„Iacta alea est.“ „Der Würfel ist geworfen“. Der Römer Julius Cäsar soll diesen Satz gesagt haben, als er im Jahre 49 vor Christus den Grenzfluss Rubikon zwischen Gallien und der römischen Heimaterde mit seinen Legionen überschritt. Auch dies war im Januar geschehen. Von da an gab es kein Zurück.
Die alliierte Landung bei Ánzio und Nettuno wird auf den 22. Januar des Jahres 1944 terminiert. Die schweren Panzer-Landungsschiffe dürfen danach noch bis zum 15. Februar 1944 im Mittelmeer bleiben. Länger nicht. Zu diesem Zeitpunkt muss der Brückenkopf stabilisiert sein und sich halten können. Oder, was eigentlich angestrebt ist, die aus der Landezone ausbrechenden Landungstruppen sollen sich mit den zu Lande plangemäß vorstoßenden Divisionen der 5. Armee Clarks vereinigt haben.
Oder sie gehen unter. Die Entscheidung ist getroffen, die Würfel sind gefallen.
Getroffen – gefallen. Es ist immer dasselbe! Männer werden folgen.
Die letzte Dezemberhälfte 1943 und die ersten beiden Januarwochen des Jahres 1944 vergehen damit, sich überhaupt erst einmal an die deutsche Hauptkampflinie voranzuarbeiten. Erneut fordert es hohe Opfer unter den Amerikanern, Briten und Franzosen, die letzten Stützpunkte nach der Mignano-Enge niederzuringen. Die elf Kilometer durch die Bernhardt-Linie kosten die Allierten schließlich insgesamt 15.864 Mann an Verlusten!
Der alliierte Geheimdienst geht davon aus, dass sich die Soldaten der Wehrmacht kämpfend zurückziehen werden, wenn irgendwo ein deutlicher Einbruch in ihre Stellungen erzielt werden kann – wie bisher. Also muss nur an einer Stelle ein Durchbruch her. Vielleicht genügt bereits die Landung! Doch bisher war dieser Rückzug planmäßig erfolgt – die ganzen mörderischen Kämpfe hatten nur dazu gedient, Zeit zu gewinnen zum Ausbau der Gustav-Linie. An dieser Linie ist Schluss mit taktischen Rückzügen. Hier haben Kesselring und von Vietinghoff vor, den Alliierten dauerhaft die Stirn zu bieten.
Somit geht die strategische Planung der von Winston Churchill „aufgemunterten“ alliierten Befehlshaber in Italien bereits im Ansatz von falschen Voraussetzungen aus. Die deutsche 10. Armee steht!
Allerdings kommt Clarks Männern mal wieder der Starrsinn Adolf Hitlers zu Hilfe. Hitler besteht darauf, eine deutsche Division als fronttauglich einzuordnen und auch einzusetzen, die fast nur aus Grünschnäbeln besteht und fast keine Kampferfahrung besitzt. Es ist die 94. Infanteriedivision. Generaloberst von Vietinghoff setzt sich zur Wehr, hält den Fronteinsatz dieser Division für Unsinn, unterliegt aber Kesselrings Generalstabschef Generalmajor Westphal unter Bezugnahme auf den Führerbefehl. Und noch etwas hilft wieder einmal den Alliierten. „Ultra“, die Funkspionage. Sie hören Kesselring ab.
Der 94. Infanteriedivision werden die Stellungen an der Hügelkette westlich des Einganges in das breite Tal des Liri zugeteilt. Von hier aus ist das gesamte Vorland einschließlich des Flusslaufes des Liri und des Garigliano zu überblicken. Und mit gezieltem Feuer einzudecken.
Eine militärisch geradezu perfekte Aussicht genießen die etwas schroffer aufragenden Höhenzüge an der östlichen Seite des Taleinganges. Am Monte Cassino. Hier sind rings um die imposanten Mauern der majestätisch über der Region thronenden Benediktinerabtei deutsche Artilleriebeobachtungsposten eingegraben und verbunkert. Von diesen Stellungen aus kann praktisch jede Bewegung feindlicher Truppen und Fahrzeuge im Vorfeld der Gustav-Befestigungen erkannt, beobachtet und überwacht werden. Und man kann von diesen Positionen aus das Artilleriefeuer der sorgfältig in Deckung stehenden deutschen Geschütze lenken, die Einschläge beobachten und die Lage korrigieren.
