Adolf Hitler war im Ersten Weltkrieg zeitweise durch britisches Giftgas erblindet und hatte den Einsatz chemischer Waffen daher strikt verboten. Er hatte damals sehr viel Glück gehabt. Winston Churchill dagegen liebäugelt ernsthaft damit, solche Waffen flächendeckend einzusetzen. Und zwar gegen deutsche Städte, wie es gemäß Curt Maynard aus einer Gesprächsnotiz eindeutig hervorgeht, die eine Anmerkung an General Hastings Ismay im Juni 1944 dokumentiert. Zumindest bestellt er in den USA 2.000 Giftgas-Bomben, die in einem Frachter nach Italien transportiert werden. Nur wenige an Bord wissen über die gefährliche Fracht des 7.177-BRT-US-Dampfers SS „John Harvey“ Bescheid.
Die Briten befürchten einen deutschen Vorsprung auf diesem Gebiet der Kriegsführung und wollen angeblich lediglich gewappnet sein. Mögen die 2.000 mit Senfgas gefüllten M47A1-Bomben nur zu einem Gegenschlag bestimmt gewesen sein – britische Quellen behaupten das – so muss doch festgehalten werden, dass die britischen Forschungen und Vorbereitungen auf diesem Sektor Ende 1943 beängstigend konkrete Formen angenommen haben! Auch die skrupellose Art, wie bereits mit herkömmlichen Bomben gezielte „Feuerstürme“ in Großstädten entfacht werden, stimmt nachdenklich.
Senfgas ist eigentlich kein Gas, sondern ein so genanntes Aerosol – eine Dampfwolke. Es durchdringt poröse Kleidung und selbst manche Gummi-Arten. Der Autor will seinen Lesern eine Schilderung der Wirkung von „Lost“ (Senfgas) auf Haut und Lungen ersparen.
Um die Mittagszeit des 2. Dezember 1943 entdeckt ein deutscher Me 210-Aufklärer die enorme Schiffskonzentration in Bari. Auf dem Rückflug entkommt der Pilot durch fliegerisches Geschick zwei amerikanischen P-38 „Lightning“. Die deutschen Junkers Ju 88-Bomber sind größtenteils auf Flugplätzen in Norditalien stationiert, um nicht am Boden in unmittelbarer Frontnähe (ohne Reaktionszeit durch Radarwarnung) alliierten Jagdbomberüberfällen ausgesetzt zu sein. Die Befehle gehen heraus.
Die Besatzungen wissen nicht, wie wichtig ihr Auftrag ist. Er resultiert aus militärischen Erwägungen des Oberkommandierenden der Luftflotte 2, Generalfeldmarschall Wolfram von Richthofen. Möglicherweise – eine Quelle legt dies dar – spielt auch die Warn-Information eines deutschen Agenten in den USA über das Giftgas an Bord der „John Harvey“ eine Rolle. Bald sammeln sich jedenfalls 105 Maschinen bei absoluter Funkstille im Luftraum Norditaliens. Dann überfliegt die Formation bei Ravenna die Adria-Küste. Im Tiefflug röhren die deutschen Bomber die Ostküste Italiens entlang. Bis weit nach Süden. Bis zum Hafen von Bari. Als sie dort ankommen, sind es noch 88 Junkers-Bomber. Der Rest hatte auf Grund technischer Probleme umkehren müssen. Wie oft hatten diverse angeschossene Kampfflugzeuge schon mehrfach repariert werden müssen? Wen wundern da funktionelle Ausfälle?
Es ist früher Abend – die Dämmerung setzt ein. In Bari ist ein gerade eingelaufener großer Konvoi versammelt. Der gesamte Hafen ist voll mit Schiffen, er war schon vor Eintreffen des Geleitzuges gut „bevölkert“ gewesen. Der Frachter „John Harvey“ ist bereits seit 26. November 1943im Hafen – doch er ist immer noch nicht entladen. Die Ladung der anderen Schiffe wird dringender an der Front gebraucht! Im Eiltempo geht es an das Ausladen dieser Frachter. Zu dem Zweck ist sogar die Hafenbeleuchtung eingeschaltet. Die deutsche Luftstreitmacht hatte sich in letzter Zeit nicht mehr allzu heftig in Szene setzen können – zumindest nicht hier. Mit einem Luftangriff rechnet keiner in Bari.
Die Führungsmaschinen des deutschen Verbandes aus den Kampfgeschwadern 54 und 76 kurven nun nach Westen und fliegen den Hafen an. „Düppel“, Stanniolstreifen, welche ein unidentifizierbares Radar-Echo auslösen, regnen in die Adria und stören die alliierte Luftraumüberwachung. Die 6./KG 54 sorgt gegen 19.30 Uhr dafür, dass sich die trügerische Sicherheit der Matrosen, Soldaten und Hafenarbeiter legt. Eine Linie weißer Leuchtmarkierungen markiert die Enden der Kaianlagen.
Dann irrlichtern grüne Leuchtfahnen über den Himmel. Sie tauchen einen bestimmten Bereich in ein aufreizendes Licht.
Giftgrün, könnte man es nennen ...
Doch die grünen Lichter sind lediglich dazu da, die Flugabwehrkanoniere in die Irre zu führen. Denn jetzt stehen plötzlich auch rote Leuchten im Dunkel der Nacht. An ganz anderen Stellen über der Schiffsansammlung! Und sie sind es, die die Hauptziele markieren.
