18. Stille Nacht, Über-Macht – ein Strom von 300 Kilometern Metall

Sonntag, 24. Dezember 1944

Am Vortag hatte sich das schlechte Wetter gelegt, das den zunächst erfolgreichen deutschen Überraschungsangriff der Ardennenoffensive seit dem 16. Dezember 1944 vor alliierten Luftangriffen bewahrt hatte. Schon gestern hatte sich eine umfassende Luftschlacht entwickelt, als die Alliierten die Wetterbesserung nutzten und ihren alarmierend gefährdeten Bodentruppen aus der Luft zu Hilfe geeilt waren, während die deutschen Jagdflieger trotz hoffnungsloser zahlenmäßiger Unterlegenheit eben dieses zu verhindern versuchten.

Und heute, am Weihnachtstag, herrscht strahlender Sonnenschein. Die deutschen Piloten wissen, was das bedeutet. Es grenzt an ein Wunder, dass die deutsche Luftwaffe trotz des Aderlasses der vergangenen Monate immer noch 700-800 Jagdflugzeuge aufbieten kann – teilweise mühsam nach Beschuss-Schäden zusammengeflickt. Darin sitzen Menschen. Wartend auf den Großangriff der Engländer und Amerikaner. Und sie kommen! Und ob sie kommen ...

Mit 2.055 schweren, viermotorigen Bombern startet am Morgen alleine die 8. US-Luftflotte, aufgeteilt in 1.421 Boeing B-17 und 634 B-24 „Liberator“. Es ist der größte Einzeleinsatz, den die 8th Air Force jemals fliegt. Hinzu kommen die 853 amerikanischen Begleitjäger, welche ihre Bomber vor deutschen Abfangjägern schützen sollen, sowie starke Verbände der 9. US-Luftflotte und der britischen Royal Air Force, die sich mit rund 800 schweren Halifax- und Lancaster-Bombern an der gigantischen Luftarmada beteiligt. Alleine rund 1.400 Bomber – es ist die B-17 Streitmacht – werden elf Flugplätze im Gießener, Frankfurter und Darmstädter Raum bombardieren. Die B-24 „Liberator“ haben 14 Anlagen der Kommunikations- und Befehlsstruktur zum Ziel. Die alliierte Übermacht ist erdrückend.

Als die ersten „Fliegenden Festungen“ über Deutschland erscheinen, verlassen die letzten Viermotorigen gerade die britische Insel. Der Himmel zwischen England und Deutschland ist vollkommen erfüllt von Flugmotoren. Das Ausmaß ist kaum vorstellbar! Das Jagdgeschwader (JG) 3mit derIV. Gruppe, der ehemaligen „Sturmgruppe“, ist einer der ersten deutschen Verbände, die der riesigen Bomberarmada entgegenfliegen. Hinter den Steuerknüppeln sitzen bekannte und bewährte Flugzeugführer der Reichsverteidigung, denn nicht wenige der deutschen Leitwerke tragen Abschussmarkierungen für abgeschossene Gegner. Seit 09.00 Uhr stehen die Männer in Gütersloh bereit, ab 11.15 Uhr besteht Sitzbereitschaft in den Jagdflugzeugen. 15 Minuten später kommt der Startbefehl. Es geht los!

Dicht vor Lüttich entdecken die Piloten die Bomberspitzen. Der amerikanische Jagdschutz ist noch nicht zur Stelle, und sofort fliegen die deutschen Focke-Wulf-Jäger ihren ersten Formationsangriff. In wenigen Augenblicken stehen mehrere viermotorige Boeing B-17-Bomber in Flammen und stürzen ab, weitere erhalten so schwere Treffer, dass sie notlanden müssen.

Unteroffizier Karl Kapteina ist mittendrin im Kampfgeschehen. Vielleicht ist der Begriff „Luftschlacht“ angemessener, unabhängig von der Anzahl der angreifenden Focke-Wulf 190 A-8/R2 (und einigen wenigen neueren A-9). Es sind etwa 30 Sturmjäger, die sich anschicken, ihren Auftrag zu erledigen. *1

„Im Verband macht sich Unruhe bemerkbar. Die Kameraden schließen enger auf und Hauptmann Weydenhammer führt in einer großen Linkskurve, in der wir noch 300 Meter steigen, den Verband in Angriffsposition hinter die Viermots. Wir befinden uns jetzt etwa 200 Meter über und 800 Meter hinter dem Feindverband. Unser Kommandeur gibt über FT an die Bodenstelle durch: ‚Wir greifen an!’ Dann wird die Pulle bis zum Anschlag nach vorn gedrückt und die Kisten angedrückt.

Wir hatten uns den am weitesten links fliegenden Pulk ausgesucht. Mein rechter Nachbar Ott wird jetzt unruhig; ich muss höllisch aufpassen, dass er mich nicht rammt! Dann nehme ich mir einen Gegner aufs Korn, das heißt ins Reflexvisier. Nach dem ersten Feuerstoß habe ich den Heckstand zerschossen, dann ballere ich aus allen Rohren auf die Flächen. Ich bin mittlerweile so dicht herangekommen, dass mir einzelne Teile vom Höhen- und Seitenleitwerk regelrecht um die Ohren fliegen. Der Viermot brennt an vielen Stellen, nachdem auch noch das Fahrwerk herausfällt, stürzt die Maschine über die linke Tragfläche ab. Ob sich noch Besatzungsmitglieder retten können, kann ich nicht mehr erkennen. Beim Abkippen genau hinter dem Viermot sehe ich meinen Kameraden Hopfensitz abstürzen, eine weiße Fahne hinter sich her ziehend.

Nach 500 Metern Sturzflug blicke ich nach oben auf den angegriffenen Pulk. Dieser besteht nur noch aus einem brennenden Knäuel zerberstender Maschinen, aus dem zwei oder drei Viermots versuchen, nach links abzudrehen. Die müssen auch noch runter!

Ich werde übermütig und beginne, wieder zu steigen, was mir durch den Fahrtüberschuss beim Stürzen leicht fällt. Beim Steigen sehe ich, dass noch eine Focke-Wulf der 16. Staffel wieder mit mir nach oben gekommen ist und sich jetzt hinter einen Viermot setzt. Freiwillig steigen daraufhin drei Mann aus dem angegriffenen Bomber aus, noch bevor die 190 nur einen einzigen Schuss abgegeben hat. Die ganze B-17 folgt bald nach, nachdem sie von der Focke-Wulf beharkt worden war.

Ich sitze inzwischen 500 Meter hinter einem neuen Gegner, als dort ebenfalls drei Mann freiwillig herausjumpen. Der Viermot fliegt jetzt heftige Abwehrbewegungen. Aus 200 Meter drücke ich kurz auf den Auslösehebel für die 2-cm-Kanonen; nachdem ich dabei Treffer erkenne, schieße ich auch mit den 3-cm-Kanonen und streue über die Flächen. Dies hat eine verheerende Wirkung, denn die ganze Maschine steht gleich darauf in Flammen und nur Sekunden später bricht die Tragfläche neben dem äußeren linken Motor ab.“

In einem der B-17-Bomber („Treble Four“, schlicht „Dreimal Vier“ genannt nach den letzten drei Zahlen der Produktionsnummer, eine B-17 der 487th BG) befindet sich US-Brigadegeneral Fred Castle, einer der fähigsten Kommandeure der 8. US-Luftflotte. An Bord der Boeing sind neun Besatzungsmitglieder, unter anderem zwei Navigatoren und ein Spezialist für das H2X-Navigationsradar. „444“ ist eine spezialisierte B-17 ohne einen weiteren „Kosenamen“, ein Pfadfinderflugzeug, welches dem Rest der Formation den Weg weist und deswegen eine besondere Ausrüstung und Besatzung beinhaltet.

Es geht schon damit los, dass an einem der Treffpunkte der diversen B-17-Squadrons in jenem Bomber-Wing die erwarteten „Mitflieger“ nicht angetroffen werden. Wo bei dem herrlichen Wetter über England die Verzögerung begründet liegt, ist Castle ein Rätsel. Doch es führt zu einer 15-minütigen Verspätung, die man nun aufholen sollte. Denn kurz vor der Front will man sich schließlich zum vereinbarten Zeitpunkt mit der Jagdeskorte vereinigen! Über Deutschland werden die „kleinen Freunde“ in ihren Mustang-Jägern wohl dringend Schutz bieten müssen, davon ist derzeit auszugehen.

Dann fängt der „Nummer Vier“-Motor ganz rechts außen an zu stottern. Lieutenant Harriman, der Pilot, kann immer noch die vorderste Position im Verband halten. Doch der Führungsbomber hat nun ein Handicap. Vielleicht ist „444“ doch nicht so glücklich als „Spitzname“.

Kurz vor der Frontlinie geht es erst richtig los. Keiner der Amerikaner rechnet mit deutschen Jägern hier. Die werden doch nicht so waghalsig sein, über feindlichem Gebiet anzugreifen. Denn das bedeutet bei einem Beschussschaden den Absprung oder die Notlandung hinein in Gefangenschaft.

Und dennoch sind sie da – völlig überraschend. Die Bomber haben noch keinen eigenen Begleitschutz, denn hier hat man den doch wirklich noch nicht nötig – glaubt man. Ein böser Irrtum. Diese Deutschen scheinen derzeit für jede Art von Überraschung gut zu sein, am Boden wie in der Luft. Man hatte die Brüder ziemlich unterschätzt, weiß Gott! Aber diese Erkenntnis hilft jetzt auch nicht weiter!

Die vier Messerschmitt-Jäger rasen aus der Sonne auf den Bomberpulk zu – ein Frontalangriff. „Treble Four“ wird getroffen – der ohnehin labile Motor fällt endgültig aus. Castle übergibt die Verbandsführung an Captain Mayfield Shilling in dessen Boeing, während „444“ zunehmend zurückfällt und nach links giert. Der Bomber ist jetzt sehr schwer zu steuern. Castle sitzt auf dem Platz des Co-Piloten und hilft, die Boeing zu stabilisieren, während der eigentliche Sitzplatzinhaber heute als Heckschütze fungiert.

Entsetzt sehen die Piloten alsbald ins Mündungsfeuer weiterer deutscher Jäger, die erneut von vorne auf sie zu rasen. Ein gewaltiger Schlag erschüttert den Rumpf, als das Geschoss einer deutschen Bordkanone die Bugkanzel vor den Augen der Piloten zerfetzt. Plexiglas splittert, Blut bedeckt den Bugraum. Einer der Navigatoren ist verwundet. Dann bellen die Heck-Maschinengewehre los. Die „Hunnen“ kommen zurück. Jetzt kracht es von hinten. Der ganze Rumpf wird durchsiebt. Die Angst wallt aus dem Brustraum hoch, wird sofort unterdrückt! Handeln ist gefragt! Das Gehirn übernimmt – was funktioniert noch, welche Schäden? Gehetzte Blicke auf die Instrumente. Dann nach draußen. Die Motoren Nummer drei und vier stehen in Flammen. Nein! Das war’s jetzt! Schluss, aus und vorbei!

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Angriff auf eine Boeing B-17 aus der Sicht der Bordkamera eines deutschen Focke-Wulf Fw 190-Sturmjägers.

Castle bleibt äußerlich ruhig. Er gibt der Besatzung den Befehl zum Aussteigen. Der als Heckschütze fungierende Co-Pilot, der Radar-Operator und ein Navigator sind verwundet. „Okay, Jungs. Wir sind getroffen worden – raus hier!“ Obwohl die Boeing unmittelbar darauf in einen Sturzflug übergeht, gelingt es Castle und Harriman, den Bomber abzufangen und so lange zu stabilisieren, bis alle Besatzungsmitglieder abgesprungen sind. Alle außer den beiden am Steuer. Sie selber schaffen es nicht. Die Sauerstoffflaschen im Heck fliegen in die Luft, setzen den Rumpf in Brand. In 3.600 Metern Höhe explodiert schließlich auch noch der rechte Tragflächentank.

Das Flugzeug trudelt spiralförmig zu Boden und zerschellt, gemeinsam mit Castle und Lieutenant Harriman, dem Piloten. Der Co-Pilot schafft zwar mit den anderen den Absprung, erliegt aber später doch noch seinen Wunden. Den Körper des Radar-Operators findet man tot – ohne Fallschirm. *2

Die Bordschützen der Boeing B-17 „Fliegenden Festungen“ wehren sich mit dem Mut der Verzweiflung. Nicht ohne Grund hat jeder der Bomber 12-13 schwere Maschinengewehre an Bord, acht davon in vier elektrisch betriebenen Drehtürmen bzw. schwenkbar im Heckstand. In jede denkbare Anflugrichtung feuern vier bis fünf Maschinenwaffen pro Boeing. Auch Kapteina bekommt dies zu spüren.

„In demselben Augenblick, als die B-17 abzustürzen beginnt, bekomme ich Treffer ins Seitenruder. Ich kann die Pedale nicht mehr bewegen. Da ich nicht weiß, ob das Höhenruder auch etwas abbekommen hat, wage ich nicht abzukippen. Ich fliege an dem entscheidend getroffenen Viermot vorbei und auf einmal kracht es in meinem Motor, der daraufhin sofort qualmt – offenbar hatte doch noch einer der Bordschützen das Feuer auf mich eröffnet, wobei er auf Grund der geringen Entfernung überhaupt nicht danebenschießen konnte. Schnell ist die Kabine voller Qualm und aus der rechten Fußraste schlagen erste Flämmchen hervor. Für mich ist klar, dass ich mich beeilen muss, aus meiner Maschine herauszukommen. Als Fluglehrer, der ich vor meinem Einsatz bei der Sturmgruppe längere Zeit gewesen war, hatte ich meinen Schülern immer eingebläut, dass man zuerst die Gurte lösen und dann die Kabine abwerfen muss. Jetzt aber bekomme ich meine Gurte irgendwie nicht los und entschließe mich daraufhin, ‚sicherheitshalber’ erst einmal die Kabine abzuwerfen – mit schmerzlichen Folgen, denn sofort beginnen die Flammen aus dem Motor in die Kabine hereinzuschlagen. Ich versuche noch zwei- oder dreimal, die Gurte zu öffnen, dann gebe ich es auf. Ich lege die Hände auf die Bordwand, da sie schon verbrannt sind – ich hatte die Handschuhe vor dem Schießen ausgezogen – und in den Flammen ordentlich schmerzen. Langsam schwinden mir die Sinne, ich sehe nur noch rot. Am schlimmsten ist das Einatmen der Flammen, die mir ja am Kopf vorbeischlagen. Ich hoffe nur noch auf einen Aufschlagsbrand, dann wären die Qualen zu Ende.

Plötzlich gibt es einen Knall und ein furchtbarer Schmerz zuckt durch meine sämtlichen Glieder. Dann spüre ich gar nichts mehr, sondern schwebe durch das Blau des Himmels. Bin ich tot?

