, die dargelegten Luftkämpfe zu verstehen.

Flugzeuge der Luftstreitkräfte jener Zeit gliedern sich auf in mehrere grundsätzlich verschiedene Arten, welche nach ihrem Einsatzzweck unterschiedlich konstruiert sind. Dabei lassen sich unterscheiden:

  • Jagdflugzeuge
  • Bomber
  • Aufklärer
  • Transport- und Verbindungsflugzeuge

Jagdflugzeuge sind wieder zu unterteilen in:

  • Abfangjäger
  • Langstreckenbegleitjäger

Jagdflugzeuge sind dazu konstruiert, gegnerische Flugzeuge, wie der Name bereits ausdrückt, zu jagen und abzuschießen. Im britischen Sprachraum wird der Begriff „Fighter“ – Kämpfer – verwendet, mit derselben Intention. Ein Kämpfer kämpft, er bekämpft feindliche Flugzeuge.

Um ein gegnerisches Flugzeug bekämpfen zu können, muss man es erst einmal einholen! Ein Jäger sollte also schnell sein, und zwar so schnell wie möglich. Überlegene Geschwindigkeit ist in mehrerer Hinsicht von Vorteil. Zum einen hat ein anvisiertes Feindflugzeug, wenn es sich um eine langsamere Maschine mit Abwehrständen handelt (beispielsweise einen Bomber), große Probleme, einen sich schnell bewegenden Angreifer zu erfassen und ihn abzuschütteln. Für den Bomber-Bordschützen ist es nicht leicht, einen flinken, kleinen, agilen Gegner ins Visier zu bekommen und in der Kürze der Annäherungszeit so zu zielen, dass die eigenen Geschossgarben vor die vermutete Flugbahn des Feindflugzeuges feuern, also richtig „vorzuhalten“. Zumal die eigene Schussplattform, der Bomber, sich selber auch bewegt, manchmal stetig im Verbandsflug, möglicherweise aber auch in wilden Ausweichbewegungen und somit reichlich unkalkulierbar.

Dieses Vorhalten ist wichtig, wie nachstehend noch erläutert werden wird. Denn schießt man auf den Punkt, an dem sich der Gegner gerade befindet (was in der Aufregung nahe liegt), so wird man ihn nur dann treffen können, wenn er auf gleicher Höhe direkt frontal vor oder hinter dem eigenen Flugzeug fliegt. Bei jedem hiervon abweichenden Schusswinkel ist das andere Flugzeug zu dem Zeitpunkt bereits einige Meter weiter geflogen, an welchem die eigenen Geschosse dort ankommen, wo der Gegner Sekunden vorher noch gewesen war. Man muss also dorthin schießen, wo der andere bei der vorhergesehenen Flugbahn sowohl des gegnerischen Jagdflugzeuges als auch der abgefeuerten Patronen sein wird, nicht dorthin, wo er beim Feuern gerade ist! Dies erfordert eine gute räumliche Vorstellungskraft des Schützen, ausgezeichnetes Schätzvermögen in Bezug auf Geschwindigkeiten, Konzentration und Disziplin.

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Hintereinander in V-Formation fliegende Dreierketten an Spitfire Mk. I der Royal Air Force. Man beachte den unterschiedlichen Kurvenradius beim Formationsflug, der bei engem Verbandsflug die volle Aufmerksamkeit des Piloten erfordert!

Je schneller der angreifende Jäger ist, desto größer wird diese Differenz sein und desto schwieriger ist es, den Winkel zu schätzen, um welchen man vor das andere Flugzeug schießen muss, um es zu treffen. Diesen Winkel nennt man „Vorhaltewinkel“. Geschwindigkeit ist für den Angreifer also ein unschätzbarer Trumpf.

Doch auch der Angreifer, ein Jagdflugzeug, kann selbst angegriffen werden – von einem gegnerischen Jagdflugzeug. Dann ist es besonders wichtig, schnell zu sein – für den Angreifer wie für den Angegriffenen. Je schneller das eigene Flugzeug ist, desto besser kann man ein Opfer überraschen oder aber einem Angriff entkommen. Aus diesem Grund greifen Jägerpiloten gerne von hinten oben einen Gegner an – von hinten, um möglichst lange ungesehen dessen Flugbahn einschätzen und den richtigen Vorhaltewinkel erfassen zu können (Zieleinrichtungen im Cockpit eines Jagdflugzeuges wie Reflexvisiere helfen, die im Laufe des Krieges immer ausgeklügelter und effektiver werden). Und von oben, um noch zusätzlich durch den Sturzflug an Geschwindigkeit zu gewinnen. Hat man sich auch noch derart in Angriffsposition manövriert, dass die Sonne im eigenen Rücken steht, so ist der Gegner beim Blick zurück in die Angriffsrichtung geblendet. Er wird den feindlichen Anflug erst sehr spät bemerken können – oft zu spät. „Es ging einfach alles so schnell ...!“

Wie baut man schnelle Flugzeuge? Indem man die Maschine möglichst klein macht, mit dem stärksten verfügbaren Motor ausrüstet und den Rumpf so strömungsgünstig wie möglich konstruiert. Außerdem muss das Jagdflugzeug leicht sein, um ein gutes Verhältnis zwischen der Schubkraft des Motors und der zu schiebenden Last zu gewährleisten. Denn dieses Verhältnis bedingt die Geschwindigkeit! Enorm bullige Motoren lassen später große, schwere Jäger zu. Der vergrößerte Rumpf hat allerdings auch zu jenem Zeitpunkt nur den einen Sinn, möglichst viel Platz für Treibstofftanks zur Verfügung zu haben, um die Reichweite des Flugzeuges im Vergleich zu einem (andernfalls bevorzugten) kleinen, zierlichen Jäger zu erhöhen.

Zu Beginn der Auseinandersetzungen ist die Flugdauer-Thematik jedoch noch nicht als Problem erkannt. Mit den zur Verfügung stehenden Triebwerken ist ein möglichst leichtes Jagdflugzeug gefordert, um die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen.

Der klassische Jäger spart also auch an dem Gewicht der Besatzung. Diese besteht daher aus nur einem einzigen Mann, dem Piloten. Der kann nun aber nicht gleichzeitig fliegen, also den Steuerknüppel in der Hand halten, und ein bewegliches Maschinengewehr auf den Gegner ausrichten.

Folglich sind die Waffen in das Jagdflugzeug starr nach vorne feuernd eingebaut – auf der Motorhaube oder an der Tragflächenwurzel (dann sind die Auslösungen der Maschinenwaffen so mit der Propellerwelle synchronisiert, dass jeder Schuss zwischen die sich drehenden Blätter der Luftschraube hindurchfeuert, ohne sie zu beschädigen). Oder die Kanone feuert durch die Propellernabe selbst. Wenn sich die Maschinengewehre außerhalb des Drehkreises der Luftschraube an den Tragflächen befinden, erübrigt sich die Synchronisierung. Letztere Lösung ist technisch am einfachsten und wird an britischen und US-Standardjägern angewandt, doch hat sie den Nachteil, dass jede Verwindung der Tragfläche unter der Belastung der Fliehkraft im Kurvenkampf die Schussbahn beeinträchtigt.

Der Jäger-Pilot muss also mit seinem gesamten Flugzeug zielen. Die Flugbahn der eigenen Maschine ist der Maßstab für die in Flugrichtung direkt nach vorne feuernden Geschosse der Maschinenwaffen. Deren Schussbahn wiederum kann durch Leuchtspurmunition optisch verfolgt werden, die zwischen die zerstörenden Geschosse eingestreut ist. Dadurch sind Korrekturen der eigenen Flugbahn durchführbar, bis die Garben sichtbar im Ziel sitzen. Allerdings warnt die vorbeiflirrende Leuchtspur das möglicherweise ahnungslose Opfer in Bezug auf den hinter ihm in Schussposition feuernden Gegner, wenn dieser nicht sofort trifft. Das ermöglicht dann gegebenenfalls dem angegriffenen Piloten ein blitzartiges Ausweichmanöver im allerletzten Augenblick. Aus diesem Grund beauftragt nicht jeder Jägerpilot seinen Waffenwart mit dieser Art der Munitionierung.

Der feste Einbau der starr nach vorne feuernden Waffen ermöglicht erst den Einbau von Reflexvisieren. Reflexvisiere sind über weite Strecken des Krieges bis in den Herbst des Jahres 1944 hinein optische Geräte, die vor die Frontscheibe des Systems einen Ring mit einem Punkt spiegeln (britische und amerikanische „optical gun sights“) beziehungsweise ein in Grade unterteiltes Kreuz in einem Ring projizieren (deutsche Reflexvisiere, beispielsweise das Revi 16B, das bis Kriegsende verwendet wird).

Bei diesen Zieleinrichtungen muss der Jagdflieger den richtigen Vorhaltewinkel noch selbst schätzen, wobei ihm die Gradeinteilung des Reflexvisiers gegebenenfalls behilflich ist (auf Seite 29 oben wird ein Auszug aus dem Waffen-Handbuch des Revi 16B wiedergegeben).

Erst gegen Ende des Krieges kommen ab Herbst 1944 auf britischer und amerikanischer Seite „computerisierte“ Visiereinrichtungen zum Einsatz, die mit Hilfe kreiselstabilisierter Aufhängungen den korrekten Vorhaltewinkel abhängig von der Flugbahn des Jagdflugzeuges automatisch anzeigen. Als Beispiel sei das amerikanische K-14 „gun sight“ genannt, welches verbreitet in der P-51 „Mustang“ Anwendung findet. Die Deutschen entwickeln mit dem Askania EZ 42/1-A1 ein im Leistungsvergleich noch besseres System – sofern es funktioniert. Das EZ 42 weist bis zu 20 % geringere Abweichungen zum korrekten Vorhaltewinkel auf im Vergleich zum K-14-Visier, das wiederum den britischen GGS-Geräten ähnelt. Allerdings ist es noch viel defektanfälliger und leidet unter Ausfällen. Das EZ 42 kommt gegen Kriegsende vor allem (aber nicht nur) in den deutschen Düsenjägern zum Einsatz.

