Sie ist wichtig, die Kampfmoral. Wichtiger als Menschenleben. Und wichtiger als Kunstschätze. Denn sie ist wichtig für den Erfolg. Für den Sieg. Was könnte wichtiger sein?
Lieutenant General Mark Wayne Clark ist da anderer Meinung. Er hat inzwischen seine am Monte Cassino völlig ausgeblutete 34. und 36. US-Division durch die neu eingetroffene 2. neuseeländische und 4. indische Division ersetzt. Dieses „neuseeländische“ Korps wird von Lieutenant General Sir Bernard Freyberg geführt, ein alter Haudegen aus den Kämpfen um Kreta und gegen das Afrikakorps.
Freyberg und Clark sind sich einig, dass am Monte Cassino etwas geschehen muss. Und dies sofort. Die „bronzene Göttin“ entlarvt schon wieder die deutschen Pläne. Offenbar bereitet von Mackensen bei Ánzio einen Sturmangriff auf Major General Lucas’ Männer vor. Clark weiß, dass er Lucas nur helfen kann, wenn er unverzüglich den Druck auf die Gustav-Linie bei Cassino wieder erhöht.
Das heißt: Angriff. Freyberg sieht das genauso, und kommt nach eingehendem Studium der Lage zu dem Ergebnis, dass seine Leute nun die Stadt Cassino und den Klosterberg erstürmen müssen. Alle Umgehungsversuche waren ja bereits gescheitert. Die Festung muss fallen, anders geht es nicht.
Das allerdings zu befehlen, wird einen Schrei des Entsetzens unter seinen Leuten auslösen. Zu viel ist hier bereits an Blut geflossen, zu heftig waren die amerikanischen und französischen, auch britischen Verluste. Freybergs Männer wissen das.
Also muss ein Achtungserfolg her. Beim nächsten Angriff muss etwas grundlegend anders sein. Militärisch nötig oder nicht – es ist entscheidend für die Moral. Die Kampfmoral. Die Psyche der Männer, die gewillt sind, ihre Pflicht zu tun, und doch angsterfüllt in Richtung auf die deutschen Linien starren.
Das Kloster! Die drohend uneinnehmbare, bösartig trutzige Abtei da oben auf dem verfluchten Berg!
Mark Wayne Clark ist entsetzt. Der Befehlshaber der 5. US-Armee glaubt den Deutschen, dass diese das Gemäuer aus ihren Verteidigungsanlagen heraushalten. Auch weiß er, dass dort Mönche und vor allem viele Flüchtlinge Zuflucht gesucht haben und sich in Sicherheit wähnen. Diese Hilflosen vertrauen darauf, man werde genug Achtung vor Ihnen und der Geschichte haben, um sie zu verschonen.
Der Brite General Sir Harold Alexander, Oberbefehlshaber der 15. Armeegruppe in Italien (5. US-Armee und 8. britische Armee), gibt den Ausschlag. Er befiehlt, dem Gespenst ein Ende zu bereiten. Mögen die Mauern des Klosters noch so ehrwürdig sein, das Leben seiner Leute sei ihm wichtiger.
Am 14. Februar 1944 werfen alliierte Flugzeuge Flugblätter über dem Kloster ab. Die italienischen Mönche können es einfach nicht glauben! Dort steht, sie sollen das Kloster sofort verlassen. Um Gottes Willen, was soll das denn heißen?
Sie versuchen dennoch fieberhaft, eine Evakuierung von 800 Menschen zu organisieren – durch die deutschen Linien hindurch und mitten im Kampf. Auch ohne Offensive der Alliierten wird verbissen gefochten im gesamten Umfeld der sicheren Enklave. Bisher zumindest schien es hier drin friedlich zu sein. Wie kann man das bewältigen? Viele Flüchtlinge sind alt, krank, der Abt ist selber 81 Jahre alt.
North American B-25 „Mitchell“ der USAAF im Anflug auf Monte Cassino.
Die Deutschen helfen, kooperieren. Am 16. Februar 1944 um 05.00 Uhr morgens sollen die Mönche samt ihren Schützlingen auf einem Maultierpfad durch die deutschen Stellungen hindurch dürfen.