Deren Präzision grenzt nach Ansicht alliierter Kampfberichte ans Unheimliche. Bereits wenige Fahrzeuge, die sich wiederum nur wenige hundert Meter voranbewegen, genügen für die Auslösung eines Feuerschlages. Ein Geschosshagel, der meist akkurat mitten im Ziel liegt. Das war es dann!
Solange diese Feuerstellungen in deutscher Hand sind, ist ein Panzerdurchbruch ins Liri-Tal – über die quer zum Eingang abfließenden Flüsse Rapido beziehungsweise Garigliano hinweg – extrem riskant. Viele Panzer wären rauchende Wracks, noch bevor sie die Wasserläufe überhaupt erreicht hätten. Dies lässt nur einen Schluss zu. Die Höhen beidseits des Liri-Tales müssen erobert werden.
Koste es, was es wolle ...
12. Januar 1944. Das französische Expeditions-Korps unter General Alfonse Juin tritt an der rechten Flanke der 5. US-Armee im Gebirge zum Angriff an. Zu diesem Zeitpunkt besteht es aus zwei Divisionen (im Mai werden es bereits fünf sein – mit den „Goumiers“). Es versucht, den deutschen Stellungen am Monte Cassino in den Rücken zu fallen. Nahkämpfe sind die Folge, mit Bajonett und Handgranaten. Vier Tage lang prallen die Gegner aufeinander. Dann geben die erschöpften Franzosen auf.
17. Januar 1944. Die Briten im Süden beginnen einen Ablenkungsangriff über den Garigliano. Doch zur Überraschung aller kommt der Vorstoß der 5. und 56. britischen Division des X. Korps erstaunlich gut voran. Die Engländer erzwingen gegen den deutschen Widerstand den Übergang über den Fluss. Zwei Tage später folgt die 46. britische Division rechts der beiden anderen. Die deutsche Linie wankt. Sie wird mehr oder minder gerade noch gehalten von den Männern der im Namen Adolf Hitlers trotz fehlender Kampferfahrung in die vorderste Linie befohlenen 94. Infanteriedivision.
Die Lage wird für die Deutschen bedrohlich. Wenn Clark nun Reserven nachführt und die Übergänge ausbaut, wird es gefährlich. Doch Clark denkt nicht daran. Er hat andere Direktiven ausgegeben und ist offenbar nicht in der Lage, die Gunst der Stunde zu erkennen und blitzschnell umzudisponieren.
Die Deutschen können und tun es. General Fridolin von Senger und Etterlin kommandiert das XIV. deutsche Panzerkorps. Er wirft sofort nach Rücksprache und Freigabe durch Generalfeldmarschall Kesselring die südlich Roms in Bereitschaft stehende 29. und 90. Panzergrenadierdivision an den gefährdeten Frontabschnitt. Als die Briten versuchen, die Höhen bei Sant´Ambrogio sul Garigliano zu stürmen, bricht der Angriff im deutschen Feuer zusammen. Ab dem 21. Januar 1944 sind die zugeführten Panzergrenadiere in Stellung. Und die Seile für die Flöße und Fähren über den Garigliano zerreißen im Feindbeschuss sowie der starken Wasserströmung. Die Briten verlieren 4.000 Männer.
Man darf spekulieren, was geschehen wäre, hätte Clark vor dem 21. Januar 1944 umgruppiert und US-Einheiten zur Verstärkung der Briten gegen die 94. deutsche Infanteriedivision geworfen.
Und man darf spekulieren, was passiert wäre, wenn die beiden zu Hilfe eilenden deutschen Panzergrenadierdivisionen dort hätten bleiben können, wo sie waren. In der Nähe von Ánzio und Nettuno ...
20. Januar 1944. Der alliierte Hauptschlag beginnt. Er soll von den kampfgestählten GI’s der 36. US-Division geführt werden. Jener texanischen Truppe, die bei San Pietro böse zusammengeschossen worden war. Sie sind nun Veteranen, seit Salerno abgehärtet – soweit sie noch leben. Inzwischen hat der Kommandeur der Einheit, Major General Fred Walker, die schweren Verluste „aufgefüllt“ und wieder Sollstärke erreicht. Nachschub nennt man das. Männer, die erst lernen müssen, was Krieg wirklich bedeutet und wie man darin überlebt. Die Gelegenheit, das zu lernen, kommt schnell. Für viele ganz erheblich zu schnell.