Bei einem beweglichen Abwehr-Maschinengewehr in Bombenflugzeugen ist eine derartige Zielhilfe nicht möglich. Hier muss mit Kimme und Korn gezielt und der Vorhalt rein manuell geschätzt werden.

Ein angegriffener Jagdflugzeug-Pilot wird nun sicher nicht stur geradeaus fliegen – sofern er die Gefahr rechtzeitig bemerkt – und warten, bis sein Kontrahent sich in aller Ruhe auf ihn eintariert und eingeschossen hat. Er wird nach oben wegsteigen, nach unten abkippen, eine Rolle auf den Rücken fliegen oder sofort zur Seite wegkurven – oder alles auf einmal, es gibt diverse teilweise kunstflugverdächtige Flugfiguren, die in solchen Fällen Rettung versprechen – noch komplexer im Zusammenspiel mehrerer Maschinen. Was beispielsweise macht ein Angreifer, wenn er zwei Gegner vor sich hat, die auseinander stieben – der eine nach rechts, der andere nach links? Der Angreifer kann nur einem designierten „Opfer“ folgen – wenn überhaupt. Dessen Kamerad wird nun zur Gefahr, denn nach einem Vollkreis befindet er sich seinerseits hinten ...!

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In jedem Fall spielt der Kurvenkampf eine wichtige Rolle im Luftkampf Jäger gegen Jäger – „dogfight“ nennen es die Briten. Ein verbissener Kampf, in aller Regel. Denn der Jäger wird sich vom Gejagten nicht so einfach abschütteln lassen – wenn er versiert ist.

Dies führt nun zu einer zweiten Forderung an ein gutes Jagdflugzeug: es soll nicht nur schnell sein (und gleichzeitig stark bewaffnet, was hinsichtlich des Gewichts der Waffen schon einen ersten Widerspruch beinhaltet), sondern auch noch extrem wendig und manövrierfähig. Dabei gilt meistens: Je schneller, desto weniger wendig ist ein Jagdflugzeug. Gut gelungene Entwürfe können beides, als Beispiel gelten die deutsche Messerschmitt Bf 109 und die noch wendigere Supermarine „Spitfire“.

Warum soll ein Jäger wendig sein? Um einen gegnerischen Jäger auskurven zu können! Das heißt, wie anhand nachstehender Zeichnung verständlich wird, um den entscheidenden Vorhaltewinkel herausfliegen zu können. Denn nur der, der in der Kurve enger fliegt, kann den Gegner treffen. Wer dies nicht vermag, sollte sich nicht auf einen Kurvenkampf einlassen! So bleiben der deutschen Me 109 andere effektive Kampftaktiken, um mit für sie geeigneten Manövern Spitfires auszutricksen (siehe dazu die Abbildung Seite 30).

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Das Problem der mangelnden Kurvenfähigkeit führt dazu, dass zweimotorige Langstreckenjäger wie die deutsche Messerschmitt Bf 110 sich im Laufe des Krieges nicht bewähren – nicht im Duell mit agilen einmotorigen Abfangjägern. Das Konzept eines schweren zweimotorigen Jagdflugzeuges erfüllt zunächst durchaus die Forderung nach einer hohen Geschwindigkeit, denn zwei Motoren, kombiniert mit einem schlanken strömungsgünstigen Rumpf, kompensieren dessen höheres Gewicht – zwangsläufig höheres Gewicht, denn zwei Motoren erfordern ein größeres Flugzeug. Das zudem dadurch, dass es größer ist, mehr Treibstoff mitführen kann und sich daher für größere Reichweiten eignet – für Langstrecken-Begleitschutz-Einsätze eben. Die Me 110 sind genauso schnell wie die Abfangjäger der Briten – aber bei weitem nicht so wendig. Das führt zu hohen Verlusten und dazu, dass diese Maschinen ihre Aufgabe nicht erfüllen können. Ihre Piloten sind so damit beschäftigt, sich selber zu wehren, dass sie die eigentlich zu schützenden Bomber ihrem Schicksal überlassen müssen – mit fatalen Folgen! Ihre Begleitschutz-Rolle werden notgedrungen die einmotorigen Me 109 übernehmen müssen, allerdings ohne die hierfür nötige Reichweite zu besitzen. Doch darüber später mehr.

Beispiel:

Eine deutsche Me 109 E verfolgt eine britische Spitfire Mk. I. Die Spitfire kurvt so eng nach links, wie sie kann. Und das ist enger, als ihr die deutsche Me 109 folgen kann. Deren bessere Steig- und Sturzfluggeschwindigkeit nützt dem deutschen Piloten in dieser Situation nichts: Die Garben aus den beiden Maschinengewehren und den zwei Kanonen gehen hinter dem Heck der gejagten Spitfire ins Leere ...

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Das Problem ist in dieser Situation dasselbe, nur für den deutschen Piloten nun noch fataler. Dieses Mal sitzt die Spitfire hinter der Me 109 in Schussposition. Statt abzutauchen, wie es nun für einen Me 109-Piloten richtig wäre, kurvt der deutsche Flugzeugführer nach links. Doch die Spitfire kurvt enger, kann die Geschosse ihrer acht Maschinengewehre vor den deutschen Jäger in dessen Flugbahn feuern. Der Deutsche fliegt mitten in die Garben hinein!

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Das beschriebene, vorweggenommene Szenario beleuchtet die Wichtigkeit aller drei Eigenschaften für ein gutes Jagdflugzeug:

  • hohe Geschwindigkeit
  • hohe Wendigkeit und Manövrierbarkeit
  • gute Bewaffnung

Bomber: diese Gruppe lässt sich unterteilen in:

  • taktische Bomber img strategische Bomber
  • Horizontalbomber img Sturzkampfbomber
  • Bomber mit herkömmlichen Bomben img Torpedobomber
  • Jagdbomber img Schlachtflugzeuge

Jagdbomber sind eigentlich keine Bomber, sondern Jagdflugzeuge, die für einen speziellen Erdkampfzweck eine Bombe oder mehrere Bomben unter dem Rumpf tragen. In späteren Jahren werden auch Raketen mitgeführt. Diese Maschinen sind Verwandlungskünstler – denn sobald sie ihre Bombe(n) geworfen haben, sind diese Maschinen das zusätzliche Gewicht los und mutieren wieder zu einem ganz normalen Jagdflugzeug mit den Flugeigenschaften, welches es als Jagdflugzeug besitzt. Dies ist bei Schlachtflugzeugen nicht der Fall, die in der Regel stärker gepanzert und damit viel besser geschützt sind gegen Beschuss durch Maschinengewehrfeuer vom Boden aus, dadurch aber auch schwerer und unbeweglicher werden. Diese Flugzeuge bleiben einem Jäger unterlegen, auch wenn sie ihre tödliche Last abgeworfen haben. Meistens sind sie jedoch dennoch schneller und wendiger als ein „echter“ Bomber und dank ihrer meistens vorhandenen Abwehrbewaffnung somit für einen angreifenden Jäger kein einfacher Gegner. Falls sie Abwehrwaffen besitzen – beispielsweise einen Heckschützen - haben solche Flugzeuge eine mehrköpfige Besatzung. Ein Musterbeispiel hierfür ist die einmotorige, zweisitzige sowjetische Iljuschin Il-2M-3 „Stormovik“. Doch auch die zweimotorige, einsitzige deutsche Henschel Hs 129 fällt darunter. Sie besitzt keine Abwehr nach hinten.

Herkömmliche Bombenflugzeuge sind in aller Regel größere, mehrmotorige Maschinen. Die Größe ergibt sich aus ihrer Aufgabe – schließlich sollen sie (viele) Bomben tragen. Diese Größe und das Gewicht schließen – von besonders gelagerten Ausnahmen einmal abgesehen – in aller Regel eine Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit aus, die mit der eines viel leichteren Jagdflugzeuges konkurrieren könnte. Also müssen bei den üblichen Varianten Abwehrstände her, bemannte Positionen im Flugzeug, welche den vergleichsweise schwerfälligen Bomber bei Angriffen durch Jäger verteidigen. Angriffen, denen er durch Flugmanöver alleine nur schwer entgehen kann.

Diese Abwehrstände erfordern logischerweise eine Besatzung, welche diese Waffen im Falle eines Angriffs durch Feindjäger auch bedient. Ein Bomber wird also normalerweise neben dem Piloten auch Bordschützen mit sich führen, die entweder die Funktion des Funkers, Bombenzielschützen und Navigators mit übernehmen oder zusätzlich an Bord sind. Diese bedienen Maschinengewehre, die in Richtung auf die übliche Anflugsweise feindlicher Jäger positioniert sind – nach hinten oben, hinten unten, vorne oben, seltener auch vorne unten. Solche Positionen lassen sich auch kombinieren, beispielsweise deckt ein einziger Heckstand sowohl die Schussrichtung nach hinten oben als auch nach hinten unten ab, im Gegensatz zu separaten Schützenstellungen jeweils oben und unten am Rumpf.

Im Jahr 1939 sind diese Maschinengewehrstände in aller Regel handbedient. Dies bedeutet, der Bordschütze muss seine Waffe gegen den Luftwiderstand des Fahrtwindes auf den Feindjäger ausrichten und schwenken – das kann mühsam sein und die entscheidenden Sekunden kosten. Daher werden im Laufe des Krieges zunehmend Abwehrtürme eingebaut, drehbare MG-Stände mit Plexiglaskuppeln, die hydraulisch oder elektrisch bewegt werden. Dies entlastet die Muskeln des Schützen, erlaubt auch einfacher die parallele Anordnung mehrerer Maschinengewehre (die Briten verwenden bis zu vier) und bringt wertvolle Zeitvorteile beim Zielen. Ferner setzt dieser geschlossene Stand den Schützen auch nicht den oftmals je nach Flughöhe sehr tiefen Außentemperaturen aus. Ein Beispiel hierfür ist bereits bei Beginn des Krieges der britische Vickers „Wellington“-Bomber.