Langsam komme ich wieder zu mir. Dabei sehe ich die Erde mal oben, mal unten, dann bin ich wieder weg. Und komme noch einmal zu mir. Ich denke: Mensch, du bist gerettet, eben warst du noch in der brennenden Maschine. Als es wieder um mich zu dunkeln beginnt, ziehe ich an einem roten Knopf, der an meiner rechten Seite pendelt. Im selben Augenblick gibt es einen Knall und ich hänge am Schirm.“

Unteroffizier Karl Kapteina gerät mit viel Glück in Gefangenschaft (Image, Werknummer 682776). Hier zeigt sich wieder einmal die Konsequenz einer Fehlplanung der deutschen Führungsstäbe. Denn mit Kapteina landen weitere vier Piloten der IV./JG 3 in alliierter Kriegsgefangenschaft, ein sechster Pilot fällt. Er wäre im Ringen mit den Bombern der einzige dauerhafte „Verlust“ geblieben, hätte man den Luftkampf mit seinen unvermeidlichen und vorhersehbaren Konsequenzen über eigenem Hoheitsgebiet ausfechten lassen, anstatt die Sturmjäger über dem amerikanisch und britisch besetzten Belgien „ins offene Messer“ zu dirigieren. Allerdings – auf diese Weise hatte man immerhin clever den feindlichen Jagdschutz ausgetrickst. Auch das hat eindeutig etwas für sich. Ob es aber Absicht war?

Es ist Oberfeldwebel Egon-Georg Schulz, den die Geschosse eines Boeing-Schützen vom Leben zum Tode befördern (Image, Werknummer 681496). Er gehört zur 15. Staffel, die heute am schlimmsten dezimiert wird. Auch Fahnenjunker-Feldwebel Hopfensitz, den Kapteina hatte niedergehen sehen, gehört zu dieser Staffel. Hopfensitz (Image, Werknummer 682305) hatte sich in seiner Focke-Wulf 190 A-8/R2 zu einem zweiten Angriff entschlossen und hinter einer Boeing in Schussposition gebracht, als ein Volltreffer seinen Motor außer Gefecht setzt. Der Schütze des oberen Drehturmes einer 30 Meter hinter und unter der angegriffenen „Fliegenden Festung“ positionierten Boeing konnte fast nicht danebentreffen – diese B-17 hatte Hopfensitz übersehen. Hopfensitz entkommt unverletzt mit dem Fallschirm und verbringt den Rest des Krieges in einem Kriegsgefangenlager – was ihm vermutlich das Leben rettet. Ebenso viel „Glück“ haben seine Staffelkameraden Unteroffizier Kurt Klose (Image, Werknummer 682191) und Obergefreiter Hubert Hirschfelder (Image, Werknummer 682313). Und auch ein Pilot der 14. Staffel gerät in alliierte Hände, es ist Feldwebel Josef Sommer, der seine Fw 190 A-8/R2 (Image, Werknummer 682739) auf Grund eines Treffers in der Ölleitung bei Lüttich notlanden muss und ebenfalls unverletzt die Hände heben darf. Zwei weitere Focke-Wulf werden beschädigt.

Dem stehen allerdings acht sicher vernichtete viermotorige Bomber gegenüber, weitere zwei werden als „Herausschuss“ gewertet. Das ist eine Beschädigung derart, dass der Bomber zurückfällt und den Schutz seines Pulks verliert. Fast immer ist dies einem Todesurteil für das Flugzeug gleichzusetzen. Es ist korrekterweise kein voller Abschuss! Auch nicht der letzte Akt, die „endgültige Vernichtung“.

Die erfolgreichen Piloten sind Leutnant Peter Sarfert (16./JG 3), Feldwebel Werner Martin (Stab der IV. Gruppe), Hauptmann Hubert-York Weydenhammer (Stab der IV. Gruppe), Unteroffizier Heinz Bake (14./JG 3), Fahnenjunker-Feldwebel Hopfensitz (15./JG 3), Obergefreiter Hubert Hirschfelder (15./JG 3) und zweimal Unteroffizier Karl Kapteina (15./JG 3). Die Herausschüsse werden von Unteroffizier Helmut Keune (14./JG 3) und Feldwebel Hans Claessen (15./JG 3) gemeldet.

Der weitere Ablauf zeigt anschaulich, mit welcher Grimmigkeit die Luftkämpfe ausgefochten werden. Flying Officer D. H. Cumming und Flying Officer W. T. Dunkeld fliegen mit ihren Hawker „Typhoon“ IB Höhendeckung für sechs Kameraden, die sich nach britischen Angaben südöstlich von Eindhoven weiter unten nach Bodenzielen umsehen. Hauptmann Wolfgang Kosse dagegen hat mit seiner 13. Staffel des JG 3 bereits jenen schweren Einsatz gegen die amerikanischen Boeing B-17-Pulks hinter sich. Die Reste seiner Formation sind auf dem Rückflug, die Piloten gezeichnet vom nervlichen Aderlass des Luftkampfes. Und dennoch zögert Kosse keine Sekunde. Um 12.35 Uhr schlagen die Geschosse seiner Focke-Wulf Fw 190 A-9 in rascher Folge in die beiden Deckung fliegenden Jagdbomber der 440 Squadron ein. Beide Hawker „Typhoon“ Jagdbomber (Image, Produktionsnummer MN665 – Cummings Maschine – und Image, Produktionsnummer PD462, Dunkelds Typhoon) stürzen ab, beide Kanadier kommen nicht mehr aus ihren getroffenen Flugzeugen. Zwei weitere Typhoon werden kurz danach getroffen, Leutnant Gotthard Glaubig (14./JG 3) und Leutnant Günther Rennwanz (15. Staffel) sind die Sieger im Duell. Allerdings ist davon auszugehen, dass die beiden kanadischen Piloten ihre Maschinen noch bis in eigenes Territorium bringen und unverletzt bleiben, denn die 440 Squadronverzeichnet an diesem Tage nur noch einen Ausfall. Es ist die Typhoon MN453 Image des Piloten Flying Officer C. F. Harwood, welcher jedoch schon um 12.20 Uhr runde 80 Kilometer entfernt von Eindhoven – südöstlich von Schleiden – das Opfer deutscher Flak-Geschosse wird und fällt. Weitere Typhoon-Verluste durch Focke-Wulf-Jäger finden zwar tatsächlich statt, aber bereits gegen 12.00 Uhr und 135 Kilometer von Eindhoven entfernt bei Enschede. Hierüber wird später berichtet.

Die deutschen Dienststellen lokalisieren den Ort des Luftkampfes bei Lüttich (nur 45 Kilometer von Schleiden entfernt!). Kosses Triumph über die bravouröse Doublette, sein 27. und 28. Abschuss, wärt nicht lange. Squadron Leader Evan D. Mackie, Kommandeur seiner Einheit wie Kosse, beobachtet aus der Überhöhung den Abschusserfolg des Deutschen. Die sieben Hawker „Tempest“ Mk. V der 274 Squadron fackeln nicht lange. Zehn Minuten später, um 12.45 Uhr, trudelt Kosses Focke-Wulf 190 A-9 (Image, Werknummer 205265) brennend zu Boden, getroffen von Mackies Geschossen. Kosse stirbt beim Aufprall seines Jagdflugzeuges. Und die 13. Staffel hat ihren Staffelkapitän verloren.

Die I. Gruppe des JG 3 hat gerade mal noch 24 Flugzeuge aufzubieten und wird zur „freien Jagd“ in den Ardennenbereich eingewiesen. Um 11.00 Uhr heben die Messerschmitt Bf 109 G-10 und G-14/AS in Paderborn ab. Kurze Zeit später wird ein einfliegender Verband amerikanischer B-26 „Marauder“-Mittelstreckenbomber gemeldet, auf den die Formation angesetzt wird. Doch die Amerikaner haben aus ihren fürchterlichen Verlusten des gestrigen Tages gelernt – die Marauder werden derartig abgeschirmt, dass an ein Durchkommen zu den zweimotorigen Bombern nicht zu denken ist. Stattdessen holen die amerikanischen Begleitjäger fünf ihrer deutschen Widersacher vom Himmel, ohne dass diese auch nur eine einzige der P-51 „Mustangs“ erwischen können. Ein weiterer Verlust entsteht am Nachmittag – ausgerechnet Staffelkapitän Leutnant Ruhl. Das permanente Ausbluten nimmt kein Ende. Bald muss die Einheit mangels erfahrenerer Staffelkapitäne von Feldwebeln „geführt“ werden, welche selber noch dringend kundiger Anleitung bedurft hätten. Das kann einfach nicht gut gehen!

Besonders deutlich wird dies am Einsatz der III. Gruppe des JG 3. Die Staffeln erhalten unterschiedliche Einsatzaufträge und werden so auch noch unnötig zersplittert. Die 9. Staffel startet in Bad Lippspringe um 11.20 Uhr und wird gegen die Bomberformationen dirigiert, kann aber keine Erfolge erzielen. Stattdessen fehlt Unteroffizier Bernhard Brand (Image, Werknummer 464114) bei der Rückkehr der Messerschmittjäger. Er hat es Berichten zufolge in seiner Me 109 G-14 irgendwie doch überlebt. Anders ergeht es drei Piloten der 12. Staffel. Unteroffizier Düsedau führt einen Schwarm an (das sind vier Maschinen), doch ein Motorschaden zwingt ihn zur Umkehr. Ohne ihn fliegen die anderen drei weiter – in ihr Verderben. Keiner von ihnen überlebt den tapferen, aber unsinnigen Versuch, zahlenmäßige Unterlegenheit und das Fehlen ihres erfahreneren Schwarmführers durch Mut auszugleichen. Es bleiben die Erinnerung ihrer Angehörigen und ihre Namen: Unteroffizier Friedrich Benning (Image, Me 109 K-4, Werknummer 331380), Unteroffizier Friedrich Schnödewind (Image, Me 109 G-14, Werknummer 462780) und Obergefreiter Herbert Krawczyk (Image, Me 109 K-4, Werknummer 330465).

Mit variierenden Ostkursen dringen die Bomberpulks weiter ins Reichsgebiet vor. Nun sind auch die I. Gruppe des JG 27 und das gesamte JG 6 „am Feind“. Es kommt zu erbitterten Luftkämpfen mit den überlegenen Amerikanern, wobei die I./JG 27 bei St. Vith eine empfindliche Niederlage einstecken muss. Ohne eigene Erfolge werden fünf ihrer Me 109 G-14 bzw. K-4 abgeschossen, nur Flieger Heinrich Schiemert (2./JG 27) wird schwer verletzt geborgen, die anderen sind tot oder vermisst. Die WASt. gibt keine Kennungen an, lediglich Name, Flugzeugtyp und Werknummer sind bekannt. Feldwebel Wilhelm Deutschmann (3./JG 27) fällt, vermisst sind Unteroffizier Otto Saffranowski (1./JG 27), Oberfähnrich Max-Heinz Klick (nach Absprung, 2./JG 27) und Unteroffizier Georg Binder (3./JG 27).

Auch die I./JG 1 kann den Amerikanern keine Revanche zufügen dafür, dass diese ihren Fähnrich Wilhelm Grundmeier (1./JG 1, Image, Fw 190 A-8, Werknummer 733986) bei St. Vith in den Heldentod schießen. Unteroffizier Helmut Rechenbach hat es mit den Jägern zu tun, die die blau-weiß-roten Kokarden der Royal Air Force am Rumpf tragen. Er entkommt ihnen verwundet durch eine Notlandung bei Enschede (4./JG 1, Image, Fw 190 A-9, Werknummer 490026). Die II./JG 1 schlägt sich bis zu den Bombern durch, denn einer ihrer Piloten (Hauptmann Hermann Staiger) meldet den Abschuss einer Boeing B-17 – sein 62. Abschuss! Die Todesumstände des einzigen Gefallenen der Gruppe sind dagegen nicht geklärt – aus unerfindlichen Gründen stürzt Unteroffizier Paul Kolbe (8. Staffel, Image, Werknummer 960683) bei der Landung ab.

Die III./JG 1 wird mit Startzeit 11.30 Uhr auf die englischen viermotorigen Halifax- und Lancaster- Bomber angesetzt. Doch sie geraten zunächst an die Begleitjäger – britische, dieses Mal. Hauptmann Erich Woitke (Image, Werknummer 490723) fliegt mit seiner Me 109 G-10/AS einer Spitfire trotz verbissenem und versiertem Kurvenkampf vor das Zielvisier. In 8.000 Meter Höhe zwischen Düsseldorf und Aachen verwandelt sich seine Me 109 in einen explodierenden Feuerball. Leutnant Hans Halbey ist geschockt – und vergisst dennoch nicht, Sekunden später seine eigenen Bordwaffen auszulösen. Die von ihm getroffene Spitfire stürzt brennend zu Boden.

Wieder ist es schwierig, dies mit den Angaben der britischen Luftstreitkräfte in Einklang zu bringen. Am ehesten ist eine Spitfire Mk. XIV der 350 Squadron, die um 11.40 Uhr angeblich von Flak nahe Malmédy abgeschossen wird, irgendwie mit Halbeys Meldung zu korrelieren – wenn auch zugegebenerweise hinsichtlich Ort (40 Kilometer südlich von Aachen) und Absturzursache unbefriedigend. Hat ihr die Flak nur „den Rest gegeben“?

Außer Woitke fällt noch Leutnant Heinz Schöne (Image, Werknummer 780374), dessen Me 109 G-14/AS offenbar dem Abwehrfeuer eines englischen Bombers zum Opfer fällt. Leutnant Hubert Heckmann gelingt unverletzt eine Bauchlandung, die seine Messerschmitt nur beschädigt.

Nördlich von Aachen patrouillieren Schwärme von Spitfire, Typhoon und Tempest der britischen 2nd Tactical Air Force und treffen dort auf die deutschen Jäger der I. und III./JG 1 (siehe oben), zwei Gruppen des JG 26, drei des JG 27 sowie die IV./JG 54. Sofort entwickeln sich Luftkämpfe, eine Typhoon der 193 Squadron stürzt brennend ab (MN705, Pilot Officer N.I. Freakley, getötet), eine weitere versucht, angeschossen zu entkommen. Zehn britische Jäger, die sich gerade über dem Münsterland befinden, eilen zu Hilfe. Aus der Sonne heraus werden sie sofort von den deutschen Jägern angegriffen. Wenig später stürzen zwei weitere Typhoon vom Himmel. Es sind Maschinen der 197 Squadron, welche um „ungefähr“ („estimated“) 12.00 Uhr bei Enschede/Gronau zerstört werden. Pilot Officer D.I. McFee (Image, Produktionsnummer MN634) gerät dabei in deutsche Gefangenschaft, während Warrant Officer H.W. Read (Image, Produktionsnummer MN634) fällt. Merkwürdig ist, dass außer der IV./JG 3 unter Hauptmann Kosse (siehe oben) keine deutsche Einheit den Abschuss von Typhoon-Jagdbombern meldet, obwohl die Briten sogar den Jägertyp definieren – es sind Focke-Wulf.

