Operation „Diadem“

Die Polen wissen, wofür sie kämpfen. Auf den zweiten Blick auch, warum sie in Italien kämpfen. Seite an Seite mit den Engländern, Franzosen und Amerikanern. In Russland hätten sie es näher gehabt zur deutsch besetzten, geschundenen und unterdrückten Heimat.

Der sowjetische Diktator Stalin hat eigene Pläne mit Polen. Im Jahr 1940, nach der mit Adolf Hitler abgesprochenen Unterjochung Polens, fallen 14.700 polnische Offiziere und Soldaten in sowjetische Hände. Außerdem eine hohe Anzahl an Wissenschaftlern, Akademikern! „Intelligenz“ nennt man dies im kommunistischen Sprachgebrauch.

Im Wald von Kozy Gory bei Katyn 15 Kilometer westlich von Smolensk sowie bei Ostaschkow, Starobielsk und anderen Stätten liegen nach inzwischen – wenn auch erst viele Jahrzehnte später unter erdrückender Beweislage – eingeräumten russischen Geständnissen offiziell 21.857 Leichen. Mindestens 4.500 von ihnen sind polnische Offiziere – vorwiegend in Kozy Gory. Menschen, die durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD im Jahr 1940 systematisch ausnahmslos mit Genickschüssen ermordet worden sind. Die Polen gehen von über 30.000 Opfern aus.

Stalin hat eigene Pläne mit Polen. Patriotische polnische Offiziere und Soldaten stören da immens, auch Menschen, die intelligent genug sind, zivile Gegenwehr zu leisten oder polnische Identität zu symbolisieren. Als die Deutschen im Jahr 1943 das Massengrab bei Katyn entdecken und propagandistisch gegen Stalin ausschlachten, muss der Diktator seine vehementen Dementis glaubhaft machen. Dazu eignet sich der Hinweis auf eine polnische Armee in seinen Diensten.

Lieutenant General Wladyslaw Anders war monatelang eingekerkert gewesen. Das Moskauer Lubjanka-Gefängnis ist mehr als berüchtigt! Seit 4. August 1941 ist er wieder „frei“ und beauftragt, eine polnische Streitmacht unter russischer „Obhut“ zu führen.

Viele polnische Soldaten waren in Arbeitslager nach Sibirien verschleppt worden oder in russischen Kerkern gelandet. Sie werden jetzt entlassen und dürfen eine Armee bilden. Auf sowjetischem Territorium. Doch kämpfen sollen die Polen bitte nicht im Osten. Wer weiß schon, wie sie reagieren, wenn man eines Tages die Deutschen bis zur polnischen Ostgrenze zurückgeworfen haben mag! Vielleicht haben sie etwas gegen ihn? Für den Fall verlässt sich der sowjetische Diktator lieber auf seine Rote Armee! Die westlichen Verbündeten benötigen doch Nachschub in Italien. Im Jahr 1943 wird das II. polnische Korps offiziell gegründet und später über den Iran und Mittleren Osten nach Italien gebracht.

So kommt es, dass polnische Soldaten Seite an Seite mit Franzosen, Marokkanern, Algeriern, Tunesiern, Italienern, Indern, Nepalesen, Maoris, Neuseeländern, Kanadiern, Engländern, Südafrikanern, Amerikanern und zuletzt auch Brasilianern in den italienischen Bergen kämpfen.

Gegen Deutsche und Österreicher.

In Italien stören die Polen Stalin nicht. Die wiederum wissen, dass sie dankbare loyale Verbündete benötigen, wenn sie ihr polnisches Heimatland eines Tages wieder ihr Eigen nennen wollen. Briten, Franzosen und Amerikaner. An deren Seite gilt es nun, gegen den gemeinsamen Gegner zu kämpfen. Einen verhassten Feind, mit dem man noch eine Rechnung offen hat.

An der Frontlinie lösen sich wechselseitig deutsche und alliierte Artillerieduelle ab. Die Soldaten beider Seiten sind daran gewöhnt. Auch an die Opfer, welche die explosiven Liebesgaben der jeweils anderen Seite fordern. Man stumpft ab im Laufe der Zeit.

