Die deutsche Frontlinie in der Tschechoslowakei befindet sich in Auflösung. Die russischen Panzermassen und Infanterieströme sind nicht mehr aufzuhalten - was immer ihnen in die Quere kommt, wird buchstäblich zermalmt. Zwei Piloten erhalten den Auftrag festzustellen, wie weit die sowjetischen Panzerspitzen noch von ihrem Flugplatz in Deutsch Brod (Havličkŭv Brod) entfernt sind. Es ist der 8. Mai 1945 um 08.30 Uhr, als die beiden Messerschmitt Bf 109 starten. Der Rottenführer in seiner Me 109 G-10 aus der Produktion von Erla orientiert sich an der Hauptstraße nach Brünn und fliegt in Richtung Front. Über Brünn liegt eine dichte, dunkle Rauchwolke, schwere Brände wüten in der Stadt. In den östliche Vororten strömen russische Marschkolonnen in Richtung Stadtmitte. Über der Stadt entdecken die beiden deutschen Piloten einen Verband von etwa acht sowjetischen Yak-9-Jägern, welche offensichtlich fasziniert von dem Zerstörungsschauspiel unter ihnen keinen Blick an den Himmel über ihnen verschwenden. Einer der Yak-9-Piloten wird regelrecht übermütig und fliegt eine Art Siegesparade für die russischen Truppen unten, die dem Looping amüsiert zusehen. So lange, bis die Yak den Scheitelpunkt des Flugmanövers erreicht hat. Dies ist der Moment, in dem der russische Jäger auf dem Rücken fliegend das Visier der vorderen Me 109 ganz ausfüllt. Der Feuerstoß aus 65 Meter Entfernung trifft die Yak mit voller Wucht. Sie dreht sich, fängt Feuer und stürzt nach unten, eine lange Rauchfahne hinter sich her ziehend. Sie schlägt auf einem Acker auf, explodiert und brennt aus.
Zweieinhalb Jahre zuvor, am 8. Oktober 1942, ist das Kriegsende noch weit entfernt. Doch die Rauchschweife nicht. Ein blutjunger Pilot steht im Gefechtsstand des Jagdgeschwaders 52 in Majkop, nur 230 Kilometer nordwestlich des höchsten Berges im Kaukasus, des Elbrus. Tief in Süd-Russland, volle 2.400 Kilometer von seiner Heimat im Schönbuch-Waldgebiet bei Stuttgart entfernt. Er steht zusammen mit drei anderen Nachschub-Piloten vor Major Dietrich Hrabak, welcher die vier mit einer Ansprache empfängt. Der Major mahnt die jungen Männer eindringlich. „Um in Russland zu überleben und als Jagdflieger erfolgreich zu sein, müssen Sie Grips entwickeln. [...] Zum Fliegen gehört zuerst der Kopf und dann die Muskeln!“
Ein Krächzen unterbricht den Geschwaderkommodore. „Haltet den Platz frei, ich bin getroffen! Ich kann den Platz sehen und muss sofort landen!“ tönt es aus einem Lautsprecher. Die jungen Piloten stehen wie angewurzelt. „Verflucht, ich hoffe, ich schaffe es! Mein Motor brennt jetzt!“
Nun ist kein Halten mehr – alle rennen aus dem Unterstand. Das Erste, was man von der anfliegenden Me 109 erkennt, ist eine dicke schwarze Rauchfahne. Der Pilot fährt das Fahrwerk aus und sackt durch auf die Graspiste. Nach wenigen Metern Rollen schert ein Teil des Fahrwerkes ab. Die Me 109 bricht nach links aus, überschlägt sich – und explodiert in einem Feuerball.
Löschmannschaften rasen los, doch die Munition der Me 109 zerlegt sich. Geschosse zischen aus dem Wrack in alle Richtungen. Plötzlich löst sich eine Gestalt aus dem Rauch und rennt auf die Gruppe zu. Ein Rettungswagen bringt den Piloten zu Hrabak. „Ich habe über dem verdammten Kaukasus einige Flaktreffer erwischt“, sagt er zum Kommodore. „Krupinski, heute abend feiern wir Ihren Geburtstag!“, antwortet dieser.
Die vier Neuen bekommen den Mund nicht mehr zu.
Der Junge aus Weil im Schönbuch brennt darauf, es jenem Teufelskerl gleich zu tun. Am 14. Oktober 1942 ist es soweit. Unter den Fittichen eines erfahrenen Piloten, Oberfeldwebel Eduard Rossmann, fliegt der Neuling als „Katschmarek“ – in der Position des die Führungsmaschine nach hinten deckenden Flügelmannes. In dieser Position lernt man, die Augen aufzuhalten – und zuzusehen, wie der Führer einen Angriffsflug erfolgreich aufbaut.