Der Morgen des 15. Februar 1944 bricht an. Die Mönche halten in den Kellergewölben des Klosters Sankt Benedikt soeben ihre zweite Morgenandacht, als das Geräusch von Flugzeugmotoren immer kräftiger anschwillt. Die Menschen, Pater und Flüchtlinge, beten und singen weiter. Man kennt dieses Geräusch. Bald werden um sie herum auf die deutschen Soldaten Bomben fallen – wieder einmal.
Plötzlich beginnen die Mauern zu wanken. Ein Erdbeben könnte nicht schlimmer sein. Ein unbeschreibliches Getöse erstickt sämtliche Schreie. Es ist 09.45 Uhr, als der Teufel das Jüngste Gericht zelebriert. Wände stürzen ein, erschlagen Frauen, Kinder und Greise, begraben andere lebendig. Als das Inferno abebbt, kriechen die Überlebenden völlig verstört ins Freie. Mein Gott, warum hast Du uns verlassen?
Da kreischen Granaten in der Luft. Ein mörderisches Trommelfeuer der alliierten Artillerie setzt ein. Dann fliegt die nächste Bomberwelle heran. Es ist mehr, als ein Mensch seelisch verarbeiten kann. Viermotorige schwere „Fliegende Festungen“ lösen sich mit zweimotorigen Mittelstreckenbombern ab. Sie laden 1.150 Tonnen Bomben ab, darunter 540 Tonnen schwerster Kaliber, so genannte „Luftminen“. Sie verwandeln das Kloster in einen vollkommen „ausradierten“, trostlosen Schutthaufen.
Zwei Tage später verlässt der Abt mit gebrochenen Menschen im Gefolge das, was einmal seine geistliche und seelische Heimat gewesen war. Er trägt ein hölzernes Kreuz vor sich her. Etwa 250 Menschen fehlen, als der Elendszug die Stätte des Grauens hinter sich lässt.
Es ist das beeindruckende Zerstörungswerk durch 142 viermotorige B-17 „Fortress“-, ferner 47 zweimotorige B-25 „Mitchell“- und 40 B-26 „Marauder“-Bomber, weiter vervollständigt durch die Salven alliierter Artilleriegranaten. Manche der Getöteten fallen zuletzt sogar noch 59 amerikanischen Jagdbombern am Nachmittag zum Opfer ...
Die Amerikaner der 34. Division beobachten die Orgie der Zerstörung vom Umfeld des Rapido-Flusses aus. Sie weinen vor Freude über das Vernichtungswerk ihrer Kameraden in den Bombern.
Lieutenant General Ira C. Eaker, zu diesem Zeitpunkt inzwischen Oberkommandierender der US-Luftstreitkräfte im Mittelmeerraum, und sein Stellvertreter Lieutenant General Jacob L. Devers sind froh, eine Gelegenheit gefunden zu haben, die ungeheure Schlagkraft ihrer Flugzeuge zur Erdkampfunterstützung unter Beweis stellen zu können. Es wertet die Bedeutung ihrer Waffe auf – und somit ihre eigene! Sie selbst hatten vor der Entscheidung zum Angriff in einem unbewaffneten L-5 Verbindungsflugzeug*32 (so sicher vor deutschen Jägern können sie sich fühlen) das Kloster in 60 Meter Höhe überflogen und behauptet, sie hätten einen Funkantennenmast und „im Innenhof an einer Wäscheleine zum Trocknen aufgehängte deutsche Uniformen“ gesehen. Major General Geoffrey Keyes, Kommandeur des II. US-Korps, hatte ebenfalls mehrfach das Kloster im Tiefstflug überflogen und keinerlei Anzeichen einer deutschen Besetzung festgestellt. Als er von Eakers und Devers Beobachtungen erfährt, konstatiert er: „Die haben so lange geguckt, bis sie etwas gesehen haben ...!“
Die traurigen Reste des im Jahr 529 nach Christus gegründeten Klosterbaus.