Über der Münstereifel und im Raum Euskirchen trifft das JG 77 auf den Gegner. Die I. Gruppe erleidet über Luxemburg außerordentlich empfindliche Verluste gegen amerikanische P-38 „Lightning“- und P-47 „Thunderbolt“-Jäger. Ihr gelingt nur ein Abschuss – es ist eine P-38, die von Leutnant Schlick (4./JG 77) um 09.35 Uhr bezwungen wird. Aber sie verliert immerhin 16 Me 109 G-14, acht Piloten fallen, zwei sind vermisst. Es sind vom Stab der I. Gruppe: Hauptmann Lothar Baumann (Image, Werknummer 512372), Oberfähnrich Hans-Ulrich Hübner (Image, 511865) und Fahnenjunker-Unteroffizier Horst Sandkuhl (Image, 512390). Dann Feldwebel Werner Georgi (1./JG 77, Kennung ?), Oberleutnant Iring Englisch (2./JG 77, Image, 512356), Unteroffizier Anton Morgerauer (2./JG 77, Image, 511036), Unteroffizier Günther Köberlein (2./JG 77, Image, 512330), Gefreiter Rupert Cerveny und Oberfähnrich Norbert Kaschubowski (beide 3. Staffel – die Kennung ihrer Maschinen ist unbekannt) sowie Unteroffizier Günter Binder (4./JG 77, Image, Werknummer 463004). Ein Flugzeugführer überlebt mit einer Bauchlandung, gerät jedoch in Gefangenschaft. Leutnant Rolf von Kampen (Image, Werknummer 511069) muss wohl oder übel seinen 21. Geburtstag in amerikanischer Gesellschaft „feiern“. Doch besser so, denn ein anderer Pilot, es ist Feldwebel Joachim Nordmeyer (Image, Werknummer 512352), erlebt seinen nächsten Geburtstag nicht, sondern muss in einem weiteren Einsatz heute sterben. Hans Göritz schreibt in einem Brief: „An diesem Tage kehrte unser Staffelkapitän Oberleutnant Englisch vom Feindflug nicht zurück. Unsere Betroffenheit und das Gefühl der Ohnmacht haben wir an diesem Abend im Alkohol ertränkt.“

Die II./JG 77 ist durch einen schweren Bombenangriff auf ihren Platz in Mühlheim nicht in der Lage, über die völlig mit Bombenkratern übersäte Startbahn hinweg in die Luft zu kommen. Sie weicht später auf Grasstreifen aus, um zu starten. Und die III./JG 77 greift mit acht Messerschmitt Bf 109 K-4 an. Sage und schreibe: Acht! Von 52, die eine Gruppe mit vier Staffeln an Sollstärke normalerweise hätte. Die Engländer und Amerikaner haben sie! In voller Soll- und Kampfstärke, bestens trainiert. Dennoch gelingt es dieses Mal, im Luftkampf besser auszusehen als der Gegner. Obwohl die Amerikaner und Engländer sich zusammentun und sich dann gemeinsam der kleinen Gruppe „annehmen“, gelingt es Leutnant Rogall (9./JG 77) und Feldwebel Goralski (12./JG 77) jeweils eine Spitfire zu vernichten, während Fähnrich Braband (11./JG 77) eine P-47 „Thunderbolt“ abschießt. Im Gegenzug holen die Alliierten Leutnant Armin Fitzer (Image, Werknummer 330194) tödlich vom Himmel, während ein weiterer Abschuss ohne Verletzung des Piloten abgeht. 3 : 2 steht es somit für die Luftwaffe – immerhin! Doch was sind Zahlen? Wem nützen sie angesichts der menschlichen Tragödien im Cockpit?

Andere Jagdeinheiten melden Luftkämpfe im Raum Malmédy und Eindhoven, weitere zwischen dem Rhein und Holland. Der deutsche Abwehreinsatz gerät außer Kontrolle. Keiner weiß mehr, wer sich an welchen Orten mit welchen Gegnern schlägt. Überall wird mit Verbissenheit gekämpft und gestorben.

Zwei große alliierte Angriffsformationen kristallisieren sich nun heraus. Der eine Teil wird die Flugplätze des JG 4 und JG 11 bombardieren, der Angriff des zweiten Teiles richtet sich gegen die Basen des JG 2 und – nach amerikanischen Angaben – „Kommunikationszentren“. Während die amerikanischen Bomber ihre Flugplätze in Trümmerwüsten verwandeln – und dennoch erstaunlich wenige Flugzeuge am Boden zerstören –, schlagen sich die Piloten der I./und III./JG 11 im Raume Trier mit amerikanischen P-38 „Lightnings“ der 9th USAAF herum. Irgendwo ficht auch die II. Gruppe mit irgendwem. Drei Lightnings stürzen getroffen ab, doch wieder einmal geht der Punkt an die Amerikaner. Den Erfolgen von Oberleutnant Dähne (10.23 Uhr, 12./JG 11), Hauptmann Kirchmayr (10.27 Uhr, I./JG 11) und Oberfeldwebel Hiller (10.30 Uhr, 12./JG 11) stehen vier Gefallene bzw. Vermisste und sechs abgeschossene Flugzeuge gegenüber. Major Hans-Heinrich Bischoff (Stab der I. Gruppe, Image, Werknummer 960509) wird nach Abschuss seiner Focke-Wulf 190 A-8 vermisst, ebenso Feldwebel Anton Schulirsch (3./JG 11, Image, Werknummer 733962), Leutnant Herbert Richter (12./JG 11, Image, Werknummer 350232) und Fähnrich Hermann Franz (12./JG 11, Image, Werknummer 731798). Unteroffizier Ernst Schubert kommt verwundet mit dem Fallschirm davon (1./JG 11, Image, Werknummer 960654), ebenso Unteroffizier Helmut Liebsch (12./JG 11, Image, Werknummer 731009).

Der Abwehreinsatz

der Sturmgruppe des JG 300

Die Mustangs, Thunderbolts und Lightnings des Bomber-Begleitschutzes fliegen nun plötzlich in Teilen dem Bomberstrom voraus. Der riesige Verband aus drei „Bomb-Divisions“ kommt im Raum Gießen in die Reichweite der bewährten „Bomber-Killer“ der Jagdgeschwader 300 und301. Dort drehen die Viermotorigen ab nach Süden. Die Focke-Wulf A-8/R2 „Sturmbock“ dieser Jagdgeschwader sind besonders gepanzert und sehr schwer bewaffnet. Die gegen Feindjäger gut, gegen Bomber jedoch weniger wirksamen 13-mm-MGs auf der Motorhaube wurden meistens entfernt, dafür sind die äußeren Tragflächenkanonen vom Kaliber 20-mm auf 30-mm verstärkt (Mk 108). Drei bis vier Treffer aus dieser Waffe genügen im Durchschnitt, um einen schweren viermotorigen Bomber der Amerikaner in ein brennendes Wrack zu verwandeln. Doch die so aufgerüsteten Focke-Wulf sind viel schwerer, dadurch spürbar langsamer und weniger manövrierfähig als die serienmäßig ausgerüsteten Fw 190 A-8. Sie sind speziell als fliegende Panzer zum Angriff gegen Bomber gebaut - gegen Mustangs oder Spitfire können sie nicht bestehen. Daher ist innerhalb des JG 300 nur die II. Gruppe mit diesem Flugzeugtyp ausgerüstet, die drei anderen Gruppen fliegen schnelle Me 109 G-10 beziehungsweise G-14/AS und haben die Aufgabe, die „Sturmjäger“ vor den amerikanischen Begleitjägern zu schützen. In Anbetracht der enormen zahlenmäßigen Übermacht der Gegner ist das inzwischen ein hoffnungslos zum Scheitern verurteilter Auftrag. Die Piloten der „Sturmböcke“ sind aber elementar auf diesen Schutz angewiesen. Ohne Deckung durch die Me 109 sind sie den Mustangs fast ausgeliefert.

Nachdem eine Formation von drei Schwärmen (also zwölf Jagdflugzeugen) unter Führung von Hauptmann Peter Jenne (12./JG 300) um 10.35 Uhr gestartet und ohne Feindberührung gegen 11.50 Uhr in Jüterbog wieder gelandet war, steigt die Spannung der Piloten in Borkheide, Löbnitz, Mark Zwuschen, Reinsdorf und Jüterbog von Minute zu Minute. Alles in allem kann das Jagdgeschwader 300 in etwa 130 Jagdflugzeuge in die Schlacht werfen. 30 davon sind „Sturmjäger“.

Die Minuten verrinnen wie Stunden. Das I. Jagdkorps bestimmt inzwischen einen der bekanntesten Verbandsführer des Geschwaders zum Einsatzkommandeur. Einen offiziellen Kommodore hat das JG 300 derzeit nicht. Also soll der Kapitän der 5. Staffel, oft vertretungsweise auch der II. Gruppe, Oberleutnant Klaus Bretschneider, heute den Angriff aller vier Gruppen leiten. Bretschneider hatte erst neulich das Ritterkreuz zuerkannt erhalten und gilt als fähiger Mann, der allseits respektiert wird.

13.40 Uhr! Sitzbereitschaft! Jetzt hat das Warten ein Ende! Die Handgriffe sind hunderte Male geübt – bei vielen, leider bei weitem noch nicht bei allen! Handschuhe an, Gurte fest. Ein aufmunternder Blick durch den Wart. Komm wieder, Kumpel! Und – hm – halt die Ohren steif! Dann sieht der Mechaniker weg. Der junge deutsche Jagdflieger weiß, was sein Kamerad denkt. Na ja, es wird schon gut gehen!

13.52 – 13.55 Uhr. Grüne Leuchtschüsse. Es geht los! Die Haube ist zu. Ab jetzt ist jeder in seinem kleinen, engen Kampfstand ganz auf sich allein gestellt. Umsicht, Konzentration und fliegerisches Können sind nun überlebenswichtig. Der Glaube an sich selbst – zusammen mit ein wenig Glück, hoffentlich. Die anderen sind da – draußen! Hier drin hilft Dir nur einer, das bist Du selbst. Und Gott ...

Die Tausende Pferdestärken röhren los. Dann heben die Jagdflugzeuge ab. Langsam gewinnen sie Höhe, formieren sich. Sie tragen ihre Insassen einem ungewissen Schicksal entgegen. Vermutlich sind genauso viele Stoßgebete am Himmel wie Flugzeuge, gemischt mit grimmiger Entschlossenheit.

14.10 Uhr. Es geht schon prächtig los! Können die da unten denn nicht aufpassen, was sie tun? Wir sind das doch, nicht die anderen! Verfluchte Vollidioten! Ein deutsches Flak-Geschoss macht dem Feindflug Feldwebel Berthold Wendlers aus der 3./JG 300 ein jähes Ende. Der Sprengkörper trifft fast direkt den Motor der Messerschmitt Bf 109 G-10 Image. Wendler greift nicht zum ersten Mal in seiner fliegerischen Karriere zum Fallschirm. Er lässt sich 5.000 Meter tief fallen, bevor er weit ab vom Schussfeld die Reißleine zieht. Zum Glück – das unerlässliche Quäntchen – bleibt er unversehrt.

Die vier Gruppen des Geschwaders haben nun Sichtkontakt untereinander. Bretschneider gibt jetzt den Befehl zum Anflug, der Gefechtsverband nimmt Kurs nach Westen. Bretschneiders Streitmacht wird von den Bodenleitstellen der Jagddivision in Döberitz mit Hilfe der Informationen durch die Funkmess-Radargeräte per Funk an den Feind herangeführt. Die elektronische Ausrüstung ermittelt die ungefähre Stärke, die Flughöhe und den Kurs der Verbände und ermöglicht im Prinzip sogar eine Freund-Feind-Erkennung. Doch offenbar verliert man am Boden in Anbetracht eines Zustandes, bei welchem mehr Flugzeuge in der Luft sind als Engel im Himmel, den Überblick. Vor allem mangelt es an Schutzengeln heute! So gelingt es den Amerikanern, die Gruppen eher einzeln in Empfang zu nehmen – und das teilweise für die deutschen Flugzeugführer völlig überraschend.

14.18 Uhr. Die I. Gruppe des JG 300 hat eine Höhe von etwa 7.000 Metern erreicht, als ihre Me 109 G-10 von den Amerikanern entdeckt und Im Bereich Siegen – Kassel – Eisenach „zum Tanz aufgefordert“ werden. Innerhalb von Minuten ist eine verbissene „Kurbelei“ im Gange. Die Mustangs sind zahlenmäßig überlegen und werden von aggressiven Piloten geflogen. Den Amerikanern sitzt die Demütigung ihrer Bodentruppen in den verschneiten Ardennen gründlich in den Knochen. Hier bietet sich die Chance zur Revanche! In heftigen Kurvenkämpfen versuchen sich die Deutschen in ihren ebenso schnellen, steigfähigeren, doch etwas weniger wendigen Messerschmitt-Jägern zu behaupten.

Unteroffizier Heinz Wischhöfer (1./JG 300) erwischt es bei Bad Hersfeld. Er springt noch ab aus seiner Image und kommt bei einer Forsthütte am Boden auf. Nachdem er dort „aufgelesen“ wird, findet er sich unversehens in Begleitung zweier Fliegerkameraden vor, mit welchen er in die nächste Stadt transportiert wird. Nur, dass deren fliegender Untersatz blau-weiß-rote Kokarden Image am Rumpf trug ...

Die Image (Werknummer 783951) kommt hart auf bei der Notlandung nahe Klingen. Das Flugzeug, eine Me 109 G-14/AS, wird dabei gründlich zerstört. Sein Pilot, Unteroffizier Anton Heck aus der 2. Staffel, kommt glücklicherweise mit nur leichten Blessuren davon. Und das zählt! Ob es bei dem Opfer Feldwebel Alfred Büthes (1. Staffel) auch so ist, bleibt offen. Büthe bekommt eine der Mustangs vor sein Reflexvisier und hält mit seinen Bordwaffen drauf. Das amerikanische Jagdflugzeug stürzt in trudelnden Spiralen senkrecht zu Boden, doch Büthe kann ihr nicht lange genug hinterhersehen, um ihren Aufprall sicher beurteilen zu können. Zu viele Kameraden des Amerikaners sind entschlossen, den Spieß herumzudrehen. Er reicht einen „wirksamen Beschuss“ als Teilerfolg ein.

Oberleutnant Erwin Stahlberg sieht keinen Sinn darin, seine Männer in einem hoffnungslosen Abwehrkampf gegen die Übermacht an hoch versierten feindlichen P-51-Piloten zu verheizen. An die Bomber heranzukommen, wie es geplant war, ist offensichtlich aussichtslos. Also befiehlt er den Abbruch des Kampfes und die Rückkehr zum Flugplatz.

Wenn das so leicht wäre! So einfach davonfliegen geht nicht – mit den Mustangs an den Fersen. Dennoch gelingt es den Männern in ihren Me 109, sich „vom Feind zu lösen“. Als sie schließlich um 15.55 Uhr zur Landung ansetzen, erwartet sie eine weitere böse Überraschung. Bodenfrost! Innerhalb von nur fünf Minuten sind zusätzliche vier Flugzeuge beschädigt. Zwei davon schlittern zusammen ...

Böse „gerupft“ wird die IV. Gruppe des JG 300. Etwa 25 Kilometer südwestlich von Kassel liegt Fritzlar, fast genauso weit südöstlich ist Walburg gelegen. Über dem Luftraum dieses Dreieckes fallen die Mustangs unerbittlich über den deutschen Jagdverband her. Auch hier ist an einen Durchbruch zu den Bombern nicht zu denken. Es ist etwa 14.20 Uhr.

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Kurt Stockdreher, gefallen am 24.12.1944.

Was hilft es, die Einzelschicksale aufzuzählen? Der eine hat Glück, andere haben es nicht. So einfach ist das. Und so grausam. Zu jenen Letzteren gehört Leutnant Franz Günther. Er fliegt eine Messerschmitt Bf 109 G-14/AS mit dem blauen Code Image, (Werknummer 780780) aus der 16. Staffel. Es dauert zwei Wochen, bis man seine Leiche findet. Noch schlimmer sehen die „sterblichen Überreste“ eines Staffelkameraden aus, dessen Me 109 G-10/R6 (Image, Werknummer 490309) nördlich von Niedermöllrich bei Felsberg (östlich von Fritzlar) aufkommt und dabei Feuer fängt. Unteroffizier Kurt Stockdreher ist ein wirklich gut und sympathisch aussehender junger Mann. Seit zwei Wochen ist er verheiratet. Er kommt nicht heraus! Sein fürchterlich verbrannter Körper kann immerhin noch identifiziert werden.