Doch nicht so unser Neuling. Kaum in Sichtweite des Gegners, prescht der ungestüme junge Leutnant vor, fliegt seinem Lehrmeister in die Schusslinie, schießt lauter Luftlöcher und findet sich von gegnerischen Jägern umringt wieder. Entsetzt verliert er die Nerven, verschwindet in einer Wolkendecke und verliert die Orientierung. Der Ausflug endet mit einer Bauchlandung wegen Treibstoffmangels 30 Kilometer vom Flugplatz entfernt – und einer gewaltigen Standpauke!
Drei Wochen später, am 5. November 1942, erhält er eine weitere Chance. Sie sind zu viert – gegen 18 russische Il-2 „Stormovik“-Schlachtflugzeuge, die von zehn LaGG-3-Jägern eskortiert werden. Er hatte inzwischen viel gelernt – auch über die verwundbare Stelle des gefürchteten russischen Erdkampfflugzeuges Il-2. Er nimmt sich die Il-2 außen links vor, schießt aus 100 Meter Abstand – und trifft. Die Geschosse prallen ab. Verdammt – verfluchte Panzerung! Aber so schnell gibt er es nicht auf! Der nächste Anflug kommt von hinten unten. Er fliegt bis auf 60 Meter heran – und feuert. Eine lange Stichflamme schießt aus der russischen Il-2. Dann eine Explosion – Trümmerteile wirbeln der deutschen Me 109 entgegen, beschädigen den Rumpf. Als die sowjetische Maschine am Boden zerschellt, schlittert der deutsche Pilot seiner zweiten, dieses Mal unverschuldeten Bruchlandung entgegen. Erich Hartmann hat seinen ersten Abschuss erzielt! Den ersten von 352 insgesamt, einer Siegesserie ohne Beispiel in der Welt. Doch der Auftakt mit zwei Notlandungen ist nicht gerade grandios!
Hartmann fliegt noch öfter mit Rossmann und lernt viel von ihm – vor allem Umsicht, Übersicht und das Schießen. Rossmann ist ein anerkannter Scharfschütze mit 80 Abschüssen, beherrscht das Zielen mit Vorhaltewinkel in der Kurve und trifft auch aus größerer Entfernung. Vor allem aber manövriert sich Rossmann vor dem Angriff in eine aussichtsreiche Schussposition – erst dann greift er an, mit der Überraschung als den entscheidenden Vorteil. Hartmann ist beeindruckt. Er lernt auch andere Temperamente kennen. So fliegt er als Rottenflieger von Feldwebel Dammers – einem Haudegen, der so lange in aggressiv geflogenen Kurven seinen Gegner ermüdet, bis der den entscheidenden Fehler macht. Doch meistens ist dieser Gegner nicht alleine am Himmel, und die Übersicht in solchen Kurvenduellen kann schnell verhängnisvoll verloren gehen.
Hartmann freundet sich mit Rossmann an – und mit Hartmanns Mechaniker, dem 1. Wart Feldwebel Heinz Mertens. Wenn Mertens etwas misslingt oder ärgert, kann man darauf warten, was er sagt. „Gebimmel!“ steht für Unflätigeres. Hartmann amüsiert sich. Und „Bimmel“ hat seinen Spitznamen!
Hartmann bald auch. Am 27. Februar 1943 erzielt er seinen zweiten Abschuss. Und wird kurz darauf einem Mann als Rottenflieger zugeteilt, den er bereits ehrfurchtsvoll in Majkop kennen gelernt hatte. Dieser Pilot wird Staffelkapitän der 7./JG 52 und erscheint auf die ihm eigene Art. Er kommt an, stellt sich als neuer Staffelkapitän vor, verlangt ein Flugzeug, startet, wird abgeschossen und erscheint erneut, dieses Mal mit dem Fallschirm unter dem Arm. Er verlangt eine neue Maschine, startet sofort wieder, schießt zwei Sowjets ab und landet heil. Diesem Piloten wird Hartmann nun zugeteilt. Es ist Oberleutnant Walter Krupinski.
Krupinski fliegt wie der Teufel – umsichtig und angriffslustig zugleich. Nur schießen kann er nicht. Die meisten Geschosse gehen ins Leere, es sei denn, er sitzt direkt hinter seinem Opfer.
