Dienstag, 21. November 1944
Erneut begleiten 814 P-51 „Mustang“-Jäger und 140 P-47 „Thunderbolts“ einen riesigen Bomberstrom nach Deutschland, und wieder sind unter anderem die Hydrierwerke der Firma Merseburg GmbH in Leuna das Ziel. 925 Boeing B-17 „Fortress“ und 366 B-24 „Liberator“ dröhnen todbeladen heran. Das Wetter ist miserabel, es regnet, dunkle Wolken bedecken den Himmel. Auch die mittleren und tiefen Schichten weisen eine dichte Wolkendecke auf. Nur in Bodenhöhe beträgt die Sicht mehr als fünf Kilometer.
Die Amerikaner werden von etwa 400 deutschen Abfangpiloten erwartet. Doch der Einsatzbefehl für die Männer, welche teilweise bereits in Sitzbereitschaft auf den Start warten, kommt nicht. Das Generalkommando des I. Jagdkorps zögert, die vielen noch unerfahrenen, im Blindflug nur ungenügend oder gar nicht ausgebildeten jungen Flugzeugführer in einen Einsatz bei solchen Wetterverhältnissen zu schicken. Für die blutjungen Neulinge der 8./JG 300, des aufgefrischten JG 301 und der I./JG 1 ist dies – abgesehen von einigen zugeteilten erfahreneren Piloten – der allererste Kampfeinsatz! Ideale Bedingungen, für wahr! Die deutsche Luftwaffe kann es sich absolut nicht leisten, ihre Jägerpiloten auch noch durch Flugunfälle in Schlechtwettereinsätzen zu verlieren. Vielleicht brechen die Amerikaner ihren Einsatz ab? Ohne Bodensicht sind präzise Bombenwürfe unmöglich! Andererseits hat die Entwicklung der Radargeräte für den Nachteinsatz Geländestruktur-Erkennungsgeräte hervorgebracht, die längst auch von den amerikanischen Führungsmaschinen benutzt werden. Das macht die Navigation selbst durch eine geschlossene Wolkendecke hindurch möglich. Werden sich die Amerikaner auf diese Technik verlassen? Oder kehren sie um? Doch die Amerikaner denken nicht daran! Ihre Piloten sind im Blindflug ausgebildet – auch die der Jäger! Unbeirrt fliegt die Bomberarmada weiter. Nun endlich erhalten die deutschen Jagdstaffeln den Befehl zum Start. Viel zu spät für einen koordinierten Abwehreinsatz. Mit dem Effekt, dass die amerikanischen Begleitjäger fast jede deutsche Angriffsgruppe einzeln in Empfang nehmen können – mit dem vollen Vorteil ihrer gesamten Übermacht.
Die ersten deutschen Einheiten, welche den Angriff einleiten, sind die drei Gruppen des JG 301, deren Focke-Wulf 190 A-9 auf die Mustangs der 352nd und 359th US Fighter Group stoßen. Die Begegnung kommt so überraschend, dass die Deutschen „kaum noch dazu kommen, ihre Zusatztanks abzuwerfen“. Zumindest ist das die berichtete Version. Der ungleiche Kampf in den Gewitterwolken ist schnell vorbei. Feldwebel Böwer aus der 1. Staffel versucht, in seiner angeschossenen Focke-Wulf 190 den Platz der III./JG 301 zu erreichen. Er ist verwundet und wird von den Mustangs gejagt, dennoch gelingt ihm auf dem Flugplatz Stendal eine Notlandung. Der Kapitän der 7. Staffel, Oberleutnant Kretschmer, hat weniger Glück. Er wird von mehreren Mustang verfolgt und beim Landeanflug auf Wenigenlupnitz östlich von Eisenach schließlich doch noch von den Mustangs abgeschossen. Das JG 301 zählt zehn gefallene, zwei vermisste und sieben verwundete Piloten.
Das Jagdgeschwader 300 startet mit etwa 170 Jagdflugzeugen aller vier Gruppen von den Flugplätzen Borkheide, Löbnitz, Jüterbog und Reinsdorf zwischen 10.30 Uhr und 10.55 Uhr.
Die II. Gruppe mit ihren Focke-Wulf 190 A-8-Sturmjägern gelangt nicht bis in Kampfnähe an die Feindverbände heran und muss – allmählich knapp an Treibstoff – unverrichteter Dinge wieder landen.
Die III. Gruppe fliegt die schnellen Me 109 der Versionen G-14/ AS und G-10. In einer Flughöhe zwischen 7.800 und 9.300 Metern nordöstlich von Hannover stoßen die Messerschmitt-Piloten auf etwa zwanzig P-51 „Mustang“-Begleitjäger. Ausnahmsweise einmal sind die Deutschen in der Überzahl, was ihren Gegnern einen gehörigen Schreck einjagt. Es kommt zum Kampf, bevor die verwirrten Amerikaner es vermeiden können. Einen Luftkampf in zahlenmäßigem Nachteil sind sie nicht gewohnt. Fähnrich Klaus Grothues und Leutnant Lutz-Gottfried Hengst schießen je eine Mustang vom Himmel, beide gehören zur 9. Staffel. Der Rest der US-Piloten sucht ziemlich schnell sein Heil in der Flucht, eine Wolkenwand nimmt die Bomber-Eskorte in Schutz.
Daraufhin suchen die Deutschen ihre Hauptgegner – die verhassten zerstörerischen Bombenflugzeuge. Zumindest die 12. Staffel muss auf einen Bomberpulk getroffen sein, denn Gefreiter Rudolf Müller kann den Abschuss einer B-17 zwanzig Minuten später 60 Kilometer südlich von Hannover vermelden. Sein Staffelkamerad Unteroffizier Otto Lickert gerät derweil über Burgdorf in die Zwickmühle. Seine Me 109 G-14/AS verliert zunehmend an Öldruck. Die Leistung des Motors nimmt ab, nur mühsam kann Lickert den übrigen drei Flugzeugen seines Schwarmes folgen. Verfluchter Mist – verdammte Technik! „Flieg doch, du lahmer Vogel, he!“
Halleluja! Das muss ja so kommen! Mustangs von hinten! Lickert ist auf der Hut, er sieht die Gegner herankommen. Aus seiner Position heraus ist eher der Begriff „heranjagen“ angebracht. Die Mustangs sind erheblich schneller als seine angeschlagene weidwunde Messerschmitt. Lickert sieht ein, dass er keine Chance hat, sich auf diesen Schlagabtausch einzulassen. Beziehungsweise ihn zu überleben!
