Die Aufklärervariante der Arado Ar 234 wird als B-2b bezeichnet, was sich „im Felde“ merkwürdigerweise nicht durchsetzen kann. Die Staffeln nennen die Maschine B-1, da sie die korrekte Ar 234 B-1 mit den unzuverlässigen BMW-003-A-1-Triebwerken nie kennengelernt haben. Die Flugzeuge besitzen einen verglasten Boden im hinteren Rumpfanteil. In dem Kompartiment darüber sind die beiden Kameras untergebracht. Wahlweise werden Rb 75/30, Rb 50/30 und Rb 20/30 kombiniert.
Die Reichweite des Aufklärers beträgt zwischen 1.700 Kilometer und 2.050 Kilometer – je nach Reisegeschwindigkeit und Flughöhe (im Durchschnitt 700 km/h in 8.000 Metern Höhe mit zwei Zusatztanks). Sie entspricht damit weitgehend der Ausschreibungsanforderung.
Im Mai 1944 wird der bisherige „Versuchsverband des ObdL“ in „Versuchsverband des Oberkommandos der Luftwaffe“ umbenannt, ab etwa Juni 1944 entstehen als Untergruppierung zwei Einsatzkommandos: zunächst das „Kommando Sperling“ (bis 5. September 1944„Sonderkommando Götz“ genannt) und später das „Kommando Hecht“. Diese Einheiten werden mit den ersten Arado 234 B-2b ausgerüstet. Hätte man doch nur vor der Invasion mit diesen Flugzeugen über England ungestört und systematisch Aufklärung betreiben können! Man war mit Blindheit geschlagen gewesen – in mehrfacher Hinsicht – und unter anderem durch dieses Unwissen geschlagen worden.
Die ersten Aufklärer sind immer noch Kufenmaschinen – eigentlich Versuchsflugzeuge, doch die Front braucht die Aufklärer noch dringender als die Erprobungsstellen. Der erste Aufklärungsflug findet am 16. Juni 1944 statt. Nach „D-Day“, der alliierten Landung in der Normandie ...
Erst ab August 1944 finden etwas häufiger Aufklärungseinsätze statt. Die von Bombentrichtern übersäte Startbahn im französischen Juvincourt erschwert die Tätigkeit enorm, ebenso wie laufende Tieffliegerattacken. Die Bergung der gelandeten Kufenmaschinen dauert über eine Stunde. Genug Zeit für die alliierten Jagdbomber, den Deutschen das Leben schwer zu machen – oder es zu beenden.
Mit dem alliierten Vormarsch in Frankreich erfolgt die Rückverlegung der Kommandos zunächst in den Raum Reims und dann nach Deutschland. Doch auch von hier aus ist die deutsche Luftwaffe endlich wieder in der Lage, über England Luftaufnahmen herzustellen. Ungefährdet und in aller Ruhe. Denn sämtliche Abfangversuche alliierter Jäger scheitern kläglich.
Am 9. September 1944 überfliegt Oberleutnant Erich Sommer – damals noch beim Kommando Sperling dienend – die Deutsche Bucht in Richtung Themse-Mündung. Auf halbem Weg zu seinem Einsatzziel begegnen ihm zwei ebenso unbewaffnete „Kollegen“ – die beiden Besatzungsmitglieder einer britischen Aufklärungs-Mosquito auf dem Flug nach Deutschland.
Nun, die Briten wissen um die Etikette, es sind höfliche Menschen. Adolf Galland weiß ein Lied davon zu singen! Jedenfalls winken die beiden Engländer Erich Sommer freundlich zu und fliegen weiter, um die Nazis zu filmen. Unter Fliegerkameraden weiß man doch, was sich gehört! Derweil fotografiert Oberleutnant Sommer die Zahl und Art der Schiffe in den Docks von London ...
Sommer ist in der Lage, völlig ungestraft die Belegung der Flugplätze in Südengland auszukundschaften. Am 12. September 1944 beispielsweise dokumentiert der deutsche Oberleutnant die Basen der 458th Bomb Group der 8th USAAF im Norden von Norwich.