Am 11. Mai 1944 ebbt am Abend plötzlich das alliierte Geschützfeuer ab. Eine unwirkliche Stille liegt über den deutschen Befestigungen der Gustav-Linie. Unheilvoll drohend – da stimmt etwas nicht! Die deutschen Landser sehen sich an. Legen Handgranaten bereit, entsichern noch einmal ihre Waffen. Und ducken sich in ihre Unterstände. Diese unheimliche Ruhe ... vor dem Sturm?

Um 23.00 Uhr unterbricht BBC London seine laufende Sendung mit einem merkwürdigen Zeitzeichen.

Sekunden später donnert ein Stahlgewitter mit 1.600 Blitzen aus ebenso vielen Rohren los und erschüttert Italien von Acquafondata in den Bergen bis Minturno am Meer. 600 der Geschütze gehören zu Clarks 5. Armee, 1.000 Kanonen steuert Leeses 8. Armee bei. Dieses Trommelfeuer auf breiter Front ist in seinem Gesamtausmaß die gewaltigste Konzentration an Feuerkraft, die in Italien bisher aufgeboten worden war – wenn man von Punktzielen wie Cassino einmal absieht. Abertausende an Granaten zerfetzen die gesamte deutsche Frontlinie nach allen Regeln der militärischen „Kunst“.

Die Deutschen krallen sich in den Dreck, sind wie gelähmt – bis die Geschütze schweigen. Dann sind sie blitzartig hellwach – wie schon so oft. Jedenfalls die, die noch am Leben sind. „Saniiii!“ Verwundete werden geborgen. Die „Sanis“ (Sanitäter) tun, was sie können - wenn das noch geht. Gewehre werden durchgeladen, Verschlüsse klicken. Die Gurtführung am MG wird zurechtgelegt. Positionen einnehmen! Geschickt ist die Abwehr gestaffelt. Schatten tauchen auf, Helme, menschliche Konturen ...

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„Warten!“ „Noch nicht! Wartet!“ „Erst schießen, wenn ich es sage!“ „Nooooch nicht!“

„Jetzt! Feuer!“

Und wieder peitschen Maschinengewehrsalven flach über den Boden, fauchen Flammenwerfer, krepieren Handgranaten, Mörsergeschosse, schlagen Gewehrkugeln ein. Ertönen Schreie, Stöhnen, Hilferufe. Und Befehle! „Da hinten links – pass auf!“ „Nimm Du die da drüben!“ „Da sind auch welche – jetzt schieß doch!“ „Munition – ich brauche Munition!“ „Aufpassen!“ „Verdammte Scheiße! Neeeein!“

An der Küste rennen die Amerikaner des II. US-Korps gegen die deutschen Linien an und holen sich prompt schon wieder eine blutige Nase. Am Nachmittag endlich erzwingen die GI‘s leichte Bodengewinne – unter schweren Verlusten. Sie dringen in Santa Maria Infante ein. Einen Tag später fliegen sie wieder aus dem Ort hinaus. Der deutsche Gegenangriff nimmt ein komplettes US-Bataillon gefangen und erobert Santa Maria Infante zurück.

Weiter östlich in den Auruncischen Bergen stürmt das französische Expeditions-Korps los. General Alfonse Juin hatte diesen Abschnitt schon im Januar 1944 als sein Wunsch-Terrain betrachtet. Er war jedoch an seinem Vorgesetzten Clark gescheitert, der dieses schroff gebirgige Areal, in welchem weder nennenswerte Wege noch Ortschaften existieren, für unpassierbar gehalten hatte. Die Deutschen sehen das genauso und haben deshalb nur relativ schwache Sicherungskräfte an diesen Bereich verlegt. Die „Personaldecke“ erlaubt es einfach nicht, aus dem „Vollen“ zu schöpfen.

Das ist auf der alliierten Seite grundlegend anders. Juin hat inzwischen die 2. marokkanische Infanteriedivision, die 4. marokkanische Infanteriedivision, die 3. algerische Infanteriedivision und die

1. freifranzösische Division zur Verfügung. Und die vier Gruppen an Goumiers oder Goums, die sich wiederum in je drei „Tabors“ gliedern – in etwa so stark wie ein Bataillon. Zusammen sind dies 7.800 Goumiers, was in etwa die Stärke einer weiteren kleineren (oder abgekämpften) Division ergibt.

Die Goumiers sind Spezialisten, Kämpfer im afrikanischen Burnus-Mantel, die im marokkanischen Atlas-Gebirge zu Hause sind. Dieses ist mindestens so unpassierbar wie die Auruncischen Berge. Sie wissen sich in einem solchen Gelände zu helfen. Mit Maultieren und zur Not auf dem eigenen Rücken werden Waffen und Munition transportiert, die Hänge und Steilwände erklettert.

