Die „Hitlerjungen“ des „Volkssturmes“ glauben fest an Wunder. Ein Sprichwort sagt: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“. Viele der blutjungen Deutschen klammern sich bis zum bitteren Ende an die Idee, dass irgendein gütiges Schicksal sie vor dem Tode bewahren oder ihrem Opfer wenigstens einen Sinn geben könnte. Jahrelang waren sie in allen Institutionen dazu erzogen worden, blind auf „ihren Führer“ zu vertrauen. Sie können sich nicht annähernd vorstellen, wie gleichgültig diesem Mann ihr Leben ist.
„Hitlerjungen“: ist der Bub tatsächlich schon 16 Jahre alt? Halbe Kinder an der „Panzerfaust“, jener gefürchteten Nahkampfwaffe gegen feindliche Panzer – eiserne Nerven vorausgesetzt. Tatsächlich fallen ihr viele gegnerische Kampfwagen samt Crew zum Opfer.
Mit „Führererlass“ vom 25. September 1944 werden sämtliche „waffenfähigen Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren“ zum so genannten „Deutschen Volkssturm“ einberufen. „Nach 5-jährigem schweren Kampf steht infolge des Versagens aller unserer europäischen Verbündeten der Feind an einigen Fronten in der Nähe oder an den deutschen Grenzen. Er strengt seine Kräfte an, um unser Reich zu zerschlagen, das deutsche Volk und seine soziale Ordnung zu vernichten, sein letztes Ziel ist die Ausrottung des deutschen Menschen.“ Also müssen nun laut Hitlers Anordnung alle „Männer“ an die Front, um dem „totalen Vernichtungswillen“ der „Feinde“ Deutschlands in letzter Minute zu begegnen – auch jene, die bisher in einem kriegswichtigen Betrieb „unabkömmlich“ waren. Jedenfalls dann, wenn sie nach den neuen strengen Kriterien nun irgendwie „entbehrlich“ sind ...
Männer? Ist man im Alter von 16 Jahren bereits ein Mann? Die Jungen sind fanatisch versessen darauf, genau das zu beweisen. Viele, ja die meisten von ihnen kämpfen tatsächlich aufopfernd und blind in dem Glauben, mit ihrer „Pflichterfüllung“ das Deutsche Reich und den durch all die Jahre ihrer schulischen Erziehung zum Halbgott stilisierten „Führer“ vor dem Untergang retten zu können.
Um diesen glühenden Eifer nicht durch den defätistischen Realismus der Frontsoldaten verwässern zu lassen, unterstellt man den Volkssturm nicht der deutschen Wehrmacht, sondern der SS unter Heinrich Himmler. Viele der längst desillusionierten deutschen Soldaten sind in der Tat entsetzt beim Anblick dieses Kanonenfutters. Und verlieren mehr und mehr den Glauben an „ihren Führer“, der den deutschen Müttern dieses sinnlose Opfer offensichtlich bedenkenlos zumutet.
Doch auch die Landser der Wehrmacht kämpfen zu Beginn des Jahres 1945 in aller Regel noch verbissen und hart. Im Westen des Reiches allerdings zunehmend nicht mehr bedingungslos bis zur Aufopferung. Wenn der Widerstand militärisch sinnlos zu werden droht, dann heben die erschöpften, kampfesmüden Männer von Monat zu Monat häufiger schließlich resignierend die Hände. Vor allem, als die Amerikaner es schaffen, im März 1945 den Rhein zu überwinden.
Das Ende ist abzusehen.
Wie hart der deutsche Widerstand einerseits ist – und wie wirksam die alliierte militärische Macht einschließlich jener der Roten Armee andererseits – das möge aus folgenden Zahlen ersichtlich sein (bis zum Juni 1941 sind die Zahlen der Quelle in Tausender-Schritten gerundet, danach zahlgenau):
Dabei ist im monatlichen Durchschnitt des Jahres 1945 zu bedenken, dass der Krieg Mitte Mai 1945 zu Ende ist (endgültig erst im Laufe des 11. Mai 1945). Ohne den Mai 1945 ergibt sich im rechnerischen Durchschnitt der Monate Januar bis April 1945 die enorme Zahl von 328.201Gefallenen pro Monat.