Also entscheidet er sich, die Me 109 aufzugeben und „seine eigene Kampfkraft dem Führer zu erhalten“ – pathetisch ausgedrückt. Oder schlicht: seine Haut zu retten! Er steigt mit dem Fallschirm aus. Fast wäre es schief gegangen, denn die eiskalte Luft raubt ihm mehrmals das Bewusstsein. Er kommt allerdings rechtzeitig wieder zu sich und zieht die Reißleine. Dann kracht er in einen Baum ...
Zum Glück passiert dem Unteroffizier nicht viel. Die Luftwaffe und die Erde haben ihn wieder ...
In amerikanischen Annalen ist von Zeit zu Zeit davon die Rede, man habe deutsche Piloten vor lauter Angst abspringen sehen bereits beim Auftauchen eigener Jäger. Diese hätten nicht einmal einen Schuss abfeuern müssen! Nun, auch der Vater des Verfassers flog bei einem Überführungsflug in einem unbewaffneten Schulflugzeug einer Ansammlung Thunderbolts „über den Weg“. Er zog es vor, schleunigst eine Bauchlandung durchzuführen, statt mit bloßen Fäusten auf die P-47 einzudreschen.
Die IV./JG 300 ist mit ihren 41 Me 109 G-10/G-14/G-14/AS und G-14/U4 um 10.38 Uhr von Reinsdorf gestartet und trifft im Raum Hannover auf die Mustang-Eskorte. Major Heino Ofterdinger sieht die feindlichen Jäger in etwa 8.000 Metern Flughöhe, gibt aber keinen Befehl zum Angriff. Möglicherweise will sich der Gruppenkommandeur auf die Bomber konzentrieren? Oder seinen Neulingen ein höchst gefährliches Duell Jäger gegen Jäger ersparen, bis diese etwas mehr Flugerfahrung haben? Seine Männer verstehen nicht, warum Ofterdinger die amerikanischen Jagdflieger in Ruhe lässt. Aber sie gehorchen – widerwillig. Vor allem die Jungen sind geradezu wild darauf, sich zu „bewähren“ ...
Wenige Minuten später sichtet der Verbandsführer das Wild, nach welchem er augenscheinlich sucht: viermotorige Bomber. „Fliegende Festungen“. Gut. Dann also los ...
Angriff! Die deutschen Jagdflugzeuge schwingen ab und rasen auf den amerikanischen Pulk zu. In diesem Moment schallt ein Warnruf durch die Funksprechanlagen. „Vorsicht, rote Indianer hinter uns!“
Ein junger Oberfähnrich der 16. Staffel sieht die feindlichen Jäger zuerst. Und als Einziger ...
Denn er täuscht sich. Es sind keine Mustangs in der Nähe – der Angriff auf die Bomber hätte nach einer für die Deutschen glücklichen Fügung des Himmels völlig ungestört ablaufen können. Wäre jener Warnruf nicht gewesen. Denn nun ist die Konzentration nach vorne dahin, jeder sieht sich nervös um und fliegt seinen Angriff auf die Viermotorigen im Bewusstsein, schnell den Rücken frei zu bekommen. Der Angriff geht gründlich daneben. Keiner der Bomber wird abgeschossen.
Dafür wehren sich die Bordschützen der „Festungen“ mit Erfolg! Bei Gifhorn erwischt es den Oberfähnrich Günther Michel (Me 109 G-14/U4 Werknummer 510898) der 13. Staffel/JG 300. Er überlebt verwundet. Unteroffizier Ottmar Friedelt (Me 109 G-14, 13./JG 300,
, Werknummer 462696), Oberfähnrich Karl-Heinz Schirmacher (Me 109 G-14/AS 14./JG 300,
, Werknummer 462707), und Oberleutnant Hendrik von Paris haben dieses relative Glück nicht. Alle drei Piloten des JG 300 fallen im Luftkampf über Hannover. Das Wrack der mit einer
markierten Messerschmitt 109 G-14/AS des Oberleutnants (Werknummer 783990) ist angeblich bis heute nicht gefunden worden. Alle Piloten fallen offenbar dem Abwehrfeuer der Bomber-Bordschützen zum Opfer, im Falle Schirmachers wird dies als sicher bezeichnet, Hendrik von Paris wird offenbar von einem Abwehr-Geschoss von vorne im Gesicht getroffen.
Zu allem Überfluss wird die Me 109 G-10 () des Leutnant Hans-Dieter Kaiser aus der 15. Staffel so beschädigt, dass bei der Landung das Fahrgestell klemmt. Die Schäden der Notlandung sind unter 60 %, auch dem Piloten passiert nichts. Doch das Flugzeug fällt vorerst aus, ebenso die Maschine des Feldwebels Josef Bernkopf aus der 14. Staffel, die durch Landeunfall demoliert wird. Drei weitere Piloten schaffen es aus Spritmangel nicht mehr nach Hause. Ihre notgelandeten Messerschmitt sind nur leicht beschädigt (unter 35 %), auch diese Flugzeugführer kommen mit dem Schrecken davon.
Über Hildesheim treffen die Me 109 G-10/DM und G-14/AS der I./JG 300 auf die Focke-Wulf 190 A-8 der I. Gruppe des JG 1. Einer der Focke-Wulf-Piloten der 2. Staffel des JG 1 nimmt dies wörtlich und rammt bei der miserablen Sicht die Me 109 G-10/DM (, Werknummer 490680) von Unteroffizier Hinrich Horstkötter (2. Staffel/JG 300). Der junge Unteroffizier stürzt in den Tod. Damit passiert nun genau das, was das Generalkommando befürchtet hatte.
