Für „Führer, Volk und Vaterland“

Nachdem die Stukas der NSGr 1 und Focke-Wulf 190 D-9-Jagdbomber der III./JG 2 am 8. März 1945 den Rheinübergang zwischen Remagen und Erpel nicht zerstören können, wird der Ruf auch nach den Düsenbombern laut. Mit jedem Tag, der vergeht, wird die alliierte Flugabwehr auf den Hügeln um die Brücke herum und direkt am Rheinufer stärker. Innerhalb dieses einen Tages bereits massiert die 1. US-Armee eine gewaltige Anzahl an Flugabwehrgeschützen um den wertvollen Brückenkopf. Wie erwähnt, fliegen sowohl britische als auch amerikanische Jäger-Squadrons unablässig Streife. Mit herkömmlichen Flugzeugen diese Bastion anzugreifen, das grenzt an Selbstmord.

Image

Die Brücke von Remagen, vom östlichen Rheinufer aus gesehen.

Das ändert für die oberste deutsche Führung aber gar nichts. Dann ist es eben Selbstmord – den möge man nun eben doch für „Führer, Volk und Vaterland“ begehen! Hermann Göring muss ja sein eigenes Leben nicht opfern, als er zu jenen Flügen ohne Wiederkehr aufruft, wie sie in Japan unter dem Begriff „Kamikaze“ bekannt geworden sind. Appelle des Reichsmarschalls werden verkündet, es mögen sich Freiwillige melden (gefragt wird: „Wer nicht will, möge vortreten!“), die ihre bombenbeladenen Flugzeuge direkt in die Brücke steuern sollen – bis zum Tod inmitten der Explosion. Diese Ideen sollten sich Mitte April 1945 in Bezug auf die ähnlich bedrohlichen sowjetischen Übergänge über die Oder ebenso wiederholen wie ohnehin ganz aktuell beim bereits geplanten selbstmörderischen Rammeinsatz gegen US-Bomber im Rahmen des so genannten „Sonderkommandos Elbe“.

Als „Geheime Kommandosache“ wird der Aufruf des Reichsmarschalls Hermann Göring zu diesem Himmelfahrtskommando gegen die Ströme von „Fliegenden Festungen“ an alle im Reich stationierten Jagdgeschwader der Luftwaffe verteilt mit der Anordnung, dass dieses Schriftstück nur an die Kommodore persönlich auszuteilen – und nach der Verlesung geflissentlich sofort zu vernichten sei ...

Hier die Fassung für das NJG 3, welche wohl wortgleich mit allen anderen dieser Pamphlete ist: *9

„DER SCHICKSALSKAMPF FÜR DAS REICH, UNSER VOLK UND UNSERE HEIMATERDE STEHT AUF DEM HÖHEPUNKT. FAST DIE GANZE WELT STEHT GEGEN UNS IM KAMPF UND IST ENTSCHLOSSEN, UNS ZU VERNICHTEN UND IN IHREM BLINDEN HASS AUSZUROTTEN.

MIT ÄUßERSTER KRAFT STEMMEN WIR UNS GEGEN DIESE DROHENDE FLUT.

WIE NIE ZUVOR IN DER GESCHICHTE UNSERES DEUTSCHEN VATERLANDES DROHT UNS EINE ENDGÜLTIGE VERNICHTUNG, AUS DER KEINE WIEDERGEBURT MÖGLICH IST. DIESE GEFAHR IST NUR AUFZUHALTEN DURCH DIE ÄUßERSTE BEREITSCHAFT DEUTSCHEN KÄMPFERTUMS. DESHALB WENDE ICH MICH AN EUCH IN DIESER ENTSCHEIDENDEN MINUTE.

RETTET DURCH DEN BEWUSSTEN EINSATZ EURES LEBENS DIE NATION VOR DEM UNTERGANG! ICH RUFE EUCH AUF ZU EINEM EINSATZ, BEI DEM ES NUR MIT GERINGER WAHRSCHEINLICHKEIT EINE RÜCKKEHR GIBT.

IHR, DIE IHR EUCH MELDET, WERDET SOFORT IN DIE FLIEGERISCHE AUSBILDUNG ZURÜCKGEFÜHRT. KAMERADEN – EUCH WIRD DER EHRENPLATZ IN DER LUFTWAFFE NEBEN IHREN RUHMVOLLSTEN KÄMPFERN GEHÖREN! IHR WERDET DEM GANZEN DEUTSCHEN VOLKE IN DER STUNDE HÖCHSTER GEFAHR HOFFNUNG AUF DEN SIEG GEBEN UND FÜR ALLE ZUKUNFT VORBILD SEIN!“