Nun, und hinter ihm fliegt Hartmann. Und er erhält seine Chance. „He Bubi, geh` näher ran! Du schießt zu früh!“. Bubi geht ran – und trifft voll – besser als Krupinski. Der ist platt. Und Hartmann heißt fortan „Bubi“ ...
Und so kristallisiert sich allmählich eine Strategie heraus, welche Erich Hartmann zum erfolgreichsten Jäger-Ass aller Zeiten und Nationen werden lässt. Hartmann hat Instinkt – den untrüglichen Instinkt des Jägers. Und er hat Adleraugen – geschärft durch Rossmanns geduldige Schulung. Hartmann sieht den Gegner auf Entfernungen, auf welche seine Kameraden noch nicht einmal Punkte erkennen. Auch nicht seine Gegner. Mit Rossmanns Umsicht manövriert sich „Bubi“ in die optimale Angriffsposition – und wartet auf die Chance, den idealen Augenblick. Dann greift er an – im toten Winkel des Feindes. Wenn dieser die Gefahr bemerkt, ist es fast immer zu spät. Auf nächste Distanz ist die Wirkung der Geschosse vernichtend – „Graf Punski“ lässt grüßen. Auch Krupinski hat seinen Spitznamen!
Doch soweit ist es noch nicht. Die deutsche Front wankt zum ersten Mal. Stalingrad ist verloren, die deutschen Verbände ziehen sich aus dem Kaukasus zurück. Die Kuban-Region östlich der Meerenge von Kertsch wird von den Deutschen noch gehalten. Die Luftkämpfe darüber gehören zu den erbittertsten des Russlandfeldzuges. Und mittendrin ist „Bubi“ Hartmann. Von Tag zu Tag erfolgreicher.
Frontverlauf Anfang November 1942.
Die Deutschen schlagen zurück. Am 5. Juli 1943 erfolgt die Gegenoffensive im Raum Kursk – die Operation „Zitadelle“. Über der gigantischen Panzerarmada färbt sich der Himmel dunkel voller Flugzeuge. Die Mehrzahl tragen den roten Stern auf dem Leitwerk. Doch auch die Deutschen werfen in die Schlacht, was die Luftwaffe aufbieten kann – noch einmal mit enormen Erfolgen. Am 5. Juli 1943 schießt Hartmann fünf russische La-5-Jäger ab, Krupinski elf Gegner! Der letzte wird ihm zum Verhängnis. Krupinski muss auf dem eigenen Flugplatz notlanden, doch im Alarmstart startende Kameraden kreuzen seinen Weg. Krupinski versucht auszuweichen – der Überschlag ist vorprogrammiert. Es gibt keine Berichte, wie sein Schutzengel aussieht. Aber er muss einen haben. „Graf Punski“ fällt mit Schädelbruch sechs Wochen aus, doch er lebt. Und „Bubi“ Hartmann wird vertretungsweise Staffelkapitän.
1. August 1943, 18.30 Uhr. Eine La-5 bei Charkov steht in Flammen. Der Pilot weiß nicht, dass er das 50. Opfer des Piloten ist, dessen Funkrufzeichen „Karaya1“ langsam dem Gegner zum Begriff wird. Es dürfte ihm auch egal sein.
Am 19. August 1943 kehrt Hartmann von seinen 300. Einsatz zurück. Fast wäre es das letzte Mal gewesen. Denn am 20. August 1943 starten zwei Schwärme zu je vier Me 109, um die Ju 87 „Stukas“ des Hauptmann Rudel zu decken. Die Front ist in Bewegung, die 7. Staffel des JG 52liegt nun in Kuteynikowo 30 Kilometer südöstlich von Donezk in der Ukraine. Die Sowjetarmeen sind durchgebrochen, ein Großangriff ist im Gange. Das Ziel der Offensive ist der Schicksalsfluss der Russen, der Dnjepr. Auf dem Weg zum Treffpunkt mit den Stukas entdeckt Hartmann etwa vierzig sowjetische Il-2 „Stormovik“-Schlachtflugzeuge, die deutsche Stellungen mit Bomben eindecken – darüber vierzig La-5- und Yak-9-Jäger.
Hartmann zögert nicht und durchbricht mit seinen acht Me 109 den russischen Jagdschutz. Dann fallen die Messerschmitt-Jäger über die Stormoviks her. Hartmanns Feuerstoß aus 75 Meter Entfernung trifft die erste. Nach einer heftigen Explosion montiert die linke Tragfläche ab. Die ist erledigt!