Was diesen Männern bevorsteht, ahnen die Erfahreneren nur. Auch Fred Walker. Er weiß, dass er seine Einheit in den sicheren Tod schickt, wenn er die Befehle befolgt. Doch welche Wahl hat er?
Zwischen der vordersten Linie der Amerikaner und dem Fluss Rapido befinden sich zwei bis drei Kilometer Sumpf. Künstlicher Morast, denn die Deutschen haben den Damm am Oberlauf des Rapido gesprengt und so das komplette Flussufer von den Bergen bis zur Stadt Cassino unter Wasser gesetzt. Die wenigen etwas festeren Passagen zur etwa einen Meter hohen Uferböschung sind umfangreich und tückisch vermint. Alle größeren Bäume sind gefällt – Deckung gibt es kaum.
Dann kommt der Wasserlauf selber. Der Rapido ist im Durchschnitt zehn bis 15 Meter breit und dreieinhalb Meter tief. Nicht besonders aufregend, wäre da die reißende Strömung nicht. Wer mit dem Gewicht von Stahlhelm, Kampfstiefeln, Munition und Handgranaten hier ins eiskalte Wasser fällt, hat – sagen wir – ein Problem. Ist er verwundet, dürfte es sein letztes sein ...
Ein im künstlichen Moor um den Rapido eingesunkener US-Sherman-Panzer.
Dahinter ist die deutsche Seite. Das bedeutet – wieder Minen. Danach Stacheldraht. Dann Schützengräben, die so geschickt im Winkel angelegt sind, dass jeder Vorstoß von mehreren Seiten unter Maschinengewehrfeuer gerät. Dazwischen grenzt das Stellungsgewirr an die Ruinen der im alliierten Bomben- und Granathagel untergegangenen Stadt Sant´Angelo in Theodice. Die Stadt ist völlig zerstört – doch bessere Feuerstellungen als Ruinen gibt es für die deutschen Verteidiger nicht.
Und über allem thronen die Berge mit den Argus-Augen der deutschen Artilleriebeobachter. Wenn die tödlichen Geschosse auf die Angreifer eindreschen, richtet sich deren ohnmächtig zorniger Blick fast magisch nur auf ein Gebäude. Ein trutziges, mächtiges, feindselig anmutendes altehrwürdiges Gemäuer. Eine Steinwand mit kleinen Fensterreihen, die drohend wirken wie Schießscharten.
„Dieses verdammte Kloster da oben! Diese verfluchten Aasgeier da drin! Diese dreckigen Bastarde machen uns noch fertig von dort oben aus ...!“
Die Abtei allerdings ist vollkommen unschuldig! Und die einzigen Insassen sind Mönche und viele italienische Flüchtlinge. Feldmarschall Kesselring persönlich hatte angeordnet, das traditionsreiche Kloster nicht in die deutschen Befestigungen einzubeziehen. Alle tragbaren Kunstschätze – darunter unersetzliche Bilder und Schriften – waren nach Rom geschafft und in die Engelsburg gebracht worden. Vieles andere allerdings ist nicht transportabel. Es ist ebenfalls einzigartige Kunstgeschichte und unschätzbar wertvoll. General von Senger und Etterlin beordert Feldgendarmen an die Klosterpforte mit der strikten Anweisung, jedem deutschen Soldaten den Eintritt zu verwehren. Und – Kesselring informiert die Alliierten ausdrücklich davon, dass die Benediktinermauern für deutsche Soldaten tabu seien. Mehr kann er nicht tun. Die glauben dies nur sehr bedingt. Einige Offiziere ja, andere nicht!
Die altehrwürdige Klosterabtei. Darunter der „Schlossberg“ unter alliiertem Artilleriebeschuss.
Dabei liegt es auf der Hand, dass die Fenster des Klosters als Beobachtungsposten gar nicht notwendig sind. Das Gelände darum herum ist viel unauffälliger, besser mit Befestigungen zu schützen – und hat denselben Panorama-Blick. Diese Unterstände sind vom Rapido aus gar nicht zu erkennen.