Gez.: Göring

Das sagt ausgerechnet jener Oberkommandierende der deutschen Luftwaffe, welcher zuvor wiederholt auf teilweise unflätigste Art „seine Jäger“ zu den Sündenböcken der Nation schlechthin gestempelt hatte. Jener „treueste Paladin des Führers“, wie er sich selber bezeichnet, der jahrelang nicht einmal den Mut aufgebracht hatte, Adolf Hitler die Wahrheit über die Luftlage zu sagen und vor allem die desolate Position „seiner“ Luftwaffe im Vergleich zur Übermacht ihrer Gegner schonungslos zu offenbaren. Gerecht offen zu legen, ohne auf ehrenrührigste Weise Sündenböcke zu suchen! So lange, bis der „Führer“ in zunehmendem Maß selbst durchschaut, dass Göring ihn nur prahlerisch hingehalten hatte – und nun vollends von tiefem Misstrauen geprägt die Sache selber in die Hand nimmt.

Mit allen fatalen Konsequenzen – beispielsweise für die realitätsfremden Einsatzbeschränkungen der revolutionären Messerschmitt Me 262 A-1a-Düsenjäger.

Es sagt der Mann, welcher den General der Jagdflieger Adolf Galland im Januar 1945 nach „unüberbrückbaren Differenzen“ kalt gestellt und trotz mutiger und energischer Proteste einer ganzen Reihe hochdekorierter Jagdflieger abgesetzt hatte. Jener Hermann Göring, der die Beteiligten dieser „Meuterei der Jagdflieger“, wie der unter hohem persönlichen Risiko vorgetragene Forderungs- und Beschwerdekatalog inzwischen genannt wird, mit dem Erschießen und einem Verfahren wegen Hochverrats bedroht hatte. Männer wie Günther Lützow, Josef Priller, Herman Graf, Gustav Rödel, Johannes Steinhoff, Hannes Trautloft, Eduard Neumann, Gerhard Michalski und Helmut Bennemann. Verdiente, mit hohen Auszeichnungen versehene Geschwaderkommodore, die täglich miterleben, wie ihre der Feigheit und Schwäche gescholtenen Kameraden mit dem Mut der Verzweiflung in den „Heldentod“ fliegen. Männer, die „Hochverrat“ begehen, nur weil sie den Oberkommandierenden der Luftwaffe insgeheim mit seinem eigenen Versagen konfrontieren, weil sie es wagen, ihm zu widersprechen, sich gegen äußerst ungerechte Vorwürfe auflehnen und endlich eine gezielte, sinnvolle Unterstützung ihrer Waffengattung fordern – ganz so wie der geschasste ehemalige General der Jagdflieger Adolf Galland zuvor.

Und ebenso vergeblich, auch wenn die Kriegsgerichtsverfahren unterbleiben und Galland nach persönlicher Intervention des (Göring in den Rücken fallenden) Adolf Hitler seinen Elitejagdverband JV 44 aufstellen darf. Jene Düsenjägereinheit, der man nachsagt, dass das Ritterkreuz praktisch zur Uniform gehört – so exklusiv ist der Club der auf Gallands Ruf hin schließlich mehr oder minder verbittert dort versammelten und dennoch bis zum letzten Benzintropfen weiter kämpfenden Jagdfliegerasse.

Als Görings Aufruf am 7. März 1945 vor den Jagdfliegern der III./JG 53 in Kirrlach (zwischen Karlsruhe und Heidelberg) verlesen wird, glauben die jungen Flugzeugführer an eine neue, offenbar auch für sie selber gefährliche Wunderwaffe. Doch sie sind bereit, für ihr bedrohtes Vaterland jedes Risiko einzugehen. Die gesamte Gruppe meldet sich geschlossen ...

... und ist überrascht, dass dies ihrem Kommodore, Oberstleutnant Helmut Bennemann, offenbar gar nicht recht ist. Der Kommodore will mit jedem seiner Jagdflieger einzeln sprechen, unter vier Augen.

Dabei kann auch Bennemann nicht wagen, den Jungen direkt abzuraten – selbst nicht im persönlichen Gespräch. Aber er kann sie nachdenklicher machen – was zunächst an deren Entscheidung nichts ändert. Bis die Piloten erfahren, dass sie mit Messerschmitt Bf 109-Jägern, denen man die Waffen und die Schutzpanzerung ausbaut, um sie schneller zu machen, frontal in eine Formation viermotoriger amerikanischer Bomber rasen sollen, um diese durch Rammen zum Absturz zu bringen.

Irrwitzigerweise findet dieses „Sonderkommando Elbe“ am 7. April 1945 dann tatsächlich statt, als 1.314 US-Bomber mit Geleitschutz von 898 Begleitjägern nach Deutschland einfliegen. Es sind irgendwo um 150 deutsche Freiwillige, meistens blutjunge Piloten, die gerade eben ihr Flugzeug fliegen können. Doch sie starten – eifrig, überzeugt, tapfer, gleichwohl völlig unsinnig – in den Untergang.