Die (Werknummer 783909) von Unteroffizier Rudolf Hennersdorf (1./JG 300) wird von einem eigenen Flak-Geschoss erwischt. Ein Unglück kommt einfach selten allein! Längst kann die deutsche Flak nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden, zumal auf die Entfernung dieser Höhe und bei diesem Wetter. Die deutschen Kanoniere halten mitten hinein in den Bomberstrom – oder was auch immer als Ansammlung feindlicher Flugzeuge angesehen werden muss – und sie zielen messtechnisch elektronisch geführt ziemlich gut. Für Hennersdorf eine Spur zu gut! Die linke Tragfläche seiner Me 109 G-14/AS montiert ab, löst sich vom Rumpf des schlanken Messerschmitt-Jägers. Der deutsche Pilot ist vielfach von Splittern getroffen und schwer verbrannt, er kommt noch heraus aus seiner Maschine, doch es nützt ihm nichts. Er stirbt am selben Abend im Krankenhaus in Hannover.
Oberfähnrich Erwin Schlebach aus der dritten Staffel rettet sich mit seiner durch eine Notlandung in der Nähe von Liebertwolkwitz. Der Motor seiner Me 109 G-14/AS (Werknummer 784100) lässt ihn im Stich. Schlebach verletzt sich bei dem Unfall. Die Messerschmitt ist unter 60 % beschädigt. Eine weitere Me 109 der I./JG 300 geht als Totalverlust im Luftkampf verloren, acht werden leicht beschädigt (unter 35 %, Letztere nicht durch „Feindeinwirkung“, sondern aus technischen Gründen). Die Piloten bleiben jeweils ungeschoren. Eine traurige Bilanz, denn auf der „Haben“-Seite der I. Gruppe steht lediglich ein „wirksamer Beschuss“, nachdem Unteroffizier Hannes Schmitz seinem Kameraden Feldwebel Kurt Bemme eine P-51 „Mustang“ vom Halse hält.
Das Duell mit den Mustangs entbrennt südwestlich von Hannover. Unteroffizier Heinz Wischhöfer aus der 1. Staffel erinnert sich gut an den Luftkampf. In etwa 6.000 Metern Höhe findet eine Art „Katz-und Maus“-Spiel statt. Wobei das Wort „Spiel“ etwas fragwürdig in den Ohren klingt!
Wischhöfer sieht eine Mustang und nimmt sie aufs Korn. Er verfehlt den Gegner, der sofort in die Wolken abtaucht. So geht dies in Gruppen und Grüppchen zehn Minuten hin und her. Als sich eine Mustang im toten Winkel von hinten unten an Kurt Bemmes Messerschmitt heranpirscht, reagiert Unteroffizier Hannes Schmitz sofort. Er fliegt etwa 200 Meter hinter Bemme, drückt an und vertreibt die Mustang mit einem langen Feuerstoß.
21. November 1944
Flugzeugtyp: |
Messerschmitt Bf 109 K-4 |
Nationalität: |
Luftwaffe |
Einheit: |
10. Staffel (III. Gruppe)/JG 4 |
Pilot: |
Unteroffizier Rolf Langenstroer |
Stationierung: |
Alteno/Deutschland |
Flugzeugtyp: |
North American P-51 D-10 „Mustang“ |
Nationalität: |
US-Air Force/8th Air Force AAF |
Einheit: |
328th Fighter Squadron/352nd Fighter Group |
Pilot: |
Captain Donald Septimus Bryan |
Stationierung: |
Bodney/Norfolk/England |
Messerschmitt Bf 109 K-4, Werknummer 330321, 10. Staffel (III. Gruppe)/JG 4, Unteroffizier Rolf Langenstroer. Profil nach Datenlage. Die III. Gruppe des JG 4 flog ihre Maschinen ohne vertikalen Balken als Kennzeichnung der III. Gruppe, siehe den gerade noch sichtbaren Streifen ohne vertikalen Balken auf dem Foto der „schwarzen 8“ von Oberleutnant Schlegel, Aufnahme vermutlich vom März 1945.
P-51 D-10 „”, 328th Fighter Squadron, 352nd Fighter Group, Captain Donald S. Bryan, Stand der Abschussmarkierungen beim Start am 21. November 1944.
Der Amerikaner reißt seine P-51 in eine Rolle und kippt im Sturzflug in die Gegenrichtung ab (so genanntes „Split-S“-Manöver). Nicht einmal 100 Meter trennen den Amerikaner von seinem Verfolger, als die P-51 in eine Wolkenwand entkommt. Da gleichzeitig drei weitere Mustangs von links aufschließen, kann sich Schmitz kein Nachsetzen leisten – er hätte sofort diese drei im Genick, würde er sich im Jagdfieber dazu hinreißen lassen. Es ist immer dasselbe – ist man einmal in günstiger Verfolgungsposition, so sind gleich andere Gegner da, die den taktischen Vorteil wieder zunichte machen.
Also macht Schmitz das, was seine Me 109 G-14/AS am besten kann. Er aktiviert die Wasser-Methanol-Notleistung und zieht den Steuerknüppel an sich heran.
Mit beeindruckender Kraft schießt die schlanke Messerschmitt in den Himmel. Nach fünfzehn Sekunden schon hat Schmitz die Bedrohung hinter sich abgehängt. Die wertvolle Zusatzkraft der kurzzeitig verfügbaren Notleistungseinspritzung hat ihre Schuldigkeit getan. Schmitz schaltet wieder auf Normalbetrieb des Motors. Die Amis ist er erst mal los!
Jene aber ihn nicht! Jetzt hat Schmitz den Rücken frei – und er ist über den US-Piloten! Also im Vorteil! Wenn auch – wie fast immer – in der Unterzahl. Aber das ist man ja inzwischen gewöhnt.
Schmitz zieht noch im Steigflug seine „109“ in eine Rechtskurve und geht zum Angriff über. Die Messerschmitt nähert sich den drei feindlichen Jägern in einer eng gezogenen Sturzflugkurve von hinten oben in rasendem Tempo. Der Rausch der Geschwindigkeit ist ein gigantisches Gefühl. Da er weiß, dass die Gurte der Kanonenmunition in engen Radien zum Klemmen neigen, verlässt er sich nur auf seine beiden 13-mm-Maschinengewehre und verzichtet auf die 20-mm-Kanone in der Propellernabe.