Hartmann nimmt sich sofort die nächste vor. Er schießt erst, als er auf 50 Meter heran ist. Das russische Flugzeug steht sofort lichterloh in Flammen und sackt weg. Plötzlich knallt etwas in Hartmanns Jagdflugzeug. Blauer Qualm dringt in die Kabine. Hartmann dreht sofort nach Westen ab! Nur keine Notlandung hinter den russischen Linien! Man hatte vieles gehört über das grausame Schicksal von Kameraden, die in russische Hände gefallen waren ...
Frontverlauf Anfang August 1943 (vor der sowjetischen Rückeroberung der Stadt Charkov am 23. August 1943).
Doch weit kommt er nicht. In einem Sonnenblumenfeld ist die Reise zu Ende. Zum Glück gelingt die Bauchlandung – mal wieder!
Hartmann ist zutiefst erleichtert, als ein deutscher LKW auf seine Maschine zuholpert. Umso entsetzter sieht er russische Uniformen, als der – offenbar erbeutete – LKW hält. Zum Weglaufen ist es nun zu spät! Was jetzt? Hartmann mimt den Bewusstlosen. Als die Russen ihn „wecken“, schreit er laut auf und zeigt auf seinen Bauch. Jede Bewegung oder Berührung wird mit höllischen Schmerzen quittiert.
Die schauspielerische Leistung ist bühnenreif. Die Russen bringen ihn zu ihrem Gefechtsstand. Selbst der Arzt dort fällt auf Hartmanns Posse herein. Nun wird Hartmann auf die Pritsche des Lastwagens gelegt und abtransportiert – bewacht von einem Russen. Nur einer! Wenig später hört Hartmann das typische Heulen deutscher Stukas über sich. Der Russe blickt nach oben – und wird urplötzlich von dem doch fast bewegungsunfähigen „Schwerverletzten“ umgestoßen ...
Der Sowjetsoldat benötigt einen Augenblick, bis er sich von seiner Verblüffung erholt hat. Diesen Moment nutzt der deutsche Jagdflieger zur Flucht von der Pritsche des Lastwagens. Hartmann rennt um sein Leben, Schüsse peitschen hinter ihm her. Ein mannshohes Sonnenblumenfeld gewährt ihm Deckung. Hartmann versteckt sich, wartet die Nacht ab. Dann schleicht er vorsichtig in Richtung Westen.
Fast wäre er einem russischen Spähtrupp in die Hände gefallen – stattdessen weist dieser ihm unbeabsichtigt den Weg zu den deutschen Linien. Als die Russen von deutschem MG-Feuer niedergemäht werden, weiß Hartmann, wo er die eigenen Leute suchen muss. Fast wäre er schließlich selber vom deutschen Posten erschossen worden. Doch im letzten Moment überzeugt sein Deutsch den Landser.
Als Hartmann wieder in Kuteynikowo ankommt, wird er stürmisch begrüßt. Nur einer fehlt. Hartmann wundert sich, fragt schließlich nach. Wo ist denn sein Wart „Bimmel“ Mertens?
Betretenes Schweigen. Dann Entsetzen in Hartmanns Augen! Bimmel hatte es nicht mehr ausgehalten! Er hatte sich einen Karabiner geschnappt, sich auf seine russischen Sprachkenntnisse verlassen und war nun ohne Erlaubnis unterwegs hinter die russischen Linien, um in einer Ein-Mann-Rettungsaktion seinen Chef herauszuholen – wo immer der abgeblieben sein mochte.
Dunkle Schatten liegen unter seinen Augen, als er am Tag darauf – dem Zusammenbruch nahe – zurück auf das Flugfeld schlappt. Es ist der glücklichste Augenblick seines Lebens, als er plötzlich unverhofft vor Bubi steht. Und Hartmann fällt ein ganzer Steinbruch vom Herzen.
Der Krieg geht weiter, und Hitlers „Siege“ werden von Monat zu Monat näher der Heimat ausgefochten. Die russischen Gegner werden immer besser – ihre Flugzeuge wie ihre Flugzeugführer. Die Masse der sowjetischen Piloten fliegt zwar immer noch einen sehr durchschaubaren Stil – pflichtgemäß ganz genau entsprechend Befehl. Dieser Art von Gegnern fühlen sich die Deutschen überlegen – ohne sie zu unterschätzen. Doch es gibt auch ebenbürtige Asse auf der anderen Seite! Die russischen Garderegimenter bestehen offensichtlich aus exzellenten Piloten – fähig, entschlossen und mutig. Und sie stehen – wie die Deutschen – im Einsatz, bis sie gut oder tot sind. Es ist so betrachtet kein Zufall, dass der erfolgreichste alliierte Jagdflieger-Pilot ein Russe ist – Mayor Ivan Nikiforovich Kozhedub, mit 62 bestätigten Luftsiegen (darunter auch welche in Notwehr gegen US-Mustang-Jäger, welche seine La-7 für eine deutsche Focke-Wulf 190 halten!). Der erfolgreichste amerikanische Pilot ist Major Richard Bong, dessen 40 Abschüsse gegen die Japaner erfochten werden. Dagegen stehen 75 deutsche Piloten alleine an der Ostfront, die jeweils 100 oder mehr Abschüsse erzielen.