Männer, die noch kurz vor Kriegsende in völlig aussichtsloser Lage ihr Leben geben müssen.
Die letzten Kriegsmonate fordern geradezu horrende Opfer unter den deutschen Soldaten. Im Januar 1943 hatte sich mit der Katastrophe von Stalingrad zum ersten Mal eine Zahl oberhalb von 100.000 Toten ergeben – mit immerhin 185.376 Gefallenen. Ab dem Juni 1944 bis zum April 1945ist kein einziger Monat mehr unter 100.000 tödlichen Ausfällen. Der Juli 1944 überschreitet mit 215.013 Mann sogar die Zahl 200.000, im August 1944 sind es schon 348.960 getötete deutsche Soldaten.
Doch der Januar 1945 „toppt“ selbst dies. 451.742 Gefallene sind ein trauriger Rekord, fast eine halbe Million Mann! Er wirft ein Licht auf die Härte der Kämpfe.
Und den Durchhaltewillen der deutschen Landser.
Lange hatten auch sie an die „Wunderwaffen“ geglaubt. Es gibt sie tatsächlich – es ist nachprüfbarerweise kein Propagandatrick des Ministers Goebbels! Das stützt die Autorität des „Führers“, seine Vertrauenswürdigkeit und lange auch die Hoffnung auf eine militärische Wende!
„Unsere Wunderwaffen und des Führers Verhandlungsgeschick werden Deutschland retten – ganz sicher! Wir Soldaten müssen nur lange genug durchhalten, Ihr werdet sehen ...!“
„Verhandlungsgeschick“? Selbst der höchstpersönlich selber fast „Wunder vollbringende“ Rüstungsminister des Deutschen Reiches, Albert Speer, war mehr als ein Jahr lang darauf hereingefallen. Über zwei Millionen Mann hatte im Jahr 1944 die unter seinem organisatorischen Genie zu Rekordausstoß hochgetriebene deutsche Rüstungsproduktion komplett neu ausgerüstet – das entspricht 120 Infanteriedivisionen und 40 Panzerdivisionen. Trotz Rohstoffmangel und im gnadenlosen flächendeckenden Bombenhagel der Briten und Amerikaner. Auch die Auslieferungsmengen an Jagdflugzeugen erreichen nie da gewesene Höchstzahlen!
Es ist eine gigantische industrielle und konzeptionell-logistische Leistung!
Speer hatte Hitler geglaubt und vertraut. Der hatte gezielt wissen lassen, es seien außenpolitische Gespräche angeknüpft, und es sei abzusehen, dass diese zu einem Auseinanderbrechen der Koalition der Alliierten führen würden. Nur noch etwas Geduld ...
Tatsächlich redet nicht einer der alliierten Entscheidungsträger mit dem Diktator, auch nicht mittelbar – geschweige denn, dass man dem Wort des deutschen Reichskanzlers noch irgendeinen Glauben schenken würde. Der Hass auf Hitler einigt die Lager unerschütterlich. Das Ziel des Krieges ist unverrückbar die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches. Deren „Angehörige“ man mehr oder minder kritiklos alle mit „Nazis“ gleichsetzt.
Was auch der Grund ist, dass die deutschen Widerstandskämpfer General Friedrich Olbricht, Generalmajor Henning von Tresckow und Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg weder vor noch nach dem gescheiterten Mordanschlag auf Adolf Hitler eine moralische Anerkennung durch die Amerikaner oder Briten erfahren. Hätte man diese Verschwörer im – insgeheim von den Attentatsplänen vorab unterrichteten – alliierten Westen unterstützt oder wenigstens posthum in irgendeiner Form gewürdigt, so wäre das Feindbild gegen alle Deutschen nicht mehr aufrechtzuerhalten gewesen!
Wie hätte man die radikalen Bombardements gerechtfertigt und vor allem das Festhalten an der Forderung einer kompromisslosen Niederwerfung Deutschlands, an der bedingungslosen Kapitulation, hätte man zugegeben, dass nicht alle Deutschen „Nazis“ sind und es auch „gute Deutsche“ gibt?
