Die letzte Hoffnung im Westen – der Schicksalsfluss Rhein

Die 1. kanadische Armee ist inzwischen massiv verstärkt worden und zählt nun volle 13 Divisionen. Englische, schottische und walisische Einheiten kämpfen Seite an Seite mit den Kanadiern. Es ist eine kampfkräftige und beeindruckende Streitmacht, die General Crerar zur Verfügung steht.

Seit dem 8. Februar 1945 greifen die Kanadier an. Sehr zum Leidwesen der amerikanischen Kommandeure Bradley und Patton hatte sich der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte, ihr Landsmann General of the Army Dwight D. Eisenhower, von Field Marshal (Feldmarschall) Bernard L. Montgomery breitschlagen lassen, den Hauptstoß im Norden zu führen. Hierfür soll „Montys“ Streitmacht neben der 1. kanadischen und 2. britischen Armee auf immerhin 35 Divisionen aufgestockt werden.

Brigadier General Omar Nelson Bradley, Kommandeur der 12. US-Armeegruppe in Nordfrankreich, hat immerhin 900.000 Soldaten unter seinem Kommando. Er sieht überhaupt nicht ein, dass einmal mehr der ehrgeizige Montgomery die Lorbeeren einheimsen soll, den Rhein zu überqueren und damit den Deutschen den Todesstoß zu versetzen. Von Lieutenant General Patton, dem ungestümen Chef der 3. US-Armee, ganz zu schweigen. Beide wollen zu beiden Seiten der Mosel vorstoßen, um den Rhein irgendwo zwischen Koblenz und Worms zu überwinden. Dann läge das Main-Tal vor ihnen ...

Eisenhower entscheidet anders. Was Bradley und Patton nicht wirklich von ihren Plänen abbringt.

Den kanadischen, schottischen und walisischen Soldaten wird erklärt, die Moral der Deutschen sei niedrig, ihre Gegner seien gebrochen, demotiviert und warteten nur darauf, sich ergeben zu können. Der 1. kanadischen Armee liegt die 1. deutsche Fallschirmjägerarmee gegenüber, weiter nördlich schließt sich die relativ schwache 25. deutsche Armee an. Südlich neben den Kanadiern wiederum stehen die Briten der 2. Armee, die nur unterstützend vorrücken sollen, während noch weiter südlich die 9. US-Armee mit aller Kraft angreifen soll und die 1. deutsche Fallschirmjägerarmee zwischen sich und die Kanadier in die Zange zu nehmen hat. Die 15. US-Armee, welche weiter südlich Position bezieht, ist erst im Entstehen. Ihr Kern war am 28. Dezember 1944 bei der Überfahrt über den Kanal fast ertrunken. Torpedos eines deutschen U-Bootes versenken den britischen Truppentransporter HMS „Empire Javelin“ mit den Männern an Bord. Eine französische Fregatte rettet alle außer dreizehn.

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Die Kanadier haben 500 Panzer zur Verfügung – weitere 500 stehen in Reserve. Die Deutschen können nur mit 50 Kampfwagen und 36 Sturmgeschützen dagegenhalten. Der Angriff beginnt mit einem gigantischen Feuerschlag der alliierten Artillerie – eines der heftigsten Stahlgewitter des gesamten Krieges. Es ist ein fürchterliches Feuer. Dann stürmen die Kanadier, Schotten, Briten und Waliser los.

Sie treffen auf erbitterten Widerstand. Von wegen demoralisierte Deutsche! George Smith Patton schreibt in seinem Tagebuch am 31. Dezember 1945: „Ich habe große Achtung für die deutschen Soldaten.“

Die Amerikaner haben zu spät erkannt, welchen strategischen Wert die Dämme des Flüsschens Rur (Roer) haben – vor allem jener bei Schwammenauel etwa 15 Kilometer nordwestlich von Mechernich, 28 Kilometer nordöstlich von Aachen. Als man die Bedeutung der Wassermassen realisiert, versucht die Royal Air Force, die Dämme vorab aus der Luft zu durchbrechen – vergeblich. Nun soll die 1. US-Armee die Wassersperren einnehmen, bevor die Deutschen gezielt die Schleusen öffnen können. Die GI‘s schaffen es – außer bei Schwammenauel. Dort, am größten Damm, sind die Deutschen schneller.