Das Kloster schon! Und genau das ist für die alliierten Soldaten psychologisch das Problem!
20.00 Uhr. Es herrscht dichter Nebel. Wo er nicht natürlich vorliegt, wird er künstlich erzeugt. Die US-amerikanischen Pioniere haben ganze Arbeit geleistet. Sie haben mühsam Saumpfade zum Flussufer erkundet, die gangbar sind, ohne im Sumpf zu versinken. Diese Gassen sind nun sorgsam von Minen befreit worden, und mit Markierungsbändern gekennzeichnet. Das alles hatte unter den wachsamen Augen der Deutschen geschehen müssen – und in deren gut gezieltem Feuer! Jetzt ist es bald dunkel. Mit Absicht. Denn ein Vorrücken bei Tageslicht hier wäre keine gute Idee.
Angriff! Nun laufen die amerikanischen Soldaten los. Sie tragen ihre Sturmboote nach vorne, vier Meter lang und 190 kg schwer. Dazu die großen Gummiboote für zwei Dutzend Mann. Sorgsam arbeiten sich die Männer auf den gesicherten Routen in Richtung Flussufer voran. Nur nicht seitlich vom Wege abkommen, um Himmels willen nicht in die Teufelsgärten mit den Sprengfallen geraten.
Bis die ersten Minen explodieren. Andere Trupps versinken plötzlich im Schlamm! Flüche, Schreie. Wut kommt hoch! Verdammte Pioniere – Vollidioten, shit! Herrgott noch mal! Wie können die GI’s auch wissen, dass sie Ihren Kameraden Unrecht tun! Der Nebel verbirgt nicht nur die Amerikaner – er lässt genauso wenig erkennen, dass die Deutschen kurz vor dem Angriff die Markierungen in den Morast umgeleitet und neue Minen gelegt hatten ...
Dann rauschen die ersten Granaten heran. Es sind immer noch eineinhalb Kilometer bis zum Fluss! Einschläge, grelle Blitze. Schlamm wird aufgewirbelt, überschüttet die Texaner. Dann ein Volltreffer. Er erwischt dreißig Mann auf einen Schlag. Das Holz der Sturmboote splittert, die Schlauchboote zerfetzen. Es ist ein gnädiger Umstand, dass man fast nichts sieht. Auch nicht das, worüber man stolpert, oder wer wo um Hilfe fleht. Es kommt genau so, wie Major General Walker es befürchtet hatte. Nein – das stimmt nicht ganz. Es kommt noch schlimmer!
Eines der beiden Sturmregimenter ist das 141. Infanterieregiment. Als die Männer endlich den Fluss erreichen, ist bereits ein Drittel der Boote zerschossen. Da vorne sind die Pioniere. Sie haben vier Stege zu bauen – plangemäß. Einer fliegt durch eine übersehene Mine in die Luft, ein weiterer scheitert am morastigen Flussufer. Bleiben noch zwei. Als sie aufgebaut werden, verdichtet sich das deutsche Feuer. Es kracht überall. Mehrere Granateinschläge zerfetzen die Stege – und nicht nur sie. *23
Bleiben die Boote. Als man sie zu Wasser lässt, gehen einige sofort unter. Die Löcher hatte man gar nicht bemerkt. Andere kentern, wieder andere werden von der reißenden Strömung weggerissen. Panik bricht aus, in dem mörderischen Feuer kann man kaum vor, aber auch nicht zurück. Manche Männer lassen sich mit Absicht ins Wasser fallen – um Gottes Willen nur weg von hier. Andere gehorchen – und versuchen überzusetzen. Heulend heranjaulende Geschosssalven – Granatwerfer – Wasserfontänen – Volltreffer. Menschliche Laute aller Art. Es ist unbeschreiblich, welche Szenen sich abspielen. Nicht einmal 1.000 Mann gelingt es, das andere Ufer lebend zu erreichen.
