Ruhm und Rom

Major General Lucian K. Truscott hat inzwischen ganze sieben Divisionen im Brückenkopf um Ánzio und Nettuno versammelt. Eine gigantische Streitmacht! Sein Gegenspieler General Eberhard von Mackensen dagegen hatte das Gros seiner gepanzerten Verbände in das Liri-Tal an die Brennpunkte am Rapido schicken müssen. Von dort aus ziehen sich die Deutschen auf die „Hitler-Linie“ zurück.

Der Name ändert sich schnell in „Senger-Linie“, das minimiert den psychologischen Schaden eines möglichen alliierten Durchbruches durch die halbfertige, hastig improvisierte Auffangstellung.

Die Senger-Linie verläuft von Terracina am Meer über die Ausonischen Berge und letzten Ausläufer der Auruncischen Berge nach Pico am Südrand des Liri-Tales, dann via Pontecorvo nach Piedimonte San Germano zum nördlichen Hang des Liri-Tales und schließlich über die Berge hinter Cassino nach Terelle. Von hier aus hat sich bis zur Adria an der ehemaligen Gustav-Linie wenig verändert.

Ein sofortiger Durchbruchsversuch der britischen 8. Armee kann von den Resten der 10. deutschen Armee unter Generaloberst Heinrich Gottfried von Vietinghoff erst einmal vereitelt werden. Kesselring lässt jetzt die nördlich von Rom zur Abwehr der fingierten weiteren Seelandung bereit stehende 26. Panzerdivision heranführen. Sie ist viel zu spät auf dem Weg ins Krisengebiet.

Denn nun schlägt die Stunde Truscotts. General Sir Harold Alexander sieht die einmalige Chance, der deutschen 10. Armee jetzt den Todesstoß zu verpassen – und sie einzukesseln. Während die 5. Armee unter Lieutenant General Mark Wayne Clark und die 8. Armee unter Lieutenant General Oliver Leese durch die Senger-Linie stoßen und die Deutschen im Liri-Tal vor sich hertreiben sollen, hat Truscott die Aufgabe, aus dem Brückenkopf auszubrechen und in Richtung Valmontone vorzustoßen.

Hat das VI. US-Korps erst einmal das Liri-Tal im Rücken der Deutschen erreicht, so ist von Vietinghoffs kompletter Armee der Rückzug abgeschnitten! Alexander bezweifelt, dass die um fast alle gepanzerten Verbände entblößte 14. Armee von Mackensens diesen Vorstoß von sieben Divisionen aus dem Brückenkopf heraus gefährden oder die Einschließung der 10. Armee würde verhindern können.

Truscotts VI. US-Korps untersteht wie alle alliierten Verbände Italiens selbstverständlich dem Oberbefehlshaber dieser Region, dem Briten General Sir Harold Alexander. Gleichwohl ist es ein amerikanisches Korps und daher zunächst dem Chef der 5. US-Armee unterstellt, dem Amerikaner Lieutenant General Mark Wayne Clark. Der wiederum hat Alexander zu gehorchen.

Das tut er auch – ein wenig. Clark ist misstrauisch, und ehrgeizig ist er auch. Den Briten traut er nicht über den Weg. Okay, der Plan ist militärisch einleuchtend und verlockend. Aber was passiert denn, wenn er ihn ausführt so, wie Alexander sich das vorstellt? Vielleicht darf er, Clark, dann die Dreckarbeit machen, sich mit den von ihm eingeschlossenen Deutschen herumschlagen, während die britische 8. Armee an ihm vorbeimarschiert und mit Glanz und Gloria pompös in Rom einmarschiert.

Das könnte Alexander und seinem Premierminister so passen! Nein, den Löwenanteil an der Befreiung Roms ordnet Clark seiner 5. US-Armee zu, die schließlich drei der vier Schlachten um den Monte Cassino ohne Leeses Schützenhilfe gefochten hatte. Einschließlich der Landung bei Ánzio.

Also will er, Lieutenant General Mark Wayne Clark, auch den Ruhm ernten dafür, als Erster in Rom einzumarschieren. Dass unter dem Dach seiner 5. US-Armee die US-GI’s eher die Minderheit stellen und Soldaten aus aller Herren Länder kämpfen, auch Briten, stört den Amerikaner dabei nicht.

Außerdem – die Deutschen haben sich bisher nicht gerade ungeschickt angestellt! Glaubt Alexander wirklich, die könnten nicht über Bergstraßen weiter nördlich entkommen, auch wenn Truscotts VI. US-Korps ihnen den direkten Rückweg durch das Liri-Tal versperrt? Wie dem auch sei, jedenfalls stehen die sieben Divisionen bei Ánzio so nah vor Rom, dass Clark sich der Faszination der lockenden Unsterblichkeit seines Rufes nicht entziehen kann!