Nur 500 Meter weiter zerschellt eine weitere Messerschmitt. Der junge Deutsche an Bord ist gerade mal 20 Jahre jung. Es ist sein dritter Feindflug – der erste überhaupt, der in einen Luftkampf mündet. So fatal kann eine „Feindberührung“ sein. Unteroffizier Wilhelm Albert stirbt in seiner Me 109 G-10/R6 (Image, Werknummer 490435). Der unbeliebte Rüstsatz R6 erhöht die Feuerkraft des an sich durchaus konkurrenzfähig schnellen deutschen Jagdflugzeuges um zwei zusätzliche 20-mm-Gondelkanonen unter den Tragflächen, reduziert dadurch aber die entscheidende Agilität, Wendigkeit und Geschwindigkeit und führt so zu einem bedenklichen Leistungsabfall gegenüber modernen Feindjägern, wie es die P-51 D „Mustangs“ nun einmal sind. Technische Unterlegenheit gepaart mit Unerfahrenheit und auch noch drastischer Unterzahl jedoch ist tödlich!

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Abschuss einer Me 109 G-10 in der Geschützkamera einer P-51 „Mustang“ der 357th US Fighter Group.

Hätten die deutschen Jagdflugzeugtypen den konstruktiv hoch entwickelten Trick der Wasser-Methanol-Einspritzung nicht, wer weiß, wie viele Opfer der Einsatz noch gekostet hätte. Diese Notleistung steht zwar nur für kurze Zeit zur Verfügung. Doch sie beschleunigt die Me 109 derartig, dass ihre Verfolger meistens das „Nachsehen“ haben, zumindest beim Hochziehen. Selbst in einer Mustang.

Gefreiter Günter Finkel und Leutnant Willi Rühl nützt auch diese Zusatzleistung nichts. Immerhin gelingt es beiden, unverletzt mit dem Fallschirm abzuspringen. Finkel (15./JG 300) verlässt sein Flugzeug bereits gegen 14.30 Uhr, während Rühl (14./JG 300) sich in seiner Me 109 G-10 Image bis 15.00 Uhr behaupten kann. Dann muss auch er raus. Beim ruckartigen Öffnen des Fallschirmes allerdings haben es seine Fliegerstiefel eiliger als er selber, zur Erde zu kommen. Rühl kann ihnen nur hinterhersehen. Praktischerweise landet er auch noch in einem Baum. In den obersten Ästen verfängt sich der Fallschirm. So pendelt Rühl mit frierenden Füßen in seinen Gurten hängend zwischen Baumkrone und Erde und wartet zunehmend dringender auf Hilfe.

Ein Forstbeamter findet den Jagdflieger schließlich – rechtzeitig, um ihn vor dem Erfrieren zu bewahren. Noch vor dem „Heiligen Abend“!

Ein Fest des Friedens und der Versöhnung.

Es ist kaum zu glauben!

Auf der anderen Seite wird eine einzige Mustang beobachtet, die mit einem Rauchschweif in die Tiefe geht. Feldwebel Edgar Klenow hatte ihr Treffer beigebracht, gibt aber seinem Schwarmführer Oberleutnant Friedrich Krancke den Vorrang, welcher ebenfalls wirksam auf dieselbe P-51 geschossen hatte. Schließlich wird der Abschuss anerkannt und Krancke zugeordnet.

Und noch ein Flugzeug geht verloren. Es ist erneut eine Me 109 der IV./JG 300. Zwei Jäger der 14. Staffel haben Befehl, einige einzeln fliegende Aufklärer des Gegners abzufangen. Die Maschinen klettern bis auf 10.000 Meter Höhe, als sie schließlich im Luftraum über Kassel ihr vorgesehenes Opfer entdecken. Doch das ist es dann auch schon.

Sekunden später ist die Kanzel der Messerschmitt Feldwebel Walter Ibolds in der extrem kalten Höhenluft von einer Eisschicht bedeckt. Die Sicht hierdurch strebt gegen Null! Ibold geht unverzüglich in einen kontrollierten Sinkflug über – wörtlich genommen ist es ein Blindflug nach Instrumenten.

Plötzlich schlagen Geschosse mit Brachialgewalt in das Heck seiner Maschine. Das Ruder gehorcht ihm nicht mehr. Die Messerschmitt kippt ab und rast der Erde entgegen.

Todesangst kommt auf. Raus hier! Rrrraus! Doch die vereiste „Erla-Haube“ klemmt. Das darf nicht wahr sein – nicht gerade jetzt! Herrgott, hilf mir! Ibold stemmt sich mit seiner ganzen Kraft gegen das verdammte Plexiglas. Noch einmal. Der Sturzflug ist nicht mehr aufzuhalten! Doch die Kanzel will „ums Verrecken“ nicht nachgeben. Mein Gott – Nein!

Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis es endlich geschafft ist. Ibold springt sofort heraus und zieht unmittelbar darauf die Reißleine. Er tut dies keine Sekunde zu früh. Der Fallschirm hat nicht einmal Zeit genug, sich voll zu entfalten, als der Feldwebel auf dem kalten deutschen Winterboden aufschlägt.

Das Nächste, was Ibold spürt, sind die Schmerzen der schweren Prellungen, die er sich zugezogen hatte. Was er hört, ist das Kreischen von Bremsen. Dann realisiert der Pilot, dass er wenige Meter neben einer Bahnlinie aufgetroffen war. Er hat nun feste Erde unter den Füßen, sehr feste, fürwahr! Gefroren harte Erde.

Ein Zug hält. Menschen steigen aus, eilen zu Hilfe. Als Ibold aufsieht, stehen zu seiner Überraschung alte Bekannte aus seinem Heimatort vor ihm! Was sie ihm wohl in dieser Situation zu sagen haben?

Etwa: „Frohe Weihnachten, Walter!“? Offenbar hat Petrus doch noch ein paar Schutzengel übrig.

Die benötigt auch Feldwebel Heinz-Paul Müller, der nach seiner Wiedergenesung heute zur 9. Staffel der III. Gruppe zurückkehrt. Als er auf dem Fliegerhorst Mark Zwuschen eintrifft, freut er sich auf seinen Zimmergenossen und Bettnachbarn. Die Nachricht trifft ihn unvorbereitet, dass sein Kamerad gerade erst die letzte Ruhe gefunden hat. Auf dem Bett neben ihm wird er nie wieder liegen.

Die III. Gruppe des JG 300 wird soeben zur Bereitschaft befohlen. Müller hat kaum Zeit, seine Ausrüstung zusammenzuklauben, als er sich schon am Liegeplatz seiner Staffel wiederfindet. Doch er kommt zu spät. Die Piloten der Gruppe haben bereits die 1.850 PS (1.361 kW) starken Daimler-Benz DB-605D-12-Zylinder-Motoren ihrer Messerschmitt Bf 109 G-10 angelassen. Die Formation röhrt vor Müllers Augen los. Das charakteristische hohe Sirren im Motorgeräusch dieser Hochleistungsmaschinen liegt wie Musik in der Luft.

Müller hält nichts mehr zurück! Was er tut, ist streng verboten. Aber da steht sie, seine Messerschmitt!

Minuten später tönt das besinnlich-friedliche Weihnachtslied der Nächstenliebe, die Hymne „Stille Nacht, heilige Nacht“ aus den Lautsprechern der Flugplatzanlage. Auch der singende Ton im Motor einer einzelnen Me 109, die dem Rest der 9. Staffel hinterher spurtet, liegt über dem Flugfeld. Müller hat keinen Sinn für Nächstenliebe heute! Sein Zimmerkamerad ist gefallen!

Heinz-Paul Müller holt seine Staffel nicht mehr ein. Er steigt, gewinnt Höhe, sieht sich immer wieder um. Irgendwann einmal hat er Kondensstreifen in Sicht. Die einsame Me 109 des Feldwebels ist vermutlich das einzige Jagdflugzeug des JG 300 heute, welches an den Bomberstrom herankommt.

Müller entdeckt eine sträflich ungeschickt Abstand haltende Boeing B-17, die zwischen zwei Bomberpulks ihrem Ziel entgegenfliegt. Da unten ist die Umgebung von Eisenach.

Der junge deutsche Jagdflieger hat den Schneid, diesen Bomber anzugreifen. Obwohl niemand bei ihm ist, der ihn nach hinten decken könnte. Und das kann schnell gehen, dass dieses nötig wäre!

Der deutsche Feldwebel sieht sich noch einmal um. Und sieht prompt einen Lichtreflex, dann noch zwei weitere, direkt in seinem Nacken.

Aha! Schon passiert! Mustangs, kein Zweifel!

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P-51 D „Mustang“.

Dann wird es wohl nichts mit dem Abschuss jener so verlockend wie auf dem Präsentierteller isoliert fliegenden Boeing! Deren „kleine Freunde“ haben es mal wieder geschafft. Verfluchte Hacke, wenn bloß diese verdammten amerikanischen Begleitjäger nicht wären! Den Bombern würde man’s schon zeigen!

Müller kippt die Nase seiner Me 109 nach unten und rast mit Höchstgeschwindigkeit dem Erdboden entgegen. Übertreiben darf man das allerdings nicht, wenn man seine Tragflächen nicht verlieren und noch in der Lage sein will, die Kraft zum Abfangen aufzubringen. Letzteres managt der Deutsche absichtlich und gekonnt nur wenige Meter über dem Boden. Er sieht sich sofort wieder um.

Die Amerikaner haben derartig viele Jäger, dass sie es sich inzwischen leisten können, auch einzelne Feindmaschinen zu verfolgen, ohne Sorge haben zu müssen, dass der Bomberstrom derweil auch nur spürbar schwächer geschützt wäre. Also hängen die Mustangs immer noch an Müllers Fersen. Eine fieberhafte Hetzjagd beginnt.

Der deutsche Pilot hat all sein Können aufzubieten. Der Mut, alleine dem Verband hinterher zu fliegen, entlarvt sich jetzt als höchstwahrscheinlich tödliche Dummheit. Die Messerschmitt rast durch die Täler der thüringischen Wälder – im Tiefstflug. Der kleinste Fehler ist jetzt das Ende.

Die Amerikaner jagen ihm nach – nicht ganz so haarsträubend tief. Dafür feuern sie bei der geringsten Trefferchance. Und erwischen die Messerschmitt tatsächlich mehrfach. Am gefährlichsten sind die Schläge im Ruder hinten! Müller fliegt um sein nacktes Leben! Ein Absprung in dieser Höhe ist unmöglich, eine Notlandung bei der Geschwindigkeit und dem Gelände da unten glatter Selbstmord. Es gibt nur eine einzige Chance. Ich muss besser sein als die Kerle da hinter mir!

Zehn endlos lange schweißtreibende Minuten dauert die Verfolgungshetze. Dann entdeckt Müller vor sich eine große Wolke. Als er darin verschwindet, atmet er erst einmal tief durch. Das war verdammt knapp gewesen! Müller landet schließlich – auch das mit seinem Schutzengel fest auf dem Schoß – in dichtem Nebel! Eine Landung mit dem engen Fahrwerk der „109“ ohne leidliche Sicht – Prost Mahlzeit! Doch nach allem, was er hinter sich hat, will Müller jetzt nicht gar auf diese Art in die „ewigen Jagdgründe“ eingehen. In Weimar-Nohra endet jener Feindflug – mit viel Glück auf allen drei Reifen der Messerschmitt. Das fliegerische Können des Piloten ist aller Achtung wert!

Während der deutsche Feldwebel im Tiefflug entkommt, arbeiten sich die Focke-Wulf 190 A-8- und A-8/R2-Sturmjäger der II. Gruppe des JG 300 von Thüringen aus an den Bomberstrom heran. Hinter und über ihnen decken die Messerschmitt-Jäger der III./JG 300 – Müllers direkte Kameraden. Das heißt, sie versuchen es. Denn die anderen beiden Deckungs-Gruppen (I./JG 300 und IV./JG 300) sind schon bald damit beschäftigt, um ihr eigenes Überleben zu ringen.

Die Sturmjäger sind auf ihren Formationsflug vorbereitet und halten Position im Verband. Vor ihnen sind die amerikanischen Bomber. Nach den Angaben der Bodenleitstelle fliegen sie frontal auf die Sturmjäger zu! Den „Fliegenden Festungen“ wird man, mit eiserner Entschlossenheit, einen heißen Empfang bereiten. Dass dem Bomberpulk, auf welchen die Sturmjäger angesetzt sind, Thunderbolts und zumindest die Mustangs der 4th FG und 357th FG vorausfliegen, wissen die Jagdflieger nicht.

Der deutsche Verband wird von Oberleutnant Klaus Bretschneider in einer „Sturmbock“-Focke-Wulf 190 des Typs A-8/R2 persönlich geführt (Image, Werknummer 682204). Bretschneider gehört wohl unbestreitbar zu den mutigsten Sturmjägern. Am 7. Oktober 1944 hatte er eine Gruppe von B-17-Bombern angegriffen, in einem einzigen Angriff zwei der B-17 abgeschossen und eine dritte absichtlich gerammt. Er wurde später an seinem Fallschirm an einem Baum hängend über der Kante einer Schlucht unverletzt aufgefunden. Bis zum November 1944 hatte er in nur 26 Einsätzen 31 Feindmaschinen abgeschossen, die meisten davon waren viermotorige Bomber. Er pflegte zu sagen: „Wenn ich zum Oberleutnant befördert werde, bin ich schon tot“. Nun – fast! Er sollte letztlich Recht behalten. Denn Bretschneider ist soeben zum Oberleutnant befördert worden ...

Feldwebel Konrad Bauer (5./JG 300) erzählt: „Dass wir irgendwann dran sind, weiß jeder, nur will es keiner wahrhaben. Da das ‚Nicht-über-die-Toten-reden’ Usus ist, ertränkt fast jeder seine Angst im Alkohol. Bretschneider hat sich in den letzten Wochen stark verändert, das ist selbst mir nicht entgangen. Ein unsteter Blick, abgehetzt wirkend, abgehacktes Reden, und manchmal putzt er sich schon früher die Zähne als ich, das will schon was heißen. Wie dicht wir alle am Abgrund stehen, ahnen wir nur.“

Oberleutnant Bretschneider verliert 30 Kilometer nordwestlich von Fulda die Kontrolle über seine Focke-Wulf und stürzt in den Tod. Es wird nie ganz geklärt werden können, ob Bretschneider einem gegnerischen Jäger-Ass unterliegt, wie in einer Dokumentation tendenziell zu lesen ist:

„Leutnant Bretschneider gerät am Südhang des Knüll-Gebirges mit seiner A-8Imagean einen überlegenen Mustang-Piloten, der die „rote Image“ nach zähem Kampf über Hausen bei Oberaula abschießt.“ *3

Der für die Sturmjäger geradezu desaströse Ablauf des Luftkampfes ist Berichten von Leutnant Norbert Graziadei (5./JG 300), Unteroffizier Ernst Schröder (5./JG 300) Feldwebel Ulrich Hampel (7./JG 300) und Oberfähnrich Victor Heimann (8./JG 300) zu entnehmen, wie sie die Autoren Jean-Yves Lorant und Richard Goyat akribisch zitieren.*4

Demnach sehen die anfliegenden Sturmjäger in der Ferne Kondensstreifen. Die Anfrage bei der Bodenleitstelle, welche mit Hilfe der „Funkmess“-Radarüberwachung und der als Freund-Feind-Kennung fungierenden, auf exakt anpeilbaren Funk-Antwortsignalen basierenden Y-Führung (sie ist ausführlich in Kapitel 11 – Nachtjagd – beschrieben, siehe Seite 469) einen genauen Überblick haben muss, ergibt zur Antwort, dass es sich um eigene Jägerkameraden handele.