Die Goums erfreuen sich sehr viel mehr am lautlosen und virtuosen Gebrauch ihrer langen traditionellen Messer als am Nutzen moderner Feuerwaffen. Sie sind an diesem Frontabschnitt in ihrem Element – vor allem nachts.

Insgesamt stellt sich den (gemessen an der Zahl der Kämpfer letztlich) fast fünf französischen Divisionen in den Auruncischen Bergen nur eine einzige deutsche Division in den Weg – die 71. Infanteriedivision. Das kann – trotz des Geländevorteiles – auf Dauer nicht gut gehen. Um 03.00 Uhrmorgens haben die Kolonialfranzosen den Monte Faito erstürmt, um den Monte Girofano wird verbissen gerungen. Die Marokkaner benötigen zwei volle Tage, ihn den Deutschen zu entreißen. Am Nachmittag des 13. Mai 1944 fallen der Monte Feuci und der Monte Maio.

Berg für Berg arbeiten sich die französischen Gebirgstruppen voran – gefährlich weit voran. Rechter Hand liegt das Liri-Tal. Dorthin prescht die 1. freifranzösische Division vor, vom Ufer des Garigliano aus. Die Algerier und Marokkaner schützen nun ihre Flanke aus den Bergen, sodass die Franzosen von dort aus nicht mehr unter Feuer geraten können. Sant’Andrea del Garigliano fällt in Juins Hände, dann ebenso Sant´Ambrogio sul Garigliano. Sant’Appollinare folgt. Die Sache wird heikel.

Kesselring verlegt Truppen der 94. Infanteriedivision aus dem amerikanischen Frontabschnitt an der Küste in die gefährdeten Bereiche. Das schwächt die deutsche Verteidigung vor dem II. US-Korps nachhaltig und gibt den Amerikanern Auftrieb.

Inzwischen dringen die Algerier gegen Ausonia vor. Die Auruncischen Berge sind fast überwunden ...

Am Eingang des Liri-Tales selbst stürmen die Briten gegen die deutschen Stellungen am Rapido. Es sind die Männer von Leeses 8. Armee, die hier endlich den Übergang über den kleinen Fluss erzwingen sollen. Die Zeiten des Hochwassers sind vorbei. Der Rapido hat an Schrecken verloren!

Die Deutschen allerdings nicht. Sie wehren sich erbittert. Die Flut, die sie besiegen müssen, ist eher eine menschliche. Leeses XIII. Korps rennt gegen die deutschen Stellungen an. Die 4. Infanteriedivision der Engländer und die 8. indische Division schaffen es, unter blutigen Verlusten über den Fluss zu kommen. Ein wütender und routiniert geführter deutscher Gegenangriff wirft die Briten wieder ans andere Ufer zurück. Doch den Indern gelingt es, im Rekordtempo über Nacht eine Pontonbrücke zu bauen. Die Deutschen schaffen es dieses Mal nicht, sie rechtzeitig zu zerstören.

Nun rollen zum ersten Mal an diesem Frontabschnitt alliierte Panzer über den Rapido. Der Damm ist gebrochen. Endlich stellt sich den deutschen Gegenangriffen, die mit Panzern und Sturmgeschützen vorgetragen werden, eine prinzipiell ebenbürtige Waffe entgegen – die Sherman-Panzer amerikanischer Bauart der 1. kanadischen Panzerbrigade. Es werden Stunde um Stunde mehr.

Am 15. Mai 1944 wird die frische 78. britische Division aus der Reserve über den Rapido geworfen, um die böse gerupften englischen und indischen Truppen am Brückenkopf zu verstärken. Trotz zunehmend hoffnungsloserer Unterlegenheit rennen die Deutschen unablässig gegen die Flussübergänge an, um sie einzudrücken. Mit dem Auftauchen einer ganzen Reservedivision wird dieser Versuch chancenlos. Die Deutschen haben solche Reserven nicht, kein einziges Bataillon. Es sei denn, sie schwächen die 14. Armee bei Ánzio. Das ist es, was Kesselring tut. Er hat keine andere Wahl.

Weiter im Norden liegt der berüchtigtste Frontabschnitt Italiens: der Monte Cassino ...