Nur 18 viermotorige Bomber werden zerstört (einer humpelt als Wrack Cat. E zurück), und davon auch nur etwa acht durch Rammen. Sechs weitere gehen bestätigt auf das Konto gleichzeitig angreifender Düsenjäger der I. und III./JG 7, sowie der I./KG(J) 54. Einige unbestätigte Abschüsse sollen dem JV 44 zuzuordnen sein. Sieben alliierte Begleitjäger und zwei F-5-Aufklärer werden zerstört (eine P-51 und eine P-47 kehren zurück, sind aber als Cat. E abzuschreiben). Die abgeschossenen fünf Jäger verteilen sich auf drei P-51 und zwei P-47, hinzu kommen jene F-5-Aufklärungs-Lightnings der 30th Recon Squadron (9th USAAF). Die toten, verwundeten und vermissten Amerikaner summieren sich auf 172 Mann.

Gerade mal 15 der „Möchte-Gern“-Rammjäger kommen wieder – erwartungsgemäß nur wenig, sogar eigentlich fünfzehn zu viel, denn grundsätzlich soll es bei diesem Feindflug ja gar keine Rückkehrer geben, zumindest nicht im Flugzeug! Doch die allermeisten schaffen es nicht einmal bis zu den Bombern. Die Mustangs und Thunderbolts haben ein wahres Scheibenschießen – und das gegen Jagdmaschinen ohne Panzerung! 133 deutsche Kolbenmotor-Jagdflugzeuge und 77 ihrer Piloten gehen über dem Steinhuder Meer „drauf“. Die Jets verlieren eine Me 262 des JG 7durch die versehentliche (!) Kollision mit einer B-24, ferner zwei des JG 7 und eine der I./KG(J) 54 im Luftkampf. Alle vier Düsenjägerpiloten fallen.

Die Männer des JG 53 sind nicht dabei. Im Quartier der II./JG 53, deren Piloten in Rutesheim nahe Leonberg bei Stuttgart den Selbstaufopferungsappell vorgelesen erhalten, schaltet sich deren Gruppenkommandeur Major Julius Meimberg persönlich ein und beschwört seine Untergebenen, um Himmels Willen nicht den Helden zu spielen. Das ist ein enorm hohes persönliches Risiko in jener Zeit!

Am 9. März 1945 werden die II., III. und IV. Gruppe des JG 53 nach Zellhausen, Darmstadt und Frankfurt verlegt, um von dort aus den Brückenkopf der Amerikaner bei Remagen anzugreifen. Alle hieran beteiligten Einheiten, auch beispielsweise das KG(J) 51 oder KG 76, werden nun aufgefordert, Freiwillige zum bombenbeladenen Selbstmordeinsatz gegen die Ludendorff-Brücke zu stellen.

Doch jetzt erkennen viele das infame Spiel mit ihrem Leben. Ein ohnmächtiger Zorn keimt auf. Wie wäre es denn, wenn man „den fetten Herrn Reichsmarschall mit Sprengstoff ausstopfen würde und dann höchstpersönlich selber auf die Brücke werfe, das werde sie schon zum Einsturz bringen ...“ *10

In Remagen kommt es nicht zu derartiger Aufopferung bis zum Letzten. Und doch geben die Piloten der Luftwaffe ihr Äußerstes, um mit einer leidlichen Überlebenschance ihre Pflicht zu tun. Am 8. März 1945 ist kein geeignetes Flugwetter für die Jets, doch am frühen Nachmittag des 9. März 1945 starten drei Arado 234 B-2, um die Ludendorff-Brücke zu zerstören.

Einer der drei Piloten ist Oberfeldwebel Friedrich Bruchlos aus der 8./KG 76. Er fliegt die Arado Ar 234 B-2 mit der Werknummer 140589 und der Kennung Image.

Vielleicht steht Bruchlos doch etwas unter dem Einfluss jenes Aufrufs seines Oberbefehlshabers der Luftwaffe, jedenfalls greift er im fast selbstmörderischen Tiefflug in nur 400 Meter Höhe das durch die Strebenkonstruktion mit Hilfe des Luftdrucks und der Splitter einer explodierenden Bombe so schwer zu zerstörende Brückenbauwerk an. Ein Geschosshagel ohne Beispiel erwartet ihn. Prompt schießen ihm die amerikanischen Flugabwehrkanoniere eine der Turbinen in Flammen – doch die Bombe des mutigen Deutschen verfehlt ihr Ziel. Auch die beiden Kameraden des Oberfeldwebels, die aus größerer Höhe ihre Last ausklinken, treffen die Ludendorff-Brücke nicht.