Dass keinerlei Chance auf einen diplomatischen Kompromiss besteht, weiß Albert Speer nicht. Als es ihm aber zu Beginn des Jahres 1945 immer deutlicher wird, dass Hitler ihn, seinen Vertrauten, belogen und benutzt hat, setzt auch beim deutschen Rüstungsminister eine Ernüchterung ein. Speer überlegt sich ernsthaft, das deutsche Volk von dem gewissenlosen „Führer“ zu erlösen, als dieser am 19. März 1945 auch noch befiehlt, sämtliches von den Alliierten im Westen wie im Osten eroberte deutsche Gebiet vor dem Abzug radikal zu zerstören. Jeder Eindringling dürfe nur Wüste und verbrannte Erde vorfinden, alle Industrieanlagen, Betriebe gleich welcher Art, auch Lebensmitteldepots, Elektrizitätswerke, Staudämme, die komplette Infrastruktur – alles sei dem Erdboden gleichzumachen!
Alt und jung wird am Maschinengewehr „ausgebildet“. Das letzte Aufgebot wird nach einer fragwürdigen „Schnell-Bleiche“ im sinnlosen Kampf gegen erfahrene Soldaten der Gegenseiten verheizt! Alleine 175.000 Volkssturm-Kämpfer gelten als „vermisst“. Was fast immer „gefallen“ heißt!
Speer widersetzt sich diesem rücksichtslosen Ansinnen, sabotiert es – gründlich sogar! Er ist nicht der Einzige, der dem bitter gebeutelten deutschen Volk nicht auch noch seinen letzten Rest an Lebensgrundlage entziehen will. Einem Volk, dem der verbitterte Führer ins Verderben bereits im August 1944 anlässlich einer Gauleitertagung attestiert, es verdiene nicht zu überleben, wenn es denn den Krieg verliere. Denn nur durch die Feigheit des deutschen Volkes, durch seine Unwürdigkeit vor der Geschichte und vor ihm, Adolf Hitler, könne der Krieg überhaupt verloren werden.
Für ein Volk aber, welches seine Bestimmung und seinen Führer verrate, dürfe es kein Morgen geben!
Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 wird niemand zu Adolf Hitler vorgelassen, ohne strengstens einer Leibesvisitation unterzogen worden zu sein, auch nicht Albert Speer. Speer müsste Hitler also schon erwürgen, um ihn direkt von Angesicht zu Angesicht töten zu können. Aber er hat andere Gedanken. Er kennt die Baupläne des Führerbunkers unter der Reichskanzlei recht genau. Eine Giftgasbombe – in die Lüftungsanlage platziert – das müsste wohl zu machen sein. Allerdings gibt es einen Schutzkamin um die Lüftungsschächte – argwöhnisch erbaut auf Hitlers persönlichen Befehl. Der Sprengkörper müsste also zur Explosion gebracht werden – irgendwie.
Der eigentliche Grund dafür, dass Speer es sich anders überlegt, ist jedoch ein unfreiwilliger Aufenthalt in einem Luftschutzkeller im Ruhrgebiet anlässlich einer Inspektionsreise.
Die Männer im Schutzraum sind einfache Bergleute. Sie ahnen nicht, welchen hochrangigen Minister sie neben sich sitzen haben. Sie unterhalten sich – und geben ihrer festen Überzeugung Ausdruck, dass die niederträchtig feigen Verräter des 20. Juli 1944 ihre gerechte Strafe erhalten hätten! Deutschland werde bis zum Sieg oder bitteren Ende aufrecht und ehrenvoll kämpfen! Ihr Führer, Adolf Hitler, werde sie ganz gewiss nicht im Stich lassen. Es werde sich noch alles zum Guten wenden ...
Menschen in der Not brauchen eine Vision. Speer sieht sich nicht dazu berufen, den Männern ihren Glauben zu erschüttern und die Hoffnung zu nehmen. Die Bergleute wissen nicht, mit welcher abgrundtiefen Verachtung ihr geliebter „Führer“ über sein Volk, über sie denkt, urteilt, verfügt und befindet.
Sie glauben!
An den „Führer“, sein Genie ...
... und seine Wunderwaffen.