Nach seiner Hochzeit in Bad Wiessee am 10. September 1944 kehrt Hartmann an die Front zurück. Längst zeichnet sich der Ausgang des Krieges ab. Hartmann erhält eine neue Maschine. Er lässt sie auffällig bemalen – mit schwarzen tulpenförmigen Spitzen am Bug. Auch die russischen Asse, die inzwischen Jagd auf den „schwarzen Teufel“ machen, auf dessen Kopf 10.000 Rubel ausgesetzt sind, fliegen oft auffällige Maschinen. Nicht so Kapitan Yevstigneyev, immerhin der zweitbeste Lavochkin-Pilot der sowjetischen Luftwaffe und der siebtbeste russische Jagdflieger insgesamt. Yevstigneyev fliegt eine La-5 FN mit der kyrillischen Aufschrift „Imeni Geroya Sovetskogo Soyuza Podpoklovnika Koneva, N.“ („Zu Ehren des Helden der Sowjetunion Oberstleutnant N. Konev“).
Ein ehrenvolles Flugzeug, schließlich hatte er es von niemand Geringerem übernommen als seinem Freund und Rivalen Ivan Kozhedub, als dieser vom 240. IAP zum 176. GvIAP versetzt wurde. Es ist September 1944, Yevstigneyev kehrt von einem zweimonatigen Krankenhausaufenthalt zurück, zu welchem ihn sein Regimentsarzt verdonnert hatte. Schließlich hatte er sich nie auskuriert, auch nicht, als er am 5. August vor einem Jahr in seiner La-5 abgeschossen worden war und – schwer verletzt – gerade noch mit dem Fallschirm herauskam. Er hatte den Gegner gar nicht gesehen – der musste im toten Winkel angeflogen sein ...
Inzwischen ist Yevstigneyev selbst ein Ass mit 50 Abschüssen – und seine Einheit, das 240. IAP, zum Garderegiment avanciert, dem 178. GvIAP. Die Erlaubnis, ein Flugzeug mit Widmung zu fliegen, ist eine Auszeichnung und spornt an. Weit hatte man es gebracht – seit den Kämpfen am Dnjepr hatte man die verhassten Deutschen bis nach Ungarn zurückgetrieben. Nun kämpft man über Budapest.
Heinz „Bimmel“ Mertens und Erich „Bubi“ Hartmann.
November 1944
Flugzeugtyp: |
Messerschmitt Bf 109 G-14/AM |
Nationalität: |
Luftwaffe |
Einheit: |
4. Staffel (I. Gruppe)/JG 52 |
Pilot: |
Staffelkapitän Hauptmann Erich Hartmann |
Stationierung: |
Budaörs (Budapest)/Ungarn |
Flugzeugtyp: |
Lavochkin La-5 FN |
Nationalität: |
VVS (Sowjetische Luftwaffe) |
Einheit: |
178. GvIAP |
Pilot: |
Kapitan Kirill Alexeevich Yevstigneyev |
Stationierung: |
Umgebung von Budapest/Ungarn |
Hinweis: die Karte zeigt im Gegensatz zu den Frontverlaufskarten den Nachkriegsgrenzverlauf, da hier die Lokalisation des Ortes aus heutiger Sicht im Vordergrund steht.
Messerschmitt Bf 109 G-14/AM, 4./JG 52, Hauptmann Erich Hartmann, Budaörs/Budapest in Ungarn, November 1944.
Lavochkin La-5 FN, 178. GvIAP, Kapitan Kirill Alexeevich Yevstigneyev, Ungarn, im Luftraum von Budapest, November 1944.
Frontverlauf in Ungarn 28. Oktober 1944.
Erich Hartmann.
Yevstigneyev schießt am 7. und 15. Oktober 1944 je eine Focke-Wulf 190 ab, am 16. November 1944 eine Me 109, gefolgt im Januar 1945 von einer Ju 52 über Budapest. Zum selben Zeitpunkt ist Hauptmann Erich Hartmann mit seiner auffällig bemalten Me 109 G-14/AM *1 in Budaörs stationiert – am Stadtrand von Budapest.