Die beiden Divisionen des polnischen Korps stehen im Norden der Abtei und der deutschen Befestigungen. Um 01.00 Uhr morgens in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai 1944 treten die Polen nach dem einleitenden Feuerorkan der Artillerie zum Angriff an. Die 5. Wilna-Brigade rennt gegen den Colle Sant’Angelo an (in der Karte auf Seite 363 als Höhe 601 gekennzeichnet). Die polnischen Soldaten sind versessen darauf, die militärische Ehre ihrer Nation wiederherzustellen. Ganz Exil-Polen blickt mit Spannung auf sie. Sie dürfen nicht versagen.

In dichten Menschentrauben keuchen die Männer den Hang hinauf. Wenig später besteht die Höhenflanke nur noch aus grellen Blitzen, umherfetzenden Erdbrocken, Querschlägern aus Steintrümmern, berstenden Explosionen und glühenden Metallteilen. Alles Mögliche fliegt im konzentrierten deutschen Artilleriefeuer umher, Gewehre, Helme, Körper. Die Polen sterben zu Hunderten.

Sie dürfen nicht versagen! Selbst wenn sie „ehrenvoll fallen“ sollten, selbst tot retten sie ihre Reputation und ermöglichen die Freiheit ihrer Heimat! Sofern sie unbeugsam tapfer waren, ein leuchtendes Vorbild! Das ist ihre Überzeugung. Die Männer, die auf sie schießen, haben dieselbe Einstellung.

Am Abend schleppen sich die überlebenden polnischen Soldaten zurück in ihre Ausgangsstellungen.

Die 15. Karpatenjäger rennen gegen die deutschen Fallschirmjäger auf der Höhe 593 an (siehe die genannte Karte). Die Fallschirmjäger mähen sie nieder – der Angriff bricht blutig im deutschen Feuerhagel zusammen. Das Massensterben am heiligen Berg will kein Ende nehmen.

Ein einziges Bataillon – es ist das II. – der Karpatenjäger schafft es schließlich, den blutgetränkten Calvarienberg zu erobern. Die Deutschen versuchen sofort, den wichtigen Höhenrücken den Polen wieder zu entreißen. Und werden unter ebenso blutigen, horrenden Verlusten abgewehrt.

12. Mai 1944. Die deutschen Fallschirmjäger geben es nicht auf. Gegen Mittag sind auf dem Calvarienberg noch ein einziger polnischer Offizier und sieben Mann am Leben. Sie kämpfen bis zum Umfallen – so oder so. Bis ein starker deutscher Stoßtrupp unter Oberfeldwebel Schmidt auch ihren Widerstand bricht. Der Calvarienberg ist wieder in deutscher Hand. Er macht seinem Namen „Schädelstätte“ inzwischen alle Ehre!

Ein deutscher Obergefreiter, Egon Schmid aus Stuttgart, Angehöriger der 305. Infanteriedivision und einer der wenigen Überlebenden der Schlacht von Stalingrad, die aus dieser Hölle noch herauskommen konnten, macht sich um die letzten zivilen Insassen des Klosters verdient. Einige Nonnen hatten sich bisher geweigert, diverse schwer verletzte oder kranke Ordensschwestern und Mönche im Stich zu lassen, welche nicht gehfähig sind. Der Deutsche hält es für unverantwortlich, die Nonnen und Mönche dem alliierten Artilleriefeuer und Bombenhagel auszusetzen. Egon Schmid organisiert in der Nacht des 12. Mai 1944 gegen 01.00 Uhr zusammen mit italienischen Zivilisten einen klapprigen Pferdewagen und bringt die Nonnen dazu, ihre siechenden Schützlinge auf den Karren zu verladen und mit Hilfe der italienischen Landsleute über die gefährlichen Saumpfade zu evakuieren.

Am 13. und 14. Mai 1944 stürmen die Polen erneut gegen die „Schädelstätte“. Sie schießen mit Nebelgranaten, was dazu führt, dass die Deutschen Gasmasken aufsetzen müssen. Dennoch kommen die Polen nicht durch – und erleiden wieder entsetzliche Verluste. Auch die Deutschen werden bitter dezimiert. Sie schlafen nicht, seit drei Tagen und Nächten schon wird ununterbrochen gekämpft. Das Wasser wird knapp, und wenn die Fallschirmjäger ihre Gasmasken endlich abnehmen können, ist der Leichengeruch fast nicht mehr auszuhalten. Es ist eine Apokalypse.