Bretschneiders Männer erleben eine böse Überraschung.

Die Kondensstreifen, von welchen in den fast völlig übereinstimmenden Erinnerungen jener Piloten die Rede ist, stellen sich stattdessen als Mustang-Verbände heraus, die offenbar in Erwartung des Angriffes der gefürchteten Sturmjäger deren Anflugweg wohlüberlegt weiträumig abschneiden.

Allerdings kommen die Piloten des Sturmverbandes nahe an die Bomber heran, doch nicht nahe genug, um in Sichtweite vorzudringen. Unteroffizier Ernst Schröder und Oberfähnrich Victor Heimann haben dies in einem persönlichen Gespräch dem Autor gegenüber explizit bestätigt. Der Flugweg der amerikanischen Bomberströme führt über Nordhessen bis Gießen sowie fast Marburg an der Lahn und ab dort in einem Bogen nach Süden und Südwesten. *5 Es handelt sich um eine Entfernung der Bomberpulks von gerade einmal 60 Kilometer zu Oberaula, dem Absturzort des „Sturmbocks“ von Oberleutnant Bretschneider.

Das sind in einem Jagdflugzeug zwar „nur“ sechs Flugminuten! Doch diese fehlen eben zum Kontakt.

Zwei Piloten der 6. Staffel steigen bei Schwarzenborn mit dem Fallschirm aus – 35 Kilometer von Gießen entfernt!

Das ist im Luftkampf eine Entfernung von – praktisch gar nichts! Diese Distanz ist kaum relevant.

Feldwebel Müllers Begegnung mit dem B-17-Verband findet gar in der Nähe von Eisenach statt – nach dessen Bericht. Diese Bomber befinden sich demnach 70 Kilometer südöstlich von Kassel, somit eindeutig im Gebiet des Luftkampfdramas um Oberleutnant Bretschneiders Männer.

Die diversen US-Bomber-Divisionen (BD) machen später nach ihrem Kurswechsel bei Gießen erst viel weiter südlich hinter Darmstadt einen letzten Schwenk nach Westen. Ein Teil der Viermotorigen hat ihren Auftrag zu diesem Zeitpunkt bereits erfüllt – die Bombardierung deutscher Flugplätze und Kommunikationszentren im Großraum Frankfurt am Main.

Die Ziele der mit B-24 „Liberator“ ausgerüsteten 2nd BD liegen dabei weit westlich zwischen Koblenz und Trier in der Eifel und am Mosel-Tal. Sie befindet sich somit nicht in der fraglichen Gegend! Die in der Nähe des Luftkampfdramas operierenden US-Bomberverbände fliegen ausnahmslos den Typ Boeing B-17 G „Flying Fortress“. Wenn die Sturmgruppe die Bomber also erreicht hätte, so wäre sie auf Maschinen des Typs B-17 gestoßen, keinesfalls auf B-24 „Liberator“.

In jedem Fall herrscht aber absolute Übereinstimmung bei den genannten Piloten Graziadei, Schröder, Hampel und Heimann, dass der deutsche Sturmjägerverband gar nicht an die viermotorigen Bomber herangekommen sei. Keiner der Genannten spricht davon, dass man die Pulks auch nur in der Ferne hätte sehen können. Auch gibt es an diesem Tag keine einzige Abschussmeldung des JG 300 insgesamt, welche einen Bomber beinhaltet. Alle für den 24. Dezember 1944 gemeldeten „Luftsiege“ des gesamten Geschwaders werden gegen P-51-Jagdflugzeuge errungen!

Nach Literaturstudium und diversen Recherchen erscheint dem Autor diese Klarstellung – ganz im Sinne des Werkes der beiden Autoren Jean-Yves Lorant und Richard Goyat – dringend geboten.

Die Darstellungen der Flugzeugführer Graziadei, Schröder, Hampel werden nachstehend im übersetzten Wortlaut – lediglich in die Gegenwartsform transferiert – originalgetreu wiedergegeben. Auf die renommierte Quelle sei erneut verwiesen. Victor Heimanns Bericht liegt dem Autor im Original vor.

Leutnant Norbert Graziadei (5./JG 300):

„Der 24. Dezember ist ein Sonntag. Die Wetterbedingungen hatten sich deutlich gebessert. Wir haben jetzt herrlich klare Sicht, in der wir den Kampf gegen die Amerikaner aufzunehmen haben.

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Oberleutnant Klaus Bretschneiders Focke-Wulf 190 A-8/R2 „Sturmbock“ namens Image unter den Bäumen in Löbnitz. Gut sichtbar sind die inneren 20-mm-Kanonen und äußeren 30-mm-Waffen, Rumpf-MGs auf der Motorhaube fehlen.

Nach einem Start ohne Besonderheiten steigen wir auf Höhe. Als wir uns dem Knüllgebirge nähern, fängt das Durcheinander an. Dort geraten wir mit kleinen Formationen von Mustangs und Thunderbolts aneinander. Aus diesem Grund gelingt es unserer Gruppe nicht, die Hunderte von Bomber abzufangen, die im Sektor Frankfurt-Darmstadt gemeldet sind. Der Schlagabtausch wandelt sich in ein reichlich chaotisches Handgemenge, während dessen einige Kameraden und ich einen Abwehrkreis bilden, um dem Gemetzel etwas entgegensetzen zu können, welches wir kommen sehen!

In den folgenden Minuten sehen wir mindestens zehn eigene oder feindliche Jagdflugzeuge am Boden zerschmettern. In meinen Kopfhörern ertönen die Schreie eines unserer Piloten im Todeskampf für eine Zeit, die mir wie eine Ewigkeit erscheint. Eine grelle Explosion weiter unter uns setzt seinen Qualen ein jähes Ende.

Sich am Steuer unserer Sturmböcke – deren gesamtes Kampfgewicht immerhin nahe an die sechs Tonnen heranreicht – überhaupt auf einen Luftkampf mit den viel leichteren und flinken amerikanischen Jägern einzulassen, das ist schon für sich alleine ein mutiger Akt schierer Anmaßung. Als das Ringen mit den Amerikanern allmählich abebbt, sammeln wir uns und nehmen Kurs zurück nach Löbnitz. Die Dämmerung setzt ein, die Lichtverhältnisse am Horizont verschlechtern sich. Auf dem Rückflug herrscht betretenes Schweigen in den Kopfhörern. Jeder von uns weiß, dass zahlreiche Kameraden abgeschossen worden waren. Dass aber dreizehn Sturmböcke vermisst werden, erfahren wir erst nach der Landung mit Bestürzung.“

Unteroffizier Ernst Schröder (5./JG 300):

„Ich erinnere mich noch immer an den Einsatzflug an Weihnachten 1944 als einen absoluten Alptraum. Unser Verbandsführer und mein Staffelkapitän, Oberleutnant Klaus Bretschneider, fällt dabei. Er hatte kurze Zeit vorher endlich das Ritterkreuz zuerkannt erhalten und ist gerade frisch gebackener Oberleutnant. Darüber hinaus denke ich an die vielen Kameraden meiner Gruppe, die an diesem Tag ihr Leben lassen.

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Ernst Schröder in seiner Image mit dem Kosenamen Image

Es beginnt gegen 10.00 Uhr mit den üblichen Alarmphasen, die mehrfach abgebrochen werden. Das spannt unsere Nerven an bis zum Zerreißen. Wir beginnen zu hoffen, dass wir eine Galgenfrist vom Krieg an diesem Weihnachtsvorabend erhalten könnten – ein besonders heiliger Feiertag in Deutschland. Aber es soll wohl nicht sein!

Um 13.00 Uhr werden die Einsatzvorbereitungen erneut befohlen: Fünfzehn-Minuten-Bereitschaft, dann Sitzbereitschaft im Cockpit. Schließlich werden die grünen Leuchtkugeln vom Kommandoposten abgefeuert. Es ist 13.55 Uhr!

Startbefehl!

An diesem Tag ist unsere Gruppe in der üblichen Stärke in der Luft, etwa dreißig einsatzfähige Flugzeuge. Oberleutnant Bretschneider fliegt an der Spitze unserer Formation zusammen mit seiner „Nummer Zwei“, dem Unteroffizier ‚Pimpf’ Erhardt. Wir steigen auf Höhe in einem weiten Bogen Richtung Westen. Ich denke nicht, dass wir uns mit den anderen Gruppen unseres Jagdgeschwaders vereinigt haben an diesem Tag, da uns das eine weitere Stunde gekostet hätte.

Jedenfalls kann ich mich daran nicht entsinnen. Indem ich den Funkverkehr zwischen Bretschneider (‚Specht Anton’) und dem Führungskommando der Jagddivision in Döberitz verfolge, wird mir klar, dass die von Westen her eindringenden Bomberformationen direkt frontal auf uns zufliegen. Doch als wir eine Höhe von 6.500 Metern erreichen, ist das, auf was wir dann tatsächlich treffen, der amerikanische Jagdschutz! Mehrere Schwärme von Mustangs, die mit dem taktischen Vorteil einer klaren Überhöhung regelrecht über uns herfallen.

In diesem Moment hätten wir eine Taktik anwenden sollen, die wir für so eine Situation einstudiert hatten. Diese besteht darin, unsere starre paradeartige Sturmgruppenformation aufzugeben, sich in mehrere Schwärme aufzusplitten und den Kampf mit den Amerikanern flexibel aufzunehmen, die zu diesem Zeitpunkt noch in der Unterzahl sind.

Doch Bretschneider befiehlt, einen Abwehrkreis zu bilden – ein Manöver, das zweifellos von Übervorsicht diktiert, doch in meinen Augen völlig unangemessen ist.

Andererseits – was sonst können meine Kameraden denn bewerkstelligen? Das sind doch überwiegend frühere Blindflugausbilder oder ehemalige Bomberpiloten, die das Fliegen einer Junkers Ju 88 gewohnt sind – unfähig, die einfachsten Basismanöver auszuführen, die ich in meiner Jagdfliegerausbildung gelernt hatte. Sie sind dazu da, feindliche Bomber herunterzuholen – eine Aufgabe, die sie sicherlich recht erfolgreich ausführen würden, wenn die amerikanischen Begleitjäger nicht wären.

Und die sind ziemlich gut in ihrer Rolle und haben alle Tricks ihrer Zunft drauf – um es noch vorsichtig auszudrücken.

Was folgt, ist ein intensives und reichlich konfuses Gerangel, während dem ich mehr Angst habe vor einer Kollision als vor einem feindlichen Jäger. Im Moment sind in der Tat mehr Focke-Wulfs als Mustangs um mich herum. Ich erhasche einen Blick auf ‚Pimpf’ Erhardts ‚rote Imagemit einer P-51 in seinem Genick unter meinem Flugzeug. Ich reiße meine Focke-Wulf brutal nach links und lasse mich hinter den Amerikaner ‚fallen’. Meine Feuerstöße sitzen im Ziel und treffen die Mustang mit mehreren Geschossen. Die Mustang lässt von Erhardt ab und fällt aus meinem Blickfeld. Matthäus Erhardt ist nicht getroffen. Unglücklicherweise wird diese Gnadenfrist nur bis zum folgenden 14. Januar anhalten, dem Tag, an dem er die volle Wucht eines Explosivgeschosses abbekommt, das ein B-17-Bordschütze auf ihn abfeuert.

Wie üblich, wenn eine größere Anzahl an Jagdflugzeugen übereinander herfällt, verbeißen sich die Jäger ineinander und kurven von den 6.000 Metern Höhe hinunter bis knapp über Grund. Sie verteilen sich dabei in alle Himmelsrichtungen. Oft finden sich Piloten dann plötzlich völlig isoliert wieder, manchmal in einem Himmelssektor, in welchem kein anderes Flugzeug mehr zu sehen ist – weder Freund noch Feind.

Ich sehe zahlreiche Rauchsäulen von der Erde hochsteigen – Zeugen der Absturzstellen einer ebenso hohen Anzahl von Flugzeugen. Das Gemetzel hatte höchstens zehn Minuten gedauert.

Erschlagen von dem, was ich gerade erlebt hatte, verlasse ich mit Ostkurs die Stätte des Luftkampfes und verrenke mir fast den Hals dabei, um mein Heck im Überblick zu behalten. Ich lande in Löbnitz um 15.40 Uhr und bin, soweit ich mich erinnere, zusammen mit Leutnant Graziadei der einzige Flugzeugführer der 5. Staffel, der an diesem Nachmittag zu seinem Fliegerhorst zurückkehrt. Die meisten der Kameraden, die überlebt hatten, müssen irgendwo anders herunter und kommen erst am nächsten Weihnachtsmorgen nach Löbnitz zurück, nachdem es um 15.45 Uhr an jenem 24. Dezember bereits anfängt, dunkel zu werden. Es gibt viele, die kommen nie mehr zurück!

Im Nachhinein denke ich, das Desaster ist die direkte Folge der Inkompetenz der Kommandostellen in der Jagddivision, die uns direkt jener Jäger-Eskorte in die Arme geleitet haben, die der Bomberformation vorausflog. Diese ‚Herrschaften’ in ihrem Kontrollraum haben überhaupt nicht kapiert, wie verwundbar eine Sturmgruppe, spezialisiert auf den Kampf gegen Bomber, feindlichen Jägerattacken gegenüber ist!“

Die von Unteroffizier Schröder um 14.54 Uhr getroffene P-51 wird ihm als Abschuss zuerkannt. Es ist aber fraglich und gemäß der amerikanischen Bilanz eher unwahrscheinlich, dass die Mustang den „Heimweg“ nicht mehr schafft.

Feldwebel Ulrich Hampel (7./JG 300):

„Der Einsatz geht schon reichlich übel los. Wir erhalten in Löbnitz den Startbefehl erst nach einer endlosen Warterei. Der Zusammenschluss mit den diversen anderen Gruppen des JG 300 kostet dann noch mal eine ewige Zeit. Wir steigen langsam auf eine Höhe von 8.000 Metern im Sektor Northeim, nördlich von Göttingen.

Plötzlich stürzen sich Mustangs auf uns. Geblendet von der Sonne, die bereits tief am Horizont steht, hatten wir sie nicht gesehen! Sie hatten sich in einer weiten Kurve hinter uns gesetzt und schon ist die Luft um uns herum mit Geschossen gespickt. Die Warnung kommt viel zu spät!

Wir formieren einen Abwehrkreis, der schnell in eine Abwärtsspirale ausartet. Wir können es uns in einer Höhe von 8.000 Metern [in der selbst in einer normalen Focke-Wulf 190 A-8 ein gefährliches Leistungsgefälle zur P-51 D besteht, welches sich erst einige tausend Meter tiefer drastisch verringert – der Verfasser] kaum leisten, den Kampf mit Mustangs aufzunehmen! Die Mustangs folgen jeder unserer Flugmanöver und haben sich schon bald in unseren Abwehrkreis hineingemogelt. Einen Augenblick später sehe ich mehrere meiner Kameraden in Flammen eingehüllt vom Himmel fallen.