Bis zum Kriegsende wird Yevstigneyev noch zweimal erfolgreich sein, sein 55. und 56. Abschuss ist jeweils eine Focke-Wulf 190. Auch sein letzter Abschuss erfolgt über Budapest. Hartmann wird seinen Stand vom 27. Oktober 1944 – 306 Abschüsse – um weitere 46 erhöhen. Am 16. November 1944 fallen seinen Geschossen zwei Yak-9 zum Opfer, doch sind auch La-5 an diesem Tage die Gegner der von ihm geführten Staffel, denn sein Staffelkamerad Leutnant Heinz Ewald schießt eine La-5 vom Himmel. Es ist also durchaus denkbar, dass sich Yevstigneyev und Hartmann „über den Weg geflogen“ sind. Genau wird dies wohl niemand mehr eruieren können.
Neuerdings sind Hartmanns Gegner nicht mehr alleine sowjetische Piloten. Italien ist nahe – und ist inzwischen von den Amerikanern besetzt. Immer häufiger muss sich das JG 52 in Rumänien und Ungarn mit deren viermotorigen Bombern und dem Mustang-Begleitschutz herumschlagen. Im Frühsommer 1944 war Hartmann einmal nur mit knapper Not mit dem Leben davongekommen. Die Amerikaner bombardierten damals in schnöder Regelmäßigkeit die rumänischen Ölfelder in Ploeşti. Gleich beim ersten Einsatz gegen die Amerikaner kann Hartmann vier der P-51 „Mustang“-Begleitjäger abschießen. Doch die lernen dazu. Vier Einsätze später jagen acht Mustang diesen Teufelspiloten, der schon wieder zwei der ihren abgeschossen hatte, bis zu dessen Flugplatz zurück. Die amerikanischen Jägerpiloten haben das Bild der einen Mustang noch vor Augen. Sie war mit ihrem Kameraden an Bord unter den Feuerstößen dieses Deutschen glatt explodiert. Die zweite Mustang hatte der Me 109-Pilot in eine brennende Fackel verwandelt. Man war entschlossen, es ihm heimzuzahlen. Hartmann fliegt um sein Leben – und kann seinen Gegnern dieses Mal nicht durch Geschwindigkeit entkommen! Die Mustangs sind genauso schnell wie seine Me 109. Auch die russischen Jäger sind schnell, doch irgendwie kann man ihnen leichter entwischen. Acht Mustangs – das sind einfach zu viele! Zum Glück schießen sie schlecht. Hartmann kurvt mit all seinem Können – und kommt dem eigenen Platz immer näher, oft nur knapp den amerikanischen Geschossen entgehend – mit dem Instinkt des Ausweichmanövers im letzten Augenblick. Bis der Sprit alle ist. Und die Amis geben immer noch nicht auf! Hartmann hat keine Wahl. Haube weg, auf den Rücken – und raus. Nun hängt er hilflos am Fallschirm.
Kirill Alexeevich Yevstigneyev.
Für die deutschen Jagdflieger gilt das Abschießen eines besiegten Gegners am Fallschirm als Mord. Mag es dies auch in der Luftwaffe gegeben haben – doch auf deutscher Seite gilt so ein Verhalten als verachtenswert und ist daher extrem selten. Ob die Amerikaner auch so denken? Hartmann hat Angst. Er kennt die Berichte über das Verhalten mancher alliierter Piloten, vor allem der USAAF. Nein! Nicht! Um Gottes Willen! Eine Mustang kurvt auf ihn ein, nimmt ihn direkt vor die Rohre. Nein!! Doch der US-Pilot schießt nicht. Er fliegt in nächster Nähe vorbei, starrt Hartmann an – wutentbrannt, so scheint es – und hebt dennoch respektvoll die Hand. Dann drehen die Mustangs ab.
Es ist ein halbes Jahr her. Doch unvergessen. Nun, im Oktober/November 1944, trainiert Hartmann die jungen Piloten einer neuen Staffel des JG 52. Welche Überlebenschance haben sie noch?
Erich Hartmann.
Lavochkin La-5 FN
Hartmann wird angeboten, im berühmten Jagdverband 44 neben Gallands erlauchter Expertenrunde den neuen Düsenjäger Me 262 zu fliegen. Ein Telegramm seines Kommodore Hermann Graf ruft ihn zurück zum JG 52. Hartmann ist sehr froh darüber. Was soll er im Club der Asse, seine Männer brauchen ihn! Dort, inzwischen Kommandeur der I./JG 52, kann er sein Schicksal selbst bestimmen!