Das bedeutet, dass der Vormarschweg der 9. US-Armee wenig später im ungünstigsten Moment komplett unter Wasser steht. General William H. Simpson ist gezwungen, seine elf US-Divisionen erst einmal anzuhalten – vor ihm ergießt sich eine meterhohe schlammige Dreckbrühe. Die Kanadier müssen also auf sich alleine gestellt vorrücken. Auch ihr Vormarschgebiet ist aufgeweicht. Und es ist ein dunkles, unheimlich anmutendes ausgedehntes Waldgebiet: der „Reichswald“.

Diesen hügeligen Forst können Panzer nur auf wenigen Wegen durchqueren. Und die werden von deutschen Panzerabwehrkanonieren und Kämpfern mit Panzerfäusten verbissen verteidigt. Keine Spur von einem deutschen Gegner, der angeblich bei der ersten Gelegenheit die Hände hebe.

Viele kanadische Panzer werden zerstört. Die Artillerie beider Seiten hämmert in den Wald – dorthin, wo man den Gegner vermutet. Manchmal zu Unrecht – sowohl die Deutschen als auch die Kanadier treffen bisweilen die eigenen Leute. Vor allem die kanadischen Truppen sind zunehmend desorientiert, da ihre Funkgeräte in dem Waldgebiet versagen. Die Deutschen dagegen hatten Zeit genug, Fernmeldekabel zu legen. Sie diktieren außerdem den Ort des Widerstandes, und kennen das Gelände. Außerdem haben sie bei weitem nicht so viele Geschütze und Munition, um ebenso gründlich jene Zielfehler machen zu können.

Es regnet in Strömen. Durchnässt kämpfen die Kanadier ein Fuchsloch nach dem anderen nieder – häufig unter Einsatz von Flammenwerfern – einer besonders teuflischen Waffe. Doch Krieg ist Krieg.

Am 9. Februar 1945 gehen die Deutschen auch noch zum Gegenangriff über. In Nahkämpfen mit dem Bajonett wird der Gegenstoß zum Stehen gebracht. Dann rücken die Schotten wieder vor. Die 53. walisische Division hat zu diesem Zeitpunkt bereits ein Drittel ihrer Soldaten verloren – es ist ihr heftigster Aderlass des gesamten Krieges. Und die 43. Wessex Division beklagt 10.000 Mann an Verlusten.

Die Kanadier erobern Kleve, welches am 6. Februar 1945 von der Royal Air Force bombardiert worden war. Die 53. walisische Division rennt mitten ins offene Messer – aufgeklappt von der deutschen 15. Panzergrenadierdivision mit ihren Tiger-Panzern. Die Deutschen treten erneut zum Gegenangriff an. In Asperberg halten nur acht junge deutsche Fallschirmjäger über Stunden den britischen Vorstoß auf und töten mit ihren Maschinengewehrsalven unzählige der Angreifer. Als der Kampf vorüber ist, sind alle acht gefallen.

Am 18. Februar 1945 erreichen schließlich britische Truppen den kleinen Ort Pfalzdorf bei Goch. Und sind damit endlich aus dem Höllenwald draußen. Zwölf Tage und Nächte hatte es gedauert, auch nur das planmäßige Angriffsziel des ersten Tages zu erreichen.

Doch es gibt weder eine Ruhepause noch ein Abflauen der Kämpfe. Erbittert und verlustreich wird um jeden Ort, jedes freistehende Gehöft gerungen. Immer wieder sehen sich die Kanadier Gegenangriffen ausgesetzt. Als sie in Goch unter heftigem Feuerschutz ihrer Artillerie einen Panzergraben überwinden, stürmt eine kleine Gruppe deutscher Panzergrenadiere mit Sturmgewehren und Handgranaten aus allen Rohren feuernd mitten durch eine komplette schottische Kompanie.