Es gibt vielerlei Bomber-Konzepte. Die Deutschen setzen, wie die meisten anderen Nationen auch, auf relativ leichte zweimotorige Kampfflugzeuge, welche mehr zur taktischen Unterstützung der vorrückenden Bodentruppen gedacht und konstruiert sind. Diese Bomber sind zwar notgedrungen wesentlich langsamer als Jagdflugzeuge, doch immer noch deutlich agiler als die schweren viermotorigen Maschinen, wie sie ab Mitte des Krieges immer häufiger zum Einsatz kommen sollten. Zweimotorige taktische Mittelstreckenbomber sind nicht primär dazu gebaut, ihre Bomben tief in feindliches Hinterland zu tragen und sich daher all zu lange der feindlichen Luftabwehr auszusetzen. Man geht davon aus, dass diese Flugzeuge in Staffelstärke die Front überfliegen, den eigenen Truppen den Weg frei bomben und dann schleunigst wieder auf eigenes Gebiet zurückkehren – dies alles unter dem angedachten Schutz eigener Begleitjäger, wie etwa der deutschen Messerschmitt Bf 110. Daher sind sie durchaus nicht unbeweglich, sondern besitzen eine gewisse Manövrierfähigkeit, welche bei Jägerbeschuss Ausweichbewegungen erlaubt (die deutsche Dornier Do 17 ist berühmt hierfür), und nur eine mäßig starke Abwehrbewaffnung. Diese sollte sich bald als absolut unzureichend erweisen, besonders dann, wenn größere Formationen im Verbandsflug strategische Ziele angreifen müssen. Denn beim gemeinsamen Eindringen ganzer Geschwader in den Luftraum des Gegners können die Bomber ihre individuelle Manövrierfähigkeit nicht anwenden, da sie ihre Position im Gesamtverband halten müssen. Für die Abwehr feindlicher Jäger im Zuge solcher Großeinsätze sind sie nicht gebaut.

Doch auch die Art von Bombern, die für den fast sturen Langstrecken-Verbandsflug in großen Formationen und ohne Jagdschutz spezifisch gebaut sind – schwere „Fliegende Festungen“, viermotorige Ungetüme mit bis zu 13 Maschinengewehren in Abwehrständen und Drehtürmen, sollte sich als immer noch nicht ausreichend bewaffnet erweisen, um den mit überlegener Geschwindigkeit angreifenden flinken Feindjägern genügend Gegenwehr entgegenstellen zu können. Nicht einmal im bewusst schützend eng geflogenen Bomberpulk, in dem sie das Abwehrfeuer Dutzender Maschinen effektiv gegen die Angreifer bündeln können, sodass diese in einen regelrechten Geschosshagel hineinfliegen müssen. Gegen einen zu allem entschlossenen Gegner ist auch diese enorme, furchterregende Feuerkraft noch nicht genug. Die „Viermots“ sind für strategische Angriffe gebaut, Einflüge tief in den feindlichen Luftraum, um die Infrastruktur des Gegners zu vernichten – Fabriken, Werften, Flugplätze, Verkehrsknotenpunkte, Bahnhöfe, zum apokalyptischen Schluss schließlich ganze Großstädte ...

Horizontalbomber werfen ihre Bomben als Reihenwurf-Bombenteppich im Überflug über dem Feind ab, Sturzkampfbomber punktgenau im Sturzflug auf einzelne Ziele. Torpedobomber wiederum lösen längliche zigarrenförmige Projektile aus (Torpedos), die nach dem Abwurf und Eintauchen ins Meer – von einer kleinen Schiffsschraube getrieben – knapp unter der Wasseroberfläche auf feindliche Schiffe zusteuern und beim Aufschlag auf deren Rumpf detonieren. Die Explosion reißt im Normalfall ein Loch in den Schiffskörper, durch welches Wasser eindringt und das Schiff zum Sinken bringt. Größere Kampfschiffe besitzen manchmal besonders gepanzerte und mit Kammern abgegrenzte doppelte Wände an der Wasserlinie, um sich vor feindlichen Torpedos zu schützen. Die deutschen Schlachtschiffe „Bismarck“ und „Tirpitz“ sind Beispiele hierfür. Kleinere Marineschiffe oder gar Frachter besitzen solche aufwändigen Rumpfkonstruktionen allerdings nicht.

Aufklärer wiederum haben die Aufgabe, feindliche Truppenbewegungen und Stellungen aus der Luft auszukundschaften und zu fotografieren. Die Fotos dienen auch der Dokumentation und Auswertung der Wirkung eigener vorangegangener Angriffe. Es handelt sich um Flugzeuge sehr unterschiedlichen Typs – abhängig von der geforderten Reichweite. Für kurze Distanzen werden Jagdflugzeuge mit Kameras ausgerüstet, da sie im Falle eines Abfangversuches auf Grund ihrer den gegnerischen Jägern gegenüber gleichwertigen Schnelligkeit die besten Entkommenschancen haben. Im taktischen Nahbereich werden später teilweise eigens hierfür konstruierte Flugzeuge verwendet – so die Focke-Wulf Fw 189 „Uhu“. Für größere Strecken benötigt man mehr Treibstoff – je weiter der Operationsradius wird, desto größer ist in der Regel das hierfür verwendete Flugzeug. Zumindest in den Anfangsjahren des Krieges, in denen einmotorige Langstreckenjäger noch nicht entwickelt sind.

Als Transportflugzeuge werden umgebaute ehemalige Verkehrsflugzeuge verwendet, die oft aber auch konkret in der Transportversion hergestellt werden. Die deutsche dreimotorige robuste Junkers Ju 52 oder die amerikanische zweimotorige Douglas DC-3 bzw. C-47 seien hier genannt. Diese langsamen, schwerfälligen Maschinen sind wenig oder gar nicht bewaffnet und ohne eigenen Begleitschutz eine völlig sichere Beute angreifender Jagdflieger des Gegners. Sie sind gar nicht dazu gedacht, innerhalb des Einsatzgebietes feindlicher Luftstreitkräfte zu operieren. Doch denken kann man viel. Die Realität eines Krieges gehorcht ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten und nur eher selten den planerischen Vorstellungen der Strategen.

Verbindungsflugzeuge sind kleine, ebenfalls nicht oder schwach zur Abwehr bewaffnete Flugzeuge in der Größe von Sportflugzeugen. Es sind häufig Hochdecker, idealerweise mit extremen Kurzstarteigenschaften, wie der deutsche Fieseler „Storch“. Sie haben die Aufgabe, Passagiere – oft Offiziere oder Kuriere – von einem Ort zum anderen zu bringen, beispielsweise zu einer Lagebesprechung.

Einige der genannten Flugzeuge und auch Einsatz-Erkenntnisse sind im Jahr 1939 noch Zukunft. Doch die Grundzüge der Aufgliederung in Flugzeug-Typen sind es nicht. Sie sind, wie oben beschrieben, gültig, auch wenn sich manches Detail in seiner Konsequenz erst noch herausstellen sollte.

Inzwischen stehen die Zeichen in Europa mehr und mehr auf Sturm. Adolf Hitler will einen Krieg, er ist geradezu besessen von der Idee eines Feldzugs nach Osteuropa. England oder Frankreich sind keine Wunschgegner für den deutschen Machthaber, sondern lästige Hemmnisse in Adolf Hitlers Expansionsstreben. Auch das von Göring und Mussolini hinter seinem Rücken vermittelte „Münchner Abkommen“ ist Hitler eher unangenehm. Schon damals hätte er einen Angriffskrieg vorgezogen.

Osteuropa – das ist aus deutscher geografischer Sicht Polen, noch weiter östlich befindet sich die Sowjetunion. Josef Stalin, seit dem Jahr 1927 sowjetischer Diktator, ist ein Machtpolitiker wie Adolf Hitler in Deutschland und Benito Mussolini in Italien auch. Um seine Macht zu sichern, schaltet er seine innenpolitischen Gegner aus. Gleich massenweise! Diesen „Säuberungen“ fallen auch viele Offiziere zum Opfer. Seine Rote Armee ist somit nur bedingt einsatzbereit. Stalin rechnet mit einem Krieg, aus dem er sich so lange heraushalten will, wie es opportun erscheint. Wenn Deutschland, Frankreich und England in einem erneuten Stellungskrieg ausgeblutet sein würden, wäre die Rote Armee bis dahin zur stärksten Militärmacht in Europa angewachsen ...

In der Übergangszeit will Stalin das Beste daraus machen. Ein Verhandlungspoker zwischen Stalins Sowjetunion und den beiden Lagern im Westen setzt ein. Am 14. April 1939 richtet Frankreich ein offizielles Bündnisangebot an die Sowjetunion mit dem Ziel, Deutschland von einem Einfall in Polen abzuhalten – der sich bereits abzeichnet. Es soll für den Fall eines deutschen Angriffes auf Polen oder Rumänien gelten. Stalin regt einen Dreierpakt unter Einbeziehung Englands an, fordert aber selber ein Einmarschrecht in Polen. Das ist unannehmbar! Insgeheim verhandelt der Diktator aber auch mit Deutschlands Außenminister Ribbentrop. Im Gegenzug für ein deutsch-sowjetisches Kreditabkommen, welches der Sowjetunion einen Wechselkredit über 200 Millionen Reichsmark für Rohstofflieferungen in Höhe von 180 Millionen Reichsmark beschert, wird man sich am 21. August 1939 einig. In Zusatzvereinbarungen weitet das Protokoll Stalins Einfluss und Gebietsansprüche aus und sichert ihn in einem Nicht-Angriffspakt vorerst strategisch ab (wie er glaubt!). Beide Diktatoren haben nun „den Rücken frei“. Denn für Hitler ist mit dem Pakt die Gefahr eines neuerlichen Zweifrontenkriegs gebannt!