Bruchlos versucht, mit der verbleibenden Turbine seinen Fliegerhorst wieder zu erreichen. Im Prinzip fliegt die Arado Ar 234 B-2 auch mit einem Triebwerk. Doch ihren Geschwindigkeitsvorteil gegenüber alliierten Jagdflugzeugen hat sie dann komplett verloren.

Oberfeldwebel Friedrich Bruchlos kommt nicht weit. Die amerikanischen Jäger lassen ihre Beute nicht entkommen. Der deutsche Düsenbomber zerschellt durchsiebt bei Goldscheid, 15 Kilometer flussabwärts und östlich von Remagen. Oberfeldwebel Bruchlos stirbt.

Die beiden anderen Strahlbomber kehren ungeschoren zurück.

9. März 1945

Image

Flugzeugtyp:

Arado Ar 234 B-2

Nationalität:

Luftwaffe

Einheit:

8. Staffel (III. Gruppe)/KG 76

Pilot:

Oberfeldwebel Friedrich Bruchlos

Stationierung:

Achmer/Deutschland/9. März 1945

Image

Hinweis: die Karte zeigt im Gegensatz zu den Frontverlaufskarten den Nachkriegsgrenzverlauf (Eupen/Malmedy, Luxemburg u.a.), da hier die Lokalisation des Ortes aus heutiger Sicht im Vordergrund steht.

Image

Arado Ar 234 B-2Image, 8. Staffel des KG 76, Oberfeldwebel Friedrich Bruchlos.

Am weiteren Nachmittag (zwischen 15.35 Uhr und 17.00 Uhr) greifen acht Focke-Wulf 190 F-8-Jagdbomber der 11./KG 200 (vermutlich von Piloten der NSGr 20 gesteuert) die Brücke an und werfen SC-500- (Trialen-) Bomben. Vergeblich! Wie schon bei den Gittermasten der britischen Radarstationen im Jahre 1940 verpufft der Luftdruck einer Bombe an den Streben der Brücke, es ist auch nicht entscheidend, wenn die eine oder andere Strebe direkt von Splittern zerschlagen wird – die Brücke hat genug davon. Und die defekten Stahlträger können von amerikanischen Pionieren repariert werden. Bis zum nächsten Angriff. Oder einem Volltreffer – das wäre es dann doch!

Am 10. März 1945 versuchen drei Besatzungen der NSGr 1 mit ihren Ju 87 D-5 um 16.35 Uhr ihr „Glück“. Sie haben Dusel – nämlich den, mit nur einem Verwundeten davonzukommen. Die niedrige Wolkendecke schützt die Angreifer, die immer nur in kleinen Gruppen anfliegen.

Zwei Ju 87 D-5 (D-3?) der NSGr 2 sind fünf Minuten später über dem Ziel – eine dritte hatte den Angriff auf Grund von technischen Defekten bereits im Anflug abbrechen müssen. Die beiden verbleibenden Besatzungen beobachten einen Treffer auf dem östlichen Anteil der Brücke. Ein Volltreffer scheint es nicht zu sein – jedenfalls bricht die Konstruktion immer noch nicht zusammen.

Zwischen 16.50 Uhr und 19.05 Uhr greifen sieben Angehörige der NSGr 20 mit Focke-Wulf 190-Jagdbombern an. Sie werfen 500-kg-Trialen-Bomben auf die Ludendorff-Brücke. Die Gitterkonstruktion steht weiterhin. Es ist zum Verzweifeln. Zwei der Jagdbomber werden von den alliierten Flugabwehrkanonieren abgeschossen, doch dank der Fallschirmseide bleiben beide Flugzeugführer am Leben. Sie kehren später unverletzt zu ihrer Einheit zurück.

Zudem erscheinen im Laufe des Tages (12.00 Uhr bis 19.00 Uhr) sieben Piloten der 11./KG 200 wieder über dem Kampfraum – nicht weniger todesverachtend als Bruchlos. Dieses Mal hauen sie mit 1.000-kg-Bomben auf die Brücke. Erstaunlich genug, dass eine Focke-Wulf 190 F-8 überhaupt solch eine schwere Last trägt – man muss der Bombe die untere Stabilisierungsfinne kappen, damit sie ohne Bodenberührung beim Start unter den Rumpf des Jagdbombers passt.

Doch die Brücke hält.

Am 11. März 1945 versuchen es zwei Arado 234 B-2-Strahlbomber erneut – und so vergeblich wie bisher. Nun schlagen die Amerikaner zurück und gehen wieder einmal dazu über, die deutschen Flugplätze unbrauchbar zu machen – soweit sie sie aufspüren können. Lippe und Bretscheid sind ihnen allerdings offenbar bekannt, es sind die Basen der NSGr 2. Taktische Bomber der 9. USAAF verwandeln beide Fliegerhorste in monströse Kraterlandschaften. 112 Mittelstreckenbomber nehmen sich um 12.50 Uhr Lippe vor, weitere 66 zertrümmern fast gleichzeitig Bretscheid. Zeitzünderbomben erschweren bewusst die Aufräumungsarbeiten – und fordern weitere Opfer.