Die offizielle Bezeichnung für den ersten Marschflugkörper der Kriegsgeschichte lautet „Fieseler Fi 103“. Es handelt sich um eine fliegende Bombe mit einem einfachen Strahltriebwerk und Tragflächen. Das Fluggerät wird von einer Rampe gestartet. Als später die Abschussvorrichtungen in Frankreich durch den alliierten Vormarsch erobert werden, übernehmen Heinkel He 111 H-22-Bomber den Abwurf der fliegenden Bombe an einem vordefinierten Punkt über der Nordsee. Bis zu dieser Stelle werden die „V1“ unter den Tragflächen als „Bombenlast“ hoch getragen und dann in der Luft ausgeklinkt.
„V1“ vor und nach dem Start von einer Abschussrampe.
Der Flugkörper ist knapp 7,8 Meter lang und wird von einem Argus As 014 Pulso-Schubrohr angetrieben. Dieses recht einfache und daher kostengünstige Triebwerk saugt in Intervallen eine bestimmte Luftmenge an und spritzt Flugbenzin in die Verbrennungskammer hinzu. Das entzündete Gemisch wird dann durch die Heckdüse ausgestrahlt und erzeugt so den nötigen Vorschub.
Das Fluggerät erreicht auf diese Weise eine Höchstgeschwindigkeit von 650 km/h, die Marschgeschwindigkeit liegt allerdings knapp unter 600 km/h – also durchaus im Bereich der Fluggeschwindigkeit schneller alliierter Jäger! Die Bombe wird auf einen vorgegebenen Kurs in Richtung Ziel gebracht – ein automatischer Kreiselkompass als Selbststeuerungsanlage hält die „V1“ selbsttätig auf diesem Kurs. Die Reichweite beträgt etwa 260 bis 280 Kilometer. Da ein Mini-Propeller am Bug der Bombe durch die Zahl der Umdrehungen die geflogene Strecke errechnen lässt, kann das System über dem Zielgebiet die Kraftstoffzufuhr unterbrechen. Der anschließende Sturzflug ist dann der vorletzte Akt des Dramas.
Der letzte ist die Detonation von 847 kg „Amatol 39“. Und ein Krater ...
Die Zielgenauigkeit dieses tödlichen Flugkörpers umfasst – wenn alles klappt – einen Radius von etwa zwölf Kilometern. Das genügt, wenn das Ziel eine Stadt ist – wie London.
Doch es klappt bei weitem nicht immer alles.
Die ersten Starts der neuen Vergeltungsbombe sollen am 6. Juni 1944 stattfinden. Die Alliierten sorgen allerdings dafür, dass an diesem Tage andere Schlagzeilen die Weltpresse erfüllen. Es ist „D-Day“, nicht „V1-Tag“. Außerdem sind die Abschussrampen noch nicht betriebsbereit – immerhin 55 davon sind im besetzten Frankreich bereits aufgebaut. Doch nur zehn sind schließlich am Abend des 12. Juni 1944 in der Nacht zum 13. Juni 1944 feuerbereit. Und 500 „V1“ warten auf ihren Einsatz.
Nicht nur sie ...
Mit zehn V1 beginnt der leitende Offizier des speziell für den Einsatz der „V1“ aufgestellten Regimentes 155 (W), Oberst Wachtel, in dieser Nacht den Rachefeldzug Hitlers gegen Englands Hauptstadt. Hitler drängt – er will den Briten, namentlich den beiden Herren Churchill und Harris, endlich heimzahlen, was diese Deutschland und seinem, Adolf Hitlers, Ruf antun. Schließlich zeigt sich der deutsche Oberbefehlshaber nicht in der Lage, die verheerenden anglo-amerikanischen Bomberoffensiven zu verhindern. Dann will er wenigstens mit gleicher Münze antworten.
Der Auftakt ist wenig überzeugend. Fünf der Flugkörper explodieren beim Start, ein sechster stürzt über dem Kanal ab. Von den übrigen vieren detoniert eine „V1“ ganze 32 Kilometer von London entfernt im Städtchen Swanscombe, eine weitere in Cuckfield. Nur eine erreicht den Stadtteil Bethnal Green in London.
Sechs Menschen finden den Tod.