Am 25. August 1939 unterzeichnen die Briten und Polen ein Beistandsabkommen. Die Würfel sind geworfen ...! Nach alter Manier wird der Schein gewahrt. Doch politisch fällt kaum jemand mehr darauf herein. SS-Männer inszenieren als polnische „Freischärler“ gekleidet einen Scheinangriff auf den Sender Gleiwitz, bedrohen das Personal mit vorgehaltener Waffe und sperren die Techniker in einen Kellerraum. Dann geht ein Aufruf über den Äther, der einen angeblichen Aufstand der polnischen Minderheit proklamiert. Zum Beweis präsentiert man der Öffentlichkeit einen im „Abwehrkampf“ um den Sender Gefallenen – einen zuvor extra verhafteten, als Polen-freundlich bekannten Oberschlesier. Die Schuldigen sind klar – für alle Unbedarften. Es sind – so soll es aussehen – die Polen!

„Seit 05.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen“, verkündet Hitler. Es stimmt nicht einmal die Uhrzeit.

Der Zweite Weltkrieg hat begonnen!

Der Polenfeldzug

Der Morgen an jenem unheilvollen 1. September des Jahres 1939 ist neblig. Es wird allmählich hell, als etwa 60 Heinkel He 111 die Flugplätze um Krakau herum anfliegen. Zum ersten Mal wird ein wohlüberlegter Erstschlag versucht, der das Ziel hat, die feindliche Luftstreitmacht in einer Phase entscheidend zu schwächen, in welcher sie überrascht und fast wehrlos ausgeschaltet werden kann. Es ist der Zeitpunkt, an welchem noch keiner der Piloten des Gegners weiß, wie ihm geschieht. Der Moment, an dem seine Waffe vernichtet werden kann dort, wo er hilflos ist: am Boden.

Die Polen haben kleine, wendige Jagdmaschinen zur Verfügung, PZL P.11c bezeichnet. Sie sind mit ihren charakteristischen möwenartigen Knickflügeln gut zu fliegen, doch nur 389 km/h schnell. Nicht viel schneller als ein deutscher Sturzkampfbomber des Typs Junkers Ju 87. Als er Bomben einschlagen hört, die vermutlich dem nahegelegenen Flugfeld Krakau gelten, hält den Kommandeur der 121. Eskadra Mysliwska (Jagdstaffel) in dem gut getarnten Reserveflugfeld Balice nichts mehr. Erst gestern waren sie hierher verlegt worden – in weiser Voraussicht. Es ist kurz nach 05.00 Uhr morgens.

Kapitan Mieczyslaw Medwecki schnappt sich seinen Rottenflieger. „Wladek, komm mit!“ Die beiden Piloten klettern in ihre „Jedenastka”–Jäger, wie die Polen den Knickflügler nennen, nach der Zahl „11“. Dann steigen sie in den friedlich erscheinenden Morgenhimmel. Weit kommen sie nicht.

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Frank Neubert.

In etwa 300 Meter Höhe taucht plötzlich ein Flugzeug auf, welches sich ebenfalls durch einen typischen Knick in der Tragfläche erkennen lässt. Nur führt die Tragfläche bis zu diesem Knick vom Rumpf aus zunächst nach unten und nicht nach oben, wie bei den polnischen Jägern. Ein deutscher Sturzkampfbomber des Typs Junkers Ju 87, offenbar auf dem Rückflug. Er scheint alleine zu sein.

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Dornier Do 17 Z, wegen des schlanken Rumpfes „Fliegender Bleistift“ genannt.

Medwecki setzt sich hinter den einsamen Stuka der I. Gruppe des Stuka-Geschwaders 2 (I./StG 2) und manövriert sich in Schussposition, gefolgt von seinem Staffelkameraden Podpurucznik Wladislaw Gnys in dessen weißer 5 . Plötzlich geschieht das Unerwartete, Unfassbare. Medweckis „Jedenastka” explodiert, zerbirst in einem großen Feuerball. Leutnant Frank Neubert hatte gemeinsam mit seinem Bordfunker Franz Klinger gesehen, wie sich die beiden Polen hinter seinen Staffelkameraden in Angriffsposition gekurvt hatten. Ihn selbst hatten die in dem Dunst und Nebel nicht gesehen, jenen Wolken, die dazu geführt hatten, dass sie von der Hauptformation abgekommen waren. Neubert vereitelt den Angriff der Polen. Die Geschwindigkeit seines Stuka img lässt es zu, den Vordermann der zwei Jagflugzeuge vor das Visier zu holen. Er zielt – und trifft voll.

Wladislaw Gnys ist geschockt. Er versucht sofort, dem feindlichen Flugzeug aus der Schusslinie zu kurven. Urplötzlich hat er den ersten deutschen Stuka vor dem Visier. Er schießt! Und trifft. Doch viel Schaden richten seine vier 7,7-mm-Maschinengewehre nicht an. Sein „Opfer“ verschwindet in den Wolken. Leutnant Branderburg entkommt mit seinem Heckschützen. Auch Gnys entgeht einem deutschen Abschuss. Der polnische Leutnant setzt seinen ersten Feindflug fort. Er muss erst einmal verarbeiten, was er da gesehen hat. Wenig später entdeckt er zwei deutsche Bomber unter sich, Dornier Do 17 Z des deutschen Kampfgeschwaders 77 (KG 77). Gnys sinnt auf Rache. Er ist über ihnen, kann im Sturzflug Geschwindigkeit gewinnen. Der polnische Jägerpilot überlegt nicht lange. Beide Bomber scheinen getroffen zu sein, als Gnys schließlich abdreht. Sie verschwinden hinter einem Hügel. Einer der Bomber trägt die Kennzeichen img, was der 7. Staffel, III. Gruppe des KG 77 entspricht.

Die beiden deutschen Maschinen gehen in der Tat verloren. Sie zerschellen beide in der Nähe des Dorfes Zurada südlich der Stadt Olkusz und nehmen alle Besatzungsmitglieder mit in den Tod.

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PZL P.11c-Jäger der Polen.

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Junkers Ju 87 B „Stuka“, Luftwaffe..

Jene polnische PZL P.11c und die deutschen Dornier-Bomber sind vermutlich die ersten Luftsiege in einem Ringen am Himmel, dessen Zahlenverhältnisse zu dem Zeitpunkt nicht einmal erahnt werden.

1. September 1939

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Flugzeugtyp:

Dornier Do 17 Z-2

Nationalität:

Luftwaffe (Deutsche Luftstreitkräfte)

Einheit:

7. Staffel (III. Gruppe)/KG 77

Besatzung:

Keine Angabe

Stationierung:

Brieg, Deutschland

Flugzeugtyp:

Panstwowe Zaklady Lotnicze PZL P.11c

Nationalität:

Polnische Luftstreitkräfte

Einheit:

121. Eskadra Mysliwska

Pilot:

Podporucznik Wladislaw Gnys

Stationierung:

Balice nahe Krakau, Polen

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Hinweis: die Karte zeigt im Gegensatz zu den Frontverlaufskarten den Nachkriegsgrenzverlauf, da hier die Lokalisation des Ortes aus heutiger Sicht im Vordergrund steht.

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PZL P.11c der 121. Eskadra Mysliwska, Podporucznik Wladislaw Gnys, Balice nahe Krakau.

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Dornier Do 17 Z-2 der III./KG 77, 1939. Die Maschine img wird am 1. September 1939 von Wladyslaw Gnys nahe Zurada abgeschossen. Manche Quellen nennen den Typ Do 17 E, der Flugzeugbestand der III./KG 77 am 1. September 1939 weist jedoch nur die Version Z auf. Möglicherweise ist eine der beiden Do 17 durch Beschussschäden mit der anderen kollidiert. Profil nach Datenlage.

Um den vernichtenden Erstschlag gegen die Luftstreitkräfte der Polen bereits in den allerersten Stunden des Konfliktes führen zu können, waren bereits seit Juli 1939 Aufklärungsflüge erfolgt mit dem Ziel, die gegnerischen Flugplätze zu erkunden. Dass man damit den polnischen Luftraum verletzt hatte, war eine andere Sache gewesen. Doch nun sollen sich diese Erkenntnisse auswirken. Nur eines macht nicht mit: das Wetter. Daher ist der Erfolg der Überraschungsaktion aus der Luft bei weitem nicht so vollkommen, wie eigentlich vorgesehen. Der dichte Nebel und die tief liegende Wolkendecke verhindern eine erfolgreiche Durchführung, erschweren das Auffinden und Bombardieren der Fliegerhorste. Hinzu kommt, dass die Polen mit einer derartigen Aktion gerechnet und ihre Flugzeuge inzwischen gut verteilt hatten – auf kleine, geschickt getarnte Feldflugplätze.