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P-51 D „Mustangs“, hier ein Verband der 350th Fighter Squadron/353rd Fighter Group (8th USAAF).

Die Amerikaner lassen sich sogar seitlich über die Fläche schiebend in die Mitte unseres Abwehrkreises rutschen und schießen mehr oder minder ungezielt im Gießkannenverfahren in steilem Winkel. Irrwitzigerweise treffen sie auf die Art tatsächlich eine unserer Focke-Wulfs. Dies legt beredtes Zeugnis ab von dem Kampfgeist und fliegerischen Können der Amerikaner!

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P-51 D „Mustang“, es ist eine Maschine der 505th Fighter Squadron/339th Fighter Group (8th USAAF), geflogen von Lieutenant Colonel Joseph L. Thury.

24. Dezember 1944

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Flugzeugtyp:

Focke-Wulf Fw 190 A-8/R2

Nationalität:

Luftwaffe

Einheit:

5. Staffel (II. Gruppe)/JG 300

Pilot:

Oberleutnant Klaus Bretschneider Kapitän der II. Gruppe/JG 300

Stationierung:

Löbnitz/Deutschland

Flugzeugtyp:

North American P-51 K-5 „Mustang“

Nationalität:

US-Air Force/8th Air Force AAF

Einheit:

362nd Fighter Squadron/357th Fighter Group

Pilot:

Captain Leonard `Kit` Carson in seiner P-51 K-5 No 44-11622 „Image

Stationierung:

Leiston/England

Hinweis: die bildliche Darstellung des Desasters der Sturmgruppe wurde dem Autor von dem Teilnehmer des Luftkampfes Oberfähnrich Victor Heimann (8. Staffel) im Rahmen des Nachvollziehbaren als situationsgerecht bestätigt.

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Hinweis: die Karte zeigt im Gegensatz zu den Frontverlaufskarten den Nachkriegsgrenzverlauf (Lothringen u.a.), da hier die Lokalisation des Ortes aus heutiger Sicht im Vordergrund steht.

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North American P-51 K-5 „Mustang“, 362nd Fighter Squadron/357th Fighter Group, Captain Leonard Kyle ‚Kit’ Carson, 24. Dezember 1944.

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Focke-Wulf Fw 190 A-8/R2, 5. Staffel (II. Gruppe)/JG 300, Staffelkapitän Leutnant Klaus Bretschneider, 24. Dezember 1944.

Das Geschehen führt uns bis in die Gegend südlich von Kassel. Dort werden die meisten unserer an diesem Tage verlorenen Maschinen abgeschossen. Es wird ohne Unterlass gefochten – es gibt nicht die geringste Atempause in diesem Kampf.

Diejenigen, welche glücklich genug sind, der Aufmerksamkeit der feindlichen Jäger zu entgehen, werden bald mit einem anderen Problem konfrontiert: wo ist der nächste Flugplatz, auf dem man landen kann, bevor der Sprit zur Neige geht und es dunkel wird?

Nachdem die Mustangs verschwunden sind, sammle ich eine kleine Gruppe von Focke-Wulfs um mich herum. Wir sind etwa fünf Piloten. Und alle haben die kleine rote Lampe vor Augen auf dem Instrumentenbrett, die uns signalisiert, dass wir kaum noch zwanzig Minuten Flugzeit übrig haben. Es wird immer dämmeriger, und die Konturen der Landschaft unter uns verschwimmen zusehends im Grau und Nebel. Ich erinnere mich gut an die sehr schwierige Orientierung im Tiefflug. Jede Minute zählt jetzt.

Trotz dem Dunst gelingt es uns mit viel Glück, ein Flugfeld aufzufinden. Der Name ist mir entfallen – irgendwo in Thüringen. Es ist ein schmaler Landestreifen, an dessen Begrenzung ich einige Bäume und eine lange Böschung ausmachen kann. Die Blindflugerfahrung, über die ich verfüge, und meine Kenntnisse im Nachtflug nach Instrumenten zahlen sich jetzt aus an diesem Abend.

Sobald ich mit meiner 190 gelandet bin, rolle ich ans Ende der Startbahn, schiebe meine Kanzelhaube nach hinten und lotse meine Kameraden per Sprechfunk herunter bis hin zum unmittelbaren Landeanflug. Für die jungen Piloten unter ihnen muss eine Landung unter solchen Bedingungen eine extreme Herausforderung sein. Aber alle schaffen es, ohne Zwischenfall heil herunterzukommen.

So endet Weihnachten 1944 für mich. Selbst 45 Jahre später sind es schmerzhafte Erinnerungen, die ich immer noch nicht wirklich verarbeiten kann!“

Den Hauptanteil an der katastrophalen Konfrontation der völlig ungeschützten schwerfälligen Sturmjäger mit den agilen Mustangs haben die etwa 50 P-51 D und K der 357th US Fighter Group. Neben und nach dem Gefecht mit den Me 109-Gruppen treffen sie nun auf etwa 30 Focke-Wulf 190 A-8, überwiegend aber A-8/R2, gemäß den Zahlenangaben Unteroffizier Schröders.

Somit sind die Männer der Sturmgruppe des JG 300 nicht nur technisch durch das Gewicht ihrer gepanzerten Spezialjäger gehandicapt, sondern zu allem Überfluss auch – zumindest nach einiger Zeit – zahlenmäßig ebenfalls im Nachteil, dazu in der Mehrzahl an fliegerischer Erfahrung für den Kurvenkampf Jäger gegen Jäger drastisch unterlegen, zudem in der taktisch ungünstigen tiefer fliegenden Position, und werden dann auch noch überrascht ...

Trotz der in der Umgebung anwesenden eigenen Jagdschutzdeckung sind die Piloten Bretschneiders auf fatale Art und Weise ganz auf sich alleine gestellt, denn die schnellen und auch in großen Höhen den P-51 annähernd gleichwertigen Messerschmittgruppen waren ihrerseits von den Mustang-Squadrons in die Mangel genommen worden und werden dadurch an einem wirksamen Eingreifen gehindert.

Das amerikanische Jäger-Ass Captain Leonard `Kit`Carson überlebt diesen Einsatz in seiner P-51 K-5 NT „Mustang“ namens „Image“ (Image). Er beansprucht den Abschuss einer Focke-Wulf 190 in der Gegend von Fulda. Auch andere Piloten der 362nd Fighter Squadron sind erfolgreich. Folgende Abschüsse werden von den Piloten der 357th Fighter Group insgesamt eingereicht:

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Aus der mit P-51 „Mustang“ ausgerüsteten 362nd Fighter Squadron der 357th Fighter Group sterben 1st Lieutenant William T. Gilbert (vermutlich Image mit dem Kosenamen „Image“, allerdings nennt eine Quelle als nicht auszuschließende Alternative Image) und Captain William H. Mooney Jr. (Image) in „Image“. Mooneys Flugzeug ist die übliche Maschine von 2nd Lieutenant Otto De-Vilbiss Jenkins. Auch die dritte abgeschossene Mustang der 357th Fighter Group ist eine „ausgeliehene“ P-51. „Image“ wird normalerweise von Colonel John D. Landers benutzt. Heute bringt die Image dem 1st Lieutenant Wendell T. Helwig aus der 363rd Fighter Squadron kein Glück, sondern das Ende. Allerdings liegt zwischen dem Kampfraum der 363rd Squadron und dem Knüllgebirge eine Distanz von etwa 100 Kilometer, und die Kämpfe dieser Einheit finden zwei Stunden früher statt als die Gefechte mit dem JG 300. Die 363rd Squadron hat somit keinen Anteil an dem Desaster.

Der Deckungseinsatz der 362nd Fighter Squadron findet dagegen um 14.25 Uhr statt, die Squadron beansprucht alleine 16 Abschüsse, alle um diese Uhrzeit. Auch der Kampf der 364th Fighter Squadron wird am fraglichen Ort zur passenden Zeit gefochten. Zusammen mit der 335thFighter Squadron aus der 4th Fighter Group werden zwischen 14.25 Uhr und 15.15 Uhr im Umkreis von gut 100 Kilometer um Fulda 25 Abschüsse deutscher Jagdflugzeuge gemeldet, davon sechs Messerschmitt Bf 109 und 19 Focke-Wulf 190. Ein sicherer und ein wahrscheinlicher Erfolg über jeweils eine Me 109 geht dabei auf das „Konto“ der 335th Figther Squadron/4th Fighter Group (2nd Lieutenants Calvin W. Willruth und George D. Green).

Den ausführlichsten Bericht der genannten vier Zeitzeugen liefert Oberfähnrich Victor Heimann (8./JG 300). Er erlebt den Höllenflug am Steuer seiner Focke-Wulf 190 A-8 Image (Werknummer 960315):

„Der 24. Dezember 1944 ist ein klarer, kalter Wintertag. Der Himmel ist blass-blau, der Horizont liegt in hellem Dunst. Die Flugzeugführer der Gruppe werden nach dem Frühstück gegen 08.00 Uhr zum Flugplatz befördert. In der Gefechtstandsbaracke werden unter Leitung von Leutnant Bretschneider die technisch klaren Flugzeuge in den einzelnen Staffeln auf die Flugzeugführer verteilt und anschließend [wird] von Regierungsrat Meyer, unserem Meteorologen, das zu erwartende Flugwetter erläutert. Alles deutet danach schon auf einen Einsatz hin.

Die Flugzeugführer begeben sich anschließend zu den Liegeplätzen der Staffeln, um dort der Dinge zu harren, die da kommen sollten. Im Laufe des Vormittages wird ‚Startbereitschaft’ befohlen. Dies erfolgt immer dann, wenn die Aufklärung und die Radarüberwachung die Versammlungen der Amerikaner über England erfasst haben.

Startbereitschaft heißt, die Flugzeuge von den Liegeplätzen der Staffeln auf das Rollfeld zu bringen, wo sie schwarmweise am Platzrand in Höhe der Gefechtstandsbaracke aufgestellt werden. Startbereitschaft heißt aber auch für die Flugzeugführer, sich in der Nähe ihres Flugzeuges aufzuhalten. Im Laufe des Vormittages erhalten wir im stündlichen Abstand bis gegen Mittag zweimal ‚Sitzbereitschaft’. Die Piloten müssen sich in ihre Maschinen setzen und angeschnallt darauf warten, ob der Startbefehl kommt.

Die zweimalige Sitzbereitschaft zehrt bereits stark an den Nerven, und jeder weiß, dass es heute rundgehen würde. Ich selbst habe ein sehr ungutes Gefühl, denke, dass es diesmal schiefgehen könnte bei mir. Nachdem die beiden Sitzbereitschaften wieder aufgehoben worden waren und die Mittagszeit überschritten ist, glauben einige, dass es nichts wird mit einem Einsatz. In diese Stimmung platzt die dritte Sitzbereitschaft gegen 13.30 Uhr. Kurz darauf ‚grüne Leuchtkugel’ vom Gefechtstand.

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Absprung aus einer getroffenen Focke-Wulf 190 A-8 über der schneebedeckten Winterlandschaft im Tiefflug irgendwo in Deutschland. Das Foto entstammt der automatischen Bordkamera eines amerikanischen Jägers im Dezember 1944!

Also ‚Startbefehl’.

Leutnant Bretschneider läuft zu seiner Maschine (er verharrt immer bis zum letzten Augenblick im Gefechtstand), während die Piloten ihre Maschinen anlassen. Danach geht alles schulmäßig: Leutnant Bretschneiders Schwarm rollt vor und startet, ihm folgen alle Maschinen der 5. Staffel, danach die 6., die 7. und wir von der 8. Staffel bilden das Schlusslicht. Kurs Wittenberge an der Elbe, wo das Geschwader versammelt. Nach zwei Warteschleifen ist das Geschwader komplett und fliegt mit Westkurs Richtung Göttingen – Kassel. Während des Fluges kehrt bei mir die gewohnte Ruhe zurück, man ist ja auch mit dem Halten der Position im Verband und dem Fliegen vollauf beschäftigt.

Im Raum südlich Kassel, der Gefechtsverband hat inzwischen eine Höhe von circa 7.000 Metern erreicht, sehen wir weit über uns am blauen Himmel weiße Kondensstreifen, die auf uns zukommen. Bretschneider ruft die Jägerleitstelle mit den Worten: ‚Vor uns Fragezeichen?’ [Welcher Natur sind die Flugzeuge vor uns?] Die Antwort lautet lapidar: ‚kleine Brüder’, was heißt: eigene Flugzeuge.

Ein kapitaler Fehler! In dem Augenblick, wo [in welchem] die über uns hängenden Flugzeuge genauer zu erkennen sind, ertönen schon die Schreie im Kopfhörer: ‚Achtung, Mustangs!’. Diese kurven nach Überfliegen unseres Verbandes ein, während Leutnant Bretschneider zum Abwehrkreis einkurvt. Der schwerfällige Gefechtsverband bewegt sich nur langsam in eine leichte Linkskurve, während die Mustangs aus der Überhöhung durch den Verband hindurchfliegen, auf unsere Flugzeuge feuern und dann unterhalb von uns wieder mit ihrem hohen Fahrtüberschuss hochziehen. Es gibt viel Getöse im Funk, alles Mögliche wird ins Mikrofon gebrüllt, während man bereits Fallschirme und Aufschlagbrände sieht. Einige Piloten von uns versuchen, dem Kampfplatz durch Wegstürzen zu entkommen, was in der Regel den sicheren Tod bedeutet. Die Mustangs hängen sich an solche Flugzeuge schnell dran und schießen sie in der Regel kampflos ab.

Während ich versuche, meine Position im Abwehrkreis zu halten – man war da etwas besser aufgehoben als ein Alleinfliegender – zieht dicht an meiner linken Seite eine olivgrüne Mustang mit etwas mehr Fahrt, als ich habe, vorbei. Ich trete ins Seitenruder links, um mich hinter sie zu setzen. Gleichzeitig ziehe ich meine Notleistung, um noch etwas mehr Schub ins Triebwerk zu bekommen. Die Mustang liegt gut im Revi (Reflexvisier), und ich jage einige Feuerstöße in sie rein. Ich bemerke eine weiße Rauchfahne, während sich die Mustang weiter von mir entfernt. Sie hat eben noch mehr Fahrt als ich im Steigflug.

Ich suche, nachdem ich etwas nach links einkurve, den Himmel ab nach meinen Kameraden und sehe zu meinem Schrecken links über mir die knallrote Propellernabe einer Mustang, die in geradem Anflug auf mich ist. In diesem Moment kracht es auch schon in meiner Maschine, der Fahrtwind reißt mir die Kopfhaube weg, weil mir offensichtlich die Kabinenhaube weggeschossen worden ist. Ich sitze also im Freien und das Flugzeug geht in einen senkrechten Sturz über.“

Die beiden Autoren Lorant und Goyat recherchieren akribisch, dass der von Victor Heimann dargelegte Luftkampfablauf minutiös mit dem Bericht von 2nd Lieutenant Otto D. Jenkins aus der 362nd Fighter Squadron/357th Fighter Group zusammenpasst. Jenkins hat in diesem Luftkampf zu dem Zeitpunkt bereits drei Focke-Wulf getroffen und berichtet, dass er vor seinem vierten Abschuss fast selber vom Himmel geholt worden sei. Der Amerikaner fliegt in diesem Einsatz die P-51 D mit der Produktionsnummer 44-14709 (Image) und dem Spitznamen „Image“, die auf den Oberseiten tatsächlich immer noch olivgrün lackiert ist – ungewöhnlich für diese Zeit. Denn die meisten Mustangs haben im Dezember 1944 nur noch einen dunklen Farbstreifen vor dem Cockpit – als Blendschutz –, während die übrigen Oberflächen metallisch silbern unlackiert bleiben.