Die Mustangs haben eine rot-weiß bemalte Nase. Da ist das ausgesuchte Opfer. Die „Nummer zwei“ in der Mitte der Formation. Der P-51-Pilot kurvt nichts ahnend in die Leuchtmarkierung des Reflexvisiers der deutschen Messerschmitt. Schmitz zögert nicht. Feuer!
Die Geschosse des Deutschen fetzen ganze Teile aus der Mustang heraus, welche Schmitz entgegentrudeln. Der Amerikaner muss offenbar eine Schrecksekunde verdauen, denn er fliegt immer noch in den Geschosshagel hinein. Allerdings sind es eben nur Maschinengewehrsalven, deren Durchschlagskraft sich nicht mit denen der Kanone messen kann.
Jetzt reagiert der US-Pilot und kippt nach unten ab. Der nächste Feuerstoß des Deutschen geht über die beschädigte Mustang hinweg. Die beiden Kameraden des getroffenen Amerikaners jagen nach rechts und links in eine Messerkurve. Schmitz könnte nur einer der beiden P-51 folgen – die andere wäre zwangsläufig wenig später hinter ihm. Ein klassisches und erprobtes Flugmanöver zur Verteidigung – wenn man in der Überzahl ist ...
Also nützt der deutsche Flugzeugführer erneut die überlegene Steigrate seiner Messerschmitt und aktiviert noch einmal die Wasser-Methanol-Einspritzung. Mit rabiater Kraft wird der junge Pilot nach hinten in den Sitz gepresst, während sein Jagdflugzeug nach oben rast.
Als Schmitz in 10.200 Meter Höhe auf die Horizontale auspendelt, ist von den Mustangs nichts mehr zu sehen. Bei aller unbestreitbarer Qualität dieses überragenden amerikanischen Jagdflugzeuges – ein solches Manöver in einer Messerschmitt Bf 109 G-14/AS, G-10 oder gar K-4 deklassiert den amerikanischen Entwurf. Dieser Steigleistung kann keine Mustang folgen!
Leider – aus deutscher Sicht – ist das aber der einzige echte Vorteil, das besondere Pfund, mit dem die Me 109 gegen die Mustang wuchern kann. Doch immerhin.
Inzwischen spielt sich über Sachsen ein Drama am Himmel ab. Ein Teil der amerikanischen Bomber hat sein Vorhaben aufgegeben, Lützkendorf und Merseburg anzufliegen. In Anbetracht der dichten Wolkenwand nehmen sich diese Pulks die Städte Osnabrück, Gießen, Lingen, Bielefeld, Wetzlar und Koblenz vor. Es waren jene Formationen, auf welche das JG 300 angesetzt worden war.
Etwa 200 Boeing-Bomber dringen jedoch plangemäß zu ihrem Angriffsziel in Mitteldeutschland vor. Die Focke-Wulf des JG 1 versuchen, zu den Bombern vorzudringen, werden jedoch von ganzen Schwärmen an Mustangs gehetzt. Die Mustangs haben die bittere Lektion vom 2. November 1944 gelernt und schirmen ihre Schützlinge, die Bomber, dieses Mal wirkungsvoll ab Schon bald ist zwischen Hildesheim und Erfurt eine verbissene Luftschlacht im Gange.
Die amerikanischen Kampfflugzeuge sind nun längst über dem Zielgebiet angekommen und werfen 475 Tonnen Bomben auf die Treibstoffanlagen der Leuna-Werke. Hier versucht die III./JG 4 mit ihren Me 109 G-14 bzw. K-4 die Bomber aufzuhalten. Kurz nach 11.00 Uhr starten die Maschinen. Auch sie können sich nicht gegen die erdrückende Übermacht der Mustangs behaupten. In der Hand eines erfahrenen Piloten sind die technisch verbesserten schnellen Messerschmitt-Jäger der Typen G-10/G-14/AS und K-4 in ihrer Leistung den besten alliierten Jägern wieder ebenbürtig und haben mit der strebenarmen „Erla-“ oder auch so genannte „Galland-Haube“ erheblich bessere Sichtverhältnisse aus dem Cockpit als die alten „Gustav“ G-6-Varianten. Sie sind auch für die Mustangs eine harte Nuss. Die K-4 bietet zudem eine viel bessere Sicht nach hinten durch eine Panzerglasscheibe, welche das undurchsichtige Schutzschild hinter dem Kopf des Piloten ablöst. Doch was nützt dies in Anbetracht des dürftigen Ausbildungsstandes vieler deutscher Nachwuchspiloten, welche ihre mangelnde Erfahrung gegen die massenhaft aus allen Richtungen zum Fangschuss eindrehenden Feindjäger allenfalls durch Mut ausgleichen können? Das tun sie bewundernswert – unbestreitbar – doch es reicht nicht zum Überleben. Die meisten der dennoch abgeschossenen Mustangs gehen auf das Konto erfahrener Piloten. Wie lange haben sie noch eine Chance?
Während nach wie vor erbitterte Abfangversuche der Focke-Wulf 190 A-8 des JG 1 eine immer größere Tragödie unter den Piloten mit der roten Rumpfbinde an ihren Jagdflugzeugen auslösen, stellen sich nun auch die ersten Verluste des JG 4 ein. Im Luftdreieck Nordhausen–Erfurt–Halle, besonders im Bereich Querfurt und Eisleben westlich von Merseburg spitzt sich die Situation zu. Ab 11.15 Uhr werden die Messerschmitt-Jäger der III./JG 4 abgefangen. Der Ort des Luftkampfes deckt sich mit den Angaben 369th und 370th Fighter Squadron (359th FG), 336thFighter Squadron (4th FG), 383rd und 384th Fighter Squadron (364th FG) und der „A-Gruppe“ der 352nd US Fighter Group. Die P-51 „Mustang“-Piloten der genannten Squadrons melden zwischen 11.35 Uhr und 12.30 Uhr südlich von Nordhausen, westlich und südwestlich von Merseburg und Halle bis hin nach Merseburg Luftkämpfe mit deutschen Focke-Wulf 190-Jägern, wobei die 336th und 328th Fighter Squadron (352nd US Fighter Group) auch Me 109 angreifen und vom Himmel schießen. Captain Donald S. Bryan hatte der 328th Fighter Squadron bereits am 2. November 1944 zu Ehre verholfen, indem er seinen bisherigen 6 ⅓ Abschüssen fünf weitere zerstörte Me 109 hinzufügen konnte. Er fliegt eine P-51 Mustang D-10 mit der Produktionsnummer 44-14061 und dem Kosenamen „“,
.