04.00 Uhr morgens. Endlich haben die Pioniere eine neue Brücke gebaut. Aus den zerstörten Resten der vier anderen! Los – rüber! 350 Mann schaffen es. Dann kracht es erneut. Von der Brücke bleiben nur noch wegtreibende Trümmer übrig. Auch die Boote sind nun sämtlich zerschossen. Die GI‘s auf der deutschen Seite des Rapido sind abgeschnitten. Bald funktionieren auch die letzten Funkgeräte nicht mehr. Dann kommt ein deutscher Gegenangriff. Die Männer am amerikanischen Ufer hören das Feuer ihrer Kameraden. Es wird weniger und leiser. Irgendwann ist es vorbei.
Auch dem 143. Infanterieregiment gelingt es lediglich, etwa 1.000 Mann über den Rapido zu bringen. Diese Einheit hat den Abschnitt südlich von Sant´Angelo zugewiesen erhalten. Es dauert nicht lange, dann sind die GI‘s von deutschen Panzern und Sturmgeschützen eingekreist. Wer noch kann, flieht mit Genehmigung des Bataillonskommandeurs aus der aussichtslosen Lage zurück über den Fluss. Wer noch kann ...
21. Januar 1944: Der Abschnitt wird eingenebelt. Die Amerikaner versuchen es abermals. Major General Geoffrey Keyes, der Kommandeur des II. US-Korps, befiehlt Major General Walker ausdrücklich, den Ansturm gegen die gut verschanzte deutsche 15. Panzergrenadierdivision unter General Rodt wieder aufzunehmen. Sofort wieder anzugreifen!
Walkers Männern steht das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Die Abwehr dieser Deutschen ist erbitterter als alles, was man sich bisher hatte vorstellen können. Was etwas heißen will! Und außerordentlich „effektiv“. Wenn es Teufel gibt, dann sind sie am Monte Cassino eingegraben!
Das Inferno wiederholt sich. Die Sturmboote werden mit präzisem Granatfeuer überschüttet, viele werden getroffen. Körper wirbeln durch die Luft. Menschen versinken. Wer die feindliche Seite des Flusses lebend erreicht, hat Glück gehabt. Vorerst. So lange, bis er befehlsgemäß nach vorne robbt.
Der erste Drahtverhau – dann Minen – jetzt der nächste Stacheldraht. Rings herum Granatwerfereinschläge, mit Wasser und Gefallenen gefüllte Trichter. Maschinengewehrfeuer, flach und mörderisch gezielt. Überall Tote und Verwundete. Das Bewusstsein setzt aus, filtert nur noch das, was zum Überleben wichtig ist, aus der Orgie der Wahrnehmung aller biologischen Sinne heraus. Der Rest ist seelisches Hintergrundrauschen. Dann geht es einfach nicht mehr weiter.
Major Milton J. Landry kommandiert ein Bataillon des 141. Infanterieregiments. Als er verwundet wird, bringt man ihn nach hinten. Unterwegs wird er ein weiteres Mal getroffen. Als er endlich die amerikanische Flussseite lebend erreicht, legt man ihn auf eine Bahre. Dort erwischt es ihn zum dritten Mal.
Ein anderes Bataillon verliert innerhalb von vier Stunden den Kommandeur durch Verwundung, den ersten als Ersatz ernannten kommandierenden Offizier wenig später, nach seinem Tod bald darauf auch dessen Nachfolger. Er fällt ebenfalls.
Die Schlacht dauert den gesamten 22. Januar 1944 an. Charles Rummel wird an beiden Unterschenkeln getroffen.*24 Als Kameraden ihn zurückbringen wollen – was bedeutet hätte, dass sie sich hätten geduckt erheben müssen – verweigert er ihre Hilfe. Bringt Euch selber in Sicherheit – seht zu, wie Ihr hier rauskommt! Dann kommt der deutsche Gegenstoß. Gegen 23.00 Uhr rührt sich im amerikanischen Brückenkopf nichts mehr. Der US-Vorstoß ist völlig zusammengebrochen. Wer noch lebt, ist reglos schwer verwundet oder in Gefangenschaft. Tagelang verkriecht sich Rummel in den Wasserlöchern. Mehr als robben kann er nicht. Dann kommt ein amerikanischer Feuerschlag. Der Alptraum nimmt kein Ende. Es ist ein Trommelfeuer mit Phosphor-Brandgranaten. Rummel fällt immer wieder in Ohnmacht. Deswegen merkt er gar nicht, als am 25. Januareine Waffenruhe ausgehandelt wird. Die Deutschen erlauben den Amerikanern, ihre Verwundeten zu bergen. Rummel wird dabei übersehen.