Ob Eaker und Devers immer noch so zufrieden mit ihrer Streitmacht sind, als sie erfahren, dass 16 Bomben 27 Kilometer entfernt von Monte Cassino das Hauptquartier der 5. Armee in Presenzano treffen und nur wenige Meter von Lieutenant General Mark Clark detonieren, der demonstrativ dem Spektakel fern bleibt und in einem Anhänge-Stabswagen Papierkram erledigt, ist dem Autor nicht bekannt.
Der Zeitpunkt des Luftangriffs war mit Freybergs Neuseeländern, Indern und Nepalesen nicht abgesprochen, sondern anhand des Flugwetters kurzfristig entschieden worden. Die Inder sollen nun in den Schock des Bombardements hinein sofort angreifen. Sie sind völlig konsterniert!
Das geht nicht! Ihnen fehlen noch die meisten Handgranaten und Granatwerfergeschosse! Die werden per Maultier soeben mühsam nach vorne gebracht. Die letzten elf Kilometer führen durch eine Senke nördlich der Höhe 593 (Calvarienberg), welche unter voller Sicht der Verteidiger dem mörderisch exakten deutschen Artilleriefeuer ausgesetzt ist. Die Alliierten nennen das Tal deswegen nach seinem kalifornischen Vorbild „Death Valley“ (Tal des Todes). Es ist extrem schwer, hier einen Angriff vorzubereiten.
Die Deutschen erwarten sofort einen Sturmangriff. Nur so macht das Bombardement einen militärischen Sinn! Sie warten gespannt, den Finger am Abzug. Doch nichts geschieht. Was soll das denn?
Am Abend versuchen Soldaten der 4. indischen Division einen improvisierten Vorstoß. Es ist eine Kompanie des I. britische „Sussex“-Bataillons, welches den Indern zugeteilt ist. Die Briten greifen den „Point 593“ auf dem Calvarienberg an. Es wird ein blutiges Fiasko. Die Hälfte der Kompanie fällt.
16. Februar 1944. Es ist wieder Nacht. Die alliierte Artillerie eröffnet die Offensive, bezieht erneut das Kloster mit ein, welches immer noch den greisen Abt und die überlebenden Flüchtlinge beherbergt. Doch nur ein Bataillon soll danach angreifen. Es ist wieder das I. britische „Sussex“-Bataillon der 4. indischen Division. Dieses Mal aber in voller Stärke. Das Ziel ist dasselbe wie am Vorabend.
Die Freyberg zur Verfügung stehenden Geschütze können den Calvarienberg nicht direkt beschießen – zu groß ist die Gefahr, bei Dunkelheit die eigenen Leute zu treffen. Deshalb soll das Granatfeuer die nahe gelegene Höhe 575 umpflügen, um die dort eingegrabenen Deutschen niederzuhalten. Die hatten in der Nacht zuvor effektiven Flankenschutz gegeben.
Da jaulen die Geschosse heran. Sie fegen knapp über die Köpfe der zum Angriff bereitstehenden Briten hinweg und fetzen in die deutsch besetzten Hänge. Bis eine Salve zu tief liegt ...
Die Offiziere sammeln ihre Männer nach dem Schlag der eigenen Granaten – besser gesagt: den Rest. Um Mitternacht stürmen sie los, 313 Mann und 15 Offiziere. Die Briten geraten schon bald in ein Minenfeld. Dann jagen die Geschosse deutscher Maschinengewehre und Granatwerfer in die britische Einheit. Schließlich Nahkämpfe, erbittert und brutal. Die Deutschen halten, eisern. Als die englischen Soldaten zurücktaumeln, fehlen 162 Mann und zwölf Offiziere. Noch einmal 50 % an Verlusten!
Am 17. Februar 1944 verlassen die italienischen Zivilisten mit den Mönchen endlich das Trümmergebirge. Dafür besetzen nun die deutschen Fallschirmjäger die Steinhaufen des Klosters. Hier gibt es nichts mehr, was pietätvoll zu respektieren wäre. Bessere Verteidigungsstellungen können sich die Männer kaum wünschen. Die Zuversicht der deutschen Elitekämpfer steigt beträchtlich.