Pro Forma gehorcht er, natürlich. Am 23. Mai 1944 um 05.30 Uhr eröffnen 500 alliierte Feldgeschütze aus dem Landekopf das Trommelfeuer auf die deutschen Stellungen. Dann nehmen sich 60 Bomber die Stadt Cisterna vor. Der Rauch hat sich noch nicht verzogen, als volle vier Divisionen zum Angriff auf die deutsche Verteidigung dieser einen kleinen Stadt antreten.

Cisterna fällt am Abend nach hartem Kampf. Sofort setzt Truscott befehlsgemäß seine Kräfte in Richtung auf Valmontone in Marsch – fünf seiner sieben Divisionen stoßen vor (drei amerikanische und zwei britische). Im anderen Frontabschnitt bei Cassino bricht am Folgetag die 5. kanadische Panzerdivision durch eine Bresche in der Senger-Linie, die von der 1. kanadischen Infanteriedivision erkämpft worden war. Der deutsche Rückzug wird unvermeidlich. Es läuft alles nach Alexanders Plan.

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Bis sich Lieutenant General Mark Wayne Clark einmischt und Truscott befiehlt, den Löwenanteil seiner Einheiten direkt in Richtung auf Rom zu dirigieren. Truscott ist entsetzt, Alexander nicht minder, und Winston Churchill – lassen wir das ...

Tatsächlich ist das Misstrauen Clarks unbegründet. Für den Einmarsch in Rom hat Alexander zu keiner Zeit die 8. britischen Armee auserkoren. Es mag sein, dass Clarks Unterstellungen daher rühren, dass er noch Montgomery an der Spitze der 8. Armee erlebt hat. Dem wäre es zuzutrauen ...

Alexander kann Clarks Anordnungen nicht schnell genug revidieren. Die sieben Divisionen der 10. deutschen Armee entkommen routiniert und mit all ihrer militärischen Erfahrung. Gleichzeitig finden die Männer der 36. US-Division eine Lücke in der letzten deutschen Stellung der 14. Armee vor Rom. Zwei volle US-Regimenter marschieren mucksmäuschenstill bei Nacht durch den dünn gesicherten Abschnitt. Kein Laut ist zu hören, nicht einmal eine Feldflasche klappert. Treffen sie auf Posten, werden die Deutschen geräuschlos erdolcht oder mit der Drahtschlinge erdrosselt.

Am nächsten Morgen sind 8.000 US-GI‘s hinter den deutschen Linien vor Rom. Einige Tage lang leisten die Männer des deutschen Generals von Mackensen noch hinhaltenden Widerstand. Doch die Absetzbewegung ist bereits in vollem Gange. Die Reste beider deutscher Armeen ziehen sich an Rom vorbei zurück auf die Trasimeno-Linie. Die Deutschen erklären Rom zur „offenen Stadt“ und bewahren die ehrwürdige Metropole dadurch bewusst vor der Zerstörung.

Lediglich Nachhuteinheiten, die den alliierten Vormarsch verlangsamen sollen, stehen dem Triumphzug Mark Wayne Clarks nun noch im Weg. Am 4. Juni 1944 bemühen sich die Amerikaner, einige deutsche Geschütze auf Selbstfahrlafette auszuschalten, die immer noch die Zugänge nach Rom blockieren. Brigadier General Robert Frederick versucht, diese Aufgabe mit so wenig Verlusten wie möglich zu erledigen, als Major General Geoffrey Keyes mit einem Jeep heranfährt und den Chef der 1st Special Service Force danach fragt, warum es hier nicht weiter gehe?

Frederick erklärt es ihm. Wie lange er noch brauche, bis die Zufahrtsstraßen freigekämpft seien, fragt ihn Keyes. „Den Rest des Tages“, erhält er zur Antwort.

Keyes protestiert. Das gehe nicht, denn Lieutenant General Mark Wayne Clark müsse um 16.00 Uhr in der Stadt sein!

„Wieso das denn?“ Frederick ist verblüfft.

„Weil er photographiert werden muss!“ erhält der erstaunte Truppenführer zur Antwort.

Brigadier General Robert Frederick sorgt dafür, dass seine Männer nur noch eine Stunde benötigen, um den deutschen Nachhut-Widerstand zu brechen. Es ist nicht bekannt, wie viele von ihnen bei dem kurzen Prozess elend umkommen.

Wenig später steht Lieutenant General Mark Wayne Clark in Rom im ersehnten Blitzlicht-Gewitter.

Die vier Schlachten um den Monte Cassino hatten die Alliierten 54.000 Mann an Verlusten gekostet, Tote und Verwundete, Verstümmelte. Die Deutschen verlieren 20.000 Soldaten.

Und es ist noch lange nicht vorbei!