Doch es ist erst der Auftakt! In der Nacht vom 15. auf den 16. Juni 1944 beginnt die ungewohnte Luftoffensive mit erheblich höheren Zahlen – bis zum Mittag fauchen 244 dieser Teufelsdinger aus den gut unter Bäumen getarnten Abschussrampen. Die 500ste „V1“ detoniert am 18. Juni 1944in London nur wenige hundert Meter vom Buckingham Palace entfernt mitten in der Wellington-Kaserne der Gardesoldaten. Sie alleine tötet 119 Menschen und verwundet weitere 102 schwer sowie 39 leicht!
Bis Ende August 1944 werden Tausende dieser von den Briten „buzz bomb“ (frei übersetzt „Brabbelbombe“) genannten Waffe gegen die britische Hauptstadt zum Einsatz gebracht. Der Begriff kommt von dem brabbelnden, knatternden Geräusch, welches das Schubrohr so lange von sich gibt – bis es aussetzt. Als die alliierten Bodentruppen das Gebiet der Abschussrampen in Frankreich überrennen, werden später in Deutschland Startrampen gebaut. England ist von diesen aus zwar nicht mehr erreichbar, wohl aber Holland.
8.892 der Bomben werden schließlich vom Boden aus zum Start gezündet.
Knapp 7.500 davon werden erfolgreich auf den Weg gebracht. Etwa 2.400 detonieren in London und anderen südenglischen Städten, fast 2.500 in den Niederlanden.
Doch die Briten lernen schnell, wie man der Bedrohung begegnen kann. Die Seile der Sperrballone rund um London werden bereits etwa 230 „buzz bombs“ zum Verhängnis, 3.725 Abschüsse teilen sich die britischen Flugabwehrkanoniere und die Jägerpiloten fast zu gleichen Teilen. Diese Zahl beinhaltet auch jene „V1“, welche nicht vom Boden aus, sondern aus der Luft in Marsch gesetzt werden.
Vornehmlich werden Spitfires und die brandneuen schnellen Tempest-Jäger zur Abwehr der „V1“ eingesetzt. Was immerhin dazu führt, dass die hierfür reservierten Squadrons über Frankreich fehlen – kein großes Problem für die Royal Air Force in Anbetracht der gewaltigen alliierten Luftübermacht. Auch die einzigen auf alliierter Seite zur Einsatzreife gelangenden Düsenjäger, die Gloster „Meteor“, werden zum Abschuss der „V1“ herangezogen. Selbst, als gegen Ende des Krieges die beiden mit Meteor Mk. III (allerdings mit unterschiedlichen Triebwerken) ausgerüsteten Squadrons der Royal Air Force (N° 616 und 504) auf den Kontinent verlegt werden, sind ihre Einsätze gegen die deutschen Flugbomben gerichtet – und gegen Bodenziele, als die Bedrohung der „V1“ schwindet. Daher kommt es zu keiner direkten Konfrontation mit der berühmten deutschen Konkurrentin Me 262 A-1a, die mit 870 km/h Höchstgeschwindigkeit in 6.000 Metern der auch optisch plumper anmutenden Gloster „Meteor“ (mit – bei der Mk. I und der Mk. III-Version der N° 616 Squadron – 660 km/h in 9.144 Metern Höhe) leistungstechnisch haushoch überlegen ist.
Von den Alliierten in ihrem Vormarsch eroberte versteckte Abschussrampe im Wald.
„V1“-Marschflugkörper kurz nach dem Start.
1. November 1944. Einschlag einer „V1“-Flugbombe in Südengland.
Ein Problem ist, dass die mächtige Explosion des hochbrisanten Sprengkopfes einer „V1“ beim Abschuss durch Bordwaffen den Jäger selber in Gefahr bringt. Viele Piloten gehen daher dazu über, ihr Jagdflugzeug in aller Ruhe seitlich an die stur geradeaus fliegende Bombe heranzumanövrieren und diese mit einem kurzen Antippen durch die Tragfläche des Jägers aus der Balance zu bringen – über freiem Feld, versteht sich. Das Ergebnis ist ein respektables Loch in einem britischen Acker!
„V1“ im Flug.