Ab Oktober 1944 verfügt das Kommando Sperling über zwei Arado 234 B-2b mit Einziehfahrwerk. Immer häufiger kommt es zu Konfrontationen mit alliierten Jägern. Doch solange die deutschen Piloten mit normaler Geschwindigkeit ihrer Jets fliegen und die Gegner rechtzeitig entdecken, haben jene das Nachsehen. Oberleutnant Sommer zeigt es beispielsweise am 21. Dezember 1944. Er sieht die angreifenden P-51 „Mustangs“ in seinem „Rückspiegel“, geht auf Bahnneigungsflug und gibt Vollast. Bei 950 km/h werden die Mustangs schnell kleiner. Allerdings sind die Grenzen der Beherrschbarkeit des Düsenflugzeuges bei diesem Tempo auch erreicht. Sommer muss sich anstrengen, seine Kiste unter Kontrolle zu behalten – es gelingt ihm aber.
Andererseits beweisen auch die alliierten Piloten immer häufiger, dass sie nicht gewillt sind, sich auf der Nase herumtanzen zu lassen. Sie sind Anfang des Jahres 1945 derartig dauerhaft und flächendeckend präsent über Deutschland – und vor allem über den Einsatzbasen der Düsenflugzeuge –, dass jeder Start und jede Landung zum Spießrutenlauf gerät. Hauptmann Hans Felde ist als Staffelkapitän für die 1.(F)/123 vorgesehen, welche aus dem Kommando Sperling hervorgehen soll.
Nach seinem allerersten Einsatzflug über den Hafen von Hull in England setzt Felde zur Landung auf dem Flugplatz Rheine in Norddeutschland an. Er fliegt eine Arado 234 B-2b mit der Kennung (Werknummer 140149).
David Fairbanks ist seit dem 9. Februar 1945 frisch gebackener Kommandeur (Squadron Leader) der mit den schnellen Hawker „Tempest“ Mk. V ausgerüsteten 274 Squadron der Royal Air Force (RAF). Er fliegt am 11. Februar 1945 die Maschine NV645 – der individuelle Code ist (dem Verfasser) nicht bekannt. Nach einem Tiefangriff auf einen Zug steigt der eigentlich kanadische Offizier mit seiner Einheit über die Wolkendecke und bemerkt dort eine schnell fliegende Maschine. Das offensichtliche Düsenflugzeug taucht durch die Wolke hindurch und gerät dadurch außer Sicht. Fairbanks folgt ihm mit seiner Streitmacht durch eine Wolkenlücke.
Vierlings-Flak des Kalibers 2 cm.
Einstieg in die Kanzel einer Arado 234.
Der Deutsche sieht die Tempests und gibt Gas. Fairbanks und seine Kameraden folgen, verlieren den Jet durch Wolkenfetzen aber immer wieder aus den Augen. Die Briten können sich allerdings denken, wo der gegnerische Pilot hin will. Gar so viele betonierte Möglichkeiten bleiben ihm nicht. Rheine!
Messerschmitt Me 262 A-2a der I./KG(J) 51 als Jagdbomber mit zwei 250-kg-Bomben (SC 250). Die Jäger-„Variante“ dieses eigentlich voll und ganz als Jagdflugzeug entworfenen Jets trägt den Namen A-1a „Schwalbe“. Die „Blitzbomber“-Version A-2a „Sturmvogel“ hat nur noch zwei 30-mm-Kanonen, gleichwohl behält sie alle vier Waffenöffnungen im Bug.
Als die Tempest-Formation über dem deutschen Flugfeld aus den Wolken stößt, fährt Hauptmann Felde soeben das Fahrwerk aus. Er schwebt in niedriger Geschwindigkeit zur Landung an – und hat somit keine Chance. Die Arado Ar 234 B-2b zerschellt mitten auf der Landebahn, getroffen von Fairbanks Geschossen. Selbst die deutsche Platz-Flak kommt kaum dazu, das Feuer zu eröffnen, so schnell geht alles. Es ist die erste Arado Ar 234, welche in der Luft abgeschossen wird. Felde stirbt.