Im März 1945 wird ein russischer Bombenangriff auf Prag gemeldet. Hartmann startet mit vier Me 109. Der russische Verband kommt in Sicht. Etwa 30 Sowjet-Bomber des Typs Douglas A-20 „Boston“ und Petlyakov Pe-2, darüber circa 25 russische Yak-9 und P-39 „Airacobra“-Jäger *2. Hartmann fliegt mit seinem Schwarm in 7.000 Metern Höhe – über dem russischen Verband und mit der Sonne im Rücken. Ideal für einen Überraschungsangriff. Doch eine Eingebung warnt ihn. Da – was ist das? Kondensstreifen, schnell näher kommend. Kurze Zeit später kristallisieren sich silbrige Punkte heraus – amerikanische Mustangs! Sie fliegen etwa 1.000 Meter tiefer und umkreisen misstrauisch den noch tiefer fliegenden russischen Verband. Weder die Russen noch die Amerikaner achten auf die vier schwarzen Punkte in der Sonne. Jetzt! Hartmann leitet den Angriff ein. Die erste Mustang stürzt getroffen brennend ab, unmittelbar danach gefolgt von einer zumindest schwer beschädigten zweiten. Die Amerikaner hatten Hartmann nicht einmal gesehen. Auch einer seiner Kameraden hatte eine Mustang erwischt.*3 Hartmann jagt im Sturzflug durch den russischen Verband und beschädigt einen der Sowjetbomber, eine von den Amerikanern an die Russen gelieferte Douglas A-20 „Boston“. Dann rasen die Me 109 im Tiefflug davon. Hartmann dreht sich um. Es sind alle Me 109 da.
Doch was ist denn das? Die amerikanischen Mustangs fallen über die Russen her! Drei Yak-9 stürzen ab, eine Mustang ist getroffen und zieht einen Glykol-Schweif hinter sich her. Hartmann lacht lauthals! Einer gewissen diebischen Schadenfreude kann er sich nicht erwehren. Viel Vertrauen haben die offenbar nicht zueinander, diese „Verbündeten“ mit dem roten und dem weißen Stern am Rumpf!
Am 8. Mai 1945 ist ihm inzwischen das Lachen endgültig vergangen. Das Kriegsende ist nah, es sind nur noch Stunden – es ist vorbei. Der russische Yak-9-Pilot mit seinem übermütigen Looping über Brünn (heute Brno) fliegt Erich Hartmann direkt vor die Rohre. 352 Abschüsse sind es mit ihm – einer mehr oder weniger – was nützt es noch? Es ist ein stiller Triumph. Als Hartmann mit seinem Rottenflieger wendet, hat keiner der Kameraden des unglücklichen Russen ihn gesehen. Es war alles so schnell gegangen. Auch die Piloten der von Hartmann rechtzeitig entdeckten amerikanischen Mustangs, die soeben über Brünn eintreffen, haben die beiden dunkelgrün gefleckten Me 109 nicht bemerkt.
Sie wundern sich nur, als die russischen Waffenbrüder in ihren Yak-9 plötzlich unvermittelt zum Angriff eindrehen ...
Frontverlauf am 8. Mai 1945. Kapitulation Reste der Herresgruppe Mitte erst am 11. Mai 1945.
8. Mai 1945
Flugzeugtyp: |
Messerschmitt Bf 109 G-10 |
Nationalität: |
Luftwaffe |
Einheit: |
I. Gruppe/JG 52 |
Pilot: |
Gruppenkommandeur Major Erich Hartmann |
Stationierung: |
Deutsch Brod (Havličkŭv Brod)/Tschechien |
Flugzeugtyp: |
Yakovlev Yak-9 |
Nationalität: |
VVS (Sowjetische Luftwaffe) |
Einheit: |
unbekannte Einheit |
Pilot: |
unbekannter Pilot |
Verlustort: |
über Brünn (Brno)/Tschechien |
Dieser Übergang wäre der übliche – hier ein Typ K-4.