Nach dem Fall Roms machen sich langsam, dann zunehmend stärker Erschöpfungs-Erscheinungen unter den alliierten Soldaten bemerkbar. Spätestens nach der alliierten Invasion in der Normandie und dem Ausbruch aus dem französischen Brückenkopf, dann nach der alliierten Landung in Südfrankreich fragt sich manch einer von ihnen, ob es sich wirklich noch lohnt, sich für irgendeinen verfluchten italienischen Steinhaufen von den Deutschen massakrieren zu lassen.

Desertionen häufen sich, zumal sie nicht – wie auf der deutschen Seite – mit der Todesstrafe geahndet werden. Eine frische, aus Farbigen bestehende US-Division wird in den Kampf geworfen. Die Männer werden von ihren ausnahmslos weißen Offizieren derartig abfällig geführt, dass sie das Gefühl haben, absichtlich in Himmelfahrtskommandos verheizt zu werden.

Als die 92. US-Division dann im Dezember 1944 einem scharfen deutschen Gegenstoß ausgesetzt ist, fliehen die Männer zu Hunderten. Erst acht Kilometer weiter hinten bringen die Inder der 8. Division die Deutschen zum Stehen. Dabei gibt es einzelne farbige Soldaten, die wiederum heroische Glanzleistungen vollbringen.

Ab Juli 1944 befindet sich eine 25.000 Mann starke brasilianische Expeditionsstreitmacht in Italien im Einsatz gegen die Deutschen. Auch die Lateinamerikaner zeichnen sich dabei nicht gerade als besonders draufgängerisch aus. Sie beschränken sich im Wesentlichen darauf, den zurückweichenden Deutschen hinterher zu marschieren.

Andererseits kämpfen andere Truppenteile aufopfernd bis zuletzt. Als Beispiel seien erneut die 8.400 US-GI‘s japanischer Herkunft erwähnt, die eine Elitekampftruppe ausmachen. Ihre Loyalität den Vereinigten Staaten gegenüber war nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor in Zweifel gezogen worden, viele ihrer Familien sind interniert. Das ist beschämend und verletzt den Stolz der Asiaten. Sie wissen, wofür sie ihr Leben riskieren. Für ihre Reputation. Es ist das höchst-dekorierte Infanterieregiment der US-Army. Auch die 10. US-Gebirgsjägerdivision kann an dieser Stelle genannt werden.

Den Deutschen dagegen muss niemand erklären, wofür sie kämpfen. Sie stehen mit dem Rücken an der Wand – die Heimat kommt näher und näher ans feindliche Geschützfeuer. Wer Urlaub bekommt, kann zu Hause in den Ruinen der größeren Städte anschaulich erleben, welche radikalen Zerstörungen die Engländer und Amerikaner mit ihrem Bombenkrieg verursachen. Von den Russen ist erst recht keine Schonung zu erwarten. Nein, für die deutschen Soldaten gibt es scheinbar nur eines:

Ihr Sieg, hoffentlich, vielleicht mit den Wunderwaffen, von deren rasanter Entwicklung man hört. Oder offensichtlich die völlige Vernichtung all dessen, was einem lieb und teuer ist. Die Trümmerwüsten zu Hause sprechen eine deutliche Sprache. Die deutsche Propagandamaschinerie sorgt zudem dafür, dass weitere Möglichkeiten als „Sieg oder Untergang“ in den Köpfen der Soldaten kaum denkbar sind.

Daher wehren sie sich erbittert. Schrittweise zieht Generalfeldmarschall Albert Kesselring seine abgekämpften Divisionen auf eine Auffangstellung nach der anderen zurück, lässt nach bekanntem „Strickmuster“ Straßen, Brücken und Tunnels zerstören und erschwert den hartnäckig nachsetzenden Amerikanern und Briten geschickt den Vormarsch. Der infame Einfallsreichtum der deutschen Pioniere in Bezug auf Sprengfallen und Minen ist kaum mehr zu überbieten. Schokolade, ein Verbandspäckchen, ein Bleistift, das Klosett, selbst ein Gefallener wird zur Falle. Diese fiesen Opfer zermürben Alexanders Männer nachhaltig.

Zuerst stoppt Kesselring seine Gegner an der Viterbo-Linie, dann hält er sie eine Zeitlang an der Trasimeno-Stellung auf. An jeder Abwehrlinie versucht der deutsche Fuchs, Zeit zu schinden, um eine weitere schwer befestigte Abwehrstellung fertig ausbauen lassen zu können, die ähnlich wie die Gustav-Linie am Monte Cassino die Alliierten über längere Zeit zum Stehen bringen soll und kann. Die Goten-Stellung in den steilen, zerklüfteten Bergen am Rande der norditalienischen Tiefebene.