Die Zahlenverhältnisse sprechen allerdings für sich. Die deutsche Luftwaffe mobilisiert im Osten gegen Polen etwa 2.200 Flugzeuge, denen die Polen circa 800 Maschinen entgegensetzen können. Von diesen sind wiederum ungefähr 150 derzeit in Reparatur. Noch schlimmer: Im Gegensatz zur deutschen Luftwaffe, die inzwischen eine organisatorisch straff geführte eigene Waffengattung ist mit allen Vorteilen einer einheitlichen Kommandostruktur, gibt es in Polen nur eine Jagdbrigade mit einer gewissen Selbstständigkeit. Diese allerdings umfasst den Großteil der Jäger. Auch ein Teil der Bomber unterliegt einer zentralen Führung. Doch der Großteil ist den diversen Armeen zugeteilt, deren Heeres-Kommandeure keine wirkliche Vorstellung davon haben, wie man denn Flugzeuge sinnvoll einsetzen könnte. Wie auch generell die Koordination der polnischen Armeen sehr schnell ins Wanken gerät. Es gibt nur einen modernen zweimotorigen Bomber im polnischen Arsenal, die PZL P.37B „Los“. Dieses immerhin 445 km/h schnelle Kampfflugzeug kann sich durchaus mit einer Heinkel He 111 J, P oder H messen! Die Polen haben gerade mal 36 davon, plus 25 Maschinen in Reserve. Die anderen Flugzeuge der Polen haben jedoch gegen ihre deutschen Konkurrenten, deren Piloten zudem direkt oder mittelbar von den Erfahrungen der „Legion Condor“ profitieren, keine Chance. Auch nicht die PZL P.11c-Jäger, deren mangelnde Höchstgeschwindigkeit sie sowohl den einmotorigen Messerschmitt Bf 109 D-1 und E-1 als auch den zweimotorigen Langstreckenjägern Messerschmitt Bf 110 C-1 ausliefert. Daher offenbart sich noch nicht, dass der Flugzeugtyp Me 110 trotz seiner einem modernen einmotorigen Abfangjäger wie der Me 109, britischen Hawker „Hurricane“ oder Supermarine „Spitfire“ vergleichbaren Geschwindigkeit und trotz seines Abwehr-Maschinengewehrs nach hinten seine Schwächen hat. Die erheblich höhere flinke Agilität und Kurvenfähigkeit einmotoriger Jäger sollten die Besatzungen der schweren „Zerstörer“ noch zu spüren bekommen. In Polen allerdings sind die Besatzungen der Messerschmitt Bf 110-Jäger erfolgreich.

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Messerschmitt Bf 110 (vermutlich Typ C-1) aus der I. Gruppe des Zerstörergeschwaders (ZG) 76, welche über Polen eingesetzt ist.

Den Polen stehen auf deutscher Seite fünf Armeen gegenüber. Diese sind modern ausgerüstet. Sie haben eine Ausgangsposition, die einen Zangenangriff geradezu herausfordert. Sofern sie an den entscheidenden Stellen schnell genug über natürliche Hindernisse kommen. Hindernisse wie den Fluss Weichsel. Über die Weichsel führen am Rand der Stadt Dirschau (Tczew) parallel zueinander zwei große Brücken, Stahlrohr-Gitterkonstruktionen, nicht leicht zu zerstören. Nicht leicht für die Polen! Denn diese Brücken müssen bei einem Kriegsausbruch mit Deutschland unbedingt gesprengt werden, verzögert eine solche Zerstörung doch den Übergang der deutschen Truppen über den Fluss enorm. Doch mit genügend Sprengstoffladungen an geeigneten Stellen fliegt jede Brücke in die Luft.

Das wissen auch die Deutschen. Die Zündkabel der Polen liegen, die Sprengladungen auch. Davon hatten sich der deutsche Oberleutnant Bruno Dilley und seine beiden Kameraden, Leutnant Horst Schiller und Feldwebel Gerhard Grenzel, persönlich überzeugen können, als sie als Zivilpersonen getarnt mit dem Schnellzug Berlin–Königsberg durch den Danziger Korridor gefahren waren. Durch jenen Streifen polnisches Gebiet, der angestammtes deutsches Territorium durchtrennt und einen künstlichen Schnitt zwischen Deutschland und das ebenfalls deutsche Ostpreußen legt, dank der in Deutschland so unbeliebten, erzwungenen Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg. Diese von den meisten Deutschen als widernatürlich und unangemessen betrachtete Gebietsabtretung war geschaffen worden, damit die Polen einen Zugang zum Meer haben. Die Regelung hatte dazu geführt, dass die traditionsreiche alte deutsche Stadt Danzig der Überwachung durch den Völkerbund und der wirtschaftlichen Kontrolle durch die polnische Regierung unterstellt wurde. Doch sie hatte noch etwas bewirkt: den Rückhalt der deutschen „Führung“ in der deutschen Bevölkerung zur Beseitigung des „Ärgernisses“! Ob dieser Rückhalt auch die Anwendung von Gewalt einschließt, ist eine andere Frage.

Für die drei Stuka-Piloten, die um 04.26 Uhr morgens mit ihren Bombenflugzeugen bei denkbar schlechtem Wetter abheben und im Tiefstflug ihrem Ziel entgegenfliegen, ist die Entscheidung gefallen. Ihre Mission ist ein gewagtes Unterfangen! Dirschau ist nur 40 Kilometer entfernt. Acht Minuten Flugzeit.

Acht gefährliche Minuten, denn mit Bomben beladen im Tiefflug über die sanften Höhen des Weichseluferlandes zu fliegen, bedeutet bei einer Bodenberührung den sicheren Tod. Bei dem herrschenden Nebel ist das höchst riskant sogar! Doch der Auftrag ist zu wichtig. Da ist der Fluss! Die Maschinen röhren in 30 Meter Flughöhe den Strom hinunter. 1.200 PS treiben sie voran. Schemenhaft tauchen nun die Brücken auf. „Ziel voraus!“

Jetzt ist Präzisionsarbeit gefragt. Wie zerstört man Zündkabel mit Bomben? Indem man exakt dort alles zerfetzt, wo die Kabel laufen. Drei dumpfe Explosionen rütteln die polnischen Wachmannschaften auf. Dann ist es vollbracht! Um 04.34 Uhr sind die drei Stukas auf dem Rückflug. Und die Kabel zerstört. Durch drei exakt mitten im Verlaufe der Schnüre liegende Volltreffer im Nebel.

Elf Minuten später sind die deutschen Truppen auf dem Vormarsch nach Polen. Den Verteidigern gelingt es noch, eines der Kabel zu reparieren. Folgerichtig fliegt eine der Brücken doch noch in die Luft und dann in die Weichsel. Über die andere rollen nun deutsche Panzer. Sie rollen. Und hören nicht mehr auf ...

Als die polnischen Kommandeure gewahr werden, dass der lange erwartete deutsche Angriff begonnen hat, stellen sie sich auf einen Krieg ein, wie sie ihn kennen. Mit Vormarsch, Infanterieschlachten, vielleicht Stellungskrieg, Artillerieduelle. Natürlich weiß man auch, dass es heutzutage Flugzeuge und Panzer gibt. Kampfstärkere Modelle, als es im Jahr 1918 der Fall war. Aber die Polen ahnen nicht annähernd, was das für einen modernen Krieg bedeutet. Auch nicht die anderen Nationen, denn in Spanien war dies in diesem Ausmaß nicht zu Tage getreten, und man hatte dort als Außenstehender keinen ausreichenden Einblick in die sich gerade erst entwickelnden Details moderner Kriegsführung erlangt. Eine Kriegsführung, die in Deutschland nun perfektioniert wird, aufbauend auf den Erkenntnissen aus Spanien. Und jetzt ist die deutsche Macht im Gegensatz zu den Verhältnissen in Spanien im Besitz ganzer Panzerdivisionen und Luftgeschwader. Hitlers Wehrmacht wird es der Welt vor Augen führen.

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Die von vielen mit Angst und Schrecken erwarteten Flächenbombardements feindlicher Städte bleiben aus. Der Blitzkrieg ist ein Bewegungskrieg. Schnelle motorisierte Truppen dringen vor, sie stoßen vor, mit einer Geschwindigkeit, die niemand erwartet hätte. Am ersten Tag noch verhaltener, dann immer schneller. Panzerspitzen preschen nach vorne. Wo es Widerstand gibt, ist die Luftwaffe zur Stelle. Als fliegende Artillerie. In die kunstflugtauglichen Junkers Ju 87 B „Stukas“ hatte man eine Sirene eingebaut, die beim Sturzflug ein infernalisches Kreischen von sich gibt. Es ist ein Ton, der die Nerven der angegriffenen Soldaten extrem belastet – denn der letzte Ton, der folgt, ist das Krachen beim Einschlag der Bomben – einer Hauptbombe, zu diesem Zeitpunkt noch 250 kg schwer, ergänzt durch vier 50-kg-Sprengkörper. Die Ju 87 bomben den vorrückenden Panzern fast alles zusammen, was irgendwie im Wege steht, mit einer Zielgenauigkeit auf Punktziele, die geradezu unheimlich präzise ist. Es ist die Geburtsstunde eines Mythos, der die Welt in Angst und Schrecken versetzt.

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Junkers Ju 87 B „Stukas“.

„Stukas ...!“ Der Schrei erzeugt in Europa bei den Angegriffenen schon bald schiere Panik!

Dornier Do 17- und Heinkel He 111-Maschinen tun ihr Übriges, zerstören systematisch Bahnhöfe, Straßenknotenpunkte, Brücken und Geleise, die komplette Infrastruktur für jede geordnete Truppenverschiebung herkömmlicher Art. Den Lebensnerv für den polnischen Nachschub und dessen Logistik. Eine weitere Spezialität deutscher Kriegsführung kommt zum ersten Mal zur Geltung: Kesselschlachten. Die Ausgangslage begünstigt ein solches Vorgehen, legt es nahe. Es funktioniert!

Die polnischen Einheiten werden in militärisch präzise ausgeführten, erschreckend schnellen Manövern umzingelt, bewegungsunfähig gemacht und dann aus der Luft zusammengebombt. Den Rest besorgen Artillerie und Panzer. Und schließlich dann die so effektiv unterstützte deutsche Infanterie.

Die Polen haben ihre Zugwaggons mit Zweigen geschmückt, Major Erich Munske erkennt den Bahnhof unter sich, die dampfende Lokomotive. Ein rotes Bahnhofsgebäude. Offenbar werden Truppen eingeladen, Reservisten auf dem Weg zur Front. Sie winken den polnischen Flugzeugen über ihnen zu, schwenken ihre Mützen. Eine patriotische Idylle. Ein grausamer Irrtum. Er klärt sich mit der Gewalt der ersten Bombe. Sie zerreißt einen der Zugwagen, ebenso die Menschen darin, Körper wirbeln durch die Luft. Die nächste Bombe folgt. Auch sie trifft. Ein Flugabwehrgeschütz feuert. Es tötet einen der deutschen Flieger, Leutnant Schott. Den Bomber selbst kann es nicht zum Absturz bringen. Man birgt den Leichnam später aus dem demolierten Flugzeug nach dessen Landung.