Dann erfüllt das Jaulen und Pfeifen der Bomben die Luft. Es ist 19.35 Uhr. Die Bomber greifen im Tiefflug an. Die Schiffs-Flak antwortet – so gut sie kann. Nur die große Erfahrung der Piloten macht es möglich, nicht durch die verursachten Explosionen und die daraus resultierenden Turbulenzen selber zu zerschellen. Kaum eine Bombe geht auf diese Art Tiefangriff fehl. Ein Munitionstransporter explodiert. Brände entstehen, dumpf reiht sich Einschlag hinter Einschlag. Am Fallschirm schweben zigarrenförmige Körper herunter. Es sind Lufttorpedos des Typs LT 350. Nach dem Auftreffen des Projektils auf dem Wasser löst sich der Fallschirm automatisch und ein 3,5 PS starker Elektromotor setzt den Torpedo in Bewegung. Eine Stunde lang zieht das tückische Gerät nun elliptische Kreise, erst enge, dann immer größere. Bis es in einem dicht besetzten Hafen fast zwangsläufig irgendwann einmal auf Widerstand trifft. Im ungewollten Falle kommt der von der Kaimauer. Sonst vom Rumpf eines Schiffes.
17 Schiffe mit einer Wasserverdrängung von 75.936 BRT (Bruttoregistertonnen) sinken nach der Detonationsorgie, weitere sieben mit einer Größe von zusammen 27.289 BRT werden so schwer beschädigt, dass eine Reparatur unmöglich ist. Häuser brennen, Menschen sterben. Eine zerborstene Pipeline überflutet das Wasser am Hafen mit brennendem Treibstoff. Es scheint die Hölle.
Doch es ist nicht die Hölle. Die kommt erst noch.
Als die deutschen Piloten zurücksehen, blicken sie in ein Inferno. Meterhohe Explosionen und Brände erschüttern den Hafen. Für die amerikanische Marine ist dieses Desaster lediglich von dem amerikanischen Fiasko in Pearl Harbor jemals überboten worden. Nur zwei deutsche Ju 88 gehen verloren.
Auch die „John Harvey“ ist getroffen und sinkt. Dabei sind eine ganze Reihe der 100 Tonnen grausamer Bomben an Bord durch die Explosionen perforiert worden ...
Der Geruch von Knoblauch legt sich über die Kaianlagen. Niemand ahnt die Gefahr. Über 1.000 Menschen werden Opfer des Kampfstoffes. Es sind Matrosen, Marinesoldaten und viele italienische Hafenarbeiter. Am tückischsten ist, dass sich das Dampfgemisch mit dem Öl am Boden klebrig vermengt.
Was noch schlimmer ist – manche der arglosen Männer könnten gerettet werden. Vor allem die Italiener haben keine Ahnung, woher die Wunden kommen. Die Ambulanzen konzentrieren sich zunächst auf die alliierten Militärangehörigen. Die Therapie versagt! Allmählich dämmert es den Ärzten ...
Doch der britische Premierminister Winston Churchill besteht auf absolute Geheimhaltung. Auf seine Anweisung hin wird der Begriff „mustard gas“ (Senfgas) aus allen medizinischen Berichten getilgt und durch „burns due to enemy action“ (Verbrennungen durch Feindeinwirkung) ersetzt. General Eisenhower zieht mit ihm an einem Strang. Die Angelegenheit wird mit allen Mitteln vertuscht.
Die Deutschen erfahren dennoch schnell, was vorgefallen war, und lassen dies in stichelnden Radio-Kommentaren erkennen. Es kann also nicht damit argumentiert werden, die Geheimhaltung habe dazu gedient, die Gegenseite nicht zu eigenem Gaseinsatz zu provozieren. Der wäre im Übrigen furchtbar gewesen. Denn die deutschen Nervengase Tabun, Sarin und Soman sind weit wirksamer als alles, was die Amerikaner an Scheußlichkeiten zu bieten haben. Die Deutschen setzen sie nie ein.
69 Menschen sterben innerhalb von zwei Wochen. Viele andere werden ohne Gegenmittel falsch behandelt. Sie hätten vielleicht eine Chance haben können. So sterben sie ebenfalls nach und nach.
Es sei erwähnt, dass Winston Churchill im Frühsommer des Jahres 1944 auch noch Milzbrandbomben (Anthrax) aus den USA bezieht. Die damals nur von Tieren bevölkerte und dann als Testgebiet der tödlichen Potenz auf Jahrzehnte hinaus für alle höher entwickelten Lebewesen unbewohnbar gemachte schottische Insel Gruinard legt ein unbestechliches Zeugnis darüber ab.
Es gibt Pläne, eine Anzahl deutscher Städte mit Giftgas und Milzbranderregern zu verseuchen.
Berlin, Hamburg, Frankfurt, Stuttgart ...
Durch den alliierten Vormarsch nach der erfolgreichen Invasion in Frankreich erübrigen sich solche Überlegungen dann. Es macht keinen Sinn, die eigenen Truppen potentiell zu vergiften.
Der Hafen von Bari jedenfalls liegt in Schutt und Asche. Er ist für volle drei Wochen unbrauchbar.