Wird sie erst im Herbst von den alliierten Truppen erreicht, so arbeitet das Wetter erneut für die Deutschen. Am 8. August 1944 erhält Kesselring vier Divisionen Verstärkung aus der Ostfront. Dort fehlen sie geradezu fatal, doch der Generalfeldmarschall braucht jeden einzelnen dieser Männer in Italien ebenso dringend wie seine Kommandeurskollegen im verzweifelten Ringen mit der Roten Armee.

Am 1. September 1944 trifft die 5. US-Armee schließlich 24 Kilometer nördlich von Florenz auf die Verteidigungsanlagen der Goten-Linie. Die 5. US-Armee zählt zu diesem Zeitpunkt 262.000 Mann.

Fast hätten Clarks Soldaten es geschafft, die schwer befestigte Stellung an einem Nebenpass zu durchbrechen. Der Pass wird genommen, um den Preis von 2.731 Gefallenen und Verwundeten, die deutschen Stellungen dahinter aber halten. Am 22. Oktober 1944 sind die Amerikaner noch 16 Kilometer von der Po-Ebene und Bologna entfernt. Erreichen sie dieses geradezu perfekte Panzergelände, dann sind die Deutschen verloren. Dann sind ihre Verbände, mögen sie sich auch abzusetzen versuchen, schneller umzingelt und eingekreist, als sie fahren oder gar laufen können. Und sie sind der alliierten Luftwaffe in dem flachen Gelände rettungslos ausgeliefert. Nur noch 16 Kilometer ...!

Es sind 16 Kilometer zu viel. Und es regnet wieder in Strömen. Die altgedienten Haudegen der 34. US-Division, die so viel hatten durchmachen müssen und alles tapfer ertragen hatten – von Nordafrika über die Tragödie am Rapido bei Cassino bis hierher –, erklären in zunehmender Zahl, sie hätten jetzt genug und wollten nach Hause ...

Die britische 8. Armee quält sich inzwischen wieder an der Adriaküste entlang und überquert einen Fluss nach dem anderen. Sie durchstößt die Goten-Linie und erobert Rimini. Kesselring zieht Truppenteile aus der Frontmitte ab, um den britischen Durchbruch zu vereiteln. Er schafft es. Nach sieben Wasserläufen, allesamt mit hohen Deichen, die zunehmend zum Alptraum werden, ist es vorbei.

Weiter kommen Leeses Soldaten vorerst nicht. Sie können einfach nicht mehr.

An der Front tritt vorerst eine leidliche Ruhe ein. Doch den ganzen Winter über setzen die etwa 50.000 gut bewaffneten irregulären „Banden“-Kämpfer der italienischen Partisanenverbände in den Bergen den deutschen Soldaten übel zu. Die Deutschen üben Vergeltung, um diese Dauerabnützung aus dem Hinterhalt zu unterbinden und den Partisanen den Rückhalt in den Dörfern zu nehmen. Exempel werden statuiert – an Zivilisten. Es nützt nichts – eher im Gegenteil ...

So kommen die deutschen Landser auch im Winter nie zur Ruhe – bis zur letzten Offensive der Alliierten im April 1945. Die Deutschen bauen zum Schutze ihrer Nachschubwege nun raffinierte Brücken zehn Zentimeter unter der Wasserlinie – für die alliierten Jagdbomber sind diese Übergänge aus der Luft unsichtbar. Oder Pontonbrücken, die nachts ausgefahren und vor Anbruch des Tages wieder demontiert werden können. Am 14. April 1945 bricht der Sturm los. Mit 175.000 Splitterbomben, ganzen Trauben von Jagdbombern und 2.000.000 (2 Millionen!) Granaten aus 1.000 Geschützen. Am 20. April 1945 dringen die alliierten Panzer nach heftigem Kampf endlich auf die norditalienische Tiefebene vor.

Es ist vorbei. Überall erheben sich nun die italienischen Partisanen in Massen. Sie blockieren Gleisanlagen, Verkehrsknotenpunkte, überwältigen örtliche deutsche Garnisonen. Genua, Mailand und Turin sind nach teilweise regelrechten Straßenschlachten in der Hand der Freischärlerverbände, noch bevor die alliierten Truppen diese Städte erreichen.

Der deutsche Rückzug wird zum Spießrutenlauf – bis zur Kapitulation. Von Vietinghoff bittet am 29. April 1945 die Alliierten um einen Waffenstillstand.

Seine Truppen hatten jahrelang aufopfernd und tapfer gekämpft, einer erdrückenden Übermacht mit Bravour die Stirn geboten. Doch nun rollen sowjetische Panzer in Berlin, die Amerikaner und Briten haben einen Großteil Deutschlands erobert, Titos jugoslawische Partisanen haben den Balkan weitgehend unter Kontrolle.

Es ist vorbei. Jedes weitere Opfer ist sinnlos geworden.

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