Diese Mustang wird später bei einem Tiefangriff deutscher Jagdflugzeuge am Neujahrsmorgen 1945 in Asch zerstört werden. Heute sind Bryans Kameraden 1st Lieutenant Leonard V. Intravartola und 1st Lieutenant Frank L. Kebelman Jr. in zusammen drei Fällen Sieger über Me 109-Piloten, während 1st Lieutenant Lothar Fieg seinen Me 109-Abschuss nur als „wahrscheinlich“ angeben kann. Fünf weitere Me 109 werden von Captain Fred Wedell Glover (drei Abschüsse) und 2nd Lieutenant Douglas N. Groshong von der 336th Fighter Squadron (zwei „claims“) für sich reklamiert.
Unteroffizier Rolf Langenstroer wird in seiner Messerschmitt Bf 109 K-4 überrascht. Langenstroer fliegt in der 10. Staffel des JG 4 die mit der Werknummer 330321. Sein Jäger ist die modernste Variante des Messerschmitt-Jagdflugzeuges. Die inzwischen ausgereifte, durch die Propellernabe feuernde 30-mm-Kanone Mk 108 geben dem Flugzeug zusammen mit den beiden 13-mm-MGs in der oberen Motorhaube eine beträchtliche Feuerkraft. Auch die Flugleistungen der „Kurfürst“ genannten letzten Me 109 sind konkurrenzfähig, vor allem die Geschwindigkeit, Steig- und Sturzfähigkeit.
Es nützt Langenstroer nichts. Seine Kabinendach löst sich, fliegt davon. Die Treffer des amerikanischen Begleitjägers schlagen ihm Teile der hinteren Panzerglasscheibe an den Kopf. Immerhin rettet ihm die Panzerung das Leben. Langenstroer hat keine Ahnung, wie er aus seinem Jagdflugzeug herausgekommen ist. Er kommt bei Osterhausen am Fallschirm hängend wieder zu Bewusstsein.
Sein Staffelkamerad Unteroffizier Johannes Reschl hat keine Gelegenheit, Langenstroer zu seinem Dusel zu beglückwünschen. Seine Me 109 G-14 (Werknummer 462714) reißt ihn bei Nordhausen mit in den Tod. Leutnant Ewald Kraas aus der 9./JG 4 entkommt verwundet bei Eisleben durch Fallschirmabsprung aus seiner Me 109 K-4,
, Werknummer 330342. Auch die 12. Staffel verliert zwei Maschinen. Es ist die Me 109 K-4 mit der Werknummer 330333 des Unteroffiziers Walter Gebauer. Gebauer springt verwundet bei Unterfahrenstedt aus seiner getroffenen
ab, während sein Staffelkamerad Fähnrich Dietrich Schneck trotz Verletzung durch Treffer weiterfliegen kann. Seine Me 109 K-4
mit der Werknummer 330323 hatte es über Querfurt erwischt.
Nicht einmal der Staffelkapitän der 12. Staffel, Oberleutnant Karl Ulbrich, bleibt ungeschoren. Zumindest nicht sein Jagdflugzeug , das er bei Ohrdruf südwestlich von Erfurt nach erbittertem Luftkampf mit einer Notlandung „auf den Bauch legt“. Er selbst bleibt unverletzt, sodass trotz allem das JG 4 noch glimpflich davonkommt. Fünf Verwundete, ein Pilot gefallen. Ein blaues Auge nur!
Da ergeht es den Piloten der I./JG 1 entschieden schlimmer. Alleine über Erfurt stehen acht ihrer Maschinen in Flammen, insgesamt werden es am Ende des Kampfeinsatzes 26 Flugzeugverluste durch Feindeinwirkung sein (ein weiterer „Bruch“ ist auf technisches Versagen zurückzuführen). Die erste Gruppe wird von den Mustangs praktisch ausgelöscht. Drei Focke-Wulf 190 fallen den Browning MGs der „PETIE 3RD“ 44-15041 () des Lt. Col. John C. Meyer der 352nd Fighter Group zum Opfer, der als stellvertretender Gruppenkommandeur seine Mustangs taktisch klug in eine günstige Abfangposition manövriert hatte. Es ist 12.30 Uhr nach amerikanischen Angaben. 15 Piloten der I./JG 1 fallen, vier werden „nur“ verwundet! Der für die Deutschen verheerende Erfolg der amerikanischen „Blau-Nasen“ fand Berichten zufolge gegen eine gemeinsame Gruppe von Me 109 und Focke-Wulf 190 „südwestlich von Leuna-Merseburg“ statt – somit im Kampfraum der I./JG 1 (Focke-Wulf 190 A-8) und der III./JG 4 (Me 109 G-10/G-14 und K-4). Es grenzt in Anbetracht der Zahlenverhältnisse und des Ausbildungsstandes der Kontrahenten fast an ein Wunder, dass auch die deutschen Piloten zu Abschusserfolgen kommen. Und es beleuchtet unzweifelhaft und völlig unabhängig von jeder politischen Bewertung auch die persönliche Tapferkeit und den Mut der blutjungen Männer in ihren Focke-Wulf- und Messerschmitt-Jägern, welche in diesem Stadium des Krieges in erster Linie in dem Gefühl starten, ihre Heimat zu verteidigen, Frauen und Kinder zu schützen. Dieser außerordentliche Einsatzwille erfordert bei allem Zwang durch die Erwartungshaltung der gesellschaftlichen Umwelt eine innere Stärke, die menschliche Hochachtung verdient. Und diese Achtung sollte bestehen ohne Abwertung durch eine rein politische Sicht im Hinblick auf den „Dienst“ für jene fanatische und menschenverachtende Ideologie dieser Zeit in Deutschland, die dem Land den fürchterlichen „totalen Krieg“ mit allen seinen Konsequenzen eingebrockt hat.