Es hört nicht auf. Lieutenant General Wladyslaw Anders wirft am 17. Mai 1944 seine Kresowa-Division gegen den Colle Sant’Angelo (Höhe 601). Die Polen kommen schließlich unter fürchterlichen Verlusten auf den Hang, werfen die Deutschen endlich aus ihren Positionen. Wenig später treiben die deutschen Fallschirmjäger sie in erbitterten Gegenangriffen wieder ins Tal zurück. Eine letzte, improvisierte Reserve der polnischen Division wird eingesetzt. Sie verblutet im deutschen Maschinengewehrfeuer.

Inzwischen rennen die Karpatenjäger der Polen erneut gegen den Calvarienberg an, nun von der 2. polnischen Panzerbrigade unterstützt. Sie scheitern. Die Verluste beider Seiten sind unvorstellbar.

Doch die deutschen Fallschirmjäger halten ihre Stellungen. Wer oder was auch immer sie daran zu hindern versucht, wird abgewiesen und zurückgeschlagen. Wieder und wieder und wieder ...

Die 1. Kompanie des I. Bataillons/3. Fallschirmjägerregiment besteht noch aus einem Offizier, einem Unteroffizier und einem einfachen Fallschirmjäger. Eine normale Kompanie besitzt zwischen 60 und 250 Mann je nach Waffengattung, in Friedensstärke im Durchschnitt ungefähr 160 Soldaten. Etwa 90 Mann dürften im Jahr 1944 eine voll einsatzbereite Kompanie darstellen.

Aber drei ...?

Die Gustav-Linie südlich von Cassino wankt. Die Briten und Kanadier erweitern unablässig ihre Brückenköpfe über den Rapido und stoßen weiter und weiter ins Liri-Tal vor. Am 17. Mai 1944 erreichen sie nach erbitterten Kämpfen die Staatstraße Via Casilina bei Piumarola. Der Ort liegt genau fünf Kilometer südlich von Villa Santa Lucia im Tal. Die Positionen der offenbar unbezwingbaren 1. Fallschirmjägerdivision am Klosterberg sind nun von der Umzingelung bedroht! Die 15. Panzergrenadierdivision der Deutschen im Tal ist auf verzweifelt kämpfende Reste zusammengeschmolzen.

Weiter südlich in den Auruncischen Bergen haben die zahlenmäßig fünffach überlegenen Franzosen die 71. deutsche Infanteriedivision nach aufopfernden deutschen Abwehrkämpfen inzwischen fast restlos vernichtet. Die Truppen General Juins erreichen die Straße von Itri nach Pico am 18. Mai 1944. Jetzt sind es die Franzosen, die den Ausschlag geben. Sie stehen – von der südlichen Talseite her vorrückend – fast im Rücken der 15. Panzergrenadierdivision. Die Front im Liri-Tal ist nicht mehr zu halten. Die Franzosen dürfen stolz darauf sein, der Gustav-Linie endlich den Todesstoß zu verpassen.

Allerdings werden sich die Marokkaner schon sehr bald einen wenig rühmlichen Ruf erwerben.

Angeblich soll General Juin ihnen zur Belohnung für einen Durchbruch durch die deutschen Linien freie Hand gewährt haben in Bezug auf alles, was sie dann vorfinden. Für 48 Stunden werde sie niemand bestrafen, was auch immer sie anstellen oder tun würden ...

Die Marokkaner lassen sich dies nicht zweimal sagen. Die Exzesse sind fürchterlich. In der Gegend des Landstriches Ciociaria schwärmen die afrikanischen Haufen marodierend durch die italienischen Dörfer und nehmen alles mit brutaler Gewalt an sich, was irgend einen Wert besitzt.

Und nicht nur Sachwert!

Über 2.000 Italienerinnen jeden Alters, Kinder von elf Jahren bis zu alten Frauen und erst recht alle Mädchen im gebärfähigen Alter werden erbarmungslos vergewaltigt, reihenweise. Zwei Schwestern im Alter von 15 und 18 Jahren werden so oft nacheinander geschändet, dass eine von ihnen stirbt und die andere dauerhaft wahnsinnig wird. Alleine in Esperia müssen etwa 700 Italienerinnen diese zutiefst demütigende Erniedrigung ertragen, einige überleben sie nicht. Diejenigen italienischen Männer, die verzweifelt ihre Frauen und Kinder zu beschützen versuchen, werden gnadenlos ermordet, teilweise gefoltert. Mindestens 800 fallen den Soldaten im Namen Frankreichs zum Opfer.