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He 111 des KG 1 über Polen, Kennung img.

In der Nähe der Stadt Wielun sieht Major Oskar Dinort von der I. Gruppe des Stukageschwaders 2 (I./StG 2) eine Ansammlung feindlicher Truppen auf der Hauptstraße. Er überlegt nicht lange. Leichte Flak (Flugabwehrkanonen) empfängt die deutschen Sturzkampfbomber, als sie über die Tragflächen abkippen, mit heulenden Sirenen auf die polnischen Truppen herabstürzen und ihre Bomben ausklinken. Dort unten stieben alle auseinander – Reiter und Pferde. Es ist eine Kavalleriebrigade. Nach Dinorts Maschinen folgt die I./StG 77. mit ihren Stukas. Als die Dornier Do 17 Z der I. Gruppe des Kampfgeschwaders 77 (I./KG 77) mit der einmal 3.000 Mann starken Kavalleriebrigade fertig sind, hat diese aufgehört, als Kampfverband zu existieren. Was übrig ist, ist versprengt.

Am folgenden Tag überraschen Dinorts Stukas eine polnische Infanteriedivision beim Verlassen der Eisenbahnwagen auf dem Bahnhof Piotrkow. Es wird ein Massaker. Die Division wird komplett zerschlagen, ohne dass auch nur ein einziger Sturzkampfbomber dabei abgeschossen würde.

Funkwagen mit Luftwaffenpersonal begleiten die Panzerspitzen und stellen die Verbindung der Bodentruppen zu ihrer „fliegenden Artillerie“ sicher. Dieses Vorgehen geht auf Major Werner Mölders und Generalmajor Wolfram Freiherr von Richthofen zurück, die es persönlich in Spanien eingeführt und erprobt hatten – wie so manch anderes! Diese koordinative Meisterleistung zahlt sich aus. Wo ein Problem auftaucht, sind die Funker am Werk. Den Rest besorgen die Bomber. Die Zusammenarbeit zwischen Heer und Luftwaffe funktioniert auf deutscher Seite vorzüglich – meistens. Wenn nicht gerade Stukas vor der Nase vorrückender deutscher Panzer jene Brücken zerstören, die diese gerade benutzen wollten. Auch das passiert. Nichts ist perfekt. Aber es klappt immer besser!

Wo sind die polnischen Luftstreitkräfte? Sie haben keine Chance! Doch sie kämpfen tapfer, diese Polen, in der Luft ebenso wie am Boden!

Schon am ersten Tag verschaffen sich PZL P.11c und einige wenige ältere P.7-Jäger der polnischen Jägerbrigade Respekt, als der Flugplatz Okecie bei Warschau und die benachbarten PZL P.11c-Flugzeugwerke von etwa 90 deutschen Bombern des Typs Heinkel He 111 H angegriffen werden. Es sind Maschinen der II./Lehrgeschwader 1, die auf etwa 30 Jäger aus verschiedenen Staffeln der polnischen Jagdbrigade treffen. Diese können sich rund um Warschau auf ein Frühwarnsystem aus Beobachtungsposten stützen – ein Luxus, den die übrigen Jagdfliegereinheiten Polens auf ihren versprengten Feldflugplätzen nicht besitzen, was einen koordinierten Einsatz dieser Kräfte unmöglich macht.

Die Polen schießen sechs der Heinkel-Bomber ab, verlieren allerdings auch zwei ihrer Jäger an die Bordschützen der Bomber, viele weitere werden beschädigt. Als zweimotorige deutsche Me 110-Jagdflugzeuge der I.(Z)/LG 1 mit ihrer schweren Bewaffnung in den Kampf eingreifen, ist dieser schnell entschieden. Zwei weitere polnische Jäger, es sind P.7 der 123. Eskadra Mysliwska, fallen vom Himmel. Dennoch kann man wirklich nicht von einer Niederlage der Polen sprechen!

Am 2. September 1939 kommt es zu einem Luftkampf zwischen sechs PZL P.11c-Jägern der III./6 der Armee „Lodz“ über der gleichnamigen Stadt und Messerschmitt Bf 110-„Zerstörern“ der I./ZG 76. Die Polen erzielen ein ausgeglichenes Ergebnis von drei Abschüssen – immerhin zerstörte Me 110! – und drei Verlusten. Dies wiederholt sich am 3. September 1939 erneut über Warschau. Nun ist der Gegner wieder die I.(Z)/LG 1 mit ihren zweimotorigen Me 110, die versucht, ihre Schützlinge – Heinkel-Bomber – vor den Hornissenschwärmen der Jägerbrigade zu beschützen. Drei der deutschen Jäger müssen sich trotz ihrer überlegenen Geschwindigkeit den flinken und wendigen polnischen PZL P.11c geschlagen geben, die wiederum zwei ihrer Maschinen an die Deutschen verlieren. Die Bordschützen der Bomber hatten dieses Mal nicht einen einzigen angreifenden Jäger herunterholen können.

Dies offenbart bereits in diesem frühen Stadium ein Grundproblem der deutschen Bombenflugzeuge, welches sich noch auswirken sollte. Ihre Abwehrbewaffnung ist zu schwach! Jedenfalls entschlossenen Angriffen moderner Jäger gegenüber, Attacken, denen sie in der Zukunft noch mehr als zu diesem Zeitpunkt ausgesetzt sein würden. Das allerdings wissen die Besatzungen noch nicht ...

Am 3. September 1939 lösen nun auch die Bündnispartner Polens ihre Verpflichtungen ein. Frankreich und England sehen sich mit Deutschland im Kriegszustand. Um 11.00 Uhr gibt Großbritanniens Premierminister Neville Chamberlain im Radio bekannt, dass das Vereinigte Königreich Deutschland den Krieg erklärt habe. Es ist das Eingeständnis eines Scheiterns. Die Politik des „Appeasements“, der Beschwichtigung und Erfüllung von Hitlers Forderungen, hatte sich als Fehler erwiesen. Winston Churchill hatte es prophezeit gehabt!

Am Vordringen der Deutschen in Polen ändert dies erstmal nichts. Hitlers Wehrmacht hat genügend Truppen an der Westgrenze in Bereitschaft stehen, um auch einem britisch-französischen Vordringen zunächst einmal begegnen zu können. Die deutschen Soldaten dort warten. Doch nichts geschieht.

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Messerschmitt Bf 109-Abfangjäger in der Version C-1 und D-1, wie sie neben der neuen E-1 im Polenfeldzug geflogen werden (hier JGr 102, Groß-Stein).

Die Bomber der Polen sind dagegen nicht tatenlos, selbst die betagten PZL P.23 „Karas“ nicht, einmotorige Flugzeuge mit starrem Fahrgestell, welche gegen deutsche Jäger auf verlorenem Posten stehen. Gegen deutsche Panzer nicht, wie die 4. Panzerdivision erfahren muss. Nach einem Angriff von sechs Karas der VI/6 am 4. September 1939 muss die angegriffene Einheit immerhin 28 % Ausfälle hinnehmen! Doch es sind Einzelfälle!

Messerschmitt Bf 109 D-1 der I./ZG 2 holen derweil zwei der modernsten polnischen Bomber vom Himmel – PZL P.37B „Los“. Auch deren Abwehrbewaffnung ist nicht besser geeignet, engagierten Jägerangriffen mit ausreichender Sicherheit begegnen zu können, als dies bei den deutschen Mittelstreckenbombern festzustellen ist. Für die zeitgenössischen sowjetischen, italienischen, französischen und britischen mittleren Bomber trifft dies in demselben Maße zu. Als Beispiele seien die einmotorigen Fairey „Battle“ oder zweimotorigen Bristol „Blenheim“ Mk. I der britischen Royal Air Force genannt, die sich Jägern gegenüber eher noch schlechter behaupten werden als ihre deutschen „Brüder“. Das Problem ist also nicht alleine ein deutsches. Es wird aber noch nicht allzu deutlich erkannt.

... Noch!

In den ersten sechs Tagen des Polenfeldzuges geben die Polen 105 Abschüsse zu Protokoll, 42 davon gehen auf das Konto der Jägerbrigade, die anderen kommen auf Maschinen der Armeestaffeln. Wenn man die Ausgangslage zugrunde legt – Kommunikationsschwächen, Unerfahrenheit, technische Unterlegenheit, organisatorische Defizite – so ist der Mut und Einsatzwille der Polen nicht hoch genug einzuschätzen. Trotz der gleichzeitig schweren Verluste, alleine 79 Jäger! Eine beachtliche Bilanz!

Die derzeit noch so überlegenen Deutschen werden einmal an die Situation der polnische Truppen denken – auch sie werden sich eines Tages einer vielfachen materiellen Übermacht gegenübersehen! Und sich nicht minder tapfer behaupten, dies sei vorweggenommen.

Am Boden geht es voran. Zwei deutsche Zangenbewegungen zeichnen sich ab – ein innerer Kessel und ein äußerer Ring. Wer dem ersten Umzingelungsversuch in Grenznähe entkommen sollte, wird spätestens an der stählernen äußeren Umklammerung scheitern. Die polnischen Einheiten irren teilweise verzweifelt und orientierungslos innerhalb der tödlichen Fallen umher, eine geordnete Front wird mehr und mehr unmöglich. Dennoch gibt es heftige Kämpfe.