Die NSGr 2 verliert zwar keine oder allenfalls einige wenige Flugzeuge. Denn immerhin 43 Ju 87 D-3 und D-5 sind am Abend noch vorhanden, 28 davon sind einsatzbereit. Doch starten und landen können sie derzeit nicht.

Nun, das miserable Wetter tut ein Übriges, die Vernichtung der amerikanischen Rheinübergänge unmöglich zu machen. Mehrere sind es inzwischen, fieberhaft wird eine US-Pontonbrücke neben der anderen über den Strom geschlagen, ergänzt durch Fähren. Petrus im Himmel scheint ein gutes Verhältnis zu den Sternen zu haben, vor allem zu jenen „Stars“ auf blauem Grund mit den rot-weißen „Stripes“.

Vier Focke-Wulf 190 der NSGr 20 müssen ihren Angriff zwischen 17.00 Uhr und 17.50 Uhr auf Grund der Sichtverhältnisse abbrechen. Weitere vier Focke-Wulf 190 F-8 der 11./KG 200 steigen auf, von welchen eine aber wieder umkehren muss – die Kiste funktioniert nicht richtig. Die verbleibenden Jagdbomber greifen zwischen 17.30 Uhr und 18.30 Uhr an. Ihre drei 1.000-kg-Bomben pfeifen auf die Brücke zu – geworfen aus lediglich 50-200 Meter Höhe! Wenn schon nicht Kamikaze, dann Harakiri!

Das einzige Ergebnis dieses Angriffes ist die Tatsache, dass Unteroffizier Grelke nach Flaktreffern sich zum Fallschirmabsprung entschließen und anschließend unverletzt die Hände heben muss.

Ab dem 12. März 1945 beteiligen sich auch die Messerschmitt Me 262 des KG(J) 51 an dem Ansturm. 13 (nach einer anderen Quelle 14) Arado 234 B-2- und 22 Messerschmitt-Jets versuchen in kleineren Gruppen ohne Unterlass ihr Glück. Es ist zum Heulen, diese verfluchte Brücke steht immer noch! Und die Amerikaner bauen weiter an ihren Schwimm-Brücken. Auch die werden selbstverständlich bombardiert.

Die amerikanischen Jagdflugzeuge tun ihr Bestes, doch sie können die deutschen Düsenmaschinen einfach nicht abfangen. Tempests der britischen 2nd Tactical Air Force fliegen den Deutschen während deren Bombenanflug frontal entgegen, um ihre Gegner am Zielen zu hindern. Es grenzt an ein Wunder, das es zu keinen Zusammenstößen kommt. Und – dass die Brücke hält, trotz mehrerer Nahtreffer. Unter anderem kann Oberstleutnant Robert Kowalewski persönlich das Bauwerk beschädigen. Die Pioniere der 9. US-Panzerdivision reparieren es wieder ...

Am Abend greifen 26 Jagdbomber der NSGr 20 Bodenziele der US-Streitkräfte nahe Kleve und Emmerich an. Weit weg im Norden der Front im britisch-kanadischen Abschnitt.

13. März 1945. Sieben Arado 234 B-2 tragen 1.000-kg-Bomben an den Rhein und versuchen es sowohl im Gleitflugangriff als auch im Horizontalflug, teilweise unter Radar-Führung („Egon-Führung“) mit Hilfe des FuG 25a. Einer der Arado-Piloten muss mit dem Fallschirm abspringen. Nun greift auch die II., III. und IV. Gruppe des JG 53 in die Kämpfe ein. Es wird gelost, wer den Jagdschutz fliegen soll und wessen Messerschmitt Bf 109 eine Bombe unter den Rumpf gehängt bekommt.

Erfahrung im Abwurf dieser Bomben haben die Jagdflieger des JG 53 alle nicht – da nützt auch eine Schnelleinweisung in der Theorie des Jagdbombereinsatzes herzlich wenig. Aber man ist gewillt, zu tun, was man kann. Herrn Reichsmarschall Hermann Göring, dem „Dicken“ zum Trotz. Jedenfalls für ihn riskiert man das nicht. Dass es ein enormes Risiko ist, in diesen Geschosshagel den Rhein entlang hineinzufliegen, ist jedem der Flugzeugführer klar.