So hatten sich die Italiener die „Befreiung“ von den Deutschen nicht vorgestellt. Selbst der Papst schaltet sich ein und bittet die alliierten Befehlshaber auf diplomatischem Wege inständig darum, die Marokkaner unter allen Umständen von einem möglicherweise bald befreiten Rom fern zu halten ...

Offensichtlich heiligt der Zweck, Soldaten zu Höchstleistungen zu motivieren, alle Mittel. Es soll nicht verschwiegen werden, dass es in Italien auch auf deutscher Seite zu Übergriffen kommt, allerdings völlig anderer Natur. Die deutschen Soldaten fallen nicht hemmungslos über Italienerinnen her, dafür werden diszipliniert als Strafaktion gegen Partisanenüberfälle Exempel statuiert. Diese Exekutionen haben einen konkreten Anlass und einen nüchtern-kalkulierten Sinn: Abschreckung. Erreicht wird das Ziel nicht. Eine Rechtfertigung für den Mord an Wehrlosen ist eine solche Absicht ebenfalls nicht.

Die Marokkaner haben die deutsche Front in den Auruncischen Bergen am 18. Mai 1944 zerbrochen. An der Küste kommen nach der Verlegung eines Teils der dortigen Verteidiger in den französischen Abschnitt endlich auch die Amerikaner voran. Die Deutschen wehren sich in Formia mit letzter Kraft. Doch am 17. Mai 1944 fällt die Küstenstadt. Bald darauf stehen die Amerikaner in Itri. Die 94. deutsche Infanteriedivision besteht bis auf klägliche Reste nur noch auf dem Papier.

Der amerikanische Vorstoß an der Küste entlang zum Landekopf bei Ánzio und Nettuno ist nun kaum mehr aufzuhalten. Der letzte Engpass vor den Pontinischen Sümpfen liegt bei der Stadt Terracina. Die Deutschen haben keine andere Wahl mehr, als sich kämpfend zu dieser Auffanglinie zurückzuziehen.

Die Deutschen? Nicht alle! Es gibt eine drastisch zusammengeschrumpfte Restdivision, deren Männer sich standhaft weigern, dem nun per Melder übermittelten Absetzbefehl Folge zu leisten. Lieber sterben sie, als den Ort zu verlassen, an dem so viele ihrer Kameraden ihr Leben gelassen hatten.

Es ist die 1. deutsche Fallschirmjägerdivision in den Ruinen um Cassino.

Generalfeldmarschall Albert Kesselring muss sich höchstpersönlich einschalten und den Befehl selber erteilen, bis die nun gefährlich von der Einschließung bedrohten Männer gehorchen. Männer, über welche der damalige britische General und spätere Field Marshall Sir Harold Alexander sagt:

„Keine andere Truppe irgendwo in der Welt als deutsche Fallschirmjäger hätte so eine Zerreißprobe aushalten und dann mit einer derartig grimmigen Entschlossenheit weiterkämpfen können!“

Als die letzten 200 deutschen Fallschirmjäger in der Nacht zum 18. Mai 1944 ihre Stellungen in und um die zerschossenen, zerbombten Klostermauern verlassen, haben viele Tränen in den Augen.

Am Morgen des 18. Mai 1944 stürmt ein Stoßtrupp des 12. polnischen Podolski-Ulanenregimentes die Abtei. Die Polen finden nur noch einige deutsche Sanitäter und Schwerverwundete in den Trümmern. Schweigend hissen sie die Fahne der polnischen Republik. 4.000 Verluste hatte dieser ergreifende Moment das II. polnische Korps gekostet. Die meisten der Männer sind gefallen, der kleinere Teil ist verwundet.

Doch die polnische Nation ist stolz auf sie. Dafür hat sich ihr Opfer „gelohnt“ – aus damaliger Sicht.

Die vierte Schlacht um den Monte Cassino ist geschlagen. Die verfluchten Fallschirmjäger sind weg.

Besiegt wurden sie nicht. Der Durchbruch durch die Gustav-Linie war endlich erzwungen worden.

Aber nicht am Monte Cassino ...

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