Eine Spitfire bringt eine „V1“ mit der Tragfläche ins Abtrudeln.
Die Deutschen geben den Einsatz der fliegenden Bombe gegen die südenglischen Städte und London nach dem Verlust ihrer Abschussrampen in Frankreich nicht auf. Weitere 1.694 „V1“ werden von den Tragflächen der Heinkel He 111 H-22 aus gestartet. Die etwa 75 Bomber der III./KG 3und II./KG 53 unterfliegen meistens in der Dämmerung oder im Morgengrauen im Tiefstflug das britische Radarsystem, steigen dann unverhofft auf 450 Meter Höhe und klinken dort die mitgeführte „V1“ aus. Damit diese ihr Ziel auch trifft, muss der Fieseler-Flugkörper an einem ganz genau vorherbestimmten Punkt (dem „Wurfpunkt“) in genau auf das Bodenziel ausgerichtetem Kurs und dann auch noch bei beschleunigungsfreier Geschwindigkeit abgeworfen werden, denn die restlichen Flugstrecken-Parameter sind in der „V1“ notwendigerweise bereits am Boden eingestellt worden, also nicht mehr anpassbar.
Die Bomber werden per Funkorientierung mit Funkmesshilfe der Leitstelle an einen eindeutigen Ablaufpunkt herandirigiert, von welchem aus der Zielkurs zum Wurfpunkt zu fliegen ist. Der Wurfpunkt selber muss mit Koppelnavigation bestimmt werden, was leicht möglich ist, da er vom Ablaufpunkt nicht weit entfernt festgelegt ist. Nach dem Abwurf ihrer Last verschwinden die Heinkel-Bomber wieder im Tiefflug – wie sie gekommen waren. Das heißt, sie versuchen es. Eine hohe Zahl geht schließlich bei diesen Einsätzen verloren, denn die britischen Nachtjägerpiloten „schlafen nicht“. Jedenfalls nicht nachts ...
Zusätzlich werden von Rampen in Deutschland aus im Jahr 1945 fliegende Bomben gegen Ziele in Holland, besonders gegen die für den alliierten Nachschub so wichtige belgische Hafenstadt Antwerpen, in Marsch gebracht.
Die Amerikaner errichten speziell gegen die auf Antwerpen angesetzten Flugbomben ein modernes, radargestütztes Flugwarn- und Feuerleitsystem. Zudem kommen neuartige Granaten mit Annäherungszünder zum Einsatz – eine technische Innovation. Diese Granaten besitzen einen Radiowellensender, dessen Signale nach dem Radarprinzip von fliegenden Objekten reflektiert werden. Der Sender wird von einer Batterie betrieben. Die für die Batterie nötige Säure befindet sich in einer Ampulle, die erst beim Abschuss zerbricht und die Batterie somit erst im Fluge „lädt“. Dies verhindert eine Zündung des brisanten Sprengkopfes bereits im Rohr der Kanone.
Heinkel He 111 H-22 mit einer„V1“ unter der rechten Tragfläche.
Abwurf des „FZG 76“ (Amtsname der Flugbombe Fi 103 „V1“).
Reflektiert ein Festkörper in Flugrichtung der Granate die ausgesandten Radiowellen in einer definierten Mindestintensität, so wird ein Stromimpuls erzeugt, der die Zündung des Sprengkopfes einleitet. Diese erfolgt dann in etwa neun Meter Abstand zum Ziel. Eine „V1“ übersteht dies nicht. Trifft die Granate ihr Ziel nicht, so sorgt ein Zeitschalter dafür, dass der Sprengkörper unschädlich in der Luft detoniert, bevor er beim Auftreffen am Boden Schaden unter den eigenen Truppen anrichten kann.
Es ist ein hoher technischer und Kosten-Aufwand, der hier betrieben wird. Schließlich sind im Durchschnitt 285 Granaten aus den 90-mm-Rohren der sehr guten US-M1-AA-Geschütze nötig, um eine „V1“ herunterzuholen. Doch die ist andererseits auch nicht so sehr billig, und die Deutschen leisten sich mit Raketenwaffen, von welchen noch die Rede sein wird, einen gigantischen finanziellen Aufwand pro Rakete. Um dem Gegner Schaden zuzufügen, scheint nichts zu teuer zu sein, auf welcher Seite auch immer.