Dies soll nun andererseits nicht den Mythos des heldenhaften deutschen Jagdfliegers stilisieren, um das unmissverständlich auszudrücken. Denn die andere Seite der Medaille ist – bei allem Kampfeswillen – dass vielfach junge Neulinge im ersten Moment eines Angriffs feindlicher Jäger völlig überfordert sind. Entsetzt und gelähmt vom Anblick explodierender Flugzeuge mit ihren sterbenden Kameraden darin, fallen ihnen die einfachsten Abwehrmaßnahmen nicht mehr ein – wie Wegsteigen, auf den Rücken rollen oder sonst irgendwie aus der Schusslinie kurven. Denn diese sind eben nicht bereits „in Fleisch und Blut“ übergegangen, im Unterbewusstsein verfügbar, wie es beim ersten Feindflug ihrer „Kollegen mit der anderen Feldpostnummer“ längst der Fall ist, seien es Briten, Kanadier, Neuseeländer oder Amerikaner. Erschüttert von der brutalen Wirklichkeit des „glorreichen Heldentodes“ fliegen sie die entscheidenden Augenblicke weiter geradeaus, Hilfe suchend Ausschau haltend nach dem Staffelkapitän – statt dem Gegner ins Auge zu sehen. So fliegen sie als leichte Beute ins offene Messer der amerikanischen Browning-Maschinengewehre. Sechs davon hat jede P-51 „Mustang“ zur Verfügung, um den gewünschten „Effekt“ zu erzeugen. Und dies nutzen die routinierten US-Piloten selbstverständlich ohne jede Schonung – warum sollten sie es nicht? Wenn also davon die Rede ist, dass „die Begegnung so überraschend kommt, dass die deutschen Piloten kaum noch dazukommen, ihre Zusatztanks abzuwerfen“, so ist diese Formulierung eine von diversen möglichen Interpretationen des Geschehens. Denn die Amerikaner wundern sich durchaus darüber, dass die Deutschen ihre Zusatzlast nicht schnellstens loswerden, die den Nachteil einer Focke-Wulf 190 an horizontaler Wendigkeit gegenüber einer Mustang nur noch erhöht.
21. November 1944
Flugzeugtyp: |
Focke-Wulf Fw 190 A-8 |
Nationalität: |
Luftwaffe |
Einheit: |
I. Gruppe/JG 1 |
Pilot: |
keine Angabe |
Stationierung: |
Greifswald/Deutschland |
Flugzeugtyp: |
North American P-51 D-15 „Mustang“ |
Nationalität: |
US-Air Force/8th Air Force AAF |
Einheit: |
352nd Fighter Group |
Pilot: |
Deputy Group Commander Lieutenant Colonel John Charles Meyer |
Stationierung: |
Bodney/Norfolk/England |
Hinweis: die Karte zeigt im Gegensatz zu den Frontverlaufskarten den Nachkriegsgrenzverlauf (Elsass-Lothringen u.a.), da hier die Lokalisation des Ortes aus heutiger Sicht im Vordergrund steht.
P-51 D-15 „Mustang“ „ PETIE 3RD 352nd Fighter Group, Deputy Group Commander Lieutenant Colonel John C. Meyer, Stand der Abschussmarkierungen beim Start am 21. November 1944 rekonstruiert.
Karl-Heinz Schirmacher mit seiner Freundin, er ist gefallen in der 14. Staffel des JG 300 am 21. November 1944.
Eine Dreierkette an P-51 „Mustangs“ der 376th Fighter Squadron aus der 361st Fighter Group. Auch die 361st FG ist heute dabei. Die vorderste Maschine ist eine P-51 D mit dem „Namen“ „Daisy Mae III“. Dahinter fliegt eine etwas ältere P-51 B mit Malcolm-Haube, die früher von Lieutenant Dale F. Spencer gesteuert wurde, während die hinterste Mustang Lieutenant Kenneth J. Scott „gehört“.
Donald Septimus Bryan.
Die Amerikaner schließen daraus, dass Ihre Gegner (des JG 301) reichlich unerfahrene Novizen sind. In vielen Fällen vermuten sie dies nicht zu Unrecht.
Jedenfalls ist es anders nicht zu erklären, dass eine frisch aufgefüllte und wieder auf „Einsatzstärke“ (aber nicht Einsatzreife!) gebrachte Gruppe wie die I./JG 1 bereits beim ersten Einsatz nach der „Auffrischung“ ein Drittel (!) ihrer Piloten verliert. Für zumindest die Überlebenden dagegen gilt das eingangs Dargelegte ohne jede Einschränkung. Persönlicher Mut und Tapferkeit sind nicht weniger anerkennenswert, wenn sie aus heutiger Sicht für die politisch und moralisch falsche Seite erfolgen. Die erfahreneren Piloten lassen sich trotz der Horrorszenen nicht einschüchtern, und selbst die jüngeren Kameraden kämpfen mit unglaublicher Standfestigkeit, was der Abschuss einer waffenstarrenden Boeing B-17 „Festung“ durch Oberfähnrich Stiemer beweist. Es ist sein erster Abschuss.
Leutnant Demuth (3./JG 1) holt im Feuerhagel der Bordschützen eine viermotorige Boeing B-17 herunter, ebenso Unteroffizier Enderle (3./JG 1) und wie erwähnt Oberfähnrich Stiemer (3./JG 1). Feldwebel Oswald (3./JG 1) und Unteroffizier Riehl (2./JG 1) können zusätzlich noch je eine „Fliegende Festung“ so schwer beschädigen, dass sie zurückfällt und damit als einzelner Nachzügler ohne Schutz des Bomberstromes das fast sichere Opfer eines weiteren deutschen Angreifers werden wird.*1 Man nennt einen solchen Erfolg, der nicht als Abschuss gewertet wird, „Herausschuss“. Nach einer zweiten Quelle *2 schießen zudem Hauptmann Ehlers (Stab I./JG 1), die Fähnriche Kirsten und Kochler (2./JG 1), Oberfeldwebel Laskowski (1./JG 1), Leutnant Neuner (2./JG 1), Feldwebel Oswald (3./JG 1) und Oberfeldwebel Treptau (2./JG 1) noch je einen der todbringenden Bomber vom Himmel. Unteroffizier Enderle wird in dieser Quelle keine B-17 zugeordnet. Auch die Me 109-Piloten des JG 4 setzen ihre Waffen gegen die Viermotorigen ein. Fähnrich Kühne vernichtet eine B-17 bei Naumburg.