Irgendwann endlich finden ihn deutsche Soldaten. Sie bieten ihm Kommissbrot an. Rummel bekommt keinen Bissen herunter. In einem deutschen Lazarett werden beide Beine amputiert. Rummel lebt ...
Major General Walkers 36. US-Division hat ungeheure Verluste erlitten – 2.066 Offiziere und Mannschaften. Vom 141. Infanterieregiment überleben gerade noch 40 Mann.
Dagegen rechnen sich auf der „Haben-Seite“ bei einer Offensive in der Regel die Geländegewinne. Sie betragen – Null.
24. Januar 1944. Auf der rechten Flanke der 36. US-Division steht die 34. US-Division unter Major General Charles W. Ryder. Unter ihm dient auch ein Bataillon, welches sich ausschließlich aus Amerikanern japanischer Herkunft zusammensetzt. Es sind dem Erscheinungsbild nach Asiaten, die hier gegen die 44. deutsche Infanteriedivision „Hoch- und Deutschmeister“ unter General Franck antreten. Japaner mit amerikanischem Pass.
Der Rapido selber ist am Oberlauf an einigen Stellen relativ seicht und somit kein ernsthaftes Hindernis. Doch auf beiden Seiten des Flusses ist auch hier das Gelände vermint und überschwemmt. Die Panzer können sich ausschließlich auf Wegen vorkämpfen, die zuvor von Pionieren gesichert sowie mit Stahlmatten tragfähig gemacht wurden. Im deutschen Feuer, versteht sich. Auf der anderen Seite des Rapido erwartet die Amerikaner abermals ein breiter Verteidigungsgürtel der Deutschen. Mit Stacheldraht, Schützengräben, Minen, Bunkern und Geschützstellungen.
Die Amerikaner kommen endlich mit Panzern über den Fluss. Doch sie benötigen volle acht Tage härtester Kämpfe, um dies zu erzwingen. Dann wenden sich zwei der drei Regimenter der Division in die Bergtäler, die hinter die Abtei führen. Der Boden ist felsig, gefroren, Deckung besteht allenfalls aus Felsspalten. Und Stechginster – doch der bietet eher den Deutschen ein Versteck. Für Sprengfallen, Stolperdrähte und die teuflischen Minen. Und wäre das nicht genug – jede Schlucht liegt in deutschem Feuer. Felsbrocken werden als Querschläger zu Geschossen.
Das dritte Regiment versucht, am Abhang der Berge südwärts gegen Cassino voranzukommen.
Noch weiter nördlich in den Bergen greift das französische Expeditions-Korps unter General Juin an. An seiner Spitze stürmen die tunesischen „Tirailleurs“ des 4. Schützenregimentes. Sie bekommen es neben der 44. Infanteriedivision auch mit den Soldaten der 5. deutschen Gebirgsjägerdivision unter General Julius Ringel zu tun. Das erste Ziel ist der Monte Cifalco. Die deutschen Gebirgsjäger schlagen den Angriff ab. Andere Bataillone der Tunesier wenden sich dem Monte Belvedere zu. Dort warten die Grenadiere General Francks auf sie. Der Kampf ist erbittert und brutal. Stellung um Stellung wird angegriffen und schließlich mühsam erobert. Aber – vom Monte Cifalco aus bleibt das Kampfgebiet für die deutschen Artilleriebeobachter einsehbar. Prompt hämmert deutsche Artillerie gut geführt und gezielt auf die Nordafrikaner ein. Das II. Bataillon verliert den Kommandeur und alle Kompaniechefs. Bis zum 26. Januar 1944 ist dennoch der Monte Belvedere, der Colle Abate und die Höhe 862 in französischer Hand.
Doch nun stockt der Nachschub. Die Verpflegung geht aus. Die Tunesier haben tage- und nächtelang nicht geschlafen. Und nun greifen die Deutschen an. Nahkämpfe, mit Messern, Handgranaten, Bajonetten. Selbst Spaten. Schließlich schlafen die Männer in den Kampfpausen einfach ein. Viele haben beim nächsten Angriff keine Zeit mehr aufzuwachen. Andere werden wach, wenn sie getroffen werden. Ihre Kameraden wehren sich im Halbschlaf.