Es finden je zwei Einsätze der II. Gruppe und der IV. Gruppe sowie einer der III. Gruppe statt, welche Focke-Wulf 190 D-9 des JG 2 Begleitschutz liefert. Wie diese Einsätze ablaufen, zeigt ein Bericht des Piloten Kurt Setzinger, welcher der auf Seite 705 genannten Quelle *10entnommen ist (hier in Präsens):

„Es herrscht allgemeine Aufregung, weil nun der Ami über den Rhein vorstoßen würde, wozu er die Brücke bei Remagen benutzen würde. Das zu verhindern soll unsere Aufgabe sein durch Zerstörung des Überganges – und das mit uns wenigen Hansels.

Die Alliierten haben einen gewaltigen Schutzschirm über die Brücke gehängt; dabei ist so alles vorhanden, was sie aufzubieten haben. Ich sehe hier zum ersten Mal auch Tempests. Beim Angriff selbst geht alles rasend schnell – wir stürzen uns mit unserer Bombe aus Richtung 12 Uhr mit Notleistung bis auf Brückenhöhe. Ich denke, mein ‚Bock’ fliegt auseinander, denn wir haben sicher über 800 Sachen am Stau [das heißt: über 800 km/h Geschwindigkeit am Staurohr, dem Geschwindigkeitsmesser, Anmerkung des Verfassers], und die Maschine lässt sich kaum mehr halten. Nach dem völlig ungenauen Bombenwurf fliegen wir dann im Tiefstflug nach Zellhausen.

Ich muss hier noch mal meinem guten Ausbilder auf der Jagdschule danken, der uns ‚kriminelles’ Tieffliegen in Bierflaschenhöhe beigebracht hat. Als ich in Zellhausen lande, stellen die Mechaniker fest, dass ich Null Kompression habe; man kann die Luftschraube fast mit dem Finger durchdrehen.“

Ganz ohne Blessuren geht es allerdings nicht ab. Leutnant Schnetzler (5./JG 53) muss nach Beschussschäden notlanden, es passiert ihm nichts zum Glück. Gefreiter (Unteroffizier?) Walter Stephan aus der 10./JG 53 (Image, Werknummer 780957) zerschellt mit seiner Me 109 G-14 nach Luftkampf mit P-51 „Mustangs“ und P-38 „Lightnings“, ebenso Leutnant Richard Heilmann aus der 13. Staffel (Me 109 K-4, Image, Werknummer 331506) – nur sind dieses Mal P-47 „Thunderbolts“ die „Schuldigen“. Feldwebel Bruno Nüser aus der 15./JG 53 (Image, Werknummer 332709) baut nach Luftkampf mit P-51 auf der falschen Rheinseite westlich von Koblenz mit seiner Me 109 K-4 eine Bruchlandung und gerät unglücklicherweise in Kriegsgefangenschaft – oder ist es letztlich sogar eher ein Glück für ihn? Er wird es nicht so empfunden haben, aber die Chance ist groß, dass dies sein Leben rettet.

Eine P-47 „Thunderbolt“ und zwei P-38 „Lightnings“ stehen auf der deutschen „Haben-Seite“.

Am Abend versucht die 3./NAGr 1 mit ihren Aufklärern herauszufinden, wie es um die Brücke von Remagen steht – beziehungsweise, ob sie noch steht. Der dichte Nebel verhindert irgendwelche Erkenntnisse. Doch sie steht! Je eine Junkers Ju 87 „Stuka“ der NSGr 1 und NSGr 2 fliegt anschließend „bewaffnete Aufklärung“ über dem Rheinabschnitt. Was so viel bewirkt, dass es bei den Amerikanern ein paar Mal „rumst“. Doch im Ergebnis heißt das, über dem Brückenkopf herrscht Blindflugwetter. Ein Nachtangriff ist schlichtweg sinnlos. Zumal eine Nachtlandung in Bretscheid nach wie vor eine Art russisches Roulette darstellen würde.

In Lippe sieht es nicht viel besser aus. Gut getarnt stehen die Maschinen der 1./und 2./NSGr 2 unter den Bäumen des an den Flugplatz angrenzenden Waldes. Dort sieht sie aus der Luft niemand – so lange, bis sie auf einem Feldweg zur teilweise reparierten, durchlöcherten Startbahn rollen müssen.

14. März 1945. Das Wetter klart auf. Die Junkers Ju 87 D-3 und D-5 der 1. und 2. Staffel der NSGr 2 stehen auf dem Waldweg zum Transfer in Richtung Piste bereit, als P-47 „Thunderbolts“ der 36th US Fighter Group den perfekt getarnten Abstellplatz der Stukas entdecken – denn die stehen nun ausgerechnet jetzt gerade nicht mehr unter ihrer Tarnung verborgen. Es sind 28 amerikanische Jagdbomber, mit Bomben und Raketen bewaffnet – und je Flugzeug mit acht Browning-MGs.

Image

Arado 234 B-2 „Blitz“ der III./KG 76 in Burg, Dezember 1944.