Selbst die Mustang-Eskorte bleibt beileibe nicht ungeschoren – trotz ihrer Überlegenheit. Leutnant Neuner behält in einem Fall die Oberhand.*3 Erneut weist die zweite Quelle *4 zusätzliche Schützen auf: Unteroffizier Enderle (3./JG 1), Oberfähnrich Seume (3./JG 1), Oberfeldwebel Potzel (4./JG 1), Oberfähnrich Puhlmann (III./JG 4) und Leutnant Fick (zu diesem Zeitpunkt noch 9./JG 4) setzen sich gegen ihre amerikanischen Jäger-„Kollegen“ durch und beanspruchen den Abschuss je einer P-51.
Der US-Verband fliegt unbeirrt weiter. Nichts kann diese Formationen aufhalten. Sie bahnen sich ihren Weg durch den wolkenverhangenen Himmel. Kondensstreifen und Trümmer säumen ihre Flugbahn.
Die II. Gruppe des JG 27 sowie die IV. Gruppe des JG 54 versuchen, die Amerikaner über dem Ruhrgebiet abzufangen. Der mächtige alliierte Verband befindet sich inzwischen auf dem Rückflug. Die deutschen Jäger werden sofort von der amerikanischen Eskorte in Empfang genommen, dieses Mal von den P-47 Thunderbolts der 366th Fighter Group (9th US Air Force). Und wieder beginnt ein hoffnungsloses Duell David gegen Goliath …
Trotz aller aufopfernden Anstrengungen der deutschen Piloten: der deutsche Abwehreinsatz am 21. November ist ein Fehlschlag. Die 8th USAAF der Amerikaner verliert durch Jäger und Flakartillerie zusammen 33 Bomber (vier davon aus der 303rd BG) und 15 Jäger, dies ist ein überaus ein achtbarer Erfolg der deutschen Abwehr in Anbetracht der hoffnungslosen Zahlenverhältnisse. 15 Verluste der 9th USAAF und der britischen RAF addieren sich zu dieser Bilanz auf somit 63. Auf der anderen Seite werden aber 72 deutsche Jagdflugzeuge (und ein Jagdaufklärer, also 73Maschinen) abgeschossen. Und genau das hatten die Amerikaner – neben der Paralyse der deutschen Treibstoffindustrie – beabsichtigt. Ihre Rechnung geht auf, ihre eigenen Verluste sind einkalkuliert und bleiben in einem Rahmen, welchen sie sich leisten können.
Das Ende eines „Herausschusses“ (HSS). Die beschädigte, als Einzelgänger hinterher fliegende B-17 wird von einer Focke-Wulf 190 bei Oschersleben endgültig abgeschossen. Der Vorgang wird „endgültige Vernichtung“ (e.V.) genannt und wie der „HSS“ nur in einem Punktesystem gewertet, im Gegensatz zum vollen Abschuss, wie dieser beispielsweise in der RAF oder USAAF in einem solchen Fall anerkannt würde. Ob diese theoretische deutsche Bewertung in der Praxis immer auch konsequent so gehandhabt wurde, das sei dahingestellt.
Für die Luftwaffe jedoch ist diese Bilanz völlig untragbar.
Boeing B-17 G der 8th USAAF über Deutschland. Gut erkennbar ist die Aufteilung der Pulks in „Combat Boxes“.
Anekdote:
Als am 21. November 1944 nach zwei ausgefallenen Motoren der dritte Rotor ihrer B-17 G (324th BS/91st BG) mit der Nummer 43-38545 zu stottern beginnt, entschließt sich die Crew des Lieutenant deBolt zum Absprung über Belgien. Vorher fährt der Pilot das Fahrwerk aus und aktiviert den Autopiloten, um die Fluglage für den Absprung stabil zu halten! Dann verlassen alle Besatzungsmitglieder das Flugzeug. Die Kanoniere einer britischen Flugabwehrbatterie nahe eines belgischen Feldes rennen sofort los, als sie den rauchenden Bomber langsam immer tiefer kommen und schließlich aufsetzen sehen. Der Bomber dreht eine Pirouette – und steht. Die Engländer staunen nicht schlecht, als sie ihren Waffenbrüdern in dem angeschossenen Wrack zu Hilfe eilen und keine Seele an Bord vorfinden. Ein fliegender Holländer?
Hinweis: deutsche Flugzeuge, welche zwar vom Gegner abgeschossen wurden, ohne jedoch den Piloten dabei „außer Gefecht zu setzen“, sind in der Spalte „Gesamt“ miterfasst (/Flugzeug = Anzahl verlorener Flugzeuge). Hinweise finden sich im Feld „Bemerkungen“. Dagegen werden in britischen und amerikanischen Quellen (MACR-Listen) oft die auf eigenem Gebiet notgelandeten Maschinen nicht mitgezählt. Zudem finden sich die von der deutschen Flak (Flugabwehrkanonen) vernichteten alliierten Flugzeuge nicht in dieser Aufstellung. Daher muss es zwangsläufig zu Differenzen zwischen Abschussmeldungen und den tatsächlichen Verlusten kommen!
Verluste durch Tiefangriffe oder Bomben am Boden, durch „technische Mängel“ oder durch Unfälle werden nicht „gezählt“, da die gegenseitigen Erfolge im Luftkampf gegenübergestellt werden sollen. Unversehrt gebliebene Piloten saßen oft wenige Stunden später in einer neuen Maschine, deren materialtechnischer Nachschub fast bis zum Kriegsende gesichert war. Bei einem Abschuss mit unverletztem Fallschirmabsprung entsteht in der Spalte „Gesamt“ ein Materialverlust (/Flugzeug), jedoch nicht ein personeller „Verlust“ (Pilot/).