Immer wieder werden Colle Abate und die Höhe 862 von den Deutschen zurückerobert und von den Nordafrikanern für die Trikolore erneut eingenommen. Als die Tirailleurs am 28. Januar 1944 endlich vom 7. algerischen Schützenregiment abgelöst werden, ist ihr Kommandeur ebenso gefallen wie 39 Offiziere und 1.562 Schützen. Die Algerier greifen sofort wieder an. Der Ort Terelle geht an die Franzosen. Die letzten dreißig deutschen Verteidiger müssen sich am 31. Januar 1944 in hoffnungsloser Lage ergeben. Derweil erstürmen ihre Panzergrenadier-Kameraden am 1. Februar 1944 den Colle Abate und die Höhe 862 ein weiteres Mal.
Die beiden Divisionen des französischen Korps – es sind die 3. algerische Infanteriedivision und die 2. marokkanische Division – erleiden Verluste in der Größenordnung von 2.500 Mann.
Vor Cassino überrollen amerikanische Panzer am 2. Februar 1944 von Norden kommend das deutsche Panzergrenadierregiment 132. Dahinter erreichen die GI‘s des 133. US-Regimentes den Ortsrand von Cassino und dringen in die Trümmer ein. Der Gegenangriff wird von den Panzergrenadieren des 211. deutschen Regimentes geführt. Mann gegen Mann, Stein um Stein. Schließlich werfen die Deutschen ihre amerikanischen Gegner wieder aus der Stadt.
Dann gelingt es den Amerikanern, am 6. Februar 1944 den strategisch wichtigen Calvarienberg zu erobern, von welchem man die gesamte Stadt Cassino überblicken kann. Ganz schaffen sie es nicht, doch sie kommen nahe an die letzten Höhenrücken – hinter dem Kloster. Seitlich unter den Mauern erreichen die GI‘s den Hügel „Point 445“. Die Abtei ist von hier aus gerade noch 400 Meter entfernt. So weit vorzustoßen, ist eine hohe Leistung der Amerikaner. Doch die Bergflanken des Klosterberges mit den deutschen Feuerstellungen dort verhindern jedes weitere Vordringen.
Immerhin – die „Amis“ sind bedrohlich nahe! Das können die Deutschen nicht dulden! Panzergrenadiere der 90. Division erstürmen den Berg und schlagen die US-Truppen zurück. Zwei Tage später wechselt der Berg erneut den Besitzer. Jeder Meter der steinigen italienischen Erde wird mit Blut erkauft. Und mit Inbrunst verflucht. Nun ist es an den Deutschen, den dreckigen Steinhaufen wieder in ihren Besitz zu schießen. Die Fallschirmjäger des III. Bataillons des 3. Regimentes unter Major Kratzert schaffen es. Hauptmann Heinz Meyer leitet den Gegenangriff. Als am 11. Februar 1944 die Jungs des 142. Regimentes der 36. US-Division, Walkers Texaner, die ihr drittes Regiment zur Unterstützung der 34. US-Division abgeben mussten, mehrfach den Calvarienberg empor stürmen, bricht ein Angriff nach dem anderen im Maschinengewehrfeuer der deutschen Fallschirmjäger zusammen.
Die 1. deutsche Fallschirmjägerdivision hat den Frontabschnitt übernommen. Als die 34. US-Division versucht, den Monte Cassino selbst zu stürmen, scheitern die Amerikaner im vernichtenden MG-Feuer der deutschen Elitetruppe mit fürchterlichen Verlusten. Die Infanteriebataillone verlieren bis zu 80 % ihrer Mannschaften. Die Verluste addieren sich auf etwa 2.200 Mann alleine in dieser Division.
Am Abend des 11. Februar 1944 gibt das tapfere, doch völlig ausgeblutete II. US-Korps die erste Schlacht um den Zugang ins Liri-Tal verloren. Der Sieg gehört – vorerst – den brillant geführten und erbittert kämpfenden Deutschen.