Es gibt nach Kenntnis des Verfassers nur ein Foto, welches Aufschluss gibt über die letzte von Erich Hartmann geflogene Me 109 – zumindest über diejenige Messerschmitt, welche Hartmann zum Zeitpunkt seines 350. Luftsieges geflogen hat, am 17. April 1945 (und somit wohl auch am 8. Mai 1945). Nebenstehende Fotografie zeigt ihn am 17. April vor seiner Maschine. Das Bild zeigt zwar nur einen Ausschnitt, dieser ist allerdings aufschlussreich. Denn:
Folgende besonderen Merkmale kennzeichnen die Messerschmitt Bf 109 G-10 der Leipziger Erla-Werke:
Nachfolgendes Profil ist auf der Basis des oben gezeigten Fotos und der genannten Details rekonstruiert. Da kein Originalfoto der in Deutsch Brod zerstört aufgefundenen Me 109 des JG 52 irgendwelche gelben Rumpfbänder oder Motorhaubenunterseiten zeigt, sind diese nach Ansicht des Verfassers im Gegensatz zu anderen Profilen von Hartmanns letzter Me 109 nicht plausibel. Inzwischen wurde auf die früher für „Ostfront“ stehende Kennzeichnung augenscheinlich verzichtet. Ebenso ist davon auszugehen, dass der Rüstsatz „R6“ im Felde ausgebaut wurde.
Erich Hartmann am 17. April 1945. Hartmann wird am 8. Mai 1945 noch vom Hauptmann zum Major befördert.
Messerschmitt Bf 109 G-10, Stab I./JG 52, Major Erich Hartmann, 8. Mai 1945. Profil-Rekonstruktion nach Teil-Foto und Datenlage.
Am letzten Kriegstag sind eine Vielzahl deutscher Flugzeuge als Verlust unbekannter Ursache oder Bauchlandung mit unbekannter Ursache und meistens auch unbekanntem Beschädigungsgrad dokumentiert. Es ist nicht nachvollziehbar, ob es sich dabei um Unfälle, unfreiwillige Notlandungen nach Luftkampf oder bewusste Notlandungen handelt, wie sie beispielsweise Oberst Hans-Ulrich Rudel seiner Einheit in Kitzingen befahl, um bei der Landung auf einem vom Gegner besetzten Flugplatz die Flugzeuge unbrauchbar zu machen. Ferner ist oft nicht eindeutig, ob die Bruchlandung auf Feindbeschuss oder technischen Defekt zurückzuführen ist. Wie ist eine Notlandung mit unbekannter Ursache zu bewerten wie im Falle der I./JG 77, deren Flugzeuge (Me 109 G-14) anschließend alle auf dem Flugplatz Mährisch Trübau gesprengt werden? Das Flugzeug wäre so oder so ein Wrack geworden. Die „Bauchlandung auf der elterlichen Wiese“ einer Me 109 der NAGr 4 ist wohl kaum ein Abschuss! Der Autor hat sich daher entschlossen, sich in obiger Tabelle auf diejenigen Fälle zu beschränken, welche eindeutig oder mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf „Feindeinwirkung“ zurückzuführen sind.
*1Die Frage, ob Hartmanns Messerschmitt im Herbst 1944 eine Me 109 G-6 oder G-14/AM gewesen ist, wird von unterschiedlichen Quellen unterschiedlich beurteilt. Es existiert jedoch ein – sehr seltenes – Flugfoto dieser Maschine, angeblich auf dem Rückflug nach Budapest aufgenommen. Das Heckleitwerk einer Me 109 G-14 hat eine andere Form als das einer (Standard-) G-6, wobei u.a. die Seitenruderflosse bei der Version G-14 geradlinig verläuft, im Falle der G-6 im oberen Bereich nach vorne gewinkelt. Die Analyse dieses (unscharfen) Fotos ergibt nach Ansicht des Verfassers eindeutig, dass es sich um einen geraden Verlauf des Seitenruders – und somit (übereinstimmend mit Christer Bergström/Claes Sundin) um eine Me 109 G-14 – handelt. Ganz eindeutig ist jedoch auch diese Feststellung nicht, denn späte Exemplare der G-6 zeigen bereits das Heck der Version G-14.
*2Es werden auch über 2.000 P-63 A „Kingcobra“-Jagdflugzeuge an die Sowjetunion geliefert und offiziell nur im Fernen Osten stationiert, de facto aber auch gegen die deutsche Luftwaffe eingesetzt. Ein sowjetischer Spezialist und ein VVS-Testpilot beeinflussen die Produktion des P-39-Nachfolgemodells vor Ort bei Bell in den USA. In der Luft ist die P-63 kaum von der P-39 zu unterscheiden.
*3Quelle: „Holt Hartmann vom Himmel“/Motorbuch Verlag, 1970/Raymond F. Toliver und Trevor J. Constable. Hartmann sieht demnach den Absprung des US-Piloten. In
„Die Geschichte der I. Gruppe des Jagdgeschwaders 52/Traditionsgemeinschaft JG 52/Bernd Barbas findet sich in der Abschusstabelle jedoch nur eine (1) P-51 „Mustang“.