7. September 1939. Ilza ist nur 100 Kilometer von Warschau entfernt. In den Wäldern sammeln sich die Polen! Als General von Reichenau diese Aufklärungsmeldung erhält, reagiert er souverän. Am 8. September sind die polnischen Kräfte umzingelt. Fünf Tage lang tobt die Schlacht. Artillerie beschießt den Kessel, Bomben pflügen die Wälder um. Am 13. September 1939 ist es vorbei.

Am 9. September 1939 fallen zwölf polnische Divisionen der deutschen 8. Armee bei Kutno in die Flanke und zwingen sie zu einem taktischen Rückzug. Dann überqueren sie die Bzura. Deutsche Stukas zerstören daraufhin die Brücken und teilen dadurch die polnische Streitmacht in zwei Teile auf beiden Ufern des Flusses. Der Vormarsch kommt ins Stocken. Dauerbombardements richten ein Chaos unter den Marschkolonnen und Fahrzeugen des Gegners an, neben Stukas und Henschel Hs 123-Doppeldecker-Schlachtflugzeugen fliegen nun auch Me 110 Tiefangriffe. Die Polen ziehen sich, so gut es ohne Brücken geht, über den Fluss zurück. Am 13. September 1939 ist die Armee „Posen“ nach pausenlosen Luftangriffen eingekreist. Die 155.000 Überlebenden (von noch vor Tagen 170.000 Mann) haben keine andere Wahl mehr, als sich zu ergeben. Jede sichtbare Truppenbewegung ist inzwischen für einen erheblichen Teil der beteiligten Soldaten tödlich.

Es ist der 17. September 1939. Ein Tag, der den polnischen Kommandeuren die allerletzten Hoffnungen rauben muss. Und auch die Illusionen. Von Osten marschiert jetzt die sowjetische Rote Armee ein. Der Geheime Pakt zwischen Hitler und Stalin wird in all seiner Perfidie offenkundig. Die Republik Polen ist zur Leichenfledderei freigegeben.

Ein Teil der polnischen Streitkräfte verschanzt sich nun in der Hauptstadt Polens: Warschau. Seit 13. September 1939 bombardiert die deutsche Luftwaffe Schlüsselstellungen um die Stadt herum und Versorgungseinrichtungen in der Stadt selbst, in der sich 100.000 polnische Soldaten unter Befehl des Generals Karaszewski-Tokarzewski zum Endkampf rüsten.

Noch bemüht man sich ausdrücklich auf deutscher Seite, nur militärische Ziele oder Anlagen zur Wasser-, Strom- und Gasversorgung zu treffen. Mehr oder minder erfolgreich, aber ernsthaft!

Am 1. September 1939 hatte Adolf Hitler vor dem deutschen Reichstag verkündet, er „wolle nicht Krieg gegen Frauen und Kinder führen. Er habe seiner Luftwaffe den Auftrag gegeben, sich bei den Angriffen auf militärische Objekte zu beschränken.“

Nun, wie viel von irgendwelchen Statements und Verlautbarungen des „Führers“ zu halten war, das hatte die Welt inzwischen gesehen! Allerdings scheint es Adolf Hitler dieses Mal wirklich ernst gemeint zu haben, denn immerhin waren unmittelbar vor Ausbruch des Krieges die Besatzungen der deutschen Luftwaffengeschwader, selbst der Aufklärungseinheiten, durch Befehle ihrer Kommandostellen noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass Angriffe auf zivile Wohnsiedlungen unter allen Umständen zu unterbleiben hätten. Es war eindringlich in Erinnerung gerufen worden, obwohl es in der jedem Flieger bekannten Luftwaffen-Dienstvorschrift L.Dv.64/II ohnehin längst schriftlich angeordnet nachzulesen stand. Die Ermahnung erfolgte durch die höheren Dienststellen! Auf wessen Anordnung? Zumindest muss diese strikte Handlungsrichtlinie mit Billigung und im Sinne von Adolf Hitler verbreitet worden sein. Es drängt sich der Eindruck auf, als wolle sich Hitler vor sich und der Welt als ehrenvoller Feldherr beweisen. Welche Motive hinter der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Haltung des deutschen „Führers“ stehen, kann nur spekulativ beurteilt werden. Fest steht jedoch, dass Hitlers Verlautbarungen durch konkrete Befehle untermauert sind.

Am ersten Kriegstag, am 1. September 1939, appelliert der US-amerikanische Präsident eindringlich an die Regierungen in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Polen, es mögen sich doch alle Staaten gegenseitig verpflichten, unter keinen Umständen Zivilpersonen oder unbefestigte Orte aus der Luft anzugreifen.

Reichskanzler Hitler formuliert die deutsche Antwort in seinem Namen so:

„Der Gedanke, außerhalb militärischer Operationen Luftangriffe auf nichtmilitärische Objekte zu unterlassen, entspricht ganz meiner Absicht und wurde schon immer von mir unterstützt. Ich stimme dem Vorschlag einer öffentlichren Erklärung bedingungslos zu und teile mit, dass ich bereits öffentlich bekannt gegeben habe, dass den deutschen Luftstreitkräften die Beschränkung ihrer Angriffe auf militärische Objekte befohlen wurde. Die Aufrechterhaltung dieses Befehls hängt von der gegenseitigen Beachtung dieser Regeln ab!“

Nur leere Worte? Wie verhält es sich mit der „gegenseitigen Beachtung dieser Regeln“?

Auch England und Frankreich verpflichten sich am 2. September 1939 in einer identisch formulierten Erklärung, dass sie „die Feindseligkeiten mit dem festen Willen führen wollen, die Zivilbevölkerung zu schonen und die Denkmäler der menschlichen Zivilisation zu bewahren.“

Noch ist in Großbritannien Neville Chamberlain Premierminister. Und Sir Edgar Ludlow-Hewitt Befehlshaber des britischen Bomber Command. Andererseits wird ein einfacher Abgeordneter zum zweiten Mal nach dem Jahr 1911 erster Lord der britischen Admiralität. Winston Churchill. Und im Frühjahr 1940 wird Sir Edgar Ludlow-Hewitt an der Spitze der britischen Bomberflotte von Sir Charles Portal abgelöst. Dem im Oktober 1940 Air Marshall Sir Richard Peirse folgt. Auch er wird nicht der letzte sein. Mit jedem Wechsel gerät jene Erklärung vom 2. September 1939in der britischen Regierung und der Royal Air Force mehr in Vergessenheit, ändern sich die Regeln der strategischen Luftkriegsführung mehr und mehr zu Ungunsten der Zivilbevölkerung. Mit Arthur Harris wird der Luftkrieg schließlich – sozusagen „total“.

Als die sowjetischen Truppen am 17. September 1939 von Osten in Polen eindringen, stehen die deutschen Verbände vor Warschau. Ein erstes Eindringen des Panzerregimentes 35 und des Schützenregimentes 12 in die Vororte der Stadt war von polnischen Einheiten unter Einsatz von Artilleriegeschützen zurückgeschlagen worden. Die Deutschen hatten schwere Verluste erlitten. Als nun die Sowjets anrücken, gerät Hitler unter Zugzwang. Er drängt zu einer raschen Einnahme der Stadt!

Welche militärischen Optionen bieten sich nun? Ein Straßenkampf von Haus zu Haus – unter blutigen Verlusten, wie man gesehen hatte? Schnell würde das nicht gehen. Und erstrebenswert ist es auch nicht. Es würde ein bitterer Kampf sein. Oder ein Paukenschlag gegen die 100.000 polnischen Soldaten in der Stadt unter Einsatz der Luftwaffe? Das aber würde ohne zivile Opfer in beträchtlicher Höhe nicht möglich sein! Eine unverteidigte, „offene Stadt“ genießt den Schutz der Haager Landkriegsordnung des Jahres 1907. Doch Warschau ist nicht „offen“! Was nun?

Die Lösung des Problems auf Seiten der Luftwaffe obliegt einem Mann, der bereits über einige Erfahrung verfügt, auch aus Spanien. Generalmajor Wolfram Freiherr von Richthofen! Erfahrungen allerdings in vielerlei Hinsicht. Auch in Bezug auf die „Weltöffentlichkeit“. Guernica ist nicht vergessen!

Fünf Tage lang überschütten deutsche Flugzeuge die polnische Hauptstadt – mit Flugblättern. Dort steht in bestem Polnisch geschrieben:

„An die Bevölkerung von Warschau!

Eure Regierung hat die Stadt zum Kriegsgebiet gemacht und des Charakters der offenen Stadt entkleidet. Es wird nunmehr folgende Aufforderung an den Militärbefehlshaber von Warschau gerichtet:

  1. Die Stadt ist mit allen Teilen innerhalb von zwölf Stunden den deutschen Truppen zur kampflosen Besetzung zu übergeben.
  1. Die polnischen Truppen haben sich in der gleichen Zeit den deutschen Militärbefehlshabern zu ergeben.
  1. Falls dieser Aufforderung Folge geleistet wird, so ist dem nächsten deutschen Befehlshaber die Übergabe anzuzeigen.
  1. Sollte der Aufforderung nicht Folge geleistet werden, so hat die Zivilbevölkerung 12 Stunden Zeit, das Stadtgebiet auf den Straßen nach Siedlce und Garwolin zu verlassen. Nach Ablauf dieser 12 Stunden wird in diesem Fall das gesamte Stadtgebiet Warschaus als Kampfgebiet mit allen sich daraus ergebenden Folgen behandelt. Die Frist beginnt mit Abwurf des Flugblattes.“

Die Polen lassen die Frist verstreichen. Die Deutschen auch – mehrmals. Am 22. September 1939 ermöglicht eine einseitige deutsche Waffenruhe 1.200 Ausländern und 178 Diplomaten das Verlassen des Stadtgebietes. Dort teilen die polnischen Generäle Czuma, Stackiewicz und Rommel inzwischen Gewehre an kampffähige Männer aus. Der polnische General Juliusz Rommel untersagt Zivilisten seiner Nation das Verlassen der Stadt. Immer noch hoffen die polnischen Generäle auf eine Entlastung durch eine französisch–britische Großoffensive im Westen. Vergebens.