Nun will es Sir Bernard Freyberg wissen! Er schickt sechs Bataillone in die Schlacht. Eigentlich wenig – von 24, die er hat! Die indischen Rajputen der 4/6 Rajputana Rifles sollen endlich die Höhe 593, den Calvarienberg erstürmen. Danach sollen die Reste des Sussex-Bataillons hinter ihnen vorstoßen und durch die Rajputen hindurch die Höhe 444 einnehmen. In der Zwischenzeit sollten die Himalaya-Experten der nepalesischen Gurkhas mit dem steilen Gelände direkt unterhalb der Klostermauern fertig werden und das Kloster erobern. Hierfür sind die 1/2 Gurkhas und 1/9 Gurkhas ausersehen.
Und wieder ist der Schlagabtausch an grimmiger Brutalität kaum zu überbieten. Es wird gekämpft mit allem, was töten kann, buchstäblich bis aufs Messer. Die Rajputen verlieren 196 Offiziere und Mannschaften, bei den Gurkhas sind es zusammen 245 Männer. Dann haben die Deutschen wieder einmal die Oberhand. Die „Grünen Teufel“ der 1. Fallschirmjägerdivision machen ihrem Namen alle Ehre!
Am 18. Februar 1944 gibt Freyberg den Versuch auf, von hinten an die Ruinen der Abtei heranzukommen. Inzwischen ist auch der Frontalangriff auf den Bahnhof der Stadt Cassino gescheitert.
Dem XXVIII. (28.) neuseeländischen Bataillon (Maori) gelingt es im ersten Ansturm, die wichtige Eisenbahnstation einzunehmen. Zwei Kompanien des Bataillons versuchen, über den Rapido zu kommen. Es gelingt ihnen sogar. Was sie im Laufe der Nacht nicht schaffen, ist der Bau einer Behelfsbrücke. Am Tage ist es chancenlos. Und das bedeutet eines: die 4. neuseeländische Panzerbrigade kommt nicht – wie vorgesehen – hinterher. Ein Großteil der Panzer steckt ohnehin im Morast fest. Schneegestöber und Regen weichen das Gelände auf.
Einen Tag lang nebeln die alliierten Geschützkanoniere ihre Landsleute ein, damit die Kollegen auf der deutschen Seite kein erkennbares Ziel vorfinden. Doch das ändert auch nichts daran, dass die Maori-Krieger weder Panzer noch Panzerabwehrkanonen zur Verfügung haben. Sie können nur noch warten, bis der deutsche Gegenstoß kommt. Und beten.
Der erwartete Gegenangriff beginnt am Nachmittag des 18. Februar 1944. Die deutschen Panzergrenadiere sind entschlossen, die Neuseeländer wieder zurückzuwerfen. Sie haben Unterstützung durch einige Panzer und Sturmgeschütze. Dennoch entscheiden letztlich die Nahkämpfe – Mann gegen Mann. Als es vorbei ist, ist das gesamte Bataillon der Maoris wieder dorthin zurückgetrieben, wo es zu Beginn gestanden hatte.
Freybergs Vorgesetzter Alexander sieht ein, dass die Deutschen nun auch die zweite Schlacht um den Monte Cassino für sich entschieden haben. Ohne massive Luftunterstützung kommt er hier nicht weiter. Der nächste Schritt wird ein schwerer Bombenteppich gegen die Stadt Cassino selbst sein müssen. Anders sind diese fast unglaublich hartnäckigen Verteidiger offenbar nicht zu bezwingen.
General Sir Harold Alexander ordnet an, dass Freyberg innehält und der Luftangriff vorbereitet wird.
Doch Petrus macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Am 24. Februar 1944 setzen winterliche Schneestürme ein. Das Wetter zieht sich zu. Die Sicht ist miserabel.
Ein Bombenangriff nur wenige hundert Meter vor den eigenen Linien ohne gute Sicht könnte sich fatal auf die Kampfmoral der eigenen Leute auswirken – vorsichtig ausgedrückt. Die Angelegenheit muss warten. Sie liegt – auf Eis. Drei volle Wochen lang ...
Piper L-4-Verbindungsflugzeug.
Das unerreichte Vorbild ist der deutsche Fieseler Fi 156 „Storch“ – mit sensationellen Kurzstartfähigkeiten und einem nach hinten oben feuernden MG.