Nun allerdings kommt die volle alliierte Überlegenheit an Panzern zur Geltung. Als deutsche Panzergrenadiere am 24. Februar 1945 im Ort Höst jeden Angriff ihrer Gegner unter schweren Verlusten zurückschlagen, fordern die Männer der 1. Hochländer Infanteriedivision (1st Highland Light Infantry) Panzerunterstützung an. Sie erhalten diese in Form von „Crocodile“-Tanks – Flammpanzer! Die viele Meter weit fauchenden Brandstrahlen verwandeln den kompletten Ort in ein flammendes Inferno. Diejenigen Deutschen, die der Feuersbrunst zu entkommen versuchen, werden auf den Straßen erschossen und niedergestochen. Das ist die brutale Realität des Krieges.

Einen Tag zuvor waren nun endlich auch die Amerikaner der 9. US-Armee zum Angriff übergegangen – unter einem dichten Schutz eigener Jagdbomber, die sich auf jeden Feindwiderstand stürzen. Südlich von Roermond überqueren sie die immer noch breite Rur (Roer) – zunächst unter relativ geringen Opfern. Die Deutschen werfen ihnen jedoch schnell die Panzerlehrdivision und die 15. Panzergrenadierdivision aus dem kanadischen Abschnitt entgegen – beziehungsweise deren Reste. Trotz heftiger Gegenwehr können diese Truppen den amerikanischen Vormarsch nicht verhindern. In Geldern vereinigen sich die Amerikaner schließlich mit den Briten und Kanadiern.

Die Kämpfe gehen unerbittlich weiter – auf einer Straße, die gemeinsam mit einer Bahnlinie von Uedem nach Xanten quer durch den Hochwald führt und eine 200 Meter breite Schneise schlägt, bietet sich ein Panzervorstoß an. Das wissen auch die Deutschen. Die 2. und 3. kanadische Infanteriedivision rücken am 28. Februar 1945 zusammen mit der 4. kanadischen Panzerdivision durch die Lücke auf Xanten vor. Die kanadischen Tanks rollen los. Die Panzer der deutschen 116. Panzerdivision warten bereits auf sie. Der Schlagabtausch ist frontal, hart, und bitter an Gefallenen auf beiden Seiten.

Die Ruinen von Sonsbeck werden am 2. März 1945 von den Truppen General Crerars erreicht. Die deutschen Fallschirmjäger verteidigen den Ort bis zum letzten Mann. Xanten fällt am 8. März 1945. Auch diese Stadt ist von deutschen Fallschirmjägern besetzt, es ist das 17. Regiment. Die Männer zerstören etwa 100 feindliche Panzer, eine kanadische Kompanie zählt nach der Schlacht gerade noch 15 Überlebende. Und dennoch können die Deutschen Xanten nicht halten.

Ebenso wenig Rheinberg bei Duisburg – es fällt an die Amerikaner. Die US-Truppen treten mit 54 Panzern zum Angriff an. Nach der Eroberung von Rheinberg sind es 39 weniger ...

Andere Truppenteile der deutschen Verteidiger des linken Rheinufers ergeben sich nun den alliierten Streitkräften. Es werden immer mehr, ganze Scharen geben den sinnlos gewordenen Kampf auf. Andere ziehen sich auf das rechte Rheinufer zurück – gegen Hitlers ausdrücklichen Befehl. Doch die Autorität seiner Durchhalteparolen sinkt zusehends.

Die Rheinbrücken am Unterlauf des breiten Flusses fliegen hinter den abziehenden, ja fliehenden deutschen Kolonnen, die teilweise im völligen Chaos zu Fuß, mit Gespannen und Lastwagen auf das andere Ufer strömen, samt und sonders in die Luft.

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Sherman-Panzer im deutschen Feuer, darüber fliegt eine P-51 „Mustang“.

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