Er wird nicht der Letzte sein. Dasselbe Schicksal erwartet auch die Messerschmitt-Piloten in ihren Me 262 A-1a- bzw. A-2a-Düsenjägern oder Jagdbombern. In der Luft nahezu unbesiegbar, sind die Düsenflugzeuge bei Start und Landung weitestgehend wehrlos. Und das nützen die Engländer und Amerikaner gnadenlos aus. Wer will es ihnen verdenken?
Obwohl die Deutschen mit Schutzstaffeln aus Focke-Wulf 190 D-9 und ganzen Flak-Reihen alles tun, um ihre wertvollen Düsenflugzeuge vor derartigen Überfällen zu bewahren – die Übermacht der patrouillierenden alliierten Jäger schafft es immer wieder, ihre Opfer zu überraschen. Ja, ein Jahr früher – da hätte das alles noch ganz anders ausgesehen. Aber jetzt, im Jahr 1945, ist diese Chance verspielt.
Vor allem von einem speziellen Mann, der sich in alles einmischt – und alles besser weiß.
Dem bedingungslos „blindlings“ zu gehorchen ist.
Das Kommando Sperling fliegt weiter seine Aufklärungseinsätze, gemeinsam mit der 1.(F)/123, beide existieren nebeneinander. Selten sind mehr als acht Maschinen in beiden Einheiten zusammen vorhanden, und davon sind höchstens fünf startklar. Einer der letzten, zunehmend von Treibstoffmangel behinderten Flüge findet am 2. Mai 1945 statt. Dabei wird Oberleutnant Worzech von Spitfires Mk. XIV der (belgischen) 350 Squadron RAF abgeschossen. Er fliegt die Kennung , es ist das Flugzeug mit der Werknummer 140454.
Die letzten Maschinen werden eben an diesem Tag von Schleswig-Holstein (Rendsburg bei Kiel) nach Stavanger-Sola in Norwegen ausgeflogen.
Das Kommando Hecht beginnt seine Einsatzflüge erst im November 1944 von Biblis aus. Es wird im Januar 1945 bereits wieder aufgelöst (manche Autoren sehen es im Kommando Sommer weiter).
Einige wenige Arado 234 B-2b erhält die 1.(F)/100 (auch vom Kommando Hecht), die ab Februar 1945 zunächst in Biblis auf den Jet umgerüstet wird, in den letzten Kriegsmonaten jedoch nur einige wenige Einsätze von Schwäbisch Hall und Manching bei München aus fliegen kann.
Von Stavanger-Sola aus fliegen Arado 234 B-2b der 1./FAG 5 bis nach Scapa Flow, den englischen Kriegshafen auf den Orkney-Inseln. Britische Spitfires versuchen vergeblich, die Deutschen daran zu hindern. Der letzte Einsatz wird am 5. Mai 1945 über England von Leutnant Hellmut Hetz geflogen.
Die 1./und 4./FAG 33 erhält ebenfalls einige Arado Ar 234 B-2b und startet nach einigen vorangegangenen Kurzeinsätzen ab 30. März 1945 von Quakenbrück aus zu Aufklärungsflügen über England, die ebenfalls bis Schottland reichen. Beispielsweise werden am 10. April 1945 die Liegeplätze der Royal Navy im Firth of Tay nördlich von Edinburgh und erneut in Scapa Flow ausgekundschaftet. Der letzte bekannte Aufklärungseinsatz wird am 3. Mai 1945 von Schleswig aus geflogen, um den britischen Vormarsch im Hamburger Raum zu erfassen.
Vom Kommando Sommer in Norditalien wurde bereits berichtet. Den letzten dokumentierten Aufklärungsflug des Kommandos führt Erich Sommer selbst am 24. April 1945 durch.