Üblicherweise ist es die persönliche Maschine des Kommandeurs der 362nd Fighter Squadron, Major John England. An diesem Tage jedoch scheint Englands Mustang Otto D. Jenkins Glück zu bringen. Die Flugzeuge der 357th Fighter Group haben eine rot-gelb gemusterte „Schnauze“. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Signalfarbe „rot“ hierbei stärker imponiert.

Vor allem in einer Situation, in der man allen Grund hat, „rot“ zu sehen ...

2nd Lieutenant Otto DeVilbiss Jenkins (362nd Fighter Squadron) berichtet:

„Es sind immer noch mehr als genug Feindmaschinen da, also hänge ich mich an meine vierte 190. Während ich mich bemühe, in Schussposition zu kommen, slipt eine 190 an mein Heck und beginnt zu feuern. Mein Flügelmann, Lieutenant Hyman, schießt ihn mir vom Heck. Ich kann das beobachten, weil das Flugzeug sich aufbäumt und abstürzt, und ich sehe entweder das Kanzeldach oder eine Tragfläche abmontieren ...“

Image

Rückkehr nach Leiston in Südengland – das glückliche Ende eines Einsatzes ...

Die grüne Mustang des Lieutenant Jenkins wird zwar beschädigt, doch das hindert ihn nicht daran, eine vierte Focke-Wulf vom Himmel zu holen und heil nach England zurückzukehren. Die „ausgeliehene“ P-51 des Kommandeurs der Squadron ist – alsbald repariert – ab 14. Januar 1945wieder im Einsatz. Sie kämpft an diesem Tage gegen Me 109 – erneut aus den Reihen des JG 300 ...

Doch zurück zum Schicksal Victor Heimanns:

„Ich ergreife den Steuerknüppel fester und spüre keinerlei Steuerdrücke mehr. Der Steuerknüppel lässt sich rühren wie ein Kaffeelöffel in einer Kaffeetasse. Also müssen auch die Steuerseile zerschossen worden sein. Der Sog des Fahrtwindes einer immer schneller zu Boden stürzenden Maschine zieht mich fest in meine Anschnallgurte. Es ist zunächst nicht möglich, gegen diese Spannung den Bauchgurt zu lösen. Ich gerate etwas in Panik, aber plötzlich habe ich den Bauchgurt geöffnet, die Schultergurte fliegen nach hinten und der Sog zieht mich halb aus der Führerkabine. Es fällt mir schwer zu atmen, und Tränen werden mir aus den Augenwinkeln gezogen.

Dann ein Schlag, und ich überschlage mich mehrfach in der Luft. Das Flugzeug hat mich freigegeben und durch Ausbreiten von Armen und Beinen kann ich meinen freien Fall stabilisieren. Die Stille um mich nach dem Getöse (Fahrtwind, Motorlärm, Luftnot) ist unbeschreiblich. Dazu der freie Fall, den ich auch deshalb noch beibehalte, weil wir in dieser Höhe –50 °C haben! Ich falle also vom Himmel und betrachte dies heute in der Rückschau als das schönste und bewegendste Erlebnis meines Lebens, auch wenn die damaligen Umstände so dramatisch sind.

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Oberfähnrich Victor Heimann aus der 8. Staffel des JG 300, aufgenommen in Löbnitz im Oktober 1944.

Als ich den schneebedeckten Boden (im Knüllgebirge liegt bereits Schnee) deutlicher erkennen kann, ziehe ich in schätzungsweise 1.500 Meter Höhe die Fallschirmleine und erlebe nach dem Entfaltungsstoß, der mir Gewissheit gibt, wieder gut zur Erde zurückzukehren, eine himmlische Stille. Sie wird nur unterbrochen durch das leise Rauschen des Windes in meinem über mir geblähten Fallschirm.

Zu meinem Unbehagen stelle ich fest, dass ich mich auf ein kleines Waldstück zu bewege und mir keine Möglichkeit gegeben ist, einer Baumlandung auszuweichen. Kurz vor dem Auftreffen schlage ich meine Arme vor das Gesicht, um es vor Verletzungen zu schützen. Beim Eintauchen in den Wald habe ich das Glück, an dem Baum, den ich zuerst berühre, ungehindert am Stamm entlang zu rutschen, bis sich der Fallschirm in der Baumkrone verfängt. Glücklicherweise erreiche ich mit gestrecktem Bein einen der unteren Äste, von dem ich nach Lösen der Fallschirmgurte auf den Boden herab springen kann.

Ich laufe dann einfach los in der stillen Annahme, dass der nicht sehr ausgedehnte Wald mich irgendwann freigeben wird. Tatsächlich gelange ich nach kurzer Zeit an den Waldrand, wo ich mich zunächst niederlasse, um meine Verletzungen zu begutachten. Am rechten Oberarm habe ich eine blutende Splitterverletzung (wahrscheinlich von einem Zerlegergeschoss in meine Kabine), während der linke Arm einen mächtigen Bluterguss von der Schulter bis zum Handgelenk aufweist. Der mich beim Freikommen von meinem Flugzeug treffende Schlag ist wahrscheinlich vom Leitwerk ausgegangen, das ich mit meinem linken Arm getroffen haben muss. Im Lazarett wird zudem im linken Oberarm ein tiefgehender Muskelriss diagnostiziert, der noch heute deutliche Spuren zeigt.

In der Zwischenzeit sind einige Leute aus dem wohl nahe gelegenen Dorf gekommen, die sich mir nur zögernd nähern. Ich gebe mich als deutscher Pilot aus, worauf die Menschen näher kommen. Ich bitte sie, sich um meinen Fallschirm zu kümmern und folge Ihnen in Ihr Dorf. Nach den Recherchen von Herrn Konrad Rudolph muss es sich um den Ort Nausis handeln, nachdem ich selbst mich nicht mehr erinnern kann. Ich werde zum Ortsbürgermeister geleitet, wo ich mich zuerst bei der Gruppe in Löbnitz zurückmelde. Die Bevölkerung ist sehr freundlich zu mir und lädt mich ein, an ihrem Weihnachtsabend teilzunehmen. Ich bitte indessen um möglichst baldigen Transport in das nächste Lazarett, in der Hoffnung, dort wenigstens schnell zur Ruhe zu kommen. Der Bürgermeister bestellt darauf vom nahegelegenen Flugplatz Ziegenhain ein Fahrzeug, das mich in das Reservelazarett Treysa bringt. Dort werde ich sofort medizinisch versorgt und treffe dann mit den Kameraden Hubert Engst, Günter Ritzka und Walter Zangerle, der mit mir auf dem gleichen Zimmer liegt, zusammen.

Am 29. Dezember 1944 werde ich zur Gruppe nach Löbnitz entlassen, wo ich dann das ganze Ausmaß des tragischen Geschehens vom Heiligen Abend 1944 erfahre. In der Gruppe hat man das zwar weitgehend schon verarbeitet, aber für mich ist es ein nachhaltiger Schock, was unsere Verluste in der Gruppe angeht.

Gleichwohl gehen die Luftkämpfe weiter und schon der 31. Dezember 1944 ist wieder ein schwarzer Tag für die II./JG 300.“

Der Bericht Heimanns ist im Original in Vergangenheitsform geschrieben und in Präsens übertragen.

Das Ausmaß des Desasters ist tatsächlich dramatisch. Es war an jenem Weihnachtstag des Jahres 1944 gekommen, wie es hatte kommen müssen.

Es ist erstaunlich genug, dass die Überlebenden des JG 300 nur eine Woche später am 31. Dezember 1944 den Amerikanern über Bremen-Rotenburg eine recht schmerzhafte Revanche zufügen, trotz abermals schwerer Verluste (neben einem reinen Unfalltoten durch Motorschaden seiner Me 109 G-10/R6 – Feldwebel Herward Gerhardus – fallen im Luftkampf acht Piloten des gesamten JG 300, davon sechs aus der Sturmgruppe, drei weitere (alle aus der II./JG 300) werden verwundet, von welchen einer später seinen Verletzungen erliegt). Im Gegenzug werden aber immerhin 16 Boeing B-17 und eine P-51 „Mustang“ vom Himmel geschossen, eine weitere Mustang wird schwer beschädigt.

Welche Entschlossenheit und welcher unbeugsame Kampfeswille hinter derartigen Einsatzerfolgen unter solchen Bedingungen steht, noch dazu so kurz nach einer vernichtenden Niederlage, das kann wohl nur jemand ermessen, der es erlebt hat.

Das Drama am 24. Dezember 1944 ist in Bezug auf die Sturmgruppe, die II./JG 300, noch zusammenzufassen. Sechs Piloten der Sturmjägerformation überleben den fatal fehlgeleiteten Einsatz nicht, sieben weitere überstehen ihn zwar, sind aber verwundet. Unter diesen ist auch Victor Heimann. *6

Sein Glück – besonders jenes in der allerletzten Phase, der Fallschirmlandung im Wald – hat Unteroffizier Hans Hufnagel aus der 7. Staffel nicht. Es ist ein verbissener Kampf zwischen jener P-51 „Mustang“, die allen Indizien nach von Lieutenant William T. Gilbert geflogen wird, und dem deutschen Unteroffizier. Die Mustang (Image) ist bereits getroffen – nach Berichten von Augenzeugen, die vom Boden aus das Duell beobachten, höchstwahrscheinlich angeschossen von Hufnagel selbst mit seiner Focke-Wulf 190 A-8 Image (Werknummer 739441). Die P-51 brennt, und trotzdem gelingt es Gilbert, sich zu rächen, bevor er schließlich aus der Mustang abspringt. Man findet ihn zwei Wochen später tot an seinem Fallschirm hängend, der sich in den obersten Ästen eines Baumes verfangen hatte. Sein Bezwinger und Opfer gleichermaßen wird etwa zweieinhalb Kilometer entfernt bei Görzhain entdeckt. Auch er ist abgesprungen und im Wald aufgekommen, doch die Spitze eines zersplitterten Astes hat wie eine Lanze den Brustkorb Hans Hufnagels durchstoßen.

Zwei seiner Staffelkameraden sind glücklicher – sie bleiben nach ihrem „Luftsieg“ am Leben. In 6.000 Meter Höhe treffen die Garben Feldwebel Erich Staschewskis um 14.58 Uhr eine gegnerische P-51, schon vier Minuten früher kann sich Oberfähnrich Hans Menne gegen eine Mustang durchsetzen – er ist bereits weit tiefer in einer Höhe von 2.000 Metern angelangt. Beide Abschüsse erfolgen bei Bad Hersfeld – doch wenn die amerikanischen Akten stimmen, so sind Zweifel am endgültigen „Erfolg“ angebracht. Diese Zweifel erübrigen sich im Falle des alten Haudegens Leutnant Karl Mebus. Er zerschellt mitsamt seiner Image (Werknummer 682189) der 7. Staffel bei Mönschwiesenwald nahe Berfa.

Die Feldwebel Johann Kloos und Hubert Engst fliegen beide in der 6./JG 300. Die zwei Männer müssen ihre Flugzeuge verwundet bei Schwarzenborn beziehungsweise Eschwege mit dem rettenden Schirm verlassen. Im Falle Kloos handelt es sich um eine Focke-Wulf 190 A-8 mit der Kennung Image (Werknummer 739233). Er kommt auf einem Feld bei Eschwege zu Boden – keine gefährlichen Bäume hindern ihn daran, sich seines Fallschirmes zu entledigen. Das heißt, ihn abzulegen, so schnell es geht, denn es gibt andererseits auch keine Schutz bietenden Bäume, die den amerikanischen Mustang-Piloten daran hindern würden, ohne Skrupel auf Johann Kloos zu schießen. Der versucht auf der deckungslosen Fläche verzweifelt, das gerade noch lebenswichtige und nun so hinderliche Tuch loszuwerden. Der USAAF-Jagdflieger kehrt sogar noch einmal zurück und feuert erneut auf den hilflos am Boden liegenden Deutschen. Es gelingt ihm nicht, seinen „Kollegen“ in die Hölle zu befördern, auch wenn er sich mehrfach bemüht. Wald oder nicht Wald – so hat jedes Ding zwei Seiten.

Oder zwei Saiten. Gurte, an denen der Fallschirm hängt. Zumindest hängen sollte. Hubert Engst, Schwarmführer von Johann Kloos, erwischt einen Treffer in seiner A-8 Image (Werknummer 682181) an einer reichlich heiklen Stelle. „Himmel, Arsch und Zwirn“, im wahrsten Sinne des Wortes! Vor allem, weil unter dem „beschädigten“ Hinterteil des Feldwebels der Zwirn des Fallschirms liegt. Ein Loch da drin wäre – Himmel, nicht daran denken ...

Engst muss aus seinem brennenden Sturmjäger abspringen, eine andere Wahl bleibt ihm nicht. Als sich der Schirm endlich öffnet, erschrickt der Feldwebel bis ins Mark. Mit einem harten Ruck zerreißt der linke der beiden Fallschirmgurte, offensichtlich war er ebenfalls von dem Geschoss beschädigt worden. Hengst hängt nun buchstäblich am seidenen Faden – einem einzigen letzten Gurt, der die Zugkraft der Fallschirmleinen mit seinem lädierten Körper verbindet. Wenn der auch noch reißt ...

Es ist ein Alptraum, den der junge Feldwebel überstehen muss, bis ihn nach einer Ewigkeit voller Todesangst die Erde endlich wieder hat. Zum Glück hatte der Fallschirm selber kein Loch abbekommen.

Ein weiterer Pilot der 6. Staffel ist Unteroffizier Walter Zangerle. Er wird ebenfalls bei Schwarzenborn in seiner Image (Werknummer 960529) vom Himmel geschossen. Zusammen mit seinen Kameraden Victor Heimann, Hubert Engst und Johann Kloos „feiert“ er Weihnachten Stunden später im Reservelazarett von Treysa. Er hatte noch abspringen können. Doch seine Wunden sind schwer. Es dauert lange, bis er wiederhergestellt sein wird, und nach „Stille Nacht, heilige Nacht“ ist ihm ganz sicher nicht zu Mute. Bei allem Glück, noch am Leben zu sein – wohl keinem der jungen Männer steht der Sinn nach Weihnachtsliedern.

Auch Günter Ritzka wird verletzt in dieses Krankenhaus eingeliefert – ein Staffelkamerad Victor Heimanns aus der 8./JG 300. Seine Focke-Wulf 190 A-8/R2 (Image, Werknummer 682823) war bei Neukirchen-Christerode zerschellt. Dank der Fallschirmseide ohne den Unteroffizier am Steuerknüppel.

Der Staffelkapitän der 6./JG 300 trägt mit seiner dunklen Brille unter den kurzen schwarzen Haaren den Spitznamen „Mephisto“. Leutnant Georg Schmitt stirbt gemäß einer Quelle am Steuer seiner Focke-Wulf 190 A-8 (Image, Werknummer 739421), die ihn bei Neukirchen-Asterode in den Tod reiße. Einer anderen Darstellung zufolge kommt er noch aus seinem abgeschossenen Jagdflugzeug heraus, doch sein Fallschirm habe sich nicht völlig entfaltet!