Selbst wenn die Westalliierten gewollt hätten – so schnell wäre eine derartige Großoffensive für die französische und englische Armee kaum vorzubereiten gewesen.

Der Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe allerdings ist allmählich nervös, was die Gefahr aus dem Westen betrifft. Seit dem 12. September 1939 zieht Hermann Göring die modernen deutschen Heinkel He 111–Bomber aus Polen ab, um sie für den Fall eines Angriffs am Rhein zur Verfügung zu haben. Zur Erbitterung Freiherr von Richthofens, der diese Bomber für ein mögliches Flächenbombardement benötigt. Es bleiben ihm nun rund 240 Ju 87 B-Sturzkampfbomber, die für einzelne Sprengbomben (1x 250 kg oder 500 kg und 4x 50 kg im Regelfall) und die Bekämpfung von Punktzielen konstruiert sind, und etwa 100 Do 17-Horizontalbomber, welche in ihren Bombenschächten bis zu 20 Bomben des Kalibers 50 kg mitführen können. Ach ja, und etwa 30 Junkers Ju 52-Transportflugzeuge!

Am 25. September 1939 glauben die deutschen Kommandeure, nun geduldig und mit dem gebotenen militärischen Anstand lange genug gewartet zu haben. Die knapp 400 deutschen Kampflugzeuge erhalten den Einsatzbefehl. Gegen 08.00 Uhr erfüllt das Dröhnen von Flugzeugmotoren den Himmel über der Stadt. In den dreimotorigen langsamen Ju 52-Transportern stehen je zwei Soldaten an der Ladeluke, schwer bewaffnet – mit Schaufeln! Mit diesen schaufeln sie die gesamte tödliche „Fracht“ der Transporter zur Tür hinaus. Alles in allem bis zum Einbruch der Nacht in wiederholten Einsätzen 72 Tonnen Stabbrandbomben. Die regulären Kampfflugzeuge setzen 487 Tonnen Sprengbomben oben drauf. Erstmals kommen gegen ausgewählte Ziele sogar 1.000-kg-Bomben zum Einsatz.

Warschau brennt, die Stadt steht in Flammen. Etwa 6.000 Menschen sterben, Soldaten, aber auch viele Zivilisten. Die Welt schreit auf. Hatte man es doch gewusst! Hitlers „Barbarei“ hat sich Bahn gebrochen – wie hätte man es auch anders erwartet.

Am Nachmittag des 26. September 1939 kapituliert der polnische General Juliusz Rommel. Warschau ist gefallen. Die deutsche militärische Führung sieht sich nicht verantwortlich für die Trümmer und Toten der Stadt. Wie lange hätte man denn noch auf die Kapitulation warten sollen? Man hatte die störrischen polnischen Befehlshaber doch ausdrücklich gewarnt, oder etwa nicht?

Der „Polenfeldzug“ ist praktisch beendet. Am 1. Oktober 1939 ergeben sich die letzten noch kämpfenden Reste der polnischen Armee unter General Kleeberg.

Den fünf deutschen Armeen mit etwa 1.500.000 Mann hatten 1.000.000 Polen in sechs Armeen gegenübergestanden. Der überwältigend schnelle deutsche Sieg war somit nicht so sehr auf die zahlenmäßige Überlegenheit der deutschen Wehrmacht zurückzuführen gewesen. Er lag einerseits an den für die Polen ungünstigen Voraussetzungen des Grenzverlaufs, welcher das polnische Gebiet halbkreisförmig umschlossen hatte, und dem taktischen Fehler der polnischen Generäle, ihre Truppen an der Grenze aufzustellen und nicht an natürlichen Hindernissen wie Flüssen. Vor allem aber lag der geradezu beängstigend blitzartige deutsche Sieg an dem hervorragend organisierten Zusammenwirken von über 2.000 modernen Kampfpanzern und motorisierten Truppen mit einer neuartigen Luftwaffe, wie es in dieser Form noch nie da gewesen war. Der bemerkenswerte deutsche Elan beim Vorpreschen auf polnisches Territorium konnte durch die tapferen, jedoch schwerfällig mobilen, größtenteils auf bespannten Nachschub angewiesenen polnischen Truppen nie ernsthaft aufgehalten werden. 13.000 deutschen Toten und etwa 30.000 Verwundeten stehen 70.000 polnische Gefallene und 133.000 Verwundete gegenüber.

Viele der überlebenden polnischen Offiziere erwartet ein böses Schicksal. Die Sowjets verfrachten polnische Kriegsgefangene nach Sibirien, alleine etwa 4.500 polnische Offiziere werden im Jahr 1940 bei Katyn nahe Smolensk umgebracht, um jeglichen späteren Widerstand gegen die sowjetische Besetzung des polnischen Territoriums im Keim zu ersticken. Die polnischen Opfer des stalinistischen Geheimdienstes insgesamt liegen weit darüber. Die deutsche SS wiederum nimmt sich nicht weniger erbarmungslos die Juden vor ...

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Henschel Hs 123-Schlachtflugzeug.

Diejenigen polnischen Piloten, die sich befehlsgemäß in das neutrale Rumänien absetzen können, werden die Kämpfe über Polen nicht vergessen. Man wird sich wiedersehen, das schwören sie. Über Griechenland oder Italien gelangen viele von ihnen nach England. Die Royal Air Force empfängt sie mit offenen Armen.

Das wird auch Adolf Galland zu spüren bekommen.

Galland hatte in Polen Brandbomben mit Aufschlagszündern zum Einsatz gebracht, deren Prinzip sich schon in Spanien bewährt hatte – „Flambos“, eine „Errungenschaft“ seiner Mechaniker und eine Art Vorläufer der späteren amerikanischen Napalm-Bomben. Deren entsetzlich-mörderische Vernichtungskraft liegt allerdings völlig unvergleichlich höher als die der Flambos. Die Flambos sind ursprünglich eine relativ primitive Vorrichtung, doch gleichwohl sind sie wirksam. Ein Kanister wird mit verbrauchtem Motoröl und Benzin gefüllt, daran werden eine kleine Brandbombe und eine Splitterbombe befestigt. Beim Aufschlag explodieren die Bomben und verteilen das brennende Gemisch in der Umgebung. Ist diese Umgebung ein Schützengraben, so bleibt den derart angegriffenen Soldaten kaum eine andere Wahl, als aus dem Graben zu springen und davonzulaufen, wenn sie nicht in der flammenden Flüssigkeit verbrennen wollen – sofern sie das noch können. Doch außerhalb der Deckung des Grabens sind sie ein leichtes Ziel für die Maschinengewehre der Schlachtflugzeuge, die bereits wie Raubvögel kreisend auf sie warten ...!

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Messerschmitt Bf 109 D-1 der JGr 152 – die späteren E-Modelle erhalten eine Dreiblattluftschraube. Das Foto zeigt Leutnant Hartmann Grasser, er bezwingt als 1. Abschuss am 24. September 1939 eine französische Curtiss „Hawk“ 75, muss aber anschließend notlanden.

Adolf Galland ist Staffelkapitän in der II. Gruppe/(Schlacht) Lehrgeschwader 2 (LG 2). Er führt seine Männer gut, obwohl die Gruppe als einzige Einheit der Luftwaffe im Polenfeldzug mit dem bereits veralteten Doppeldecker Henschel Hs 123 ausgerüstet ist – ein robuster, wendiger Flugzeugtyp, der allerdings langsam (341 km/h) und daher feindlichen Jägern gegenüber recht verwundbar ist. Nun, dies ist Galland ja aus Spanien bereits gewöhnt.

Im Gegensatz zu seinen Zeiten in der „Legion Condor“ treffen die Hs 123-Doppeldecker jedoch über Polen selten auf Widerstand aus der Luft. Zu groß ist die deutsche Luftüberlegenheit.

Am 1. Oktober 1939 wird Adolf Galland zum Hauptmann befördert. Er trägt nun das Eiserne Kreuz zweiter Klasse. Dem jungen Hauptmann ist klar, dass dies der fast zwangsläufige Beginn einer Karriere als Schlachtflieger ist – eine Karriere, die streng genommen bereits begonnen hatte.

Doch Adolf Galland fühlt sich zum Jagdflieger geboren! Es muss etwas geschehen!

Nun ja, im Manipulieren medizinischer Gutachten hatte er ja inzwischen Erfahrung. Außerdem hat er ja auch Freunde unter den Ärzten, die ihm helfen können! Die Henschel Hs 123 hat ein offenes Cockpit. Denkbar schlecht für jemanden mit Rheumatismus, nicht wahr? Ach Herrje, wie plagt es den jungen Hauptmann doch plötzlich in allen möglichen und unmöglichen Gelenken ...! Es wäre doch schade, wenn ein so begnadeter Flieger mit dem Eisernen Kreuz für die deutsche Luftwaffe verloren ginge, nur, weil er unvernünftiger Weise in einer offenen Kanzel als Schlachtflieger sich krank fliegen müsste, nicht wahr? Der Arzt in seiner Flieger-Gruppe schickt ihn zur Behandlung nach Wiesbaden. Dort wiederum gerät er – welch’ ein Zufall – unter die medizinischen Fittiche eines ärztlichen Freundes ...

Die Diagnose ist klar: kein Fliegen mehr im offenen Cockpit!

Nun, das moderne deutsche Messerschmitt-Jagdflugzeug besitzt eine geschlossene Flugzeugkanzel.

Kurz darauf wird Hauptmann Galland zum Jagdgeschwader 27 in Krefeld überstellt ...

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Messerschmitt Bf 109 E-4. Gut zu erkennen ist die schwenkbare Kabinenhaube, eine nicht unumstrittene „Besonderheit“ der Me 109. Es ist die Maschine von Hauptmann Günther von Maltzahn (II./JG 53), vor ihr steht Leutnant Gerhard Michalski, Sommer 1940.

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