Es kommt, wie es kommen muss. Was diese Welle zwischen 11.00 Uhr und 11.40 Uhr nicht vernichtet, zerstört die Ablösung der ersten Formation zwischen 11.45 Uhr und 12.20 Uhr. Es sind ebenfalls Thunderbolts, nun aber zwölf herbeigerufene aus der 507th Fighter Squadron/404thFighter Group. Weitere zwölf folgen ab 14.45 Uhr als dritte Welle.

Sie vernichten 24 Junkers Ju 87 und – was mindestens so schlimm ist – 1.400 Liter Flugbenzin. Allerdings töten die Geschosse und Sprengkörper zum Glück nur drei Männer. Besatzungsmitglieder der Nachtschlachtflieger sind nicht dabei.

Die Deutschen geben nicht auf. Wieder greifen vier Focke-Wulf-Jagdbomber der 11./KG 200 an. Und die Strahlbomber. Die Sonne scheint – strahlend schön – auf Hunderte alliierter Jagdflugzeuge, die bereits beim Start der sechs gefährlichen deutschen Arado 234 B-2-Düsenjets auf diese lauern. Oberfeldwebel Erich Bäumler von der 6./KG 76 wird auf diese Weise kurz nach dem Abheben abgeschossen. Er kommt zum Glück mit dem Fallschirm heil heraus. Oberfeldwebel Breme misslingt schon der Start – er übersteht den Bruch unverletzt. Der WASt ist nicht bekannt, wie stark demoliert sein Flugzeug ist. Den vier restlichen Arado 234 B-2 der 6./KG 76 gelingt der Einsatzbeginn ohne Schäden. Doch Feindjäger erwischen Oberfeldwebel Johne, als er bei Siegen seinen Zielanflug auf Remagen einleitet. Johne kann noch mit dem Fallschirm abspringen, doch er erliegt später seinen Wunden.

Die übrigen Arados der 6./KG 76 versuchen einen Gleitangriff auf die Brücke, einige Flugzeugführer riskieren Kopf und Kragen und wagen einen Sturzangriff, um noch genauer zielen zu können. Es bringt nichts ein – außer Flaktreffern an der Arado 234 B-2 des Hauptmann Morich. Sofort versucht der Pilot einer britischen Tempest, daraus Kapital zu ziehen, doch Morich ist immer noch schnell genug, den Jäger abzuhängen.

Captain Don Bryan aus der amerikanischen 352nd Fighter Group, 328th Fighter Squadron ist nach seiner Schilderung auf einer Begleitschutzmission für schnelle zweimotorige A-26 „Invader“ und gerade dabei, sich mit dem deutschen Jagdschirm herumzuschlagen, welcher offenbar die Jet-Angriffe gegen die Brücke schützen soll. Oder die eigenen Staffelkameraden in den Jagdbombern – egal.

Image

Douglas A-26 „Invader“.

Jedenfalls sieht Bryan einen der exklusiven Düsenjets im Angriff auf die Ludendorff-Brücke, lässt seine Begleitschutzaufgabe sausen und jagt dem begehrten Wild hinterher. Trotz Sturzflug mit Vollgas holt er die Arado nicht ein – das Biest ist einfach zu schnell. Doch dann erkennt der Amerikaner, dass der deutsche Pilot geradewegs auf eine Gruppe P-47 „Thunderbolts“ der 56th Fighter Group zu steuert. Bryan realisiert sofort seine Chance. Wenn der Deutsche normal reagiert, dann wird er abdrehen. Und das logischerweise nicht in Richtung auf feindliches Gebiet, sondern nach Osten – nach Hause.

Und das gibt dem Mustang-Piloten die Möglichkeit, dem Gegner den Weg abzuschneiden.

Der Kampfflieger der 6./KG 76 reagiert prompt so, wie es die Logik gebietet – und Bryan erwartet. Der geht erneut auf Vollast und manövriert sich mitten in den Flugweg des unbewaffneten deutschen Bombers, von dem daher kein Feuerstoß zu befürchten ist. Dafür feuert Bryan aus allen Rohren – und trifft aus etwas mehr als 200 Metern Entfernung die rechte Turbine des Jets.

Der Deutsche gibt nun sein Letztes, setzt auf die fast akrobatische Manövrierfähigkeit seiner Arado 234 B-2. Er kurvt, stürzt, zieht abrupt wieder hoch, fliegt Korkenzieherfiguren um sein Leben – er tut alles, um kein kalkulierbares Ziel zu bieten. Doch Bryan ist ein alter Hase, und er beherrscht seine Mustang, die in dieser Hinsicht mithalten kann. Als schließlich auch noch die linke Turbine im Feuer der sechs amerikanischen Browning-Maschinengewehre den Dienst versagt, ist das Schicksal des Deutschen besiegelt. Es handelt sich um Hauptmann Johann Hirschberger.