Sein Rottenflieger entkommt unverletzt durch eine Bauchlandung. Es ist der Gefreite Hans Kißling. Dessen Focke-Wulf bleibt im Schadensgrad unter 60 %. Weitere Namen und Schicksale aus der II./JG 300 sind Oberfeldwebel Heinz Deil, 5./JG 300, Focke-Wulf 190 A-8 (Image, Werknummer 739270), gefallen bei Kirchheim neun Kilometer südwestlich von Bad Hersfeld, Stabsfeldwebel Werner Bosch, 6./JG 300, Focke-Wulf 190 A-8/R2, (Image, Werknummer 739439), gefallen bei Neuenstein-Raboldshausen, Oberleutnant Heinz-Dieter Gramberg, 8./JG 300, Focke-Wulf 190 A-8 (Image, Werknummer 960310), verwundet, Fallschirmabsprung bei Ziegenhain/Treysa, und Unteroffizier Anton Weis, 8./JG 300, Focke-Wulf 190 A-8 (Image, Werknummer 682830), verwundet bei Ottrau-Schorbach. Und Oberleutnant Klaus Bretschneider, 5./JG 300, vertretungsweise Gruppenkommandeur, Focke-Wulf 190 A-8/R2 (Image, Werknummer 682204). Abgeschossen und gefallen bei Hausen.

Die Kehrseite der Medaille ist teilweise bereits genannt. Unteroffizier Ernst Schröder (5./JG 300) meldet einen Luftsieg, doch der Absturz jener Mustang dürfte fraglich sein. Oberfähnrich Victor Heimann (8./JG 300) wird ein Abschuss zuerkannt, der – wie man heute weiß – lediglich eine Beschädigung ist. Oberfähnrich Hans Menne (7.), Feldwebel Kurt Schoepp (5.), Feldwebel Rudi Zwesken (6.), Feldwebel Erich Staschewski (7.) und Gefreiter Josef Schweiger (8.) treffen die angreifenden US-Jäger ebenfalls mit ihren Bordwaffen. Anerkannt werden in diesen Fällen jeweils Abschüsse.

Zehn P-51 „Mustangs“ der 8th USAAF gehen in der Tat heute mitsamt ihren Piloten verloren – im gesamten Kampfgebiet – zwei weitere P-51 sind nicht mehr reparabel (Cat. E). Drei der abgeschossenen Mustangs gehören zur 357th Fighter Group (doch davon, wie bereits dargelegt, nur zweizu einer der beiden im Luftkampfsektor des JG 300 operierenden Squadrons der 357th FG, der 362nd FS), eine weitere muss notlanden. Die 364th FS der 357th Fighter Group und die 4th Fighter Group melden keinerlei Ausfälle.

Die III. Gruppe des JG 300 hat jedenfalls keinen Anteil an einer wie auch immer quantifizierten Dezimierung der amerikanischen Jagdeskorte. Die Messerschmitt Bf 109 G-10/AS folgen den „Sturmjägern“ in 9.200 Metern Höhe. Sie stürzen sich ihrerseits sofort auf die Mustangs und – wie berichtet wird – auch auf P-47 „Thunderbolt“-Begleitjäger. Zu eindeutigen, irgendwie verwertbaren Abschüssen kommen die Me 109-Piloten der III./JG 300 allerdings nicht.

Wohl aber zu Verlusten. Leutnant Werner Kampf aus der 10. Staffel zerschellt in seiner Image (Werknummer 490299) nahe Erfurt bei Oberbösa/Kindelbrück. Leutnant Günther Rudolph gelingt es noch, seine angeschossene Imagemit der Werknummer 490323 bis zu einer Notlandung zu stabilisieren. Doch die misslingt ihm. Die Messerschmitt der 12. Staffel kommt mit viel zu hoher Geschwindigkeit auf dem Boden auf, schliddert im Gras bis zu einer Busch-bewachsenen Böschung und überschlägt sich. Sie bleibt unter 60 % beschädigt, also reparabel.

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Boeing B-17 G der 324th Bomb Squadron aus der 91st Bomb Group beim Bombenwurf. Der senkrechte Streifen am Heck unter dem „A“ ist Image.

Doch Rudolph selber hat augenscheinlich seine Gurte schon gelöst, vielleicht, um sofort das Wrack verlassen zu können, falls es Feuer fängt. Er wird aus der Kanzel katapultiert und zwanzig Meter weit geschleudert. Das ist schlimmer als eine beschädigte Me 109. Die Wucht des Aufpralles schlägt eine Delle in den gefrorenen Boden.

Was bleibt, ist ein Urlaubschein in seiner Uniform für Weihnachtsferien in Berlin ...

Oberfeldwebel Alfred Müller kann mit heiler Haut via Fallschirm abspringen, und noch ein Bruch mit Totalschaden bleibt für einen weiteren Piloten der III./JG 300 körperlich folgenlos. Zwei Me 109 der 11. Staffel landen beschädigt. Sie sind „reparabel“, die Piloten kommen mit dem Schrecken davon.

Immerhin 19 Piloten des JG 300 werden getötet oder verwundet, sodass mit Fallschirmabsprüngen unverletzter Piloten aus zerstörten Maschinen und Notlandungen die amerikanischen Angaben von 25 eingereichten Abschüssen nahe an die Bilanz der 28 tatsächlich eingetretenen Totalverluste kommen!

Der Einsatz der zweiten Sturmgruppe soll nicht unerwähnt bleiben, jener des Jagdgeschwaders 301/302. Feldwebel Willi Reschke gelingt der Abschuss zweier viermotoriger B-17-Bomber, während Unteroffizier August Hölscher (5. Staffel) eine P-51 „Mustang“ zerstört. Weitere Abschüsse gelten zwar als wahrscheinlich – beispielsweise durch Hauptmann Paul Quednau – können aber nicht gesichert werden und werden daher offiziell nicht bestätigt und gezählt. Verluste sind nicht festzustellen.

Insgesamt verlieren die Deutschen 72 in Luftkämpfen gefallene, zwölf in Gefangenschaft geratene und 19 verwundete Piloten, wobei es sich im Fall des Unteroffiziers Kolbe (II./JG 1) vielleicht um einen Unfall handelt. Zusätzlich stirbt ein Pilot (Unteroffizier Löbering, I./JG 2) während eines Bombenangriffes auf den Flugplatz Merzhausen am Boden und ein weiterer durch einen übereifrigen Kameraden. Elf der alliierten Abschusserfolge schreiben sich die Briten zu, während 94 sichere Abschüsse von den amerikanischen Jägerpiloten eingereicht werden, zuzüglich der Meldungen der Bomber-Bordschützen.

Die Amerikaner büßen 73 Flugzeuge ein. Von diesen sind 35 viermotorige B-17- und B-24-Bomber und zwölf Begleitjäger des Typs P-51 „Mustang“ der 8th USAAF. Die 9th USAAF verliert drei zweimotorige B-26 „Marauder“-Bomber, einen zweimotoriger A-26 „Invader“-Bomber, 14P-47 „Thunderbolt“-Jäger, fünf P-38 „Lightning“-Jäger und je einen Aufklärer des Typs P-38 F-5 und P-51 F-6, ferner eine L-5 „Sentinel“.

Die Verluste der Royal Air Force der Briten kommen hinzu. 17 britische Piloten der 2nd Tactical Air Force fallen, drei geraten in deutsche „Obhut“ und weitere drei werden verwundet. Zwei abgeschossene britische Piloten entgehen der Gefangennahme. Insgesamt geht den taktischen Gruppen 27 Maschinen verloren, allerdings nicht alle durch deutsche Geschosse – ähnlich, wie auch die deutschen Verluste nicht alleine den Gegnern zugeschrieben werden können, wie das Beispiel des Leutnants Siegfried Benz zeigt (er wird das Opfer der Verwechslung durch einen achtzehnjährigen bewährungshungrigen Kameraden). Fünf Spitfires Mk. XVI gehen versehentlich auf das Konto der alliierten Flugabwehrgeschütze, zwei Typhoons werden gar von P-47 „Thunderbolts“ der eigenen Waffenbrüder irrtümlich vom Himmel geholt.

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Klaus Bretschneider.

Ferner sind zwei Unfälle durch technisches oder menschliches „Versagen“ festzustellen (eine Typhoon, welche bei einem Landeunfall zu Bruch geht und eine Spitfire Mk. IX, die nach Motorschaden notlandet). Die somit auf deutsche „Waffenwirkung“ zurückzuführenden britischen Verluste der 2nd Tactical Air Force sind: zwei Douglas „Boston“ - Bomber des Typs IIIA, 13 Hawker „Typhoon“ IB, eine Spitfire Mk. IX, eine Spitfire Mk. XI, eine Spitfire Mk. XIV, somit 18 Maschinen.

Hinzu kommen sechs viermotorige Bomber des britischen strategischen Bomber Command.

Die deutsche Luftwaffe hat insgesamt am Weihnachtstag 1944 erneut den Kürzeren gezogen, allerdings hat sie sich in Anbetracht der Zahlenverhältnisse ausgesprochen teuer verkauft. Sie hat sich mit ihren vielen unerfahrenen Neulingen sogar erstaunlich gut geschlagen.

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Von links nach rechts die Top-Asse der 357th Fighter Group: Richard A. ‚Pete’ Peterson, 15 ½ Abschüsse, Leonard K. ‚Kit’ Carson, 18 ½ Erfolge, John B. England, 17 ½ Luftsiege, und Clarence E. ‚Bud’ Anderson, 16 ¼ zerstörte Gegner.

„Achtbar“, darf man sagen. Doch was hilft das? Wie viel ist Anerkennung nach dem Tod noch wert? Was nützt es den Müttern, Vätern, Freundinnen und Witwen?

Denn trotz allem können diese Zahlen nun endgültig nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass die Alliierten über dem deutschen Luftraum inzwischen tun und lassen können, was immer sie wollen. Und das, was sie vorhaben, bedroht mehr oder vielleicht auch minder zwangsläufig nicht nur die deutsche Kriegsmaschinerie, sondern ebenso unbeteiligte Menschen, die dem Bombenhagel willkürlich ausgesetzt sind.

Die deutschen Jägereinheiten können sie trotz der unbestreitbaren Tapferkeit ihrer Piloten und allem Opfermut nicht mehr annähernd daran hindern.

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Seltener Blickwinkel einer P-51 D „Mustang“.

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Hinweis: deutsche Flugzeuge, welche zwar vom Gegner abgeschossen wurden, ohne jedoch den Piloten dabei „außer Gefecht zu setzen“, sind in der Spalte „Gesamt“ miterfasst (/Flugzeug = Anzahl verlorener Flugzeuge). Hinweise finden sich im Feld „Bemerkungen“. Dagegen werden in britischen und amerikanischen Quellen (MACR-Listen) oft die auf eigenem Gebiet notgelandeten Maschinen nicht mitgezählt. Zudem finden sich die von der deutschen Flak (Flugabwehrkanonen) vernichteten alliierten Flugzeuge nicht in dieser Aufstellung. Daher muss es zwangsläufig zu Differenzen zwischen Abschussmeldungen und den tatsächlichen Verlusten kommen!

Verluste durch Tiefangriffe oder Bomben am Boden, durch „technische Mängel“ oder durch Unfälle werden nicht „gezählt“, da die gegenseitigen Erfolge im Luftkampf gegenübergestellt werden sollen. Unversehrt gebliebene Piloten saßen oft wenige Stunden später in einer neuen Maschine, deren materialtechnischer Nachschub fast bis zum Kriegsende gesichert war. Bei einem Abschuss mit unverletztem Fallschirmabsprung entsteht in der Spalte „Gesamt“ ein Materialverlust (/Flugzeug), jedoch nicht ein personeller „Verlust“ (Pilot/).

Verlustmeldungen der Westalliierten im Detail:

8th USAAF:*7

B-17 „Flying Fortress”:

10

(+20 Kategorie „E” Image irreparabel = 30)

B-24 „Liberator”:

2

(+ 3 Kategorie „E” Image irreparabel = 5)

P-51 „Mustang”:

10

(+ 2 Kategorie „E” Image irreparabel = 12)

9th USAAF: *8

B-26 „Marauder”:

3

A-26 „Invader”:

1

P-47 „Thunderbolt”:

14

P-38 „Lightning”:

5

F-6 „Mustang”-Aufklärer:

1

F-5 „Lightning”-Aufklärer:

1

L-5 „Sentinel“-Verbindungsflugzeug:

1

2nd Tactical Air Force der Royal Air Force:*9

Douglas „Boston” IIIA:

2

Hawker „Typhoon”:

13

Spitfire Mk. IX:

1

Spitfire Mk. XI:

1

Spitfire Mk. XIV:

1

Royal Air Force Bomber Command:*10

Avro „Lancaster“:

2

Handley Page „Halifax”:

4

*1Quelle: image „Jagdgeschwader 3” Chronik einer Jagdgruppe – Band 4/Struve Druck Eutin/Jochen Prien.

*2Quelle: image „Mighty Eighth War Diary”/Jane’s Publishing Company 1981/Roger A. Freeman, Seite 403f.

*3Quelle: image „Start im Morgengrauen“/Motorbuch Verlag/1989/Werner Girbig. Der Begriff „überlegen“ ist vermutlich ganz einfach auf die Tatsache des Luftsieges über Bretschneider zurückzuführen und impliziert nicht zwangsläufig, dass Bretschneiders Gegner „auch“ ein Jäger-Ass sein muss.

*4Quelle: image „Jagdgeschwader 300 “Wilde Sau” Volume 2, September 1944 – May 1945/Eagle Editions Ltd. 2004/Jean-Yves Lorant und Richard Goyat (die Zitate sind aus dem Englischen zurückübersetzt, daher zwangsläufig nicht wörtlich wiedergegeben).

*5Quelle: image „Start im Morgengrauen“/Motorbuch Verlag/1989/Werner Girbig, Zeichnung Seite 105.

*6Quelle: image „Jagdgeschwader 300 “Wilde Sau” Volume 2, September 1944 – May 1945/Eagle Editions Ltd. 2004/Jean-Yves Lorant und Richard Goyat, und persönliche Berichte.

*7Quelle: image „Mighty Eighth War Diary”/Jane’s Publishing Company 1981/Roger A. Freeman.

*8Quelle: image USAAF Missing Air Crew Reports (MACR).

*9Quelle: image „2nd Tactical Air Force” Volume 1 - 3/Classic Publications/2005/Chris Shores und Chris Thomas.

*10Quelle: image Royal Air Force Bomber Command 60th Anniversary - Campaign Diary, December 1944.

Verluste der deutschen Jagdgeschwader sind den bereits in den früheren Kapiteln einzeln genannten Buchquellen entnommen sowie mit den namentlichen Verlustlisten der Quelle: image WASt – Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht, Berlin, Verluste der deutschen Luftwaffe via Recherche Salonen, in Zweifelsfällen abgeglichen. Differenzen in den Summen zu den genannten Buchquellen kommen teilweise dadurch zustande, dass Unfälle, die ja auch in Friedenszeiten vorkommen, und Verluste durch technisches Versagen jeweils auf beiden Seiten der kämpfenden Parteien durch andere Autoren eine andere Bewertung erfahren – vergleiche hierzu die Angaben in der Tabellen-Rubrik „Bemerkungen“.

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