Im Oktober 1944 holen die Amerikaner etwa 26 % der geflügelten Bomben herunter. Bis zum Dezember 1944 steigern sie die Quote auf 87 %.
Und doch fordern die Urahnen der Marschflugkörper ihre Opfer!
Über 6.000 britische Zivilisten sterben durch den Einsatz dieses zerstörerischen Fluggerätes, fast 18.000 werden schwer verletzt – die durchaus beträchtlichen Verluste unter militärischem Personal gar nicht mitgezählt! Die Opfer unter den Belgiern sind sogar noch höher.
Als die deutsche Luftwaffe im Jahr 1940 eingehend London bombardierte, war es zwar durchaus zu panischen Reaktionen unter der Zivilbevölkerung gekommen, doch insgesamt war der britische Durchhaltewille dadurch eher noch gestärkt worden. Seit dem Jahr 1942 bis zum Januar 1944hatten die britischen Bürger kaum noch unter deutschen Bomben zu leiden gehabt – und sich an die vermeintliche Sicherheit im Schutze ihrer Royal Air Force gewöhnt.
Als sich dies nun wieder ändert, obwohl man die Deutschen im Würgegriff zu haben glaubt, ist die britische Bevölkerung doch reichlich überrascht und gründlich geschockt. Dies beginnt bereits beim „Baby-Blitz“, den deutschen Luftüberfällen auf London und andere südenglische Städte mit Hilfe von herkömmlichen Bombern von Ende Januar bis zum Mai 1944 (Operation „Steinbock“). Diese Angriffe lösen jedoch einen nur begrenzte Zeit gültigen Luftalarm aus, nach dem Abflug der Maschinen und dem Löschen der Brände geht das Leben weiter – nicht für alle, doch für die meisten Londoner.
Die „buzz bombs“ mit ihrem mechanistisch kalten, bösartig gefühllosen Wirkungsmechanismus sind eine permanente Gefahr. Auch sie lösen zwar Fliegeralarm aus – und doch ist man vor diesen fiesen Höllenmaschinen zu keinem Zeitpunkt sicher. Die Briten „stecken das weg“. Doch so ganz ohne Einfluss auf ihr seelisches Gleichgewicht bleibt der deutsche Vergeltungsfeldzug aus der Luft nicht. „Bob Hope“ nennt der schwarze britische Humor die „V1“. „Bob down and hope it will fly over!“ („Wirf Dich hin und hoffe, sie fliegt weiter ...!“). Militärisch allerdings ist die Wirkung der Flugbomben lächerlich.
Die Hoffnung der deutschen Landser auf diese Wunderwaffe ist vergeblich. Ihnen an der Front nützt die fliegende Bombe – sieht man von der militärisch kaum wirksamen Behinderung der alliierten Nachschubzufuhr in Antwerpen ab – so gut wie gar nichts.
Sie ist in dieser Hinsicht ein reiner Bluff, der ihren Durchhaltewillen festigen soll.
Ab Ende 1944 setzt dann auch in der deutschen Bevölkerung nach anfänglicher Euphorie eine gewisse Ernüchterung ein. Mit oder ohne Vergeltung durch „V1“ – die Briten und Amerikaner bomben Deutschland munter weiter in Grund und Boden.
Der Horror will kein Ende nehmen! Das gilt ebenso für die Bürger Londons – mag auch das Ausmaß der Zerstörungen dort nicht annähernd mit dem in deutschen Städten vergleichbar sein. An der Themse weiß man inzwischen – solange es knattert, ist man sicher. Hört es auf – dann volle Deckung!
Doch nun erschüttern plötzlich reihenweise mysteriöse „Gasexplosionen“ die Stadtviertel der britischen Metropole. Unerklärlich, eigentlich – zunächst. Ganze Häuserblocks werden wie aus dem Nichts pulverisiert. Es passiert lautlos und ohne Vorwarnung.
Bis zu einem mörderischen Knall ...
Foto einer „V1“ kurz vor deren Einschlag in London am 15. Juni 1944 ...
... und einer „V1“ bei der Explosion mitten in Londons City.