Verlustmeldungen der Westalliierten im Detail:
8th USAAF: *13 |
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B-17 „Flying Fortress”: |
21 |
(+ 6 Kategorie „E” |
B-24 „Liberator” |
4 |
(+ 2 Kategorie „E” |
P-51 „Mustang”: |
14 |
|
P-47 „Thunderbolt”: |
1 |
9th USAAF: *14 |
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B-26 „Marauder”: |
1 |
P-51 „Mustang”: |
1 |
P-47 „Thunderbolt”: |
5 |
P-38 „Lightning”: |
1 |
F-6 „Mustang”-Aufklärer: |
1 |
2nd Tactical Air Force der Royal Air Force:*15 |
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Hawker „Typhoon”: |
2 |
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Spitfire Mk. IX: |
1 |
(Hinzu kommen 4 tote Piloten durch Unfälle, unter anderem Motorversagen beim Start (Tempest Mk. V der 274 Squadron) und zwei Kollisionen (je 2 Spitfire Mk. IX und Typhoon IB), ferner eine vermutlich abgeschossene Mosquito VI (2 Gefallene), welche um 21.40 Uhrjedoch nicht mehr dem Kapitel Tagjagd zuzuordnen ist.) |
Royal Air Force Bomber Command (bei Tag):*16 |
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Avro „Lancaster“: |
3 |
*1Quelle: Einsatz in der Reichsverteidigung von 1939 bis 1945 Teil 1 – Teil 3 „Jagdgeschwader 1 und 11“/Struve Druck Eutin/Jochen Prien - Peter Rodeike.
*2Quelle: Internetdokumentation: sämtliche deutsche Abschussmeldungen zusammengetragen von Jan Josef Safarik, Institute of Mathematics and Descriptive Geometry, Faculty of Civil Engineering, Brno University.
*3Quelle: Einsatz in der Reichsverteidigung von 1939 bis 1945 Teil 1 – Teil 3 „Jagdgeschwader 1 und 11“/Struve Druck Eutin/Jochen Prien - Peter Rodeike.
*4Quelle: Internetdokumentation: sämtliche deutsche Abschussmeldungen zusammengetragen von Jan Josef Safarik, Institute of Mathematics and Descriptive Geometry, Faculty of Civil Engineering, Brno University.
*5Quelle: Einsatz in der Reichsverteidigung von 1939 bis 1945 Teil 1 – Teil 3 „Jagdgeschwader 1 und 11“/Struve Druck Eutin/Jochen Prien – Peter Rodeike.
*6Quelle: Internetdokumentation: sämtliche deutsche Abschussmeldungen zusammengetragen von Jan Josef Safarik, Institute of Mathematics and Descriptive Geometry, Faculty of Civil Engineering, Brno University of Technology. Im Falle der III./JG 26 ist der erfolgreiche Pilot Hauptmann Walter Krupinski. Die Quelle
„JG 26 war diary – Volume two“/Grub Street Publishing London 1998; 2007/Donald L. Caldwell erwähnt dies nicht!
*7Der leicht verletzte, nach ambulanter Behandlung wieder einsatzfähige Unteroffizier Thienert, welcher seine Maschine noch glatt landen konnte, wird hier nicht als „verwundet“ gezählt, da er den Schilderungen nach wohl nicht ausfällt. Quelle: Einsatz in der Reichsverteidigung von 1939 bis 1945 Teil 1 – Teil 3 „Jagdgeschwader 1 und 11“/Struve Druck Eutin/Jochen Prien - Peter Rodeike.
*8Quelle: „Sturmjäger“ – Zur Geschichte des Jagdgeschwaders 4 und der Sturmstaffel 1 – Band 1 – 2/Verlag A.S.B.L./Eric Mombeek.
*9B-17 N° 42-102484 „Hell’s Angels“ der 303rd Bomb Group, nach „Herausschuss“ zurückhängend, geflogen von 1st Lieutenant A.F. Chance, von Hauptmann Eder, Staffelkapitän der 9./JG 7 schließlich abgeschossen.
Quelle: “Me 262 Combat diary”/1995/John Foreman & S.E. Harvey, Seite 97.
*10Quelle: „Messerschmitt Bf 109 im Einsatz bei der (I./II./III./IV.- 3 Bände) Jagdgeschwader 27/Struve Druck Eutin/Jochen Prien, Peter Rodeike und Gerhard Stemmer.
*11Quelle: „Jagdgeschwader 301/302“ „Wilde Sau“/Schiffer Military History 2005/Willi Reschke.
*12Quelle: Jagdgeschwader 300 “Wilde Sau” Volume 2, September 1944 – May 1945/Eagle Editions Ltd. 2004/Jean-Yves Lorant und Richard Goyat. Die beiden Autoren geben im Falle der I./JG 300 andere Zahlen an als die WASt, hier werden 2 anonyme Materialverluste im Luftkampf zu 100 % ohne Personalverlust genannt (die WASt. nennt dies nur 1x, dafür aber 8 technische Mängel auf dem Platz Borkheide statt 7 technische Defekte, was die Differenz als Abschuss 100 %
technischen Defekt < 60 % definiert). Ebenso seien je zwei Fw 190 A-8 der II./JG 300 zu 100 % und zu < 60 % ohne Feindeinwirkung verloren gegangen, was der dem Autor vorliegenden Liste der WASt nicht entspricht. Der Autor hat sich zwar für die Daten der WASt entschieden, in Anbetracht der Akribie und Detailgenauigkeit der beiden genannten Autoren bleiben aber Zweifel, welche Quelle zuverlässiger ist.
Quelle: WASt – Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht, Berlin. Verluste der deutschen Luftwaffe via Recherche Salonen.
*13Quelle: „Mighty Eighth War Diary”/Jane’s Publishing Company 1981/Roger A. Freeman. Eine detaillierte Liste in
„The Mighty Eighth Combat Chronology” 1942-1945/Eighth Air Force Memorial Museum Foundation USA 1998/Paul M. Andrews und William H. Adams/kommt dagegen zu einem erheblich höheren Ergebnis: Hier findet sich 42-mal das Kürzel „FTR“ in Bezug auf viermotorige Bomber des Typs B-17 oder B-24 der 8th USAAF. „FTR“ bedeutet „failed to return“ = nicht zurückgekehrt.
*14Quelle: USAAF Missing Air Crew Reports (MACR).
*15Quelle: „2nd Tactical Air Force” Volume 1 - 3/Classic Publications/2005/Chris Shores und Chris Thomas.
*16Quelle: Royal Air Force Bomber Command 60th Anniversary - Campaign Diary, December 1944.