Die alliierte Luftwaffe? Sie greift wie üblich massiv mit Jagdbombern und Mittelstreckenbombern in die Kämpfe ein und konzentriert sich im Übrigen auf die deutschen Nachschublinien und Feldflugplätze. Die schweren strategischen Bomber der Amerikaner bombardieren munter Industrieziele in Norditalien und Österreich. Viel können die deutschen Jagdflieger – vornehmlich in Italien – nicht dagegen tun.
Mitte Januar 1944 beträgt die durchschnittliche Unterstützung der deutschen Luftwaffe für ihre Kameraden am Boden der Cassino-Front eine Einsatztätigkeit von etwa zehn Focke-Wulf 190-Jagdbombern des Schlachtgeschwaders 4, geschützt – so gut es geht – von ungefähr 16 Messerschmitt Bf 109. Dagegen finden für die Alliierten beispielsweise am 13. Januar 1944 alleine im Kampfraum um den Eingang zum Liri-Tal immerhin 132 Jagdbombereinsätze und 72 Flüge durch Jäger statt.
Verglichen mit der geballten anglo-amerikanischen Luftunterstützung können die deutschen Piloten noch nicht einmal Nadelstiche austeilen. Dafür werden sie immer wieder im Alarmstart in die Luft gehetzt, wenn die amerikanischen schweren Bomber auf ihren Einflügen nach Norditalien oder Österreich zielsicher Schwenks in Richtung auf die deutschen Flugfelder durchführen. Die Schlacht- und Jagdflieger starten sofort – über immer wieder demolierte Pisten hinweg – da sie nie wissen können, ob der Angriff ihnen gilt oder sie nur aufscheuchen soll. In jedem Fall wird die deutsche Einsatzplanung effektiv durcheinander gebracht und wertvolles Flugbenzin vergeudet. Oft genug sind die Basen selbst das Ziel feindlicher Bomben, sodass Starts und Landungen auf den mit notdürftig aufgefüllten Kratern übersäten Startbahnen mehr und mehr zum Risiko werden. Unfälle häufen sich.
Am 14. Januar 1944 ist es dann soweit. Major Helmut Bennemann, Kommodore des Jagdgeschwaders 53, hatte es kommen sehen und eindringlich bei seinen vorgesetzten Dienststellen gewarnt. Schriftlich! Die Verbände der viermotorigen Bomber drehen wieder einmal in Richtung auf die deutschen Flugfelder ein. Und dieses Mal drehen sie nicht wieder ab.
Alarmstart! Zahlreiche Luftkämpfe sind die Folge. Viel bringen sie nicht ein. Als die Piloten auf den umgepflügten Pisten auf waghalsige Art wieder landen müssen, kommt es zu den ersten Schäden. Wenig später dröhnen erneut Flugzeugmotoren über den Flugfeldern. Jetzt kommen die gerade gelandeten Messerschmitt-Jäger nicht mehr weg. Den Rest besorgen die Amerikaner mit ihren zweimotorigen B-26 „Marauders“. Es regnet Splitterbomben!
Den am Boden in Deckung kauernden Männern selbst passiert nicht viel. Man hatte mit Bunkern und Unterständen vorgesorgt. Doch von den Jagdflugzeugen bleibt kein einziges ungeschoren.
Bennemann muss den Klarstand seiner Einheit melden wie befürchtet:
Einsatzbereite Maschinen: Null! Keine einzige!
Die Reaktion aus Berlin ist die sofortige Vorladung Bennemanns zur Vernehmung in Anwesenheit eines Oberkriegsrichters in Frascati. Der Kommodore verweist auf seine eindringlichen Warnungen und die ungehört verhallten Vorschläge zur Abhilfe in seinem Bericht. Das rettet ihn. Daraufhin geht Bennemann zum wütenden Gegenangriff über – natürlich, ohne irgendeinen Namen anzuklagen.
Der Effekt: neue Flugzeuge – und die Verlegung nach Norden, weg von den gefährdeten Flugpisten in Frontnähe. Im Süden bleiben Alarm-Schwärme und Notlandepisten. Und die deutschen Landser ...
Focke-Wulf 190 F-8 der I./SG 4 beim Start. Zu diesem Zeitpunkt ist die I./SG 4 in Rieti stationiert, jedoch noch überwiegend mit Fw 190 G-3 ausgerüstet. Die ersten F-8 werden im Juni 1944 an die I./SG 4 geliefert.