Laut Don Bryan rollt die Arado auf den Rücken und rast außer Kontrolle in Richtung Erde. Der Pilot habe noch das Kabinendach abwerfen können, sei aber nicht mehr herausgekommen!

Gemäß einer Quelle war es Hischbergers erster Einsatz mit der Arado 234 gewesen.

Und noch ein Arado-Jetpilot der 6./KG 76 kommt am 14. März 1945 zu Schaden. Es ist Feldwebel Schulte, der bei Waldbröl nach Beschuss durch Feindjäger mit dem Fallschirm abspringen kann und verwundet wird.

Die II./JG 53 verliert mit ihren Me 109 G-14/AS zwei Flugzeuge und mit diesen einen Gefallenen und einen Verwundeten. Die III. Gruppe fliegt Me 109 K-4 und büßt zwei Flugzeuge sowie einen Piloten ein, welcher fällt. Sein Kamerad kommt unverletzt mit dem Fallschirm heraus. Alle genannten Verluste gehen auf das Konto amerikanischer P-47 „Thunderbolts“. Die IV. Gruppe hat es dagegen mit P-51 „Mustangs“ zu tun, welche drei Me 109 K-4 abschießen, dabei einen der Piloten verwunden und die beiden anderen töten. Eigene Erfolge im Gegenzug? Nein, Fehlanzeige heute.

15. März 1945. Die Arados bleiben am Boden, während andere Einheiten, darunter auch das JG 53, unverdrossen weiter ihre Einsätze gegen die Brücke fliegen. Ohne Abschüsse und ohne Verluste heute – und ohne die Brücke zu zerstören. Zwischen 18.30 Uhr und 19.30 Uhr wollen es drei Focke-Wulf 190-Jagdbomber der 11./KG 200 erzwingen. Sie finden die Brücke in der Dunkelheit nicht. Dafür bekommen amerikanische Artilleriestellungen bei Linz einen Gruß der deutschen Luftwaffe.

16. März 1945. Auch an diesem Tag starten die Nachtschlachtgruppen *11 und die Arado-Düsenbomber auf Grund der Wetterlage nicht, während ein Messerschmitt Me 262-Jagdbomber der I./KG(J) 51 mit Leutnant Wilhelm Batel am Steuer dem Geschwader den einzigen offiziellen Abschuss seiner Geschichte beschert. Batel nimmt das (J) für „Jagd“ in der Geschwaderbezeichnung ernst und schießt eine P-47 „Thunderbolt“ vom Himmel. Feldwebel Willy Czernotzki aus der 7./JG 53 und Major Julius Meimberg, Gruppenkommandeur der II./JG 53, addieren noch je eine Mustang dazu – Czernotzki nach einen völlig überraschenden Überfall durch Mustangs mit anschließendem verbissenen Kurvenkampf. In der Hektik noch mit dem Zusatztank unter dem Bauch.

Man hatte die Mustangs zwar gesehen, doch irgendjemand im Funkverkehr hatte behauptet, es seien eigene Kameraden. So fliegt der Schwarm Czernotzkis weiter – mitten hinein ins Verderben. Die Amerikaner stürzen sich von hinten auf die vier Me 109 G-14/AS. Willy Czernotzki verliert innerhalb von Sekunden alle drei Kameraden seines Schwarms und setzt dennoch zur Verfolgung auf die abdrehenden Angreifer an. Er hängt sich hinter eine – der Amerikaner merkt das und wehrt sich in einer „verbissenen Kurbelei“, wie Czernotzki berichtet. Der Deutsche bleibt Sieger. Die von ihm abgeschossene Mustang ist der zweite Erfolg seiner Laufbahn – in Anbetracht der Umstände eine mutige und auch fliegerische Leistung. Sie endet mit einer kompletten Bruchlandung, denn auch Czernotzkis Messerschmitt war nicht ungeschoren davon gekommen. Wohl aber der deutsche Feldwebel selber.

Die Verluste des JG 53 sind schwer. Sieben Messerschmitt Bf 109 sind am 16. März 1945 im Luftkampf zerstört worden. Zwei Piloten sind gefallen, vier verwundet (plus ein weiterer unfallbedingt). Am Abend fliegen die Piloten des JG 53 ihre Maschinen wieder zurück zu ihren „Stammplätzen“ nach Süddeutschland. Die II./JG 53 landet in Malmsheim westlich von Stuttgart, die IV. Gruppe in Stuttgart–Echterdingen auf den so genannten „Fildern“, jenem Flugfeld, das sich heute zum modernen Zivilflughafen der Baden-Württembergischen Hauptstadt Stuttgart gemausert hat. Der Abstecher an den Rhein hatte außer einigen Blessuren nicht viel eingebracht. Denn – die Brücke steht.

If you find an error or have any questions, please email us at admin